Intolerable Cruelty

Intolerable Cruelty (Ein (un-)möglicher Härtefall): Der Film wird ja gerne mit den Screwball-Komödien der 40er Jahre verglichen. Wenn Katherine Hepburn das hört, dreht sie sich im Grab um. George Clooney hat zwar offensichtlich Spaß daran, sich wie ein Idiot aufzuführen und einen ab und zu vergessen zu lassen, dass er ein ziemlich attraktiver Kerl ist, aber leider ist zwischen ihm und Catherine Zeta-Jones nicht mal der Hauch eines Funken geflogen. Zeta-Jones bleibt stets die geldgeile Zicke, und ich habe ihr nicht eine Minute geglaubt, dass sie wahre Gefühle hat. Das sollte man aber, sonst macht der Film überhaupt keinen Spaß.

Die Charaktere sollen wohl schablonenhaft sein, aber was die beiden hier abziehen, war mir doch ein bisschen zu simpel. Ich habe mich über eine Stunde gelangweilt, weil sich alles wie eine Exposition für eine kleine Pointe angefühlt hat. Die letzten 20 Minuten waren dann okay und hatten endlich ein bisschen Tempo – und vor allem eine wunderbare Szene mit einem Berufskiller, einer Knarre und einem Asthma-Inhalator –, aber das hat es leider auch nicht mehr rausgerissen.

Das Wunder von Bern

Das Wunder von Bern (2003)

Darsteller: Louis Klamroth, Peter Lohmeyer, Sascha Göpel, Lucas Gregorowicz, Katharina Wackernagel, Peter Franke
Musik: Marcel Barsotti
Kamera: Tom Fährmann
Drehbuch: Rochus Hahn, Sönke Wortmann
Regie: Sönke Wortmann

Wie macht man eine Geschichte spannend, deren Ende jeder kennt? Ganz einfach: indem man weitere Geschichten hinzufügt. So hat jedenfalls Sönke Wortmann es geschafft, aus der altbekannten Geschichte des „Wunder von Bern“ einen recht unterhaltsamen Film zu machen.

Die Story um die deutsche Nationalmannschaft, die im Endspiel der Fußball-WM 1954 die seit Jahren ungeschlagenen Ungarn besiegten, ist wirklich nichts Neues mehr. Selbst diejenigen, die damals noch nicht mal geboren waren, kennen die legendäre Radioreportage von Herbert Zimmermann: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt …“ und den Rest kann eigentlich jeder runterbeten. Der Kniff, die Geschichte trotzdem spannend zu machen, ist der übliche, den auch schon andere historische Filme genutzt haben: Man nimmt das Großereignis nur als eine Art Tapete und erfindet ein paar Charaktere, um die es eigentlich geht. So wird der Film keine Geschichtsstunde, und wenn man Glück hat, bekommt die Story, die jeder kennt, noch ein paar neue Facetten.

Im Wunder von Bern ist einer der erfundenen Charaktere der kleine Matthias, ein absoluter Fan von Helmut Rahn, ohne den dieser angeblich kein Spiel gewinnen kann. Das glauben jedenfalls sowohl Matthias als auch Rahn. Und so steht Matthias am Schluss des Films natürlich am Rande des Spielfelds in Bern, als Rahn den Siegtreffer gegen die Ungarn erzielt.

Wie er dahin gekommen ist, erzählt Das Wunder von Bern sehr klassisch, aber nie langatmig. Matthias’ Vater Richard, gespielt von Peter Lohmeyer, kehrt nach zwölf Jahren Kriegsgefangenschaft wieder nach Hause zurück. Dort findet er eine völlig veränderte Welt vor – einen Sohn, der Musik macht, eine Tochter, die sich mit amerikanischen Soldaten vergnügt, eine Ehefrau, die selbständig eine Kneipe aufgebaut hat und eben Matthias, den er noch nie gesehen hat und mit dem er auch nicht wirklich etwas anfangen kann.

Dass sich das ändert, ist keine große Überraschung. Es ändert sich für meinen Geschmack ein wenig zu holprig, aber mehr Zeit hätte man auf den Handlungsstrang auch nicht verwenden dürfen. Schließlich gibt es noch mehr zu sehen in Das Wunder von Bern. Zusätzlich zu Matthias, der in eher ärmlichen Verhältnissen im Ruhrgebiet aufwächst, lernen wir den Reporter Paul Ackermann und seine für damalige Verhältnisse schon ziemlich emanzipierte Ehefrau kennen. Aber vielleicht steht sie auch nur komplett unter Drogen; jedenfalls grinst sie die ganze Zeit bis zum Anschlag und ist überhaupt eine so seltsame Figur, dass ich nie wusste, ob ich sie jetzt ziemlich witzig oder total widerlich finden soll. Warum wir die beiden allerdings überhaupt kennenlernen, ist mir bis zum Schluss des Films ein Rätsel geblieben. Für mich haben sie nicht wirklich zur Story beigetragen, außer, dass sie zeigen, dass für ein paar Menschen in den 50ern das Wirtschaftswunder früher begonnen hat als für den Rest, denn sie wohnen im Gegensatz zur Familie von Matthias in einem absoluten Postkartenhäuschen in München.

Meiner Meinung nach hätte man die Reportergeschichte komplett rauslassen und stattdessen so viel mehr aus der Familiengeschichte herausholen können. Fünf spannende Figuren, die mich alle interessiert haben (warum tun sie, was sie tun und in welcher Konsequenz?), deren Storylines aber fast alle irgendwie versanden. Der Film konzentriert sich schließlich nur noch auf Vater und Sohn – eigentlich okay, aber leider wenig überraschend und voller Schablonenszenen.

Trotzdem macht Das Wunder von Bern Spaß. Denn obwohl die Historie „nur“ die angesprochene Tapete ist, bekommt man eine Menge Fußball zu sehen. Sönke Wortmann hat es sehr geschickt angestellt, dass wir zum Schluss ganz wild darauf sind, beim Endspiel dabei zu sein, obwohl wir ja wissen, wie es ausgeht – durch einen ganz simplen Trick: Wir sehen vor dem Endspiel die Mannschaft nie wirklich Fußball spielen. Wir hören Radioreportagen oder erleben Kinder, die das Halbfinale gegen Österreich nachspielen – aber Rahn und seine Kollegen sehen wir wirklich erst im letzten Spiel. Und dadurch ist man noch nicht übersättigt und fiebert wirklich mit.

Wortmann arbeitet netterweise recht wenig mit Zeitlupe und dramatischen Geigen im Hintergrund, so dass das Spiel stets ein Spiel bleibt und nicht zu einer Heldentat hochgejubelt wird. Die wenigen emotionalen Klischeebilder, die der Film bietet, tun nicht wirklich weh; ich glaube sogar, wenn sie nicht da gewesen wären, hätte ich sie nörgelnderweise vermisst. Denn schließlich ist Sport eine fürchterlich gefühlvolle Sache.

Das „Wunder von Bern“ ist – in der Rückschau gesehen – immer mehr gewesen als ein Fußballspiel. Es war der Anfang eines neuen Selbstbewusstseins, der Anfang eines unvergleichlichen Aufschwungs, der Anfang einer gewissen Normalisierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Trotzdem ist Sönke Wortmann der Versuchung nie erlegen, aus diesem Fußballspiel, das mehr ist als ein Spiel, auch einen Film zu machen, der mehr sein will als ein Film. Er ist kein großes Statement zur Lage der Nation geworden, keine nachträgliche Heldenverklärung. Ganz im Gegenteil. Er ist einfach ein sehr ordentlich gemachter Film geworden. Ein paar Dialoge waren zwar von der Sorte „Muss ich nicht haben“, aber selbst die haben nicht wirklich gestört, denn sie wurden aufgewogen durch eine sehr liebevolle und detaillierte Ausstattung, eine Menge Lokalkolorit und die guten Darsteller, die alle sehr eigenständig wirkten und nicht wie schlechte Kopien aus 50er Jahre-Filmen.

Das wirklich Schöne an Das Wunder von Bern aber ist, dass sich der Film fast wie ein Spiel anfühlt – ein Spiel voller Hoffen und Bangen, mit eigensinnigen Protagonisten, einer guten Dramatik und einem Happy End. So wie ein gutes Spiel eben sein soll. Oder eine gute Geschichte.

Kill Bill: Vol. 1

Kill Bill: Vol. 1
(USA, 2003)

Darsteller: Uma Thurman, Lucy Liu, Vivica A. Fox, Daryl Hannah, Michael Madsen, David Carradine, Sonny Chiba, Julie Dreyfus
Musik: RZA
Kamera: Robert Richardson
Drehbuch: Quentin Tarantino
Regie: Quentin Tarantino

Was ich an Filmen von Quentin Tarantino schätze, ist sein Gespür für Dramatik und Musik. Er hat es bis jetzt in jedem seine Filme, auch in denen, die ich nicht so mochte, geschafft, mir Szenen zu zeigen, die ich so noch nie gesehen habe. Er schert sich einen Dreck um zeitliche Logik und schafft lieber eine eigene, spannende Dramatik. Und er nutzt Soundtracks, die aus einem interessanten Film einen ganz persönlichen machen. Das ist in Kill Bill nicht anders, und deswegen hat mir der Film auch gefallen. Aber es war eher ein Gefühl von Respekt als von Begeisterung, mit dem ich aus dem Kino kam.

Die Story von Kill Bill ist, wie in allen Tarantino-Filmen, eher Nebensache und kann auch in wenigen Sätzen zusammengefasst werden: Uma Thurman spielt eine namenlose Braut, die am Tag ihrer Hochzeit samt Ehemann und Pfarrer niedergeschossen wird. Sie überlebt den Anschlag, liegt vier Jahre im Koma, wacht auf und startet einen Rachefeldzug gegen ihre damaligen Angreifer. So weit, so egal, denn das Interessante an Tarantinos Werken ist eher die Erzählweise als der Inhalt.

In Kill Bill lässt Tarantino uns über weite Strecken an seiner Faszination für das Hongkong-Kino teilhaben: mit furiosen Schwertkämpfen, traditionellen Kostümen und klassischen Sets wie Teehäusern und japanischen Gärten. Das ganze mischt er mit Bildern des modernen Japan und seiner Nachtgestalten und legt den üblichen 60er-Jahre-Soundtrack darüber. Gleichzeitig feiert er den guten, alten Spaghetti-Western, indem er die Szenen, die in Amerika spielen, eher mit Italo-Klängen untermalt. In beiden Welten geht es aber nur um das eine: um Rache. Und die ist verdammt blutig.

Vor allem die Szenen in Japan, in denen Thurman mit einem Samurai-Schwert Dutzende von Angreifern auf jede nur erdenkliche Weise abschlachtet, sind ein einziges Fest für die Kunstblutfraktion. Es spritzt aus sämtlichen Körperöffnungen oder großzügig geschlagenen Fleischwunden, dass es eine Freude ist. Wenn man auf die völlig überzogene Darstellung von Hinrichtungen steht. Ich fand es schon beim ersten Hieb eher nervig, und beim dreihundertsten nur noch doof. Ich gestehe der großen und für mein Empfinden nicht enden wollenden Kampfszene eine ausgeklügelte Choreografie zu, aber das war’s dann auch.

Ich persönlich hatte viel mehr Spaß am spöttisch-beherrschten Lächeln von Lucy Liu, die bis zum Schluss glaubt, gewinnen zu können. Jedes Zucken ihres Mundwinkels war für mich eine Großaufnahme wert, während ich auf die Close-ups von abgehackten Füßen auch locker hätte verzichten können. Und zwar nicht, weil es eklig war – da war das abgeschnittene Ohr in Reservoir Dogs um einiges härter –, sondern weil es einfach überflüssig war. Das Comichafte gehört sicher zum typischen Hongkong-Filmchen, aber wenn das ganze nur ein Zitat bzw. eine Hommage sein soll, muss man das Gemetzel doch nicht auf ewig ausdehnen. Denn im Gegensatz zu diesen Szenen sind die anderen Teile des Films, in denen ähnlich viel Blut fließt, straffer inszeniert und kommen einem nicht so ausgewalzt vor.

Wirklich beeindruckt hat mich an Kill Bill die animierte Sequenz – wobei die sicher nicht nur eine Verbeugung vor den Animes ist. Als Realfilm hätte sie nämlich auch den hartgesottensten Kinogänger in die Flucht geschlagen. Ein kleines Mädchen muss den Yakuza-Mord an ihren Eltern aus ihrem Versteckt unter dem Bett mit ansehen. Die Mutter stirbt ausgerechnet auf diesem Bett, und so regnen Tropfen von Blut in Zeitlupe auf das Mädchen nieder. Als Anime Poesie, als Realfilm ein Grund, aus dem Kino zu gehen.

Komischerweise war diese Sequenz die einzige im ganzen Film, die mich berührt hat, weil ausgerechnet sie als einzige nicht wie ein Comic gewirkt hat, sondern echt und gefühlvoll. Sämtliche Charaktere sind, genau wie die Handlung, simpelste Schablonen, die einfach einen Zweck zu erfüllen haben: Die Braut ist die Gute, alle anderen sind die Bösen. So einfach ist das. Jede Geste, jede Kameraeinstellung zeigt uns die Unschuld und die moralische Verpflichtung der Braut, in ihren ganz persönlichen heiligen Krieg zu ziehen. Aber genau dadurch wirkt diese Figur nur noch plakativ und nicht mehr menschlich. Dem kleinen Comic-Mädchen, das weinend unter dem Bett liegt, entfährt ein gezeichnetes „Whimper“, als sie ihre Eltern sterben sieht. Diese eine geschriebene Wort hat mehr Eindruck bei mir hinterlassen als die großen, blauen, mit Tränen gefüllten, weit aufgerissenen Augen von Uma Thurman auf ihrem Rachefeldzug.

Trotzdem macht Thurman ihre Sache sehr gut: Sie schwankt in ihrer Mimik gekonnt zwischen Blutgier und Respekt vor ihren Gegnern, und man sieht ihr in jedem Gefecht den Schmerz über ihre verlorenen vier Jahre an – und den über ihr ungeborenes Kind, denn am Tag ihrer Hochzeit war sie schwanger. Nichtsdestotrotz ist sie im Kern genauso unbarmherzig wie ihre Feinde. Eine ihrer Gegnerinnen, die sie gleich zu Beginn des Films eliminiert, gesteht ihr, sie könne den Wunsch nach Rache zwar verstehen, aber sie sei heute ein anderer Mensch als damals. Das ist der Braut allerdings ziemlich egal. Sie erledigt sie, genauso, wie sie die anderen erledigen wird.

Und das ist der Punkt, der mich an Kill Bill gestört hat: Er wirft mit hehren Schlagworten wie Loyalität und Ehre nur so um sich, aber wenn er die Chance hat, über sich hinauszuwachsen und zu verzeihen, drückt er stattdessen lieber auf den Abzug oder zückt ein Schwert – einfach, weil es cooler aussieht. Kill Bill ist ein unmoralischer, ein seelenloser Film. Er reißt Themen wie Vergewaltigung und Pädophilie an, indem er sie als Vorlage für dämliche Witze benutzt, und er stellt Gewalt als etwas Ästhetisches oder wahnsinnig Komisches dar.

Ich bin mir einfach nicht sicher, was ich aus diesem Film mitnehmen soll. Er hat mich auf eine sehr seltsame Art unterhalten, denn normalerweise finde ich unnötige Gewaltdarstellungen nicht lustig, sondern verwerflich, vor allem, wenn sie so zelebriert werden wie bei Tarantino. Trotzdem kann man seinen Blick schwer abwenden, weil er es wieder einmal geschafft hat, mir Bilder vorzusetzen, die ich so noch nie gesehen habe. Und das ist schließlich der Grund, warum ich ins Kino gehe. Insofern ist mein Fazit: Soundtrack kaufen und bis Februar warten, um den zweiten Teil zu gucken. Aber wirklich freuen tue ich mich nicht darauf.

Herr Lehmann

Herr Lehmann
(D, 2003)

Darsteller: Christian Ulmen, Detlev Buck, Katja Danowski, Janek Rieke, Hartmut Lange
Musik-Konzept: Charlotte Goltermann
Kamera: Frank Griebe
Drehbuch: Sven Regener
Regie: Leander Haußmann

Von Herrn Lehmann sind mir zwei Zitate im Gedächtnis geblieben. Eins davon ist die wunderbare Liebeserklärung von Herrn Lehmann an seine Angebetete Katrin: „Ich liebe dich. Das ist der Punkt. Kann ich mal den Aschenbecher haben?“

In diesem Stil läuft der ganze Film. Die Handlung selbst ist nicht weiter von Belang: Herr Lehmann arbeitet in einer Kneipe, ist praktisch nur nachts wach, zieht da meist mit seinem Kumpel Karl um die Häuser und führt belanglose Gespräche mit seinen Kollegen und seinem Chef. Aber so simpel wie sich das anhört, ist es natürlich nicht. Natürlich geht es in Wirklichkeit um die Liebe, um den Sinn des Lebens, um die Angst, dieses Leben irgendwie zu verpassen und gleichzeitig um die Angst, sich eben dieser Tatsache zu stellen. Aber wer will schon über große Fragen nachdenken, wenn es ne Menge Bier gibt, noch Platz im Aschenbecher ist und die Frage im Raum steht, ob Kristall-Rainer ein Zivilbulle ist, der Erwins Kneipe dichtmachen will, weil er dort Drogengeschäfte vermutet?

Herrn Lehmann lebt von seinen skurrilen Dialogen, die man wahrscheinlich nur nachvollziehen kann, wenn man selbst mal morgens um fünf betrunken über die Wichtigkeit von Elektrolyten diskutiert hat. Oder selbst mal hinter der Theke stand. Denn wenn man zu diesen komischen Vögeln der Nacht gehört, verliert das tägliche Leben, das sich zu „normalen“ Tageszeiten abspielt, komplett seine Sinnhaftigkeit. Worüber macht der Rest der Welt sich eigentlich den ganzen Tag so einen Kopf? Das versteht man erst, wenn diese Welt der „Normalen“ plötzlich in die Nacht einbricht und den kleinen Kellnerkosmos anknackst. Und dann muss selbst ein Herr Lehmann, der sich sonst so wunderbar treiben lassen kann, einmal aufwachen.

Die Hauptfigur wird von Christian Ulmen sehr überzeugend dargestellt, dem ich persönlich so eine Tiefe gar nicht zugetraut hätte. Denn selbst, wenn seine Figur stets an der Oberfläche zu bleiben scheint, ahnt man als Zuschauer doch, dass sein Kopf eben nicht so leer ist, wie er selber gerne von sich sagt. Seinen Kumpel Karl, der ihm den Anstoß gibt, sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen, spielt Detlev Buck in gewohnt lakonischer Manier, die hier mal nicht träge oder dumpfbackig wirkt, sondern absolut passend.

Überhaupt wirkt der ganze Film sehr stimmig – wenn man die Stimmung einer abgewrackten Berliner Kneipe zu nachtschlafender Zeit mag. Ich mag sie. Und deshalb bin ich mir auch gar nicht sicher, ob ich will, dass sich Herr Lehmann ändert. Ich mag ihn eigentlich so, wie er ist. Wer sagt denn, dass man mit 30 sein Leben in geordnete Bahnen laufen lassen muss? Wer sagt denn, dass hinter der Theke stehen nicht auch ein klasse Job sein kann? Herr Lehmann scheint das aber irgendwann zu glauben, und so müssen wir ihn gehen lassen. Schade. Denn ich habe immer noch das zweite Zitat von ihm im Ohr:

Der letzte Teil des Films spielt am 9. November 1989. Herr Lehmann sitzt mit seinem ungefähr achten Bier am Tresen, als eine Frau der versammelten Runde mitteilt, dass die Mauer offen sei. Ein Kumpel von Herrn Lehmann meint: „Das muss man sich wohl mal angucken“, worauf Herr Lehmann nur sagt: „Erstmal austrinken.“

Genau. Ja, Welt, ist okay, ich weiß, dass du da bist. Aber es gibt Wichtigeres als dich. Es gibt mich. Und es gibt das Mädchen oder den Jungen, den ich liebe. Und es gibt Freunde und eine Zukunft. Wie auch immer die aussehen mag. Aber damit beschäftige ich mich irgendwann anders. Erstmal austrinken. Und noch eine rauchen.

Party Monster

Party Monster: Der Film erzählt die Geschichte von Michael Alig, einem Organisator von wilden Partys im New York der 80er Jahre, der als Landei in die große, böse Stadt kommt, irgendwann drogensüchtig wird und schließlich seinen Dealer umbringt. Sein bester Freund, wenn man ihn so nennen darf, James St. James, hat darüber das Buch Disco Bloodbath geschrieben, und auf diesem Buch beruht der Film.

Alig wird überraschend gut von Macauley „Home Alone“ Culkin gespielt, der irgendwie immer noch nicht älter aussieht als sechs. Diese seltsame Kindlichkeit passt aber hervorragend zum völlig verzogenen, selbstsüchtigen Mistkerl, den er darstellt. Seth Green, den wir eher in komischen Rollen wie aus Austin Powers kennen, gibt ebenfalls sehr überzeugend James St. James.

Der Film selbst hat weder Höhen noch Tiefen; er zieht in bunten Bildern an einem vorbei, man lernt Menschen kennen oder glaubt es zumindest – alles fühlt sich an, als ob man selbst leicht angetrunken auf einer Party von Konversation zu Konversation hüpft und nirgends wirklich stehenbleibt. Dass alles so oberflächlich bleibt, hat seinen Reiz; es verstärkt die Charaktere auf eine sehr eigenwillige Weise, der ich mich nicht entziehen konnte oder wollte.

Normalerweise mag ich keine Filme mit Voice over oder Filme, in denen die Darsteller in die Kamera sprechen, weil das für mich die Illusion raubt, der ich mich gerade hingeben wollte, aber hier passt es. Und die gackernde Lache von Culkin zusammen mit seinem wunderbaren, aber leider falschen Satz “I’m getting away with murder, and you are just jealous” wird mir sicher noch länger im Gedächtnis bleiben.

Mystic River

Mystic River: der neue Film von Clint Eastwood. Mystic River ist zuallererst ein Krimi: Jimmys Tochter wird ermordet, Sean ist der ermittelnde Polizist, und Dave steht unter Verdacht. Die drei Männer haben eine lang zurückliegende Begebenheit in ihrer Kindheit erlebt, die sie alle verbindet und die jetzt, nach 20 Jahren, wieder ihr Leben beeinflussen wird.

Clint Eastwood hat sich als Regisseur mal wieder sehr zurückgenommen, verzichtet auf großartige filmische Sperenzchen, sondern erzählt sehr schlicht, aber dafür umso eindrucksvoller seine Geschichte. Das Drehbuch hat Brian Helgeland geschrieben, der bereits aus dem als unverfilmbar geltenden Buch L.A. Confidential ein großartiges Script gemacht hat. Mystic River ist als Buch ähnlich detailliert, was die Charakterzeichnungen angeht, und ich persönlich war sehr davon beeindruckt, wie die Darsteller komplizierteste Beziehungen durch ganz einfache Gesten oder Sätze rüberbringen. Bei der Darstellerriege kann man das aber eigentlich erwarten: Sean Penn, Tim Robbins, Kevin Bacon, Laurence Fishburne, Marcia Gay Harden und Laura Linney sind durch die Bank klasse.

Der Film fühlt sich an wie eine Zange, die immer weiter geschlossen wird. Das Ende ist von Anfang an unausweichlich, und die Tatsache, dass wir es ahnen und doch nichts dagegen tun können, macht den Film sehr eindringlich.

Spellbound

Spellbound: war in diesem Jahr für den Oscar für den besten Dokumentarfilm nominiert und ist ein kleines Juwel von einem Film.

Ich finde es immer wieder schön zu sehen, dass Dokumentationen manchmal mehr Dramatik haben als Spielfilme. In Spellbound geht es um das Finale des National Spelling Bee, also der nationalen Endausscheidung im, ja genau, Buchstabieren. 248 Teilnehmer im Alter von 13 bis 15 Jahren aus allen 50 Staaten der USA haben sich für das Finale in Washington qualifiziert. Und wir haben acht davon begleitet.

Natürlich geht es Film nicht nur ums Buchstabieren. Spellbound erzählt über Amerika, seine Traditionen, seine Zukunft. In acht Vignetten lernen wir Menschen kennen, die ein Ziel haben – sei es nun sie selbst oder ihre Verwandten – und wie sie sich diesem Ziel nähern. Es geht um die Erfüllung von Träumen und Erwartungen, es geht ums Scheitern und ums Weitermachen. Es geht auch um den Druck, der bereits für einige der Kinder herrscht, die Erleichterung, wenn alles vorbei ist und sie nicht mehr mit Webster’s Dictionary unter dem Kopfkissen schlafen müssen, aber auch die Traurigkeit darüber, dass dieser eine Abschnitt des Lebens vorbei ist. Und es geht um die Eltern, die teilweise eingewandert sind, teilweise Mittelschicht sind, teilweise Unterschicht, die teilweise selbst kein Englisch sprechen, die aber alles dafür tun, dass es ihren Kindern gut geht. Oder es zumindest versuchen – auf ihre ganz eigene Weise.

Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es so nervenaufreibend, lustig, spannend und traurig sein kann, Kindern beim Buchstabieren zuzugucken. Ganz großes Kino.

Ned Kelly

Ned Kelly: ein Film über den „australischen Robin Hood“. Gespielt wird er mit ziemlich überschaubarer Mimik und Gestik von Heath Ledger. Grund fürs Kino war natürlich eher Orlando Bloom, der seinen Mitstreiter Joe Byrne gibt. Der Film war sehr behäbig inszeniert, verwechselte gerne Dunkelheit mit Dramatik und hat mich persönlich recht unberührt zurückgelassen.

It was raining. I was somewhere in the West End, my movie was about to start, and I was lost. Standing outside of a parking garage, fighting with the magazine that held the address to the movie theater I was looking for and the pages of my map that kept turning over as soon as the wind hit them, I was getting wet. Really wet. It got worse every minute. I was running out of time. I desperately watched the papery mess in my hand when suddenly I heard a voice coming out of the dark entrance of the garage: “What are you looking for?”

I turned around to see a homeless man sitting there. He had covered a small piece of concrete with newspapers on which he sat and stared. At me, at the rain, at my magazine that began to sag under the weight of the water pouring down on it.
“Leicester Place”, I said a little unwillingly but already waiting for his response.
“You need to go back to where you came from. Wrong direction. Look out for a street to your right.”

He spoke in a low voice already and it nearly died away completely the longer he talked. In the end it was merely a whisper. I looked at my map and realized in a second that he was right. I took out my wallet and fumbled for some coins to thank him but he had already turned away from me, muttering to himself: “See, I can be useful.”

I was about to say “I never doubted that” but I knew it wasn’t the truth.

Wilbur wants to kill himself

Wilbur wants to kill himself
(DK/UK, 2002)

Darsteller: Jamie Sives, Adrian Rawlins, Shirley Henderson, Lisa McKinlay, Mads Mikkelsen, Julia Davis, Susan Vidler
Musik: Joachim Hilbek
Kamera: Jørgen Johansson
Drehbuch: Anders Thomas Jensen & Lone Scherfig
Regie: Lone Scherfig

Das Schöne am Mensch-Sein ist das Unerwartete. Die Tatsache, dass wir uns und unsere Mit-Menschen immer noch überraschen können. Mit einem Schritt, den uns niemand zugetraut hat. Mit einer Geste, die wir selbst nicht erwartet haben. Mit einem Happy End, an das wir selber nicht mehr geglaubt haben.

Wilbur ist ein so ein Mensch. Er überrascht uns damit, plötzlich ein Leben führen zu wollen, denn seit wir ihn kennen, versucht er ständig, sich umzubringen. Das ändert sich, als sein Bruder heiratet und er zu ihm und seiner Schwägerin zieht. Und dadurch ändert sich nicht nur Wilburs Leben, sondern auch das aller anderen Beteiligten in diesem Film.

Wilbur wants to kill himself hört sich fürchterlich dramatisch an: Es geht um Selbstmord, Krankheiten, Geldsorgen, Einsamkeit. Es geht aber gleichzeitig auch um Hoffnung, Freude, Freundschaft, Liebe. Dass das eine anscheinend das andere bedingt. Und dass man sich nie mit dem einen zufrieden geben sollte.

Der Film erzählt seine kleine Geschichte ganz unaufdringlich, mit sehr sparsamer Dramatik und wunderbaren Schauspielern. Keine Geste ist zuviel, keine Szene zu lang, kein Dialog zu gewöhnlich. Gerade die Dialoge sind erfrischend unkonventionell und bilden einen schönen Kontrast zum recht verstaubt wirkenden Set. Natürlich würde niemand solche Sätze von sich geben, wie sie in Wilbur gesprochen werden. Aber vielleicht fühlt sich gerade deshalb der Film so ehrlich an.

Manchmal wünsche ich mir, dass die Menschen anders miteinander reden würden; offener, freier, ohne alles in Worthülsen zu verpacken. Das sieht auch der betreuende Arzt von Wilburs Suizid-Gruppe so und herrscht einen Patienten an: „Keine Metaphern!“, als dieser sich wieder einmal zu blumig zu seiner Einsamkeit äußert. Und ebenso unpoetisch und dabei herrlich skurril beschreibt Wilbur seinem Bruder etwas unwillig seine Begegnung mit dem Tod. Anstatt großer Worte und philosophischen Erklärungsversuchen sagt er nur schlicht: „Es ist dunkel und still. Ein bisschen wie Wales.“

Wilbur wants to kill himself ist ein seltsamer Film. Menschen sterben oder sind schwer krank, wollen sich erhängen oder schneiden sich die Pulsadern auf, und trotzdem kommt man voller Hoffnung aus dem Kino. Voller Hoffnung, nein, voller Gewissheit darauf, dass noch etwas Unerwartetes passiert, das alles so zurechtrückt, wie es sein soll. Oder dass uns ganz plötzlich ein Mensch überrascht, an den wir gar nicht gedacht haben.

Secretary

Secretary: schöner kleiner Film über eine junge Frau, die zu ihrer eigenen Sexualität und zu sich selbst findet. Und zwar nicht durch einen Urlaub in der DomRep, sondern dadurch, dass ihr Chef ihr für Tippfehler den Hintern versohlt. Großartige Darsteller wie Maggie Gyllenhaal und James Spader und eine behutsame Inszenierung machen aus der Geschichte keine alberne Farce, sondern einen angenehm absurden und trotzdem zutiefst ehrlichen Film.

Antwone Fisher

Antwone Fisher: klassisch-amerikanisch-kitschig inszenierte Geschichte über einen adoptieren jungen Mann, der durch psychiatrische Behandlung Traumata in seiner Kindheit aufdeckt und auf die Idee kommt, seine biologischen Eltern zu suchen. Ein paar Taschentuchszenen, ne Menge Geigen im Hintergrund, aber immerhin mit Denzel Washington, der jedem noch so simplen Dialog eine gewisse Größe verleiht. Im Kino wär ich wahrscheinlich eingeschlafen. Zuhause im Bettchen mit viel Kaffee war es ein passabler Sonntagnachmittagfilm.

The Rules of Attraction

The Rules of Attraction (Die Regeln des Spiels): Regisseur Roger Avary müht sich sichtlich, die Atmosphäre des Buchs von Bret Easton Ellis einzufangen, die Hektik, das Scheißegal-Gefühl seiner Protagonisten, und ab und zu gelingen ihm mit schickem Split Screens, Zeitraffer und umgekehrter Timeline auch gute zehn Minuten. Dann aber wird alles wieder fürchterlich langweilig. Die übermotivierten Darsteller haben mir den Rest gegeben: James van der Beek sieht man so dermaßen an, dass er den totalen Bösewicht geben will, dass es einfach nur noch affig ist. Und Shannyn Sossamon wirkt selbst in den Szenen, in denen sie mal nicht zugekifft sein soll, völlig auf Droge. Ne Stunde hab ich’s mir gegeben, dann war mir der Film egal.

Welcome to Collinwood

Welcome to Collinwood: Nette Darstellerriege (William H. Macy, Sam Rockwell, Luiz Guzmán und George Clooney), beliebige Storyidee (die üblichen hirntoten Kleinkriminellen wollen ein Ding drehen) und ein Timing, das für die Tonne ist – ich hab den Film gute 20 Minuten durchgehalten. Wenn bis dahin noch nicht klar ist, wer eigentlich welchen Job machen soll, will ich’s auch gar nicht mehr wissen. Die Zusammenstellung einer Gang hab ich vor allem in Ocean’s Eleven schon besser gesehen.

Confessions of a Dangerous Mind

Confessions of a Dangerous Mind (Geständnisse): ein Film, der sich mit einer Größe des amerikanischen Fernsehens beschäftigt. Es geht um Chuck Barris, den Moderator der Gong Show, der in seiner Autobiografie behauptet, ein CIA-Agent gewesen zu sein. Der Film lässt offen, ob das stimmt oder nicht; ich für mich fand, dass es eher unwahrscheinlich ist.

Filmische Sperenzchen wie wilde Kulissenschieberei, die Wahnvorstellungen deutlich machen soll, und unterschiedliche Lichtstimmungen für die verschiedenen Lebensebenen von Barris lassen den Film leider etwas bemüht und streberhaft aussehen. Ich habe eine gewisse Leichtigkeit vermisst, die aus einer so absurden Geschichte wie Confessions auch wirklich eine Farce macht.

Trotzdem sollte man sich den Film gönnen: erstens wegen Brad Pitt und Matt Damon im Superkurzauftritt als Kandidaten des Dating Game. Zweitens wegen Hauptdarsteller Sam Rockwell und einer überraschend ordentlichen Julia Roberts. Und drittens wegen der Dialoge. Eine Kostprobe der Tonalität des gesamten Films ist der wunderbare Rausschmeißer: „I came up with a new game-show idea recently. It’s called The Old Game. You got three old guys with loaded guns onstage. They look back at their lives, see who they were, what they accomplished, how close they came to realizing their dreams. The winner is the one who doesn’t blow his brains out. He wins a refrigerator.“