Twitter-Lieblinge im November 2012

Hans Memlings Devotions- und Ehepaardiptychen

(Das war mein heutiges Referat bzw. das sind meine huschig ausformulierten Notizen. Die fortgeschrittenen oder schon fertigen Kunsthistoriker_innen überspringen dieses Erstsemestergeschwurbel besser. Oder lehnen sich gemütlich zurück und denken sich, ach ja, so klein war ich auch mal.)

Zur Erinnerung: Mein Kurs heißt „Die Anfänge der Porträtmalerei im 14. und 15. Jahrhundert“. Bisher haben wir unter anderem das vermutlich erste autonome Künstlerporträt kennengelernt. Die Referentin vor mir erzählte dann etwas über Petrus Christus, der mit seinem Porträt des Edward Grimston das erste Bildnis schuf, in dem ein klarer Raum erkennbar war. Vorher standen die gemalten Menschen unmotiviert vor diffusen, meist dunklen Hintergründen. Oder wir hatten das Stifterbild wie die Rolin-Madonna, in der sich die Porträtierten zwar in einem Raum befinden, aber der ist noch irreal. Zudem besteht eine klare Trennung zwischen der göttlichen und der profanen Sphäre.

Das änderte sich alles mit Memlings „Diptychon des Maarten van Niewenhove“.

Hans Memling wurde zwischen 1433 und 1440 in Seligenstadt bei Frankfurt geboren (die meisten Forscher tendieren eher zu später als zu früher), in Brügge ist er erstmals 1465 nachweisbar, gestorben ist er dort 1494. Er war einer der produktivsten Maler des 15. Jahrhunderts in den Niederlanden; es sind fast 100 seiner Werke erhalten, und davon waren ein Drittel Porträts.

Diptychen sind keine neue Erfindung, bereits im antiken Rom gibt es eine klappbare Schreibtafel namens „diptycha“. Diese Form des Gemäldes erfreute sich aber in der zweiten Hälfte des 15. sowie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts großer Beliebtheit. Das hing mit der „Devotio moderna“ zusammen, der „modernen Andacht“. Sie stellte die private Andacht dem öffentlichen Gottesdienst gleich bzw. ermunterte die Gläubigen, sich auch privat mit ihrer Spiritualität zu beschäftigen sowie das Leben Jesu bzw. seine Menschlichkeit zu erforschen. Private Einkehr, individuelle Bibelstudien und Meditation schufen einen neuen, persönlichen Kontakt zum Göttlichen.

Dafür sind Devotionsdiptychen schlicht praktischer als Gemälde, die an der Wand hängen. Sie sind meist kleinformatiger; sie wurden auf Kissen gelegt, auf ein Pult gestellt oder in Familienkapellen genutzt, um zu beten. Das Diptychon des van Nieuwenhove hing (ja, eine Ausnahme, ich komme noch darauf, warum) in der Liebfrauenkirche in Brügge), wo die Familie eine Privatkapelle besaß.

Brügge war im 15. Jahrhundert ein wichtiger und wohlhabender Handelsplatz. Eine vermögende Mittelschicht aus Kaufleuten und Bankiers konnte es sich leisten, Gemälde, Porträts oder Diptychen anfertigen zu lassen. (In einem Buch fand ich das schöne Zitat „Die Kunst ist immer da, wo das Geld ist“, aber ich Nase habe mir natürlich nicht notiert, von wem der Satz stammt. Dieses wissenschaftliche Arbeiten muss ich noch üben.)

Bei den Devotionsdiptychen gibt es zwei Darstellungsweisen: einmal je einen oder eine Heilige/n pro Flügel oder das sogenannte Stifterbild: eine/n Heilige/n (meist die Madonna mit Kind) sowie den Stifter, das heißt, den Auftraggeber des Bildes.

Diptychon des Maarten van Nieuwenhove

(Klick macht groß)

1487
Öl auf Eichenholz
jeder Flügel 52 x 41,5 cm
Originalrahmen
Memlingmuseum, Brügge

Maarten van Nieuwenhove wurde 1463 in eine einflussreiche Brügger Familie geboren; einige Familienmitglieder waren bereits ranghohe Politiker im Stadtrat von Brügge oder in der Verwaltung von Burgund. Maarten strebte eine ähnliche Karriere an. Nach einigen Schwierigkeiten gelang ihm das auch: 1492 wurde er Ratsherr, 1497 Bürgermeister von Brügge, gestorben ist er 1500. Er ließ das Andachtsdiptychon allerdings bereits 1487 anfertigen, als er noch kein politisches Amt innehatte.

Bildbeschreibung

In der linken Hälfte sehen wir die Madonna mit Kind als Halbfigur, frontal, hinter einer Mauer oder einer Balustrade. Sie ist reich geschmückt und sehr elegant gekleidet. Neben ihr im rechten Flügel Maarten van Nieuwenhove, ebenfalls prächtig gekleidet. Er war offensichtlich gerade im Gebet versunken – sein geöffnetes Gebetbuch liegt vor ihm –, als ihm die Madonna erschien; sein überraschter Gesichtsausdruck kündet davon. Das Besondere bzw. der Unterschied zu den Räumen, in denen sich Stifter und Madonna bisher befanden: Diese beiden sind in einem echten Raum, keinem imaginären. Genauer gesagt, in Maartens guter Stube.

Mehrere Details weisen auf den Stifter hin: Auf dem linken Rahmen steht die (übersetzte) Bildunterschrift „Maarten van Nieuwenhove hat dieses Werk machen lassen im Jahre des Herrn 1487“, rechts steht „im Alter von 23 Jahren“. Hinter beide Sätze ist jeweils ein winziger Drache gezeichnet, dessen Bedeutung wir leider nicht kennen.

Im Fenster hinter der Madonna sind das Familienwappen sowie das -motto sichtbar („Il ya cause“, „nicht ohne Grund“). Außerdem erkennen wir vier Medaillons, auf denen eine Hand goldenen Samen aussät – eine klare Anspielung auf den Familiennamen, der übersetzt „neuer Hof“ bzw. „neuer Garten“ lautet. Ebenfalls hinter der Madonna: zwei vermutlich persönlich gewählte Schutzheilige von van Nieuwenhove, St. Georg sowie St. Christopherus.

Zusätzlich im Bild, direkt hinter Maarten: St. Martin, sein Namenspatron. Und noch etwas viel wichtigeres: der Mittler. Wenn sich ein/e Heilige/r und ein Mensch in einem Bild begegnen, geht das nicht ohne Mittler. Das ist normalerweise ein/e andere/r Heilige/r oder ein Engel. Memling, der schlaue Fuchs, wollte sich aber nicht seine schöne Bildkomposition mit den zwei Porträtierten ruinieren lassen, und so nutzte er den Hl. Martin schlicht als großes Fensterbild, um ihn als Mittler im Bild zu haben, ohne dass er groß auffällt. (Das ist übrigens ein klassisches Beispiel für den sogenannten disguised symbolism“ von Erwin Panofsky, also ganz simpel: Eine Pfeife ist manchmal mehr als eine Pfeife.)

Eine weitere Besonderheit: die Landschaft. Sie ist klar als ein Blick über den Brügger Minnegarden identifizierbar. Auch hier: Wir befinden uns nicht in einer imaginären Fantasiewelt, sondern mitten im Leben. Zudem stimmt die Perspektive. Wenn ihr dieses Bild mit der Rolin-Madonna vergleicht, wird klar, was ich meine. Rolin und seine Heilige befinden sich in einer Höhe über der Landschaft, die damals nicht möglich war. Hier sieht alles deutlich realer aus.

Das liegt auch an Memlings Stil, den Dirk de Vos, Konservator im Groeningemuseum in Brügge, als „skulptural“ bezeichnet. Während van Eyck noch sehr „malerisch“ arbeitete, also mit dramatischem Licht und großer Geste, wo Memlings Lehrherr Rogier van der Weyden noch stark an die Fläche gebunden malte und seine Figuren sehr linear aussahen, wirken Memlings Menschen fast dreidimensional. de Vos schreibt, man könne Memlings Figuren ohne Probleme als Skulptur nachbilden, was vorher bzw. bei anderen Malern vor ihm eher selten der Fall war.

Diese Dreidimensionalität versucht Memling auch auf andere Weise zu erzielen: Kleine Trompe-l’oeil-Effekte lassen das Bild plastischer wirken. Hier wirft das Kissen, auf dem das Jesukind ruht, einen kleinen Schatten auf den Rahmen, und auch der Mantel der Maria geht über die reine Bildfläche hinaus.

Was man in diesem Ausschnitt ebenfalls sieht: die Aufhebung der Trennung zwischen Weltlichem und Göttlichem. Der orientalische Teppich auf der Balustrade geht vom linken in den rechten Flügel über, genau wie der Mantel der Madonna – auf dem Maarten sogar sein Gebetbuch ablegt. Und noch ein wichtiges Detail informiert über die Trennung: der kleine konvexe Spiegel hinter der von uns aus linken Schulter der Madonna.

Das Spiegelbild zeigt Stifter und Madonna im gleichen Raum. Maarten kniet neben der Madonna, neben der noch ein aufgeschlagenes Buch liegt. Hinter ihnen (also eigentlich vor ihnen) befinden sich zwei Fenster – und das sind genau die „Fenster“, durch die wir auf die beiden blicken, nämlich die Rahmen des Diptychon. Leon Battista Alberti schrieb 1440, dass ein Bild ein Fenster sei, das unseren Blick öffne. Die Idee, mit einem Spiegel eine Perspektive zu zeigen, die sonst nicht von uns einsehbar wäre, ist nicht neu. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich van Eycks Arnolfini-Hochzeit, in dessen Spiegel sich der Maler selbst verewigt hat. Auch Memling nutzte in anderen Bildern den Spiegel, genau wie Petrus Christus, der in einem Bild eine Ladenzeile zeigte, in der ein Spiegel steht, der uns den Blick auf die Straße vor dem Laden freigibt. (Nebenbei: Der Flachspiegel war noch nicht erfunden, daher hängen in diesen ganzen Bildern Konvexspiegel. Wenn man sich die „Fischaugenoptik“ vergegenwärtigt, ist es noch beeindruckender, dass van Eyck sich selbst malte, indem er in einen dieser gekrümmten Spiegel blickte.)

Ich erwähnte oben, dass dieses Diptychon vermutlich an der Wand hing anstatt Maarten auf einem Plüschkissen beim Gebet zu unterstützen. Das hängt mit dem Bild und dem Stifter selbst zusammen, denn es erfüllt zwei Funktionen. Es sollte sicherlich auf die eigene Frömmigkeit hinweisen, aber: Es ist gleichzeitig eine ziemlich unverhohlene Wahlwerbung. van Nieuwenhove wusste genau, warum er seine Insignien so deutlich kommunizierte und das Bild vor allem in der öffentlich einsehbaren Familienkapelle platzierte: Weil er jeden darauf hinweisen wollte, aus welch guter Familie er stammte und über welchen sozialen Status er verfügte.

Der zweite Teil meines Referats beschäftigte sich (deutlich kürzer) mit den Ehepaardiptychen von Memling.

Bildnis eines alten Ehepaars, um 1470–75
Mann: Berlin, Staatliche Museen, 36,1 x 29,4 cm, Öl auf Eichenholz
Frau: Paris, Musée de Louvre, 35,4 x 29,3 cm, Öl auf Eichenholz

Ehepaarporträts waren meist Hochzeitsporträts und hatten einen dokumentarischen Charakter. Sie waren sehr privat und wurden nicht herumgezeigt oder ausgestellt. Die Funktion dieses Bilds ist unklar; die beiden sind zu alt, um frisch verheiratet zu sein. Es könnte ein schlichtes Erinnerungsbild sein. Beim Adel waren Porträts schon länger bekannt, auch um fernen Verwandten klarzumachen, wie der Enkel eigentlich aussieht oder die kleine Infantin, die diesen Enkel eines Tages heiraten könnte.

Im Bürgertum waren Porträts noch nicht so lange gang und gäbe, und deswegen ist dieses Bild so interessant. Es ist ein Diptychon – aber auch hier wird die Trennung zwischen den beiden Figuren aufgehoben. Die Balustrade, vor der die beiden sitzen, verbindet die Hälften, genau wie die Landschaft im Hintergrund (die übrigens auch wieder perspektivisch korrekt ist und keine Fantasiegefilde zeigt). Der einzige Grund, warum Memling ein Diptychon malte: Er wusste es nicht besser. Es gab zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Ehepaarporträt in Halbfigur, das die Dargestellten auf einer Tafel zeigte. Also nutzte er, wie immer, zwei.

Und das sind die kleinen Details, die für mich die Kunstgeschichte so spannend machen: Was war bekannt, was wurde gerade erst erarbeitet? Woher kamen die Inspirationen? Was änderte sich wann und warum? Alleine bei der Recherche zum Maarten-Diptychon bin ich über so viele Fragestellungen gestolpert, dass ich es kaum erwarten kann, meine Hausarbeit darüber zu schreiben.

Literatur (Auswahl):
Belting, Hans; Kruse, Christiane, „Die Erfindung des Gemäldes“, München 1994
Beyer, Andreas, „Das Porträt in der Malerei“, München 2002
Borchert, Till-Holger (Hrsg.), „Hans Memling – Portraits“, Stuttgart 2005
de Vos, Dirk, „Hans Memling – das Gesamtwerk“, Stuttgart 1994
Dülberg, Angelica, „Privatporträts – Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert“, Berlin 1990
Hand, John Oliver (Hrsg.), „Prayers and Portraits – Unfolding the Netherlandish Diptych“, Washington 2006
Lane, Barbara G., „Hans Memling, Master Painter in Fifteenth-Century Bruges“, London 2009
Winkler, Friedrich, „Die altniederländische Malerei“, Berlin 1924

Audi-Fahrhilfen: Maria Kühn, Gerd Schönfelder, Vico Merklein

(Alle Fotos stammen von Jo Magrean und ich veröffentliche sie hier mit hoffentlich freundlicher Genehmigung der AUDI AG. Ehrlich gesagt warte ich seit Wochen auf eine Ansage, weswegen ich das Risiko mal eingehe, sie vielleicht doch wieder von der Seite nehmen zu müssen, aber jetzt ist der Katalog frei und erschienen und jetzt darf ich endlich über ihn schreiben. Dann mach ich das natürlich auch. Die Vorgeschichte zu diesem Katalogtext steht übrigens hier.)

„Ich mache alles mit links.“

Der Alpin-Skifahrer Gerd Schönfelder wurde am 2. September 1970 geboren und lebt in Kulmain/Bayern. Er fährt einen daytonagrauen Audi A6 Avant S line mit dem Multifunktionsdrehknauf.

Jahrelang beherrschte Gerd Schönfelder die Alpinski-Szene der behinderten Athleten, nahm an sechs Paralympics teil und gewann dort 16 Gold- sowie einige Silber- und Bronze-Medaillen. Aber wenn es um Sport geht, bekommt er nie genug: „Ich spiele Tennis, Fußball und Golf, gehe schwimmen, radfahren und Inline-Skaten. Zuhause habe ich ein Quad, und demnächst würde ich gerne Kitesurfen. Kajakfahren steht auch noch auf dem Plan; es gibt Boote, die man mit den Füßen antreibt.“ Warum das wichtig ist: Schönfelder verlor bei einem Unfall vor über 20 Jahren seinen rechten Arm samt Schulter sowie einige Finger der linken Hand. Das hindert ihn aber nicht daran, diverse Sportarten auszuüben: „Der Körper ist sehr flexibel. Und notfalls nutzt man eben Hilfsmittel. Golf spiele ich mit einer Manschette, die ich am Handgelenk befestige. Ohne die würde ich bei jedem Schwung den Schläger weiterschlagen als den Ball“, lacht Schönfelder.

Seine positive Grundhaltung ist bei allem spürbar. Er bewegt sich lässig und entspannt, lacht viel, albert beim Fotoshooting gut gelaunt vor der Kamera herum. Sein Optimismus half ihm auch nach dem Unfall, der alles veränderte. „Zunächst war es natürlich schlimm – aber ich kann gut verdrängen. Ich sagte mir, alles zu seiner Zeit, ein Schritt nach dem anderen. So habe ich mir alles zurückerkämpft: essen, sich alleine anziehen, den Alltag eben. Ich bin relativ erfinderisch – ich überlege mir, wie etwas werden muss, und dann versuche ich, es umzusetzen.“

Das ist ihm sehr erfolgreich gelungen. Schon ein halbes Jahr nach dem Unfall stand er wieder auf Skiern, die ihn seit Kindertagen begleiten. „1990 waren das Material und die Technik anders als heute; es gab noch keine Carving-Ski, nur die normalen langen Latten. Es wurde viel aus dem Oberkörper heraus gefahren, weniger mit Stockhilfe. Das kam mir zugute. Und: Man stellt sich relativ schnell auf das Handicap ein. Ich war Rechtshänder und schreibe jetzt halt mit links – was bleibt mir übrig? Ich mach‘ jetzt alles mit links.“

„Behindert ist man nur, wenn man sich behindern lässt.“

Der Weg zurück in die Öffentlichkeit fiel zunächst schwer. Anfangs trug Schönfelder eine Prothese, um, wie er sagt, nicht aufzufallen. „Aber mich hat das Ding gestört, das war ein Fremdkörper ohne Funktion. Deswegen habe ich sie ziemlich schnell wieder abgelegt.“ Schönfelder weiter: „Ich fühle mich nicht behindert. Behindert ist man nur, wenn man sich in seinem Tun einschränken lässt. Wenn du alles machst, was du machen willst, bist du nicht behindert. Und ich mache alles.“ Er überlegt kurz und grinst dann: „Okay, Klavierspielen wär‘ schwierig.“

Schönfelder beendete seine aktive Laufbahn Anfang 2012 und arbeitet nun unter anderem als Honorartrainer für die Behinderten-Ski-Nationalmannschaft. Zusätzlich ist er in seinem bayerischen Heimatdorf Kulmain als Jugendbeauftragter tätig und sitzt im Kreistag von Tirschenreuth. Eines seiner Anliegen ist die Behindertenförderung. „Es ist mir sehr wichtig, Menschen den Sport näherzubringen. Gerade für Behinderte ist es wichtig, den Körper fitzuhalten, weil man so das Handicap besser kompensieren kann. Wenn du nicht mal alleine ins Auto kommst, zum Beispiel aus einem Rollstuhl heraus, ist das schon ein großer Verlust an Lebensqualität und Freiheit.“

Sein Auto ist ein daytonagrauer Audi A6 Avant S line mit quattro-Antrieb. Als Wintersportler ist er sehr oft auf Schnee und in den Bergen unterwegs – „da brauche ich ein zuverlässiges Auto, auf das ich keine Ketten ziehen muss. 2011 beim Training hat es in Innsbruck geschneit ohne Ende. Ein Kombi mit Anhänger, auf den ein Quad geladen war, blieb liegen und blockierte die Straße. Ich habe den Fahrer gefragt, ob ich helfen kann und dann das Auto samt Anhänger zehn Kilometer den Berg raufgeschleppt. Er meinte, er sei den Berg noch nie so schnell raufgekommen.“

„Ich glaube nicht, dass mein Leben besser wäre, wenn der Unfall nicht passiert wäre.“

Auch mit den Audi Fahrhilfen ist Schönfelder sehr zufrieden – selbst wenn er sie nicht mehr so oft einsetzen muss. „Mein erstes Auto musste ich umbauen lassen, habe alles auf die linke Seite gebracht und das Licht mit dem Fuß bedient. Das ist heute nicht mehr nötig; mir kommt die technische Weiterentwicklung sehr entgegen. Mein A6 Avant verfügt über ein Automatikgetriebe und adaptive light mit gleitender Leuchtweitenregulierung – eigentlich macht das Auto alles für mich.“

Auch wenn Schönfelder im sportlichen Ruhestand ist, hat er noch genug zu tun. Neben seiner Tätigkeit als Trainer und Politiker hält er Vorträge, arbeitet als Motivationscoach und ist als Markenbotschafter für Audi unterwegs. Trotzdem bleibt endlich mehr Zeit für die Familie: „Meine Frau hat die letzten Jahre für mich zurückgesteckt, das mache ich jetzt wieder gut. Und ich freue mich darauf, auch bald mit meinen beiden Kindern Sport zu treiben.“

Sport ist für Schönfelder, wie er sagt, lebenswichtig. „Nicht nur für mich, sondern auch für die Inklusion – also die uneingeschränkte Teilnahme von Behinderten an der Gesellschaft. Gerade durch den Behindertensport ist die Wahrnehmung der nicht-behinderten Bevölkerung anders geworden. Die Leute wissen mittlerweile, was wir für Leistungen bringen. Wie Oscar Pistorius, der Weltrekordläufer. Das macht schon einen Rieseneindruck, wenn du mit Prothesen schneller bist als mit Beinen.“ Es kann allerdings auch zu ungewöhnlichen Begegnungen führen. Nach einem Wettkampf saß Schönfelder mit seinen Mannschaftskollegen am Flughafen Hamburg – „da waren zwei Rollis, zwei Unterschenkelamputierte mit ihren Krücken und ich … und da fragte eine Frau mich ganz leise, welchen Sport wir machen, dass wir so viele Verletzte haben.“

Schönfelder lacht herzhaft und wird dann still. Er sinniert: „Wenn mich jemand fragen würde, ob ich zwei Arme haben möchte, würde ich natürlich ja sagen. Aber ich glaube nicht, dass mein Leben besser wäre, wenn der Unfall nicht passiert wäre. Was ich erlebt habe, ist schon Wahnsinn.“

„Jetzt erst recht.“

Die Rollstuhl-Basketballerin Maria Kühn wurde am 14. Februar 1982 geboren und lebt in Stuttgart/Baden-Württemberg. Sie fährt einen gletscherweißen Audi A1 Sportback S line mit dem Handbediengerät classic für Bremse und Gas, dem Lenkraddrehknauf und der Pedalabdeckung.

„Eigentlich habe ich Ballsportarten gehasst!“

Ingolstadt, die Neuwagenabholung bei Audi. Maria Kühn, 30, steigt gerade von ihrem Rollstuhl das erste Mal in ihren neuen Audi A1 Sportback um. Wo ihr Lächeln schon vorher jeden Umstehenden bezaubert hat, gibt es jetzt kein Halten mehr: Sie klatscht lachend in die Hände, quietscht vergnügt vor sich hin und stellt erst einmal Fahrersitz und Spiegel mit geübten Handgriffen ein. Vor dem A1 war ein Audi A4 Avant ihr zweiter fahrbarer Untersatz: „Ich dachte, ich bräuchte wegen des Rollstuhls so viel Platz. Aber es passt auch alles bequem in den A1.“ Sie klappt den Monitor des MMI (Multi Media Interface) hoch, fährt mit den Händen liebevoll über Dekoreinlagen und das Lenkrad. Ihr neues Nummernschild begeistert sie ebenfalls, denn es trägt ihre Initialien – „das musste sein.“ Auch in anderen Lebensbereichen achtet sie auf Optik: Ihr türkisfarbenes Shirt lässt ihre blauen Augen noch mehr strahlen, und an ihrem Rollstuhl klebt ein kleines Glückskleeblatt.

Der Reitunfall, der sie zur Rollstuhlfahrerin machte, passierte, als Kühn 20 Jahre alt war. Nach dem Sportabitur arbeitete sie ein Jahr als Au-pair und gönnte sich im Anschluss daran noch einen Monat Urlaub an der Westküste der USA. Bei einem Ausritt im Monument Valley wurde ihr Pferd unruhig und stürmte los. Kühn wurde abgeworfen und ist seitdem ab dem 5. Brustwirbel abwärts gelähmt. Selbst als sie diese Geschichte erzählt, muss sie lachen: „Ich hatte vorher nie etwas! Keinen Kratzer, keine blauen Flecken – und dann das.“ Sportlich war sie immer, aber: „Eigentlich habe ich Ballsportarten gehasst! Für mein Abitur musste ich Volleyball spielen und fand es fürchterlich.“ Ironie der Geschichte: Heute ist Maria Kühn Mitglied der erfolgreichen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Frauen. Mit ihren Kolleginnen wurde sie 2011 zum wiederholten Male Europameisterin. Zudem gewannen sie bei den Paralympics in London 2012 die Goldmedaille.

Rollstuhlbasketball – das geht ganz schön zur Sache.

Dreimal die Woche fährt sie von ihrem Wohnort Stuttgart nach Frankfurt, wo sie bei den Mainhattan Skywheelers spielt. Davor hat sie bereits den ganzen Tag gearbeitet – seit Oktober 2011 ist Kühn bei der Stuttgarter Prüf- und Sachverständigenorganisation GTÜ in der Personalabteilung tätig. „Mein Arbeitgeber kommt mir sehr entgegen: Wenn ich wegen der Nationalmannschaft reise oder länger trainieren muss, treffen wir kurzfristige Abmachungen. Aber ich muss schon sehr oft früher kommen oder länger arbeiten, um meine 40 Stunden zu erfüllen und gleichzeitig mein Trainingspensum zu halten.“

Im Training baut Kühn zunächst Ausdauer auf. „Das heißt, ich fahre ein paar Runden, stoppe die Zeit und versuche, sie auf den nächsten Runden zu unterbieten. Außerdem mache ich natürlich Wurftraining und arbeite an meiner Kraft und Fitness. Und die Chair Skills kommen auch nicht zu kurz.“ Der Basketballrollstuhl verlangt eine etwas andere Bedienung. Er wiegt mehr als der zehn Kilo leichte Alltagsrollstuhl, seine Räder sind angeschrägt und er verfügt über einen Rammschutz. „In der Bundesliga spielen wir mit Männern zusammen im Verein – das geht ganz schön zur Sache. Deswegen sind wir beim Spiel sogar angeschnallt.“

Wie ist sie überhaupt zum Basketball gekommen, wenn sie Ballsportarten doch nicht mag? Kühn lacht wieder: „Eigentlich wollte ich überhaupt nicht in eine Behindertensportgruppe. Ich habe gedacht, die bemitleiden sich da bloß alle gegenseitig. Ist natürlich Quatsch. Meine erste Idee war Rollstuhltanz. Das ging aber gar nicht – da tanzt ein Fußgänger um dich herum, während du dich ab und zu mal drehen darfst. Das war so albern! Aber in Ludwigsburg, wo ich das Tanzen ausprobierte, gab es auch Basketball. Da ging ich einfach mal vorbei – und bin begeistert geblieben.“

Als Hobbys gibt Kühn reisen, shoppen und ihre Familie an – auch wenn die inzwischen meist zu ihren Spielen kommen muss, um sie zwischen Arbeit und Leistungssport überhaupt noch zu sehen. Auch Kühns Lebensgefährte spielt bei den Skywheelers. „Er fährt einen Audi RS 3. Einmal habe ich den Wagen heimlich gefahren, das gab fast einen Beziehungskrach.“ Deswegen wird er wohl auch nicht ans Steuer ihres A1 S line dürfen. „Ich freue mich so sehr über dieses Auto. Mit den Fahrhilfen zu steuern, ist anders als die gewohnte Art, Auto zu fahren, aber eigentlich sogar leichter. Man hat eine einzige Fahrstunde. In der wird aber eher darauf geachtet, ob du die nötige Kraft hast. Einige Rollstuhlfahrer können ihren Trizeps nicht richtig einsetzen, aber dieses Problem habe ich glücklicherweise nicht. Es ist ein bisschen wie Motorradfahren – man macht eben alles mit der Hand.“

Wenn sie nicht selbst aktiv ist, schaut Kühn sich auch gerne Sport im Fernsehen an: Fußball oder Formel 1, wobei da Sebastian Vettel ihr Favorit ist. Treibt sie denn auch Sport in ihrer wenigen Freizeit? „Ja, ich fahre gerne Rad oder gehe schwimmen. Was ich auch unbedingt noch machen will, ist Fallschirmspringen oder Bungeejumping“. Sie überlegt kurz und meint dann lächelnd: „Meine Risikofreude hat nach dem Unfall eigentlich sogar noch zugenommen: Ich will mir selbst beweisen, was alles geht. Ich wäre auch ohne Rollstuhl auf die Idee gekommen, Fallschirmspringen zu wollen. Aber jetzt will ich es erst recht.“

„Steck‘ niemanden in eine Schublade.“

Der Handbiker Vico Merklein wurde am 12. August 1978 geboren und lebt in Babenhausen/Hessen. Er fährt einen Audi A6 Avant in Eissilber metallic mit dem Handbediengerät classic für Bremse und Gas sowie dem Lenkraddrehknauf.

Vico Merklein bringt seine Freundin Nancy mit zum Fotoshooting, die sich auch nach einem Jahr Beziehung immer noch über die ersten Reaktionen ihrer Familie amüsiert, als sie einen Rollstuhlfahrer als ihren Lebensgefährten präsentierte. „Sie haben sich krampfhaft Formulierungen wie ,Wo geht ihr denn noch hin?‘ oder ,Wie läuft‘s denn?‘ verkniffen bzw. mitten im Satz umformuliert in ,Was macht ihr denn noch?‘ Aber das hat sich inzwischen gelegt.“

Auch Merklein, als Handbiker Marathonsieger in Hamburg 2012 und Berlin 2011 und Silbermedaillengewinner in London 2012, hat früher Menschen in Fußgänger und Rollstuhlfahrer unterteilt. Heute denkt er nicht mehr darüber nach. Aber das hat eine lange Zeit gedauert.

Merklein war knapp 20, ein Draufgänger – „ich war auch mal jung und wild“ – und fuhr Motorrad. Bis ihn ein Unfall zum Rollstuhlfahrer machte. „Die erste Zeit habe ich versucht, das zu ignorieren. Es hat vier Jahre gedauert, bis ich das verarbeitet hatte. Davor habe ich sehr gehadert: Mir geht‘s so schlecht, und nur mir geht‘s so schlecht. Ich hörte nicht mehr auf meinen Körper, war verzweifelt, dass er nicht mehr das konnte, was ich von ihm gewohnt war. Ich verlor jeden Rhythmus, war morgens um 3 wach und nachmittags um 5 müde – von nichts.“ Bis ihm eines Tages ein Mann im Rollstuhl mit einem sogenannten Vorschnallbike begegnet. Merklein ist sofort begeistert, kauft sich für 1.300 D-Mark ein solches Fahrrad, das man mit der Hand bedient anstatt mit den Beinen und beginnt seine erste Ausfahrt. Ganze fünf Kilometer schafft er, bevor er ausgepowert wieder nach Hause kommt – und sofort ins Bett fällt.

20.000 Kilometer mit der Hand.

Heute, mit 32, fährt er bis zu 20.000 Kilometer im Jahr, jeden Tag, auf der Straße, dem mechanischen Trainingsbike zuhause, in der Höhenkammer, die 2.000 Meter über Null simuliert, ein Rennen nach dem anderen, bis die Saison vorbei ist – und die nächste wartet. 30 bis 35 Stunden pro Woche liegt Merklein in seinem Handbike. „Anders kommst du nicht auf das Level, das heute nötig ist. Ich fahre schließlich nicht zu den Rennen, um Zweiter zu werden.“

Denn obwohl Merklein zu den Ausnahmeathleten seiner Disziplin gehört – die Konkurrenz schläft nicht. „Früher musste man einmal im Jahr, zu Saisonbeginn, ein paar Wochen Grundlage fahren. Das heißt, Ausdauer trainieren, einfach Kilometer runterreißen. Heute mache ich das vier- bis fünfmal im Jahr. Wenn ich dann trotzdem noch ein Rennen verliere, kann ich mir wenigstens nicht vorwerfen, nicht genug getan zu haben. Dann kann ich auch locker dem Sieger gratulieren – der hat noch mehr geackert, und ich habe es ihm ordentlich schwer gemacht.“

Der durchtrainierte Sportler sprüht vor Ehrgeiz. Gleichzeitig schafft er sich Ruhezonen, selbst mitten im Training. „In Lanzarote gibt es einen Berg, da fahre ich jedes Mal rauf. Von Playa Blanca und zurück sind es ungefähr 120 Kilometer, die ich zurücklegen muss. Wenn ich kurbele, höre ich nur dem Wind zu, ich habe keine Musik dabei. Und dann bin ich oben auf dem Berg und gucke 800 Meter weit runter: Da ist das Meer, und bei gutem Wetter kann man bis Playa Blanca sehen. Das ist so surreal. Ich könnte da stundenlang stehen und gucken.“

Bei den Rennen fährt Merklein ein maßangefertigtes Handbike, das gerade einmal 13,8 Kilogramm auf die Waage bringt. Das Sportgerät aus Aluminium und Carbon liegt acht Zentimeter über der Straße, und Merklein treibt es auf bis zu 80, 90 Stundenkilometer, wenn er bergab fährt. Das erste professionelle Rad kaufte ihm seine Oma für 3.700 Euro; sein jetziges Gefährt kostet um die 12.000 Euro. „Und alle zwei Jahre braucht man ein neues.“

„Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas vermisst habe.“

Wenn er nicht im Fahrrad liegt, nutzt er einen Audi A6 Avant. „Einfacher geht‘s gar nicht. Ich fahre einen A6 mit Automatikgetriebe, das heißt, ich muss mit dem Handbediengerät nur Gas geben und bremsen. Und mit dem zusätzlichen Knopf am Lenkrad kann ich ganz ohne Kraft steuern. Der Audi liegt so ruhig auf der Straße, da merkt man gar nicht, wie schnell man ist. Aber ein Raser bin ich nicht. Ich fahre zügig, aber nicht rasant.“ Er lächelt verschmitzt: „Die Zeiten sind vorbei.“

Kann man sagen, dass der Sport ihn verändert hat? Merklein antwortet in seinem charmanten Mix aus Berlinerisch und Hessisch: „Absolut. Der Sport hat mein Leben um 180 Grad gedreht. Auch weil ich meinen Körper wieder benutze und ihn nicht mehr ignoriere. Ich lebe im Hier und Jetzt – ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal dachte, dass ich etwas vermisse.“ Dadurch hat sich auch die Blockade gelöst, die er jahrelang nach dem Unfall geistig empfand. Hilfe anzunehmen, fiel ihm schwer, er fühlte sich von allen beobachtet. „Das ist heute anders. Wenn ich Hilfe brauche, dann frage ich danach. Macht man als Fußgänger ja auch.“

Diese Hilfestellung gibt Merklein weiter. Manchmal lässt er lokale Favoriten in seinem Windschatten fahren – „ist ja seine Strecke, dann soll er auch gewinnen“ –, mal engagiert er sich für andere Behinderte. So erklärte er bei einem Aktionstag Kindern im Rollstuhl, wie ein Vorschnallbike funktioniert und wie sie damit sogar schneller sein können als ihre nichtbehinderten Freunde auf Inline-Skates. Einige der Kinder, die begeistert mit ihm um die Wette fuhren, hatten Lernschwierigkeiten. „Da dachte ich schon, na, ob das klappt, ihnen was zu erklären … aber genau die waren dann die Besten. Ich habe früher anderen vorgeworfen, mich abgestempelt zu haben – und jetzt erwische ich mich manchmal selbst dabei. Dann muss ich mir selber sagen, was ich auch von anderen erwarte: Steck niemanden in eine Schublade. Auch dich selbst nicht. Ich setze mir immer wieder neue Ziele, von denen ich nicht weiß, ob ich sie überhaupt erreichen kann. Aber wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie wissen.“

Drei Shootings und der Katalog, der daraus entstand

Wie die meisten meiner geschätzten Leser_innen wissen, schreibe ich beruflich am liebsten Autokataloge. (Ich schreibe auch alles andere, aber in den Katalogen ist jedesmal Herzblut drin.) Mein Hauptarbeitgeber ist die Agentur, in der ich als piepsige Juniortexterin angefangen habe, in die ich nach einem kurzen Abstecher zur Konkurrenz und Mercedes-Benz als Seniorin zurückkam, um mich irgendwann selbständig zu machen und wieder gebucht zu werden. Immer für einen Kunden, der bis heute mein liebster ist und es wohl auch immer bleiben wird: Audi.

Audi baut nicht nur schöne Autos, sondern stattet sie auch auf Wunsch mit Fahrhilfen für Menschen aus, die körperlich eingeschränkt sind. Genau für diese Zielgruppe produzierten wir in den letzten Monaten einen Katalog, den ich ausnahmsweise nicht nur auf meine Arbeitsseite packe, sondern auch hier im Blog vorstellen möchte. In meiner persönlichen Hitliste kommt er direkt nach meinem Lieblingskatalog über die 24 Stunden von Le Mans, den ich bereits 2003 geschrieben habe.

Was ihn für mich so besonders macht, ist die Herangehensweise. Ich schrieb nicht über die üblichen Themen, die ich sonst liebevoll im Katalog abfiedele, den Motor, das Design, den Innenraum, die Neuheiten, die das Fahrzeug hat. Dieses Mal schrieb ich stattdessen über die Menschen, die mit dem Fahrzeug unterwegs sind.

Unsere Konzeptidee war, drei Sportler_innen vorzustellen, die die Audi-Fahrhilfen nutzen: Maria Kühn, Rollstuhl-Basketball, Vico Merklein, Handbike, und Gerd Schönfelder, Alpinski. Dafür wurden drei Low-Budget-Shootingtage geplant, eher spontan on location anstatt große Studioproduktion, und ausnahmsweise war ich dabei. Als Texterin sitze ich eigentlich brav in der Agentur, während die Art-Fraktion unter Palmen drei Wochen lang ein Auto fotografiert. Dieses Mal guckte ich meiner Art Direktorin und dem Junior-AD dabei zu, wie sie mit dem Fotografen und seinem Assistenten Bilder komponierten. Während sie sich zwischen den Aufnahmen über die Digitalkamera beugten und die nächsten Einstellungen diskutierten, grätschte ich kurz dazwischen und stellte unseren Modellen zwei, drei Fragen. Und während die anderen Mittagspause machten, schnappte ich mir die Sportler_innen und hatte jeweils eine gute Stunde Zeit, um sie mal in Ruhe auszuquetschen, wobei mir da Jo Magrean, der Fotograf, gerne über die Schulter guckte und die Menschen fotografierte, während sie mit mir redeten. Am Anfang war ich etwas skeptisch, ob wir uns nicht ständig in die Quere kämen, aber schon nach wenigen Stunden des ersten Tages war ich begeistert von dieser Art des Arbeitens.

(Junior-AD, Art Direktorin, Vico, Jo, Nancy, Kundin beim ersten Blick auf die Bilder, alles beim Staatstheater Darmstadt, wo wir zuerst fotografierten.)

Das hatte zum einen mit Jo zu tun. Meine Art Direktorin hatte ihn ausgewählt, weil ihr seine Art, Menschen zu fotografieren, so gut gefallen hat: Jedes Bild sieht persönlich aus, ungestellt, schlicht. Weit weg von der üblichen Hochglanzwerbeknipsigkeit, die wir bei diesem Projekt nicht haben wollten. Sein Assistent Matthieu ist Franzose und lebt in Spanien; mit ihm radebrechten wir auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch, Jo sprach stets Französisch mit ihm, dann unwillkürlich auch mit uns, was seltsamerweise meist funktionierte, es war an allen Shootingtagen richtig warm, wir haben in Hessen und dann in Bayern unter einem stahlblauen Himmel geshootet, und so fühlte es sich ein winziges bisschen wie Urlaub an, den man mit entspannten Freunden verbringt. Denn was Jo für mich so großartig gemacht hat, war seine Art, die Menschen vor der Kamera innerhalb von unglaublichen fünf Minuten locker zu kriegen.

Wir hatten gerade erst Hallo gesagt, da quatschte er Maria Kühn schon in ein Schwimmbad und Vico Merklein in die Sauna. Der einarmige Gerd Schönfelder flachste in Minutenschnelle zurück, als er die Ansage bekam: „Lass den einen Arm ruhig aus dem Autofenster hängen.“ – „Den anderen auch?“, Maria tauschte zwischen den Aufnahmen Shoppingtipps mit der Audi-Vertreterin am Set aus, und Vico knutschte seine Freundin Nancy, sobald kurz mal niemand was von ihm wollte. Die Atmosphäre war von Anfang an gut gelaunt und vertrauensvoll, und ich glaube nicht, dass ich das so hervorragend hinbekommen hätte wie Jo. Das Blöde ist: Ich weiß bis heute nicht, was er genau gemacht hat, denn er hat sich an jedem Shootingtag die jeweilige Hauptperson geschnappt und ist mit ihm oder ihr vom Rest der Gruppe weggegangen. Bei Maria und Gerd nahm er auf dem Beifahrersitz Platz, während wir zum ersten Shootingort fuhren, bei Vico bestand er darauf, ihn kurz alleine fotografieren zu dürfen. Und als wir wieder alle zusammen waren, hatte ich das Gefühl, wir seien auf einmal beste Freunde.

Und das war das zweite Tolle am Job: die Menschen, die ich kennenlernen durfte. Bei keinem war auch nur ein Hauch Arroganz oder Langeweile zu spüren – „Meh, schon wieder so ein oller Termin, den ich wahrnehmen muss“ –, ganz im Gegenteil. Vico hat mich mit seiner absoluten, fast zen-gleichen Ruhe beeindruckt. Egal ob er über seinen Unfall, seinen Sport, seine Familie sprach – er wirkte, als ob ihn nichts und niemand erschüttern kann. Umso spannender fand ich es, von ihm zu hören, dass er scheinbar am meisten von den dreien mit seinem neuen, anderen Körper nach dem Unfall zu kämpfen hatte. Maria hingegen ist ein Bündel von guter Laune; sie hatte einen Tag mit circa 33 Grad erwischt und musste mehrere Stunden lang in praller Sonne agieren. Das schien ihr alles nichts, aber auch gar nichts auszumachen, sie lächelte und lachte zu jeder Sekunde, und natürlich ist es ein Foto von ihr geworden, das auf dem Titel des Katalogs landete. Bei Gerd brauchte es nur ein Grinsen, und meine Art Direktorin und ich schmolzen dahin (wie bei Vico auch). Gerd ist ein Charmeur und Showman wie aus dem Bilderbuch, und das weiß er auch. Hier habe ich vor allem die stillen Momente genossen, die ich alleine mit ihm hatte. Jo und Matthieu bereiteten die nächsten Aufnahmen vor, das Art-Team war mit der Kundin verschwunden, und ich saß mit Gerd in Jos Hotelbett und quatschte, als ob wir uns schon 20 Jahre lang kennen würden. Irgendwann kam Jo dazu und fotografierte, und das Foto ist auch mein liebstes von Gerd im Katalog, wo man ihn im Profil sieht, mit mir nachdenklich sprechend, das dunkle Holz des Hotelbetts im Hintergrund, das weiche Mittagslicht.

(Jo und Matthieu fotografieren Maria vor dem Römer-Kelten-Museum in Manching.)

Beim Schreiben hatte ich die Seite Leidmedien im Hinterkopf, die netterweise gerade online ging, als ich mit dem Texten begann. Ich hoffe, mir ist nichts Blödes durchgerutscht, keine Menschen, die an den Rollstuhl „gefesselt sind“ oder „ihr schweres Schicksal meistern“. Unsere drei Sportler_innen haben die Texte vor der Veröffentlichung natürlich abgenickt und ich freue mich sehr darüber, dass sie nichts daran zu bemängeln hatten. Jedenfalls an der 24-seitigen Version, die Audi gedruckt hat. Intern haben wir eine 32-seitige Fassung erstellt, weil wir a) so viel zu erzählen und b) so viele schicke Bilder hatten. Auf meiner Arbeitsseite steht der 24-Seiter, und in einem weiteren Blogeintrag steht der Text, der in der 32-seitigen Broschüre gestanden hätte, zusammen mit ein paar Fotos. Im Blogeintrag fehlt die „Verkoofe“, also die Seite, auf der die Fahrhilfen zu sehen sind. Auch das war etwas, was mich am Projekt begeistert hat: dass wir eben kein Hardselling machen mussten und auf jeder Seite das Produkt zu sehen sein musste. Natürlich wird Audi erwähnt – he, es ist immer noch Werbung –, aber ich finde, es liest sich trotzdem wie eine Reportage. Zumindest hoffe ich das.

(Gerd schreibt schnell noch ein paar Autogramme, nachdem wir ihn durch Bayreuth und in einen Badesee gejagt haben.)

Bei Interesse: Hier steht der veröffentlichte 24-Seiter, und hier geht es zum Blogeintrag, aus dem leider kein 32-Seiter geworden ist.

November-Journal, 22. November 2012

Morgens nicht aus dem Bett (beziehungsweise vom Sofa runter-) gekommen. iPhone klingelte um 8, ich wischte wieder und wieder über die Snooze-Funktion, und als es fast 9 war, sagte ich mir, wenn du jetzt nicht aufstehst, stehst du nie auf. Schließlich wartete um 10 mein Lieblingskurs mit dem Lieblingsdozenten, mit dem mich Frau Kaltmamsell verkuppeln will, weil ich nur schwärmerische Tweets über ihn bzw. seinen Kurs absetze. Was das Aufstehen nicht leichter, aber sinnvoller machte.

Gestern war wieder so eine Sternstunde: Ich lernte die metastasianische Oper kennen (nach ihrem bedeutendsten Librettisten, Pietro Metastasio). Extrem gerafft: Metastasio schrieb 27 Dramen, genauer gesagt, dramma per musica, die vertont wurden – klingt erstmal nicht außergewöhnlich, aber: Diese Dramen folgten immer den gleichen Gesetzen und sie wurden teilweise 50 bis 90 Mal von über 300 Komponisten vertont, von manchen gleich mehrmals. Diese Art der Oper hatte ihren Ursprung in Italien und verbreitete sich im 18. Jahrhundert wie ein Lauffeuer durch fast ganz Europa; der Balkan mochte nicht mitspielen, weil er gerade türkisch besetzt war, und die Franzosen wollten, naturellement, nicht Italienisch singen und hatten daher wie immer ne Extrawurst. Der Rest von Europa verfiel aber dem Schema der zwei Paare, die sich im Laufe der Oper kriegen, natürlich nicht, ohne wildeste Verwicklungen hinter sich zu bringen. Und mit „wildeste“ meine ich „wildeste“. Ich verstehe jedenfalls selten die Inhaltsangaben in Opernführern oder der Wikipedia, wenn ich versuche, die Handlung nachzuvollziehen – der letzte Versuch war Händels Xerxes – und war deshalb sehr froh zu hören, dass ich damit nicht alleine bin.

Der Dozent versuchte, uns die Handlung von Vivaldis L’Olimpiade per Schaudiagramm aufzuzeichnen, musste aber selbst dauernd nachgucken, wer jetzt mit wem verwandt ist, wer wen umbringen will und warum und wer sich zum Schluss kriegt („Die beiden sind sich eigentlich treu, werden aber durch die Umstände daran gehindert. Und die Dame ist seine Zwillingsschwester, aber das wissen beide nicht, und schon sind wir im ARD-Vorabendprogramm.“). Die Handlung ist stets dramatisch, das Ende so gut wie immer glücklich, und neben einer (oder zwei) angedeuteten Hochzeit(en) gibt es eine große Geste der Vergebung. Denn die Opern waren Auftragswerke der Fürstenhöfe, die sich mit diesen Werken ein bisschen selbst bepuschelten, weswegen auch immer ein Herrscher mitspielte, der die Vergebungsgeste ausführte.

Wir wollten gerade quengeln, dass das doch langweilig sei, immer die gleichen Storys zu hören, als der Dozent die Stichworte „romantic comedy“ und „Rosamunde Pilcher“ in den Raum warf, worauf wir brav verstummten. Überhaupt Film: Die Stars der Oper waren Stars wie heute die Jungs und Mädels aus Hollywood oder Fußballspieler. Sie verpflichteten sich für eine Saison an einem Hof, zogen dann an einen anderen weiter und wurden, bei gewissem Ruf, überall bewundert. Der Dozent beschrieb es so: „Die überregionale Wirkung der Opera seria kann mit heutigen Hollywoodfilmen oder Fußball verglichen werden. Da spielen Kastraten aber keine so große Rolle.“

Auch neu für mich war der irrwitzige Output. In Italien wurden 80 bis 100 Opern pro Jahr neu komponiert und aufgeführt, manche bis zu 30 Vorstellungen lang. Dann flogen sie vom Spielplan, und die nächste Premiere stand an. Und das Publikum war da: Es war völlig normal, so oft wie möglich in die Oper zu gehen, gerne auch in das gleiche Stück und gerne in alle 30 Vorstellungen. „Heute machen das ja nur noch verzweifelte Singles, so oft in die Oper gehen …“ *Murren im Saal* „… nicht Sie, dass Sie nicht so oft in die Oper gehen, merke ich, wenn ich das Repertoire abfrage.“

Ich hätte wie immer noch viel mehr zu erzählen, denn der Dozent hat ja auch viel mehr zu erzählen, und ich schreibe mit wie doof und freue mich nach jeder Stunde schon auf die nächste. Ich ahne, dass man das meinen Tweets anmerkt.

In der Vorlesung zur Kunstgeschichte sprinteten wir noch einmal durch die Gotik; wo ich mich letztes Mal in die Kathedralen von Chartres, Amiens und Reims verliebt hatte, durfte ich mich gleich noch mal verlieben, denn dieses Mal kamen die Portale und damit die ganzen Figuren und Figürchen dran, die so an den Eingängen rumlungern. Seit 800 Jahren, die Armen. Dafür sehen sie teilweise aber noch grandios aus. (Auf der Website von Reims gibt’s ein paar Alben zum Durchklicken.) Und die lustigen Zierblümchen auf den Wimpergen (ja, wieder was gelernt) heißen allen Ernstes Krabben. Ich kann mir immer nur die beknackten Worte merken, weil sie so beknackt sind.

Kein Anruf der Spedition, wann sie gedenken, mir meine Möbel zu liefern. Ich hab keine Nummer, unter der ich sie erreichen könnte, ich hab ja nicht mal einen Namen. Heute mal bei einer der drei Ikea-Nummern anrufen, die ich bis jetzt sammeln konnte, vielleicht wissen die, wer das erledigt.

Zum Trost vom temporären Mitbewohner mit Lauchsuppe bekocht worden. Musste mir anhören, dass ich ein spoilt brat sei, weil ich seinen Soave okay, aber nicht super fand. Seit wann ist „okay“ ein Schimpfwort? Okay ist okay. (Aber nicht super. Hm. Na gut.) Trauere meinen Weinvorräten in Hamburg nach. Da fällt mir ein: Ich hab hier noch kein Weinregal. Aber ich hab ja auch noch nix anderes. Seufz.

November-Journal, 21. November 2012

(Edit: Bildlinks aktualisiert; die führten zu einer Datenbank, zu der man anscheinend eine Registrierung braucht. Aus unserem Uni-Net brauche ich das nicht. Sorry, nicht nachgedacht.)

Um acht Uhr morgens den iPhone-Wecker ausgemacht und bis kurz vor zehn geschlafen. Luxus.

Im Porträtkurs viele spannende Dinge über Jan van Eycks „Mann mit dem roten Turban“ gelernt – zum Beispiel, dass das Ding kein Turban ist, sondern ein Chaperon, eine durchaus gängige Kopfbedeckung im Flandern des 15. Jahrhunderts. Noch viel spannender ist natürlich die Tatsache, dass dieses Bild vermutlich das erste autonome Selbstporträt eines Künstlers ist.

Das zweite Referat handelte ebenfalls von einem van-Eyck-Gemälde – das Bildnis des Kardinal Albergati –, wobei das Besondere hier war, dass wir noch die Vorzeichnung davon haben, die ein bisschen weniger gefällig und glattgebügelt aussieht. Die Vorzeichnung zeigt einen leutseligen Kerl, das fertige Bild repräsentiert eher als dass es emotional anspricht. Das war wohl auch der Plan, aber ich mag den Mann auf der Vorzeichnung lieber. Zwischen der Zeichnung und dem Bild liegen übrigens drei Jahre.

Am Ende der Stunde probierte ich, ob mein neu erworbener Adapter ans MacBook Air bzw. den Beamer passt (passt), damit ich nächsten Dienstag mein erstes Referat halten kann. Blöd, dass ich der Dozentin noch eine Frage dazu stellte, denn jetzt muss ich meinen Plan fast komplett umschmeißen, das Referat teilweise neu aufbauen und vor allem: alles noch mal üben und die blöde Keynote-Präse anpassen. „Sie haben die undankbare Aufgabe, ein Fazit zu ziehen über den Stand der Porträtmalerei in den Niederlanden des 15. Jahrhunderts.“ (Was frag ich auch.)

Dementsprechend den Nachmittag nicht in der Bibliothek der Musikwissenschaften verbracht, wo ich endlich mal länger verweilen wollte als es dauert, die Handapparate zu kopieren, sondern erneut durch die Regale der Kunstgeschichte gestöbert. Verstörende Jesusbilder entdeckt.

Etwas kopfschmerzig nach Hause gekommen, mehr schlecht als recht durch Beethovens Klaviertrio Op. 1, Nr. 2 gehudelt; nur einmal gehört, noch keine Notizen gemacht, erledige ich heute während des Schalke-Spiels, denn gestern spielte ja Bayern. Anstatt den temporären Mitbewohner in die Kneipe zu begleiten, blieb ich auf dem Sofa, wo ich mir die Lautstärke (leise statt LAUT), die Essensbegleitung (Schokolade statt Bier) und die Pausengestaltung (Bloggen statt Klo) selbst aussuchen konnte.

November-Journal, 20. November 2012

Der Plan war: um 10.30 Uhr in München landen, um 12 in der Wohnung sein, ab 14 Uhr meine Ikeamöbel geliefert und aufgebaut zu bekommen, abends endlich in der eigenen Wohnung kochen und im eigenen Bett schlafen. Endlich richtig ankommen.

Stattdessen flogen wir verspätet ab, konnten wegen Nebel nicht in München landen, flogen nach Nürnberg, weil wir nicht genug Sprit hatten, um 45 Minuten über München zu kreisen, wurden betankt, flogen zurück, kreisten noch ne Runde und landeten fast drei Stunden zu spät. Dann wartete ich noch eine weitere Stunde auf den Koffer und gerade, als ich in die S-Bahn kletterte, die gut eine Stunde von meiner Wohnung weg war, klingelte das Handy, die Ikeajungs wären dann vor Ort, wo ich denn sei?

Seufz.

Ich hatte so sehr gehofft, dass ich endlich eine eigene Bleibe hätte. Nicht dass es beim temporären Mitbewohner nicht nett wäre, aber mich macht es fünf Wochen im Semester schlicht wahnsinnig, dass ich keinen Arbeitsplatz habe. Klar könnte ich jeden Abend am Küchentisch des Mitbewohners sitzen, aber das lindert mein Genervtsein nur wenig. Ich brauche einen Platz für meine Notizen, meine Ausdrucke, meine Fachbücher. Ich brauche Arbeitsmittel wie Hefter und Locher und Aktenordner und Zeug; ich bin eine ganz fürchterliche Streberin, wenn es um einen Arbeitsplatz geht. Der ist bei mir immer aufgeräumt und übersichtlich, und genau das fehlt mir. In meinem hysterischen Erstsemesterkopf sehe ich immer mehr Lernstoff von mir wegtreiben, anstatt ihn in Aktenordnern und auf Karteikarten zu erfassen, abzulegen, zu ordnen, im Blick zu haben.

Und ich würde wirklich gerne endlich richtig ankommen. Das fühlt sich schon wie meine Stadt an, aber eben noch nicht so ganz. Es ist immer noch ein Übergangsstadium, und wer mich kennt, weiß, dass ich mit so was überhaupt nicht klarkomme. Es muss schwarz oder weiß sein, an oder aus, aber nicht so ein diffuses Mittendrin. Deswegen belastet mich die temporäre Wohnsituation auch mehr als gedacht. Bei aller Nettigkeit ist es eben nicht meins. Und ich brauche immer einen Ort oder etwas oder jemand, der oder das meins ist, sonst ist es nicht Zuhause.

Ich hatte gehofft, ab Montag abend ein Zuhause zu haben, und dass ich jetzt noch nicht einmal einen neuen Liefertermin für mein Zuhausezubehör habe, macht mich mehr fertig als ich dachte.

Gut, dass ich heute wieder in der Uni sitze und mir den Kopf mit alten Bildern vollstopfe. Dann hat die Realität nicht mehr so viel Platz.

November-Journal, 17. bis 19. November 2012

Freitag

Beim temporären Mitbewohner klar Schiff gemacht, alles, was ging verpackt, mich selbst bepackt, in die neue Wohnung gefahren, ausgepackt. Internet eingerichtet. Ich habe meinem WLAN den gleichen Namen wie unserem WLAN in Hamburg gegeben. Nach Hause geflogen.

Abends mit zwei Kolleginnen beim Italiener gewesen und gestrahlt. Auf dem Nachhauseweg noch einen Kollegen getroffen und weiter gestrahlt. Immer die gleiche Antwort auf die gleiche Frage, wie’s denn so sei mit dem Studium: „Genau so, wie ich es mir erhofft hatte, nur noch toller.“

Samstag

Eingekauft, für Geld gearbeitet (Datenbank befüllen), keine Lust auf das Nürnberg-Spiel gehabt, wie immer bei der Konferenz eingeschlafen, mies getippt. Dafür erstmals in diesem Jahr „I’m a celebrity, get me out of here!“ geguckt und sehr gemocht, auch wie immer. Am Kerl festgehalten, so lange es ging.

Sonntag

Für Geld gearbeitet (weiterhin Datenbank befüllt). Danach fürs Seelenheil gearbeitet (weiterhin Referat vorbereitet, das ich Dienstag in einer Woche halten werde). Am Kerl festgehalten, so lange es ging und ab dem Nachmittag abschiedsschmerzig geworden. Wochenenden bis Weihnachten und dann bis Semesterende gezählt. Diffuse Sehnsucht nach München gehabt und deswegen sofort schlechtes Gewissen gekriegt. Anywhere but here.

Der Rest von Hamburg – Hoheluft

(An diesem Eintrag ist Herr Buddenbohm Schuld. Eins, zwei.)

Als ich 1999 von Hannover nach Hamburg zog, um Werbetextpraktikantin zu werden, war es mir egal, wo ich wohnte. Vor Twitter und in der Wild-West-Phase des Internets hatte ich immerhin herausgefunden, dass man westlich der Alster und nördlich der Elbe wohnen sollte, um zu den cool people zu gehören, und das wollen wir Werber ja alle. Also schaute ich im Hamburger Abendblatt nach Wohnungen, guckte mir eine an, sagte dem Vermieter, dass ich sie gerne haben wollte, mein Väterchen bürgte für mich, und schon hatte ich die Wohnung. Die lag in Altona-Nord, ganz in der Nähe des Bahnhofs, und sie war großartig, wenn man vom Nachbarn absah, der gerne morgens um 4 anfing, die Begleitstimme zu seinen Bluesplatten zu geben. Oder das, was er für die Begleistimme hielt. Anfangs trat ich gegen die Wand, dann entdeckte ich Ohropax und lebte weiter in Altona vor mich hin.

Bis ich eines Tages im firmeneigenen Intranet eine Wohnung ins Eimsbüttel entdeckte. Sie war einen Hauch größer, und weil ich inzwischen keine Praktikantin mehr war, sondern ausgewachsene Texterin, konnte ich dieses Mal auch selber die Miete zahlen. Ich sagte der Vermieterin, dass ich die Wohnung gerne hätte, und schon hatte ich sie. Eimsbüttel also, immer noch westlich der Alster und nördlich der Elbe. Ein bisschen schicker als Altona-Nord und vor allem: mit scheinbar stummen Nachbarn. Ich habe nicht mal auf dem Land in der Nähe von Hannover so ruhig gewohnt wie in dieser Wohnung, obwohl die Osterstraße quasi vor meiner Haustür lag.

Kurz vor dem Umzug lernte ich den Kerl kennen. Der lebte verwegen in Hoheluft-West, knapp zwei Kilometer nördlich von mir. Der Kerl war und ist überzeugter Fußgänger und streift gerne durch alle Stadtviertel, die ihm unterkommen. Dabei nutzt er seltsame Seitenstraßen, die ich nicht mal auf dem Stadtplan finde, aber er kommt immer wieder nach Hause. Ich selber ging brav die große Gärtnerstraße entlang, die mit dreimal Abbiegen direkt von mir zu ihm führte. Dabei musste ich die Hoheluftchaussee überqueren, die bis heute mit einem seltsamen Fluch belegt ist.

Die nördliche Straßenseite floriert und ist voller gut gehender Geschäfte; Buchläden, Bäcker, Floristen, Apotheken, ein Supermarkt, ein Bioladen, ein Geschäft für Schokolade, ein vietnamesisches Restaurant. Wenn man ein paar Meter weiter nördlich von der Hoheluftchaussee weggeht, entdeckt man den Straßenbahnring, wo sich ein hochpreisiges Möbelgeschäft, ein wundervoller Buchladen, eine Werbeagentur und ein Küchentempel abwechseln.

Auf der südlichen Straßenseite dagegen: Untergangsstimmung. Die Läden wechseln im Jahrestakt die Besitzer, und die, die noch da sind, sind Imbisse oder Billoshops. Alles andere tauscht sich ständig aus oder steht ewig leer. Dieses Phänomen beobachtete auch der Kerl vor Jahren schon und schrieb im November 2003 einen Blogeintrag darüber. Dieser Blogeintrag war der erste, bei dem ich dachte, dem Mann würdest du gerne mal die Zunge in den Hals stecken einen Döner an der Hoheluftchaussee ausgeben.

Seit Januar 2004 bezeichnen wir uns als Pärchen, und im Oktober 2006 zogen wir zusammen. Ich guckte mir drei Wohnungen an, aus denen ich bereits nach zwei Sekunden wieder rausgehen wollte, und betrat dann die vierte. Direkt an der Gärtnerstraße, die ich schon hunderte Male zum Kerl spaziert war. Ich sagte dem Vermieter, dass wir die Wohnung gerne hätten, und schon hatten wir sie. Der Kerl zog knapp einen Kilometer nach Süden und ich knapp einen Kilometer nach Norden – nach Hoheluft-West, dem Stadtteil der schwärmerischen Liebe. Und der mit der seltsamsten Straße Hamburgs.

Ein wagnerianisches Dankeschön …

… an Elke, die mich mit Christian Thielemanns Mein Leben mit Wagner überrascht hat. Über das Buch freue ich mich besonders, weil es mich seit Wochen in den Fingern juckte, es selbst zu kaufen. Perfekte Auswahl vom Wunschzettel! Dummerweise wird es noch ein bisschen auf mich warten müssen, denn ich hatte naiverweise den Arbeitsaufwand unterschätzt, den die Uni von mir verlangt. Mein monatlicher Bücherrückblick wird wahrscheinlich nur aus der Beethoven-Biografie bestehen, die ich gerade lese; ansonsten könnte ich noch auf stapelweise kopierte Handapparate verweisen, aber das zählt ja nicht. Wie auch immer: Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr darüber gefreut.

November-Journal, 15. und 16.11.2012

Mittwoch

Der lange Uni-Tag. Erster Kurs immer noch der, auf den ich mich am meisten freue: die Musikgeschichte 1700–1830. Die letzten beiden Male hatten wir die Frage „Was ist Musik?“ auf zwei Arten beantwortet: einmal ist sie die Nachahmung der Natur (wir erinnern uns: das Zeitalter des Rationalismus, Musik bildet die Natur bzw. menschliche Regungen nach und folgt dabei strengen Regeln); dann hatten wir das Zeitalter der Empfindsamkeit, wo Fantasie und Improvisation höher geschätzt wurden als die bis eben gültigen Regeln. Musik sollte bewegen und die Gefühle des Komponisten hörbar machen. Das 18. Jahrhundert, das kleine Chamäleon, hat aber noch eine weitere Richtung zu bieten: die romantische Musikästhetik. Musik ist nach ihr „eine abgesonderte Welt für sich“ (Ludwig Tieck, ja, der mit der Shakespeare-Übersetzung).

Wo vorher die Vokalmusik wegen ihrer leichteren Verständlichkeit geschätzt wurde, gilt nun die Instrumentalmusik als höherwertig. Dabei ist die romantische Ästhetik ein rein deutsches Phänomen; viele deutsche Dichter befassten sich mit Musiktheorie, der schon genannte Tieck zum Beispiel oder E.T.A. Hoffmann (der auch komponierte), Friedrich Schlegel (der andere mit der Shakespeare-Übersetzung) oder Jean Paul. Ganz vorneweg war Wilhelm Heinrich Wackenroder, dessen „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ schon im Titel eine gewisse Schwärmerei erkennen lassen. Für ihn war Instrumentalmusik „die wunderbarste aller Künste“ und er schrieb ihr eine „göttliche Qualität“ zu. Was eben noch bemängelt wurde – die Unverständlichkeit der Instrumentalmusik – war auf einmal ihre Stärke; sie galt als Indiz für die metaphysische Qualität der Töne, sie war ein „Medium göttlicher Offenbarung“, die „höchste Stufe der Erhabenheit“. Musik ermöglicht den Kontakt mit der Irrealität und den eigenen Träumen – da stören Worte nur. Selbst die Flüchtigkeit eines musikalischen Erlebnisses wurde auf einmal geschätzt: Genau wie Wolken und Wind war es himmlischen Ursprungs.

E.T.A Hoffmann regte an, die ollen Opern doch mit einer herrlichen Symphonie zu beenden; dieser Vorschlag wurde allerdings nicht umgesetzt. Aber: Es gab in den Jahrzehnten danach durchaus Komponisten, die die Oper nicht mehr mit Worten enden ließen, sondern nach den letzten Sätzen ein bisschen Instrumentalmusik anboten. Der Dozent meinte: „Ich spiele Ihnen mal ein Beispiel eines solchen Schlusses vor“, legte eine CD ein, drückte auf Play – und ich kämpfte mit den Tränen. Es war der Schluss der „Götterdämmerung“, der mich auch im Opernhaus jedesmal fertig macht, aber da habe ich vier Stunden Zeit, mich darauf vorzubereiten. Hier wurde ich in meine Lieblingsmusik geschmissen und war so ergriffen wie selten. Als die drei Minuten verklungen waren, fragte der Dozent: „Das kennen Sie, oder?“, worauf der halbe Kurs gelangweilt murmelte: „Götterdämmerung.“ Die kennen das! Die sind 20 und kennen das! An mein Herz, Jugend von heute!

In der Kunstgeschichte 500 bis 1500 sind wir gerade in der Gotik. Der Dozent quengelte mal wieder, dass wir durch die neue Studienordnung für nix mehr Zeit hätten, weswegen die Gotik nur lausige zwei Sitzungen bekäme. Jetzt, wo ich mit ihm virtuell durch die unfassbaren Kathedralen von Laon, Chartres, Reims und Amiens spaziert bin, quengele ich auch.

Der Dozent erwähnte das schöne Wort „Turmwut“, weil in der Gotik gerne mal auf alles Türmchen gesetzt wurde, und ballerte uns, wie jede Woche, mit Fachausdrücken voll, die ich mir allmählich mal auf Karteikarten schreiben und auswendig lernen sollte. Das klingt dann ungefähr so: „Ein dreischiffiges Lang- und Querhaus in Kreuzstruktur, fünfschiffiger Chor mit doppeltem Umgang und Kapellenkranz, über dem Arkadengeschoss das Triforium mit vier Fenstern – wir sagen trotzdem TRIforium dazu –, Lanzettenfenster im Obergaden, polygone Dienste um die Säulen, runde Dienste um die Pfeiler.“ Und ich nickte und guckte auf die Folien vorne und war verknallt in die französischen Baumeister, die vor 800 Jahren so viel filigrane Schönheit in die Gegend gebaut haben.

Abends mit @fehlpass und dem temporären Mitbewohner das Hollandspiel geguckt und es in jeder Sekunde bereut. Immerhin gab’s Flips und Bier. Für unsere Verhältnisse total früh im Bett gewesen und erstaunlich wenig Alkohol getrunken. (Meine Leber freut sich sehr auf die eigene Wohnung. Der Rest ist hin- und hergerissen. Es ist halt doch ganz schön gemütlich hier, und es bringt einem dauernd jemand gekühlte Getränke. Womit wir wieder bei Punkt 1 wären: Meine Leber freut sich sehr auf die eigene Wohnung.)

Donnerstag

Vom Stromausfall nix gemerkt, vom iPhone geweckt worden, wir hatten Strom, das einzige, was ich noch mitbekommen habe, waren die brechend vollen U-Bahnen um 9.30 Uhr in Richtung Uni. Das war aber wider Erwarten sehr amüsant, weil wir einen klasse Fahrer hatten, der „meine“ vier Stationen fast komplett durchgequatscht hat (bitte entschuldigen Sie die fürchterliche bairische Transkription, für Verbesserungsvorschläge wäre ich sehr aufgeschlossen): „Jetzt rückts amoi zusamm, dann kimma auch alle nei. … Erst aussteign lossn, dann nei mit eana … nah, jetzt fahrn ma los, wir nehmen auch keine blonden Frauen mehr mit … jetzt lossts amma den Rollstuhlfahrer nei … kimmats hier nach vorn, do ist noch Platz, die lächeln auch alle …“ Beim Aussteigen zeigten viele Mitfahrende dem Fahrer den Daumen nach oben oder bedankten sich für den Spaß, den sie hatten.

In der ersten Vorlesung „Die Messe in der Renaissance“ schaffte es der Dozent allen Ernstes, in 15 Minuten einen gedanklichen Bogen von der Messe zu Musik in Computerspielen zu schlagen, Stichwort Gebrauchsmusik. Ich kann das nicht wiedergeben, ich habe beim faszinierten Zuhören das Mitschreiben vergessen. Und ich kann endlich diesen seltsamen „Mittelalter-Klang“ (ja, ich weiß, die Renaissance ist nicht das Mittelalter, aber fast) benennen, also den Tonabstand, den ich immer mit dieser Zeit da ganz früher verbinde: Es ist die olle Quarte, die langweilige Tante.

Bei den „Skulpturen der Romanik“ gab’s dieses Mal endlich was Nachvollziehbares, nicht wie sonst ein hysterisches Springen von Kirche zu Kirche, um ein Kapitell hier und ein Tympanon da anzugucken. Das hat mir diese Vorlesung bis jetzt jedenfalls eher madig gemacht; ich schreibe hektisch mit, weil der Dozent seine Folien nicht rausrückt und habe einen Riesenbildband gekauft, um jetzt stumpf Bilder auswendig zu lernen, die eventuell in der Klausur drankommen könnten. (Mir fällt keine andere Art ein, mich vorzubereiten.) Mir fehlt aber die Begeisterung, die bis jetzt alle anderen Dozierenden in mir wecken konnten – vielleicht weil sie besser einordnen, weil sie aufzeigen, was so toll an den Dingen ist, die sie uns nahebringen. Diese Vorlesung ist ein nicht enden wollender Diavortrag, und er ist nicht besonders gut.

Dieses Mal hat’s aber funktioniert: Wir blieben in Cluny bzw. St-Madeleine in Vézelay, wo wir wunderschöne Kapitelle zu sehen bekamen, die eben keine Einzelmeister waren, sondern in sich einen geschlossenen Zyklus bildeten. Wenn Sie sich das bitte mal selbst in der Wikipedia durchlesen möchten? Vor allem die „mystische Mühle“ fand ich großartig. Zum ersten Mal habe ich die Schönheit der romanischen Skulptur nachvollziehen können – aber vielleicht klappt das auch nur, weil ich in anderen Kursen inzwischen was über die Ottonen und die Karolinger gelernt habe und nun weiß, woher die Romanik ihre Formen bezieht.

Telekom-Mensch beim Anschließen des Routers zugeguckt. Konnte danach trotzdem kein W-LAN in meiner leeren Wohnung einrichten, weil ich den Adapter für das Netzkabel vergessen hatte. Das MacBook Air ist so wunderschön und ich liebe es sehr, aber diese nicht vorhandenen Anschlüsse machen mich fertig.

Der temporäre Mitbewohner guckte sich die Jahreshauptversammlung des FC Bayern vor Ort an; ich ließ mich als Schönwetterfan beschimpfen, aß Brezn, lungerte auf dem Sofa rum, guckte Serien und checkte bei der Lufthansa ein. Ab nach Hause.

November-Journal, 14.11.2012

Mein einziger Dienstagskurs beginnt um 12 Uhr. (Jaha, ich weiß, 12 Uhr, das ist dann, wenn in der Agentur langsam das mittägliche Magenknurren beginnt.) Mein Wecker klingelt jeden Tag um 8; den Luxus gönne ich mir, ihn von 7 vorzustellen, an dem er zu Agenturzeiten immer geklingelt hat. Das heißt, eigentlich bin ich um spätestens 9.15 Uhr geduscht, geschminkt, abgefrühstückt und zu allem bereit – außer das MacBook spielt gerade Serien, die Decke ist so schön warm und ich muss ja erst um 12 in der Uni sein. Anstatt also um 10 in der Bibliothek zu sitzen, guckte ich „Castle“ und „How I Met Your Mother“, dem ich immer zubrülle, please meet her fast, I can’t stand this show anymore, what happened, I used to love you so much, and stop making your fucking fatty jokes, assholes. Dann entschlummerte ich noch mal, denn die Decke ist so schön warm und ich muss ja erst um 12 in der Uni sein. Da ich aber erst um kurz nach 11 wieder wach wurde, war ich erst um 12.14 in der Uni, eigentlich hatte man schon halb angefangen mit dem Porträtkurs, und die schönen Sitzplätze waren auch weg, aber gut, sitze ich halt hinten neben den beiden Blondchen, die lieber quatschen als zuhören.

Ein junger Mann hielt ein Referat über Jan van Eycks Rolin-Madonna, das eher konfus war, mir aber aufzeigte, wie ich mein eigenes Referat strukturieren sollte, das ich in zwei Wochen halte.

Den Probelauf habe ich schon hinter mir, denn nach der Uni saß ich noch vier Stunden in der Bibliothek und las und las und las; danach ging ich in meine Wohnung und wartete auf den temporären Mitbewohner, der die montäglichen Ikea-Einkäufe noch im Kofferraum spazierenfuhr. Ich wartete etwas länger als erwartet, und als ich keine Lust mehr hatte, Twitter zu lesen oder auf dem iPhone Sudoku zu spielen, erzählte ich meinem leeren Schlafzimmer einfach etwas über Hans Memling und seine Andachts-Diptychen. Dabei bemerkte ich, dass ich meinen Referatstoff schon ziemlich gut drauf habe, was mich sehr gefreut hat. Mein Schlafzimmer bestimmt auch.

Den Abend verbrachte ich mit dem temporären Mitbewohner und Herrn Knüwer, der gerade ein paar Tage in München ist. Wir hörten auf eine Empfehlung von Cucina Casalinga, die mir den ältesten Italiener Münchens ans Herz legte, die Osteria Italiana. Kann man machen. Sehr gut sogar.

November-Journal, 13.11.2012

Profitipp: Wer sonntags in die Unibibliothek geht, kann montags entspannt Serien gucken. Habe ich den ganzen Vormittag gemacht und bin dann einkaufen gegangen, meine Wohnung weiter darauf vorbereiten, dass ab nächste Woche endlich jemand in ihr wohnt.

Zunächst das Wichtigste: Weingläser und Teekanne. Beim Kaufhof am Marienplatz erstanden, in die Wohnung geschleppt, dann zum benachbarten Karstadt an der Schleißheimer Straße gegangen. Schneidbrett, Waage, Messbecher, Nudelholz, Plastikschüsseln, Teigschaber, Suppenkelle, Tupperdosen, was man halt so braucht. Innerlich Frau Lu verflucht – früher hätte meine Küchenausstattung aus einem Rost, Backpapier und einem Karton für die leeren Pizzaschacheln bestanden, heute denke ich ernsthaft darüber nach, ob ich noch eine Nudelmaschine und einen Zestenreißer brauche. Was natürlich in Hamburg vorhanden ist, weswegen es mir schwerfällt, es noch einmal zu kaufen. Zwei Nudelmaschinen braucht wirklich niemand.

Danach vom temporären Mitbewohner ein weiteres Mal zu Ikea chauffiert worden, um endgültig die Küche vollzustellen. Abends gab’s Carnage auf DVD, den ich okay, aber nicht total toll fand.

November-Journal, 12.11.2012

Morgens die totale Streberin gemacht und für vier Stunden im Lesesaal der Zentralbibliothek verschwunden. Alleine zwei Stunden über Beethovens Klaviertrio Op. 1 gebrütet. Nachdem wir in der letzten Stunde den ersten Satz durchgekaut haben, kommen nächstes Mal die letzten drei Sätze dran. Ich suchte also nach der Grundtonart, Variationen, Imitationen, lustigen Akkordfolgen, die mir irgendwas sagen wollen – und nach und nach war das ganze Notengewirr kein Notengewirr mehr, sondern eine verdammt clevere Ansammlung von Tonfolgen, die mich sogar in Schriftform begeistern konnten, ohne dass ich sie höre. Nebeneffekt: Ich höre jetzt auch bei Popsongs genauer hin und suche Wiederholungen, Terzen, Synkopen. Der temporäre Mitbewohner meint: „Du hast deine Unschuld verloren.“ Ich meine: Das ist alles sehr aufregend.

Danach zu meiner Wohnung gefahren und die Saturn-Einkäufe von vorgestern aus ihren Pappkartons befreit. Der temporäre Mitbewohner war von der Hochgeschwindigkeit entsetzt, mit der ich durch den Elektromarkt sprintete: Die Nespresso-Maschine hatte ich mir vorher ausgesucht, der Rest war Spontankauf. „Du musst doch vergleichen, dich informieren, Testberichte lesen …“ (ab hier habe ich nicht mehr zugehört.) Ich kaufe, was mir gefällt. Von einem Staubsauger erwarte ich, dass er staubsaugt. Das werden wohl alle Geräte können, die da vor mir stehen, und wenn er noch halbwegs okay aussieht und kein Monatsgehalt kostet, passt das. In nicht einmal 45 Minuten waren wir wieder draußen. Der Mitbewohner hatte Schnappatmung und ich ein befriedigtes „Keine Zeit für Quatsch verschwenden“-Gesicht.

Meine Eltern angerufen, die immer noch etwas zögerlich auf meinen München-Enthusiasmus reagieren. „Aber du hast doch so einen guten Job.“ Ja, Mama. „Du brauchst das doch gar nicht.“ Nein, Mama. „Und was das kostet!“ Wem sagst du das, Mama. Sie versuchen sich für mich zu freuen, aber so ganz haut das nicht hin.

Die beiden haben quasi ihr ganzes Leben lang gearbeitet, weswegen es für sie schwer nachzuvollziehen ist, wie jemand freiwillig einen Job ruhen lässt, bei dem man mehr verdient als es die beiden jemals hinbekommen haben. Ich war aber sehr gerührt davon, dass mein Papa mich während des ganzen Immatrikulationsstresses anrief und mir sehr lange seine Laufbahn beschrieb, während der er auch mal den Wunsch verspürt habe, sich zu verändern, etwas anderes zu machen. Hat er aber nie, und im Nachhinein war das auch die richtige Entscheidung. Dagegen konnte ich natürlich nicht anstinken, denn außer „Ich mach das, weil ich das gerade will“ habe ich argumentativ nicht viel zu bieten. Wobei ich als Wohlstandskind ja eh nix zu bieten habe, was gegen die Kriegsgeneration anstinken kann. Ich weiß sehr wohl, was meine Eltern geleistet haben – abgesehen von so cleveren Ideen wie die zehnjährige Anke in eine Wagner-Oper oder in eine Ausstellung über ägyptische Kunst zu schleppen –, und das sage ich ihnen auch. Aber umgekehrt hadern sie noch etwas damit, dass ich mich auf einmal mit Dingen „hauptberuflich“ beschäftigen will, die doch eher für die Freizeit da sind. (Stichwort „brotlose Kunst“.)

November-Journal, 11.11.2012

Morgens Saturn leergekauft: Staubsauger, Wasserkocher, Nespresso-Maschine – jajaja –, Stabmixer, Docking Station fürs iPhone zum Beschallen der Küche, Radiowecker zum Beschallen des Badezimmers und damit ich morgens nicht rumtrödele, was ich im Bad sehr gerne mache, Sie kennen das, kurz vor der Arbeit noch mal schnell ein Musical durchsingen; und einen DruckerKopiererScanner. Mit Kabeln und Papier und Mehrfachsteckdosen und ich glaube, das war’s.

Danach Lebensmittel eingekauft, was nicht ganz so einfach war, weil eine Demo auf eine Gegendemo traf und viele nette Menschen in schicken Uniformen uns den Weg weiträumig absperrten. Trotzdem irgendwie durchgekommen, ein verspätetes Weißwurstfrühstück eingenommen, und dann haben wir uns auf den Weg in die Allianz-Arena gemacht. Ich hatte keine Karte, hoffte aber auf den Schwarzmarkt nette Menschen mit Karten in Stadionnähe. Diese Menschen waren allerdings extrem spärlich verteilt – das kenne ich von so gut wie allen Champions-League-Spielen anders –, weswegen ich traurig den Rückweg antrat und schon am U-Bahnhof war, als mein Handy klingelte. Der temporäre Mitbewohner (mit Dauerkarte) hatte direkt vor dem Stadion noch zwei nette Menschen mit Karten getroffen, die ihre 60-Euro-Karte allen Ernstes für 50 Euro loswerden wollten. Anstatt in die gerade einfahrende U-Bahn zu klettern, spurtete ich den Kilometer zur Arena zurück, nahm die Karte in Empfang und schleppte mich über gefühlte zehn Stockwerke in den Oberrang, von wo die Sicht weitaus besser ist als es das verschwommene iPhone-Foto wiedergeben kann. Aber gucken Sie mal, wie schön das Rot der Außenhaut in die oberen Aufgänge scheint.

Nach dem Spiel müde, aber zufrieden (2:0) Hähnchen (yay!) mit Kartoffelpüree (nay!) vom Lindwurmstüberl geholt, bei der Sportschau verzehrt, danach versucht, Tinker, Tailor, Soldier, Spy zu gucken, was ich nach 30 Minuten quengelnd unterband („Laaaangweiliiiig!“), woraufhin Charade im DVD-Player landete, was weitaus mehr Spaß machte.

“You’re blocking my view.”
“Which view would you prefer?”
“The one you’re blocking.”