„Rusalka“ online

Seit dem 29. März kann man sich Dvořáks „Rusalka“ in der Inszenierung von Stefan Herheim online und für lau anschauen. Ich habe das Ding in Dresden gesehen und fand es großartig; online kommt es aus der Brüsseler Oper La Monnaie und ist bis zum 27. April abrufbar. Bitte mal rübergucken da.

„Es gehört zur Strategie der Niedertracht, die Betrübten soweit zu bringen, dass sie für ihr Unglück die Beschaffenheit ihrer Haut verantwortlich machen und statt der Welt sich selber verfluchen. Sie sollen sich begreifen lernen als Jammertanten, und sie sollen sich ihrer Traurigkeit schämen. Aussterben sollen sie, damit die Wölfe endlich unter sich sind. Wenn aber die Traurigen gehen, stirbt nicht nur Maria die Trösterin, sondern es stirbt auch das Gespür für das Falsche. Wenn die Kranken folgsam verenden, verscharrt man auch die Todesursachen. Wenn die Leidenden untergehen, die Schwächeren sich zurückziehen, die Verrückten eingelocht sind, dann ist die Welt im Lot, dann herrscht das Positive, dann hört man nur noch das dröhnende und pausbackige Hallelujah der Tauglichen.“

Markus Werner, Zündels Abgang

Ein wildes Dankeschön …

… an Dorothea, die mich mit Jon Krakauers Into the Wild überrascht hat. Vielen Dank dafür – und auch für die schöne Widmung. Ich habe mich sehr gefreut.

Pretty when I cry

Bei meinem alten Gesangslehrer arbeitete ich mit Kraft. Und Muskeln. Und viel Konzentration. Was toll war. Natürlich. Singen ist immer toll, ganz egal, ob man darüber nachdenkt, was man tut oder nicht.

Bei meiner neuen Lehrerin arbeite ich mit genau dem Gegenteil von Kraft: loslassen. Wo ich mir vorher vorstellte, einen imaginären Raum nach oben zu drücken, um höher singen zu können, stelle ich mir nun vor, alles auf einer Tonhöhe zu singen. Klappt genauso gut (oder an doofen Tagen genauso schlecht) wie die andere Methode. Ich werfe ab und zu physische Hilfsmittel in der Gegend rum, um nach oben zu kommen (ein kleiner gelber Massageball ist mein Sönnchen, und er hilft besonders bei Avril Lavigne), manchmal nutze ich meine Arme, um Töne hinter mich zu werfen, damit ich sie eben nicht so nach vorne kreische, manchmal boxe ich in die Luft vor mir, wenn ich rumkrampfe, wo ich doch „nur“ ein paar hohe Tönchen von mir geben möchte.

Loslassen ist toll. Loslassen ist aber auch anstrengend, weil man viel mehr loslässt als man möchte.

Bei meinem alten Gesangslehrer habe ich viel Technik gelernt. Ich habe sehr auf Zunge und Lippen und Schultern geachtet, wie ich stehe, was mein Zwerchfell macht, mein Rachen, meine Nase.

Bei meiner neuen Lehrerin achte ich auf den Text. Was fies ist, wenn ich über Textzeilen stolpere, die etwas in mir anrühren, was ich irgendwann mal verschüttet habe. Zugedeckt mit Selbstvorwürfen, Kritik von außen, Erziehung, sozialer Konditionierung. Nicht laut sein. Nicht auffallen. Sich keinen Raum zugestehen. Über Schmerzen hinwegarbeiten. Angst verdrängen. Das erste Mal habe ich bei dem Satz „What I did for love“ geheult, als ich den gleichnamigen Song aus „A Chorus Line“ sang. Das konnte ich mir sogar erklären, weil ich zu dem Zeitpunkt mein Herz mal kurzfristig verschenkt hatte, was nicht so toll war, wie es sich anhört, weil mein Herz eigentlich jemand anderem gehört. Die Situation war belastend, der Song ein blöder Auslöser, und so stand ich weinend hinter meinem Notenständer und fand alles ganz fürchterlich.

So fürchterlich ist es aber gar nicht. Es bedeutet, dass ich mich bei meiner Lehrerin sicher genug fühle, um alle Schutzschilde abzuschalten. Singen ist für mich etwas sehr Persönliches, weswegen ich es auch nur für mich mache. Es hat ein bisschen Überwindung gekostet, den Unterricht nochmal zu beginnen, nachdem ich vor Jahren damit aufgehört hatte, aber dieses unangenehme Gefühl hat sich sehr schnell gelegt. Meine Lehrerin erzählte, dass auch sie gerne mal losflennt und dass Anna Netrebko erstmal durch alle Arien durchheult, bevor sie sie singt. Was mich natürlich immer beruhigt, dieses alberne „Das machen andere auch, dann isses okay“.

Gestern hat mich die Zeile „Nothing’s gonna harm you, not while I’m around“ aus „Sweeney Todd“ fertiggemacht. Und diesmal konnte ich nicht mal sagen, warum. Ich habe keine Ahnung, was ich verschüttet habe, warum mich gerade dieser Satz zum Weinen gebracht hat. Aber ich hatte einen fiesen Flashback zu ewig her seienden Therapiezeiten, wo ich mir in der ersten Sitzung eine Karte aus vielen auswählen sollte, die mir entspricht. Meine Wahl fiel auf „Ich will gehalten werden“.

Ich meinte vor einigen Wochen (wahrscheinlich auf Twitter), dass Gesangsunterricht wie Yoga, Workout und Therapie sei. Gestern war’s nur Therapie. Ich kam nicht so überschwenglich gut gelaunt raus wie sonst. Aber dafür hatte ich das Gefühl, etwas in mir berührt zu haben. Etwas aufgescheucht zu haben, was sich in irgendeiner dunklen Ecke verkrochen hatte und nun bereit war, rauszukommen.

Komm ruhig raus. Nothing’s gonna harm you. Not while I’m around.

Ach, du, Internet

Auf reddit beantwortet eine Hundertjährige Fragen der Leser.

„Q: What do you miss that doesn’t exist/isn’t in use anymore?

A: The wind up telephone.“

„Im nächsten Leben werd’ ich Spielerfrau“

„’Der Fußball hat uns natürlich vieles schneller ermöglicht, als es normalerweise der Fall wäre. Sicherlich profitiere ich auch vom Ruhm meines Mannes. Das fängt klein an, in irgendwelchen Lebensmittel- oder Metzgerläden, da bekommt man bessere und schönere Stücke’, sagte einmal Brigitte Friedrich, Ehefrau von Jürgen Friedrich vom 1. FC Kaiserslautern. Das war 1971. Damals dreht Peter Jochen Degen, Sportjournalist beim SWR, einen Film über Spielerfrauen. Eva im Abseits hieß die siebeneinhalbminütige Reportage. Degen wollte damals wissen, was das für Frauen sind, die mit den Lizenzspielern verheiratet sind, ob sie vom Ruhm etwas abbekommen, wie sie leben und wie sie die Zukunft sehen.

40 Jahre später wirkt dieser Film wie ein von Loriot inszenierter Sketch. Und trotzdem: Vieles hat sich bis heute nicht geändert. (…) 40 Jahre später klingt das so: ‘Piotr (Trochowski – Anm. Anke) findet es schön, wenn ich Essen mache und mich um den Haushalt kümmere. Er schränkt mich aber nicht ein, wenn ich arbeiten wollte, könnte ich das. Aber andererseits habe ich eine Weile mal auf Partys an der Kasse gearbeitet, und da kamen dann so Sprüche: Ist dein Freund so geizig, dass du arbeiten gehen musst …?! Also wenn ich nicht arbeite, dann will ich ihn nur ausnutzen, und wenn ich arbeite, dann heißt es, er ist geizig’, sagt Melanie Trochowski und verdreht die Augen. (…) ‘Wenn eine Frau zuhause bleibt, wird sie als dumm dargestellt.’

Aber warum? Warum muss sich Melanie Trochowski rechtfertigen, dass sie Hausfrau ist? Sie sagt sogar ausdrücklich: ‘Ich bin Hausfrau.’ Sie hat kein Problem damit. Auf jeden Fall ist es ihr lieber, als zu sagen: ‘Ich bin Spielerfrau.’ (…)

Während Rebecca Loos stolz von ihrer Affäre mit David Beckham berichtete und letztlich nur profitierte – ihrer Karriere als Schauspielerin und Sängerin kam die Publicity durchaus zugute –, war Victoria Beckham nicht nur die öffentlich Gedemütigte, sondern auch die, der man die meiste Schuld an der ganzen Geschichte gab. Weil sie nicht, wie es von einer Spielerfrau erwartet wird, bei ihrem Mann in Spanien weilte, sondern in England geblieben war.

Als ‘Spielerfrau’ ist ihre Hauptaufgabe doch klar definiert: Vor allen Dingen soll sie ihren Mann unterstützen. Und Victoria Beckham kümmerte sich zu der Zeit, als David in Madrid spielte, offenkundig viel zu sehr um ihre eigenen Belange. ‘Vielleicht nicht mehr als jede andere Ehefrau auch, aber bei Spielerfrauen wird ein ganz anderer Maßstab angesetzt’, schreibt Jennifer Bullen in ihrer Doktorarbeit (über Spielerfrauen – Anm. Anke). (…)

Dass Frau Seeler eine selbständige, starke Frau war, die im Hause Seeler die Entscheidungen in die Hand nahm, streitet sie nicht ab. ‘Und wenn ich das manchmal übertrieben habe, mit meiner Selbständigkeit, wenn Uwe gemeckert hat mit mir (‘Du willst immer alles alleine entscheiden!’), dann habe ich ihm nur gesagt: ‘Mäuschen, du wolltest das so, du wolltest eine starke Frau’, berichtet sie im Hamburger Abendblatt. Auch Uwe Seeler macht seine Scherze darüber: ‘Ich entscheide über die großen Dinge bei uns, meine Frau entscheidet über die kleinen, und was große und was kleine Dinge sind, bestimmt meine Frau’, erzählte er im WDR anlässlich seines 70. Geburtstags am 5. November 2006.“

Christine Eisenbeis, Im nächsten Leben werd’ ich Spielerfrau: Ein Phänomen wird abgeschminkt

Ein hart erarbeitetes Dankeschön ….

… an Mike, der mich mit Markus Zuzaks The Book Thief überraschte. Hart erarbeitet, weil das Päckchen eigentlich schon Sonntag dagewesen wäre, es aber nicht in der vollen Packstation landete, sondern in einen Filiale umgeleitet wurde, weswegen ich gestern anderthalb Stunden vor Feierabend los musste, um noch zur Post zu kommen, die ja auch irgendwann Feierabend macht und die lange Busfahrt und der Feierabendverkehr und ach es ist wie immer alles ein Elend. Aber gleichzeitig toll, denn für die Mühe bekommt man ein Buch. Was will man mehr. Vielen Dank, ich habe mich sehr gefreut (auch wenn sich’s jetzt gar nicht danach anhört).

Twitterlieblinge März 2012, Teil 1

(Ja, ich weiß, es gibt tolle Plug-ins zum Einbinden von Tweets, aber ich habe auf fast jeder Seite, die diese Plug-ins nutzt, das Gefühl, dass es die Ladezeiten verlängert. Daher mache ich weiter Screenshots. Wahrscheinlich bis die Faulheit doch irgendwann siegt.)

Nicht ganz chronologisch, aber alle zum Themengebiet „Der Gomez und ich“. (Zur Erläuterung: Am 10. März gewann Bayern 7:1 gegen Hoffenheim, am 13. 7:0 gegen Basel, am 17. dann 6:0 gegen Hertha. Und am 16. hatte ich Geburtstag.)

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Früher habe ich mich immer über die Glückwunschkarte der SPD gefreut. Heute über die von anderen. Weiß noch nicht, ob das gut oder schlecht ist.

(Gomez hat noch nicht angerufen. Ich prangere das an.)

Fuckyeah Bayern München

Mein sechstes Spiel in der Allianz-Arena. Bisher sah ich die Champions-League-Quali gegen Zürich, dann die drei Vorrundenspiele, vor kurzem meine erste Bundesliga-Begegnung gegen Kaiserslautern, alles hübsch und fröhlich, besonders das Spiel gegen Neapel gefiel sehr, vor allem, weil Gomez drei Tore direkt vor meiner Nase produzierte und ich Teil der Choreografie war. Wenigstens mal ein bisschen Aktion miterleben. Ich sitze grundsätzlich alleine (die BL-Begegnung war eine nette Ausnahme), weil ich schon dankbar dafür bin, überhaupt eine Karte zu kriegen – zwei zusammen hieße, das Schicksal herauszufordern. Weswegen ich keine Kumpels oder Kumpelinen neben mir habe, mit denen man gemeinsam Support brüllen oder singen könnte. Alleine bin ich eher still, wenn die Menschen um mich herum auch eher still sind. (Masse und Macht.)

Und dann kam Dienstag das CL-Achtelfinale gegen den FC Basel. Schon beim Reinkommen in die Arena war es lauter als gewöhnlich. Kein Wunder: Auf jedem Platz lag eine Klatschpappe. Heißt: Neben dem gesungenen Support warteten 66.000 Klatschpappen auf die Schweizer. Kurz bevor die Spieler aus dem Tunnel kommen, ertönt in der Arena für kurze Zeit ein Herzschlag über die Stadionlautsprecher, was schon gänsehautig genug ist. Dieses Mal empfing das Publikum die Akteure nicht nur mit diesem Herzschlag, sondern mit den Klatschpappen im Takt. Da grinste ich zum ersten Mal über das ganze Gesicht und hörte 90 Minuten lang nicht mehr damit auf.

Von Anfang an war es das lauteste Spiel, das ich in der Arena gehört habe. Die Südkurve machte wie immer Stimmung, aber auch das übrige Publikum brüllte und sang und klatschte sich die Seele aus dem Leib. Und endlich saß ich mal in einer Gruppe von Menschen, die die üblichen Schlachtengesänge mitsang – weswegen ich mich auch endlich traute. (Masse und Macht.)

Die erste Halbzeit lang klatschte ich mir das Päppchen auf die Hand, in der zweiten wich ich auf den jackengeschützten Unterarm aus, sonst wäre die Hand irgendwann knallrot gewesen, so sehr war ich damit beschäftigt, den Jungs unten Beifall zu spenden. Seit Rückrundenstart war das das erste Spiel, bei dem der FCB wieder die Souveränität spüren ließ, die ich in der Arena so mag. Dieses „Das hier ist unser Stadion, und ihr kriegt hier heute kein Bein auf den Boden.“ Von Anfang an drängte Bayern zum Tor, und ob da nun Gegner standen oder nicht, war einfach egal. Von Anfang an gelang auch so gut wie alles; da zeigte Ribéry Shaqiri mal eben, dass er zwar demnächst hier spielt, aber heute eben noch nicht, und deswegen ist dieser Ball da auch nicht deiner. Da erreichten Robben und Alaba lange Bälle gefühlt fünf Zentimeter vor dem Aus, wo sie in den letzten Spielen schon längst abgeschenkt hatten. Und da spielt dann eben ein wieder gesunder Schweinsteiger einen traumhaften Pass quer durch den Strafraum, ganz kurz gezögert, geguckt, genau abgezirkelt, perfekt auf den Fuß von Robben, und der setzt den Schlusspunkt unter dieses Prachtspiel mit dem 7:0.

Ganz so grandios fing es allerdings nicht an. Ich hibbelte wie immer rum, ließ mich aber von Gastgeber Probek überzeugen: „Das ist Basel. Basel! Die muss man weghauen, fertig.“ Mein Tipp war 3:0, Probek sagte 5:0, ich nannte ihn größenwahnsinnig und leistete geistig Abbitte, als das 6:0 fiel. Dafür versaute er mir das 4:0, indem er mir eine SMS schickte („Läuft.“), die ich just in dem Moment las, als Gomez eben dieses Tor schoß. Ich unterstelle Absicht. Ganz klar.

In den ersten 15 Minuten wollte ich allerdings mein Gomez-Trikot verbrennen und eins mit Ribéry drauf kaufen, weil der schönste Mann der Welt mal wieder ein paar fette Chancen ausließ. Das machte er, wie wir wissen, mit ebenso fetten vier Toren im Laufe des Spiels wieder wett, die artistischer aussahen als das, was er theoretisch in der ersten Halbzeit hätte machen müssen, aber so ist er halt. So lieben wir ihn – und hassen ihn gleichzeitig. Ich jedenfalls. Irgendwann kriege ich einen Herzinfarkt, und den nenne ich dann Gomez.

Das 1:0 durch Robben war der Auftakt zu einem unglaublich unterhaltsamen Spiel. Was nicht nur an den vielen gelungenen Aktionen lag, an dem spürbaren Willen, hier heute alles aber so richtig klar zu machen, sondern auch an den Spielern und ihrem Umgang untereinander. Wo sich vor wenigen Spielen Müller und Boateng noch fast aufs Maul gegeben hätten, rief hier Ribéry Alaba kurz zur Ordnung, der Mann hörte zu, nahm es an – und setzte es um. Wo vor wenigen Spielen Robben noch mit Gott, der Welt und seinem Steuerberater haderte, machte er hier schlicht seinen Job und den verdammt gut und hatte dazu noch Zeit, an der Seitenlinie herumzulaufen und das Publikum anzufeuern, ihn anzufeuern. Machen wir doch gerne. Und wo vor einigen Spielen das Gefühl herrschte, elf Diven zuzuschauen, wie sie versuchen, ihre Form zu finden, war es hier wieder eine Mannschaft, ein Team, eine Einheit mit einem gemeinsamen Ziel, und das wurde ohne jeden Zweifel erreicht. Es war eine Freude, den Jungs zuzuschauen und ihnen dafür den äußerst verdienten Beifall zu spenden. Auch wenn der Unterarm irgendwann weh tat und die Kehle rau wurde vom Singen.

Die Baseler Fans feuerten ihre Mannschaft bis zum Schluss an, was ich sehr bemerkenswert fand. Auch wenn die Spieler nichts, aber auch gar nichts ausrichten konnten, hatte ich nie das Gefühl, dass sie abschenken wie die Hoffenheimer bei ihrer 7:1-Klatsche vor wenigen Tagen. Nach dem 3:0 war ich mir zwar auch sicher, das haben wir, das nehmt ihr uns nicht mehr weg, aber trotzdem traute ich den Schweizern noch jede Menge Konter zu. Die allerdings endeten so gut wie alle an der überragenden Verteidigung, über die irgendwann auch meine beiden Hintermänner nichts mehr zu meckern hatten. Gut 60 Minuten musste ich mir anhören, wie unfähig sie waren und wir nur mit Glück so weit vorne lagen, aber irgendwann war dann eben gut. In den letzten Spielminuten redeten die beiden über Beziehungsprobleme. Wir haben ja jetzt Zeit.

Der Abend hörte nicht mit dem Schlusspfiff auf; ich versackte mal wieder in Probeks Küche, diesmal in Begleitung von Lizas Welt und dem Stadtneurotiker. Irgendwann werde ich alt und weise genug sein, um zu wissen, dass es sich am nächsten Tag bitter rächt, Sieges-White-Russians en masse zu trinken, stundenlang über Fußball zu reden, nur gut drei Stunden zu schlafen, weil man einen frühen Flug gebucht hat, und sich die Lunge aus dem Hals zu schreien, nur weil irgendeine Fußballmannschaft irgendein Fußballspiel gewonnen hat. Werde ich. Glaube ich.

Will ich aber gar nicht.

Tagebuch, die Ich-habe-einen-hektischen-Plan-Edition

Samstag Ikea in Rekordzeit hinter mich gebracht. Den ersten Urlaubstag entspannt genossen.

Sonntag „Götterdämmerung“ in der Staatsoper, jedenfalls theoretisch. Mein rechtes Knie, dessen Rumzickerein mir gerade gar nicht in den Plan passen und die ich tagelang ignorieren konnte, zwang mich dazu, nach einer halben Stunde aufzustehen, mich (glücklicherweise) nur an einem Menschlein vorbeizudrängeln und mich hinten an die Wand der Loge im vierten Rang zu stellen, wo ich die weiteren anderthalb Stunden des ersten Akts verbrachte. Immerhin hatte ich die Übertitel auf Augenhöhe; ist ja auch was. Und ich weiß jetzt: stehend ist Wagner NOCH LÄNGER als sitzend. In der Pause sehr, sehr nölig nach Hause, Eisbeutel aufs Knie und erstmals die harten Drogen. Dafür hervorragend geschlafen.

Montag. Knie besser. Packstation, erster Schwung Großeinkauf für die Geburtstagsfeier am Samstag, Getränke bestellt, Wohnzimmer staubfrei für den Übernachtungsbesuch gemacht. Abends singen. Wieder mal festgestellt: Wenn die ersten beiden Stücke super sind und ich dann noch eins zum Abschluss auswähle, das ich gerne mag und eigentlich kann, geht das total in die Hose. „Sweeney Todd“ zerkrächzt. Entschuldigung.

Gleich noch schnell die Bäder putzen, dann ab zum Flughafen in Richtung München. Dort wegen dusseliger Zu-früh-Buchung erstmal zwei Stunden Zeit totschlagen, bis mein Gastgeber von der Arbeit zurück ist. Dann ab in die Arena, Rückspiel Basel-Bayern mit hoffentlich anschließendem Siegesumtrunk. Oder Frustbesäufnis. Eigentlich egal, hauptsache White Russians. (NEIN, NICHT EGAL. SIEGESUMTRUNK IT IS.)

Morgen früh Rückflug. Dann kommen die Getränke, wahrscheinlich zeitgleich mit dem ersten Übernachtungsgast, und ich habe die Küche noch nicht geputztOMG.

Übermorgen Großeinkauf, zu dem ich gnadenlos Frau Gast mit einspannen werde, weil ich sonst nicht alles tragen kann. Tagsüber Mädchengespräche, abends Weinprobe. Wahrscheinlich sehr viel gute Laune.

Freitag als allererstes „Community“ gucken. Dann die Glückwunschtweets an Svenson und ix abschicken und die eigenen huldvoll entgegennehmen. Dann offline gehen und den ersten Schwung Kochen & Backen absolvieren. Viel Wein trinken. Den zweiten Übernachtungsgast empfangen, der zufällig der gleiche Mensch ist, bei dem ich heute auf der Couch schlafe. Toll. Abends Geburtstagsessen im trific, falls das mit der Reservierung geklappt hat. Wenn nicht, Ersatzcurrywurst in Dittsches Grillstation nebenan. Mitten im Essen den Glückwunschanruf von Mama und Papa entgegennehmen und mich freuen, dass sie mich anrufen, auch wenn das Essen kalt wird. Viel Wein trinken. Wahrscheinlich sehr viel gute Laune.

Samstag die erste Gästin schon wieder verabschieden. Zweite Runde Kochen und Backen. Ein letztmaliges Durchsaugen. Ab 15.30 ist alles fertig, ich gucke Konferenz, um 17.30 wird das letzte Backwerk in den Ofen geschoben, um 18.30 spielt Bayern, ich sitze im Gomez-Trikot auf der Couch mit den ersten Gästen, die das Spiel mitgucken (ich freue mich schon sehr auf die Dame im Pauli-Trikot, die mitgucken will), ab 20.30 kommen die anderen Gäste. Viel Wein trinken. Wahrscheinlich sehr viel gute Laune.

Sonntag. Ausnüchtern. Wahrscheinlich sehr mundfaule Stimmung. Viel abwaschen. Reste essen. Wenn ich es schaffe, raffe ich mich um 14 Uhr zu Altona 93 auf, die den Tabellenführer SC Victoria empfangen. Wenn nicht, liege ich vor dem Fernseher und schlafe bei der Bundesliga ein. Irgendwann den zweiten Übernachtungsgast zum Zug bringen. Keinen Wein trinken. Trotzdem sehr viel gute Laune.

(Montag Home-Office.)

„Unsere Tragödie ist nicht ein einzelner überhöhter Grenzwert, sondern die Tatsache, dass etwa in Niedersachsen drei Viertel der Masthühner mit Medikamenten traktiert und in deutschen Ställen jedes Jahr mehr als 800 Tonnen Antibiotika verfüttert werden, fast dreimal mehr, als Menschen einnehmen; dass Hühner heute in dreißig Tagen von vierzig auf 1600 Gramm Lebendgewicht geprügelt werden, während sie früher für ein Kilogramm zwei Monate brauchten; dass nur 0,8 Prozent der deutschen Hähnchen von Biohöfen stammten; dass Hackfleisch billiger ist als Katzenfutter.“

Schluss mit der Geschmacklosigkeit! von Jakob Strobel y Serra in der FAZ.

Zimtschnecken

Der Klassiker. Gleich zu Beginn meiner Entdeckungsreise zu gutem Essen einmal gemacht, danach nie wieder, denn so wahnwitzig toll fand ich den Kram nicht. Jetzt hat mich Pastasciutta doch wieder rumgekriegt, und das Rezept ist auch klasse und sehr schmackhaft, aber – ich bin wahrscheinlich einfach nicht der Typ für Zimtschnecken.

In einer Schüssel
500 g Mehl, Type 405, mit
1 Päckchen Trockenhefe,
1 TL Salz,
3 EL Zucker,
1/2 TL Kardamom, gemahlen,
70 g weicher Butter,
250 ml Milch und
1 Ei

zu einem schnuffigen Teig verkneten. Der Teig sollte nicht mehr an den Händen kleben; notfalls erstmal weniger Milch dazukippen oder, wenn der Viertelliter schon drin ist, mit Mehl nachhelfen. Abdecken und an einem warmen Ort mindestens eine halbe Stunde gehen lassen.

Einmal ganz kurz durchkneten und zu einem circa einen Zentimeter dicken Rechteck ausrollen.

125 g sehr weiche Butter darauf verteilen (mein Lieblingspart bei allen Rezepten: mit den Händen in irgendwas rummatschen) und dann eine Mischung aus
2 TL Zimt und
3 EL Zucker daraufstreuen.

Aus dem Teig eine Rolle formen und diese in zwölf gleich dicke Stücke schneiden. Diese in einer rechteckigen Backform unterbringen und nochmals abgedeckt gehenlassen. Nach ungefähr einer halben Stunde müsste die Backform schön ausgekleidet sein mit den zwölf fluffigen Hefeteilchen, die jetzt noch mit

1 Eigelb, mit
Sahne oder Milch verquirlt, bestrichen und mit
Hagelzucker bestreut werden.

Alles für 25 Minuten in den auf 180° vorgeheizten Backofen. Danach schön auskühlen lassen, auch wenn’s schwer fällt.

Bei Hefeteilchen streiten sich immer zwei Nörgelnasen in meiner Brust: Die eine will einfach nur einen Hefezopf ohne Firlefanz, auf den man lustig Frischkäse, Marmelade oder auch nur Butter streichen kann, wie sich’s gehört. Die andere will sowas tolles knackiges wie Franzbrötchen, die im Prinzip auch nur fancy Zimtschnecken sind, die plattgedrückt zu lange im Ofen waren. Zimtschnecken hängen irgendwie dazwischen; die hier sind wirklich nett, flauschig, nicht zu trocken, zimtigsüß – aber irgendwie dann kein Hefezopf und kein Franzbrötchen. Ich werde mit dem Kram einfach nicht warm.

Fuckyeah Frauentag

„Mein“ traditioneller Beitrag (der von Cathy Guisewite stammt aus ihrem Dauerbrenner „Cathy“) zum internationalen Frauentag:

Kunst gucken: Kunsthalle Hamburg

Seit Luise über meinem Sofa hängt und von mir jeden Morgen standesgemäß begrüßt wird, will ich in die Hamburger Kunsthalle, die sich einer großen Sammlung des 19. Jahrhunderts rühmt. Letzten Samstag besuchte ich dann endlich Luises Zeitverwandte. Gleich um 10 Uhr bei Öffnung in der Tür zu stehen, scheint eine gute Idee zu sein, denn die meiste Zeit hatte ich die Bilder so ziemlich für mich allein. In den knapp zwei Stunden, die ich in den Räumen zubrachte, begegnete ich gefühlt zehn Menschlein. Schön für mich, schade für die vielen Bilder, die dort einsam herumhängen. Sie hätten weitaus mehr Publikum verdient.

Wie auch in der Alten Pinakothek in München guckte ich mir nicht jedes Bild und jede Skulptur stundenlang an, sondern warf einen schnellen Blick in die Runde und besah mir dann die Bilder, an denen ich hängenblieb, genauer. Das erste befand sich gleich zu Beginn meines Rundgangs: Die Familie Rauter (1836) von Johann Friedrich Dieterich, hier ganz zu sehen, hier mit halbwegs korrekten Farben. Ich empfand sowohl die Gesichter als auch die Anordnung der Figuren als recht modern. Klar, die (keine Ahnung, ob sie wirklich so heißt) patriarchalische Pyramide mit Papa oben und dem Rest da drunter, aber trotzdem. Die lässige Haltung vom Herrn Vater, die den Bildrahmen zu durchdringen scheint, die seitwärts auf dem Stuhl sitzende Gattin, die mich nebenbei total an Terri Hatcher erinnerte, Sohnemann, der gerade zum Trommelschlagen ausholt, anstatt brav irgendwo rumzusitzen und nebenbei noch nicht mal zum Maler guckt, sondern wer weiß wohin – das fand ich alles sehr charmant und nicht ganz so gestellt wie es natürlich trotzdem ist. Das Gesicht des Vaters gefällt mir am besten, was aber auch daran liegt, dass er „echt“ aussieht, während die holde Mutter wahrscheinlich etwas sehr vorteilhaft gemalt wurde und Kindern sowieso ein winziges bisschen das Eigenständige fehlt, was erwachsene Gesichter charakterisiert. Also das, was wir uns heute wegbotoxen lassen: Falten, Lebenslinien, Zeichen, dass wir schon Erfahrungen gesammelt haben. Die sieht man eigentlich nur im Gesicht des Vaters, obwohl ich der Mutter unterstelle, garantiert auch schon ein paar zu haben. (Oder sie ist mit 14 schwanger geworden. Ich brauche mal ein Buch über die Familie Rauter. Wer war das? Gibt’s Nachfahren, die ab und zu dieses Bild besuchen? Wer das war, frage ich mich bei Luise auch fast täglich.)

Danach kam ein Raum, den fast alleine Caspar David Friedrich beanspruchte. Auf ihn hatte ich mich natürlich gefreut, weil ich alte Romantiknase gerne Bilder mit Mondschein und dunklen Tannen und so Zeug mag. Was in der Kunsthalle hängt, hat mich dann aber leider doch nicht so umgehauen – bis auf Das Eismeer und dem Wanderer über dem Nebelmeer fand ich alles recht artig (ich lese gerade Goethe), aber wenn mich der Audioguide nicht vor den Bildern festgehalten hätte, wäre ich etwas zügiger an ihnen vorbeigelaufen. Aber die beiden sind schon sehr großartig. Man fröstelt, wenn man vor ihnen steht.

Gleich nebenan blieb ich dagegen länger stehen (unfröstelnd): bei Arnold Böcklin. Zuerst vor seinem Selbstporträt, dann vor dem Heiligen Hain. Auch hier ist das Internet mit seinen Farben eher doof: Das Gemälde ist weitaus düsterer als im Link. Der Rauch, der vom Opferstein aufsteigt, ist bläulich, und das Bild teilt sich ganz klar in zwei Hälften; die eine, sonnenbeschienene linke, in der Blätter hingetupft an den Bäumen hängen, und die rechte dunkle, in der die Mönche (?) kaum zu erkennen sind, wie sie aus dem Schatten treten. Hinter den dunklen Bäumen wird es schlagartig hell, und ein Tempel oder ein ähnliches Heiligtum ist erkennbar. Das Bild hatte auf mich die gleiche Wirkung wie ein Aufenthalt in einer Kirche, Moschee, Synagoge: eine tiefe Ruhe. Man kann die kultische Handlung nicht wirklich erkennen oder einordnen, aber man nimmt unwillkürlich an ihr teil und empfängt, wenn man will, einen kleinen Segen, indem man vor diesem Bild steht. (Das mag jetzt aber meine christliche Erziehung sein.)

Beim Rumklicken in der Wikipedia entdeckte ich, warum mir der Name Arnold Böcklin so bekannt vorkam: Nach dem Mann wurde eine Schrift benannt, und seine Toteninsel kenne ich als Bühnenbild der Walküre im Jahrhundertring in Bayreuth. (Ich kriege bei solchen Zusammenhängen immer dieses „IT’S ALL CONNECTED“-Illuminati-Gefühl, das betrunken morgens um 4 sehr unangenehm und nüchtern und zu jeder anderen Zeit total faszinierend ist.)

Das nächste Bild, an dem ich hängenblieb: die Atelierwand von Adolph Menzel. Mein erster Gedanke war zugegebenermaßen, oh Jungs, es sind nur Brüste, jetzt beruhigt euch doch mal. Aber nach dem ersten innerlichen Meckern über die übliche Zurschaustellung weiblicher Geschlechtsmerkmale fiel mir auf, wie lebendig der Torso aussieht im Vergleich zu den Gegenständen bzw. Abdrücken um ihn herum. Der männliche Torso ist längst nicht so strahlend im Blickfeld, die vielen Totenmasken (in der unteren Reihe übrigens Schiller und Goethe), die Werkzeuge, der Tierschädel, all das wirkt grau, traurig, staubig, vergessen, verlassen, während der weibliche Torso das meiste Licht bekommt und aufrecht und stolz das Bild beherrscht. (Ich unterstelle Menzel trotzdem mal, dass er einfach gerne Brüste gemalt hat. Machen die ganzen Comicjungs heute ja genauso. Schnarch. In diesem Zusammenhang: Escher Girls. Via @Supatyp.) Das Tolle an der Atelierwand ist allerdings seine Haptik, die das Internet so gar nicht wiedergeben mag. Die flächigen Striche machen das Bild viel lebendiger als es unter dem Link aussieht. Und der Bildausschnitt ist ungewöhnlich: Das Gemälde fängt irgendwo an und hört mittendrin auf anstatt uns ein aufgeräumtes Stillleben zu präsentieren.

Und dann kam meine Neuentdeckung des Tages: Wilhelm Leibl. Ich hatte von dem Mann noch nie etwas gehört, bin aber jetzt gerade dabei, mich mit Ausstellungskatalogen einzudecken. Vor einem Bild stand ich sehr lange herum und bin auch immer wieder auf meinem Rundgang zu ihm zurückgegangen: den Drei Frauen in der Kirche. In der Wikipedia sieht das Bild sehr unspektakulär aus; wenn man davor steht, traut man sich kaum zu atmen, aus Angst, irgendwas würde verrutschen an der feinziselierten Schürze, bei der man verdammt nochmal jede Falte sehen kann. Jeden Stich der Stickerei auf dem Brusttuch der jungen Frau. Jeden Buchstaben im Gebetbuch der mittleren. Jede Maserung im Holz der Kirchenbank. Falten, verschiedene Hauttöne, die silbrigen Borten auf dem blauen Kleid, selbst der verschiedenfarbige Dreck unter den Fingernägeln war zu sehen. Und das ganze nicht fotografisch perfekt und damit im schlimmsten Fall todlangweilig, sondern schlicht unfassbar fein und extrem genau hingeschaut. Ich hätte gerne einen Klappstuhl dabeigehabt und mich eine Stunde nur vor dieses Bild gesetzt. Am liebsten hätte ich es angefasst und wäre mit den Fingern die vielen Details entlanggefahren. Die Wikipedia weiß, dass Leibl vier Jahre an dem Ding gemalt hat, und genau so sieht es aus. Wunderschön.

Auch Leibls zweites Bild Portrait der Rosine Fischler (Gräfin von Treuberg) begeisterte mich: Es ist nicht fertiggestellt worden, weil es der abgebildeten Dame angeblich nicht gefiel (undankbare Zicke. Ich würd’s sofort nehmen und neben Luise hängen). Nur der Kopf und der Bildgrund dahinter sind fertig, der Rest ist noch im Stadium einer Studie, und lustigerweise macht genau das das Bild sehr dynamisch und modern. Trotzdem hätte ich es gerne fertig gesehen, denn der Kopf ist schon genau so feinst ausgearbeitet wie die drei Frauen in der Kirche und längst nicht so idealisiert wie beim Bild der Familie Rauter. Ich ahne, warum die Gräfin es doof fand.

Und dann steht man plötzlich einem Rodin gegenüber, der so gar nichts Plüschiges hat wie die ollen Verliebten vom Kuss, die man schon nicht mehr sehen kann, weil sie so totgekitscht sind. Pierre de Wiessant ist lebensgroß, und wenn man um ihn herumgeht, hat man die ganze Zeit das Gefühl, dass sich gleich sein Arm bewegt und er einem eine reinhaut, weil man ihm so auf die Pelle rückt. Er ist längst nicht so fein wie seine Marmorgeschwister, sondern zäh und buckelig und hart und irgendwie verwackelt und deswegen auch viel lebendiger; durch seine Haltung natürlich auch aggressiver, aber, so albern das klingt, ich war wirklich der Meinung, er müsse sich gleich bewegen, weil er so dermaßen auf dem Sprung aussieht, dass ich unwillkürlich ein bisschen Abstand zu ihm gehalten habe.

Der Kopf war langsam, aber sicher voll, eine Menge Landschaften, an denen ich vorüberschlenderte, ein Monet, ein paar Manets und Degas’, immer wieder dieses „Ach, von dem haben wir auch was hier? Toll“, das größte Gemälde, das ich je sah (und das mich total langweilte) – Der Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen – und dann stand da eine weitere Skulptur, ganz anders als der Rodin’sche Pierre: die Petit Venus Debout von Renoir. Das Ding macht einfach glücklich, gerade wenn man sich eine Stunde vorher über Herrn Menzel aufgeregt hat. Eine kleine, dicke Statue, eine lächelnde Frau (sieht man so gar nicht im Link, aber ich finde kein besseres Bild) auf einem Sockel und eine lächelnde Frau davor, die sich nicht traut, das iPhone zu zücken, um die Venus zu fotografieren. Machte meinen Tag.

Durch die Seitenkabinette bin ich eher im Schnelldurchgang gehuscht; dort fielen mir eher Details als ganze Bilder auf. Hier eine Straßenszene mit einem Schildermaler, bei dem ich das Kopfsteinpflaster und die schiefe Eingangstür seiner Werkstatt näher betrachtete, dort ein Bild mit dem Titel Der Feldweg – und genau das war dann auch zu sehen: ein belangloser, beigefarbener Feldweg, der irgendwo im Wald endete, kleinformatig, unspannend. Bei solchen Bildern frage ich mich immer, warum sie im Museum hängen und wünsche mir ein Kunstgeschichtsstudium, um sie zu würdigen.

Nach knapp zwei Stunden im 19. Jahrhundert steckte ich noch den Kopf zu den Alten Meistern, aber das 16. Jahrhundert ist dann doch ein ziemliches Kontrastprogramm. Ein letzter Gang zu den drei Frauen in der Kirchenbank, und dann wieder nach Hause. Die Alten Meister kommen das nächste Mal dran.

Nebenbei: Ich habe keine einzige Malerin entdeckt. Ja, sign of the times, ich weiß. Trotzdem. Hätte mich schon interessiert, wie die Damen diese Zeitspanne abgebildet hätten. (Hier den üblichen feministischen Seufzer vorstellen.)