Filmfest München 2013 (1)

Mein zweites Jahr beim Filmfest München – und dieses Mal habe ich nicht nur zwei Tage zur Verfügung, sondern alle acht. Theoretisch, denn der liebste Lieblingskerl von allen besucht mich (AUSGERECHNET!) nächste Woche zum ersten Mal in meiner zweiten Heimat, weswegen ich diese Tage filmfrei halte. Außerdem habe ich natürlich Uni, und deswegen quetsche ich geplante 21 Filme in fünf Tage.

Die Programmauswahl habe ich dieses Mal mit Frau Bechdel und ihrem Test im Hinterkopf gemacht. Jungsfilme – also Filme, in denen Männer die Hauptrolle spielen oder solche, in denen Frauen nur Deko sind – gucke ich seit 30 Jahren. Reicht erstmal. Deswegen habe ich mir dieses Mal bewusst Filme ausgesucht, die entweder von Frauen gedreht oder geschrieben wurden oder, noch besser, in denen es hauptsächlich um sie geht.

Los geht’s mit einem Film, den ich mir sonst eher nicht angeschaut hätte:

Sinapupunan (Thy Womb), Philippinen 2012
Regie: Brillante Mendoza; Drehbuch: Henry Burgos. Hauptdarsteller_innen: Nora Aunur, Bembol Roco.

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Shalela ist eine Frau in mittleren Jahren, die ihrem Ehemann Bangas-An kein Kind gebären kann. Eine Adoption kommt für ihn nicht in Frage, weswegen er eine weitere Frau heiraten möchte, die ihn zum Vater macht. Thy Womb erzählt von der Suche der ersten Ehefrau nach einer zweiten für ihren Mann.

Der Film macht gleich in den ersten Minuten sein Thema klar, denn wir schauen erstmal bei einer Geburt zu (so nahe wie ich persönlich noch nie einer Geburt zugeschaut habe), und dann sehen wir Hebamme Shalela auf ihrem Heimweg im Bötchem mit ihrem Mann. Sie leben in einem Wasserdorf in der philippinischen Provinz Tawi-Tawi. Auf ihrem Weg zu ihrer Insel sehen wir überall Kinder: spielende, schwimmende, wartende, lachende. Der Film deutet überhaupt eher an, als dass er stringent erzählt; er arbeitet viel mit großen Bildern und kleinen Szenenabfolgen, viel Farbe, Wasser, Himmel, Sonne im Kontrast zu den engen, selbstgezimmerten Wasserdörfern, die auf ihren schlanken Stelzen im glasklaren Ozean stehen. Sie waren für mich stets ein Sinnbild der fragilen menschlichen Beziehungen in ihrer gefühlten Spontaneität, die doch schwerem Regen trotzen kann. Genauso die bunten Matten, die Shalela aus hunderten von Bändern anfertigt – über dieses Geflecht hat sie die Kontrolle, es wird genau so, wie sie es sich vorgestellt hat. Sämtliche weiteren Beziehungen in ihrem Umfeld versucht sie ähnlich zu kontrollieren, aber es gelingt ihr – natürlich – nicht.

Was mich fast mehr als die Geschichte beeindruckt hat, war die Beiläufigkeit, mit der sie erzählt wird. Dass in ein beschauliches, kleines Leben eines hart arbeitenden Ehepaars die Gewalt der Welt mit Fischdieben und Soldaten einbricht, ohne dass sie großartig mit der Wimper zucken. Sie nehmen es hin, wie sie alles hinnehmen – so wie Shalela es hinnimmt, dass ihr Mann eine zweite Frau will. Überhaupt scheint das Leben der beiden ein einziges Sich-Fügen zu sein: in die Religion, in die geforderte Mitgift für die Mutter der Braut, in das, was sie dafür tun müssen, um diese Mitgift zu erwirtschaften.

Thy Womb hat mich in eine mir sehr fremde Welt mitgenommen, und ich musste mich zwischendurch selbst genau daran erinnern. Das ist nicht mein Land, meine Kultur, meine Religion, ja nicht mal mein Essen oder meine Musik. Was auch immer ich von Shalela und ihrem Tun halte – ich muss es hinnehmen, dass hier eine Frau sehr viel für ihren Mann tut, obwohl sie weiß, dass sie dadurch nur Nachteile hat. Ich habe mich diesem Film gefügt und war dementsprechend beeindruckt.

Bechdel-Test bestanden: nein. Der Film ist größtenteils auf das Ehepaar beschränkt; die wenigen Dialoge zwischen Shalela und weiteren Frauen reichen für mich nicht.

Die Trost-Bechdel: Der Film hat eine klare weibliche Hauptfigur.

Finsterworld, Deutschland 2013
Regie: Frauke Finsterwalder; Drehbuch: Frauke Finsterwalder und Christian Kracht; Hauptdarsteller_innen: Michael Maertens, Ronald Zehrfeld, Sandra Hüller, Corinna Harfouch, Margit Carstensen, Johannes Krisch.

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Volltreffer. Schon der Text im Programmheft hatte mich: „Finsterworld spielt in einem scheinbar aus der Zeit gefallenen Deutschland. Ein Land, in dem immer die Sonne scheint, Kinder Schuluniformen und Polizisten Bärenkostüme tragen und Fußpfleger alten Damen Kekse schenken. Jedoch lauert hinter der Schönheit dieser Parallelwelt der Abgrund, und dorthin geht die Reise.“

Und wer jetzt glaubt, das wird so eine kleine schräge Komödie, der liegt gnadenlos daneben. Ja, es gibt haufenweise lustige Szenen, von denen eine ein Dialogsatz ist, der überhaupt nicht zum Lachen ist, aber der im Kontext unfassbar grandios ist. Ich plaudere ihn nicht aus, aber wenn ihr den Film seht, was ich euch dringend raten möchte, dann achtet auf die Antwort der Schulklasse im Bus, nachdem der Geschichtslehrer eine Pinkelpause ankündigt. Ach ja, dieser Bus fährt übrigens gerade in ein KZ, das die Klasse sich anguckt, und das ist natürlich auch überhaupt nicht lustig, sorgt aber für diverse OMG-Momente, die ich sehr genossen habe. Diese Momente machen aus dem Film eben deutlich mehr als die kleine schräge Komödie, und es gibt sie auch noch in einem Altersheim, wo ein Fußpfleger seinen Job fast zu gerne macht oder bei einer Dokumentarfilmerin, die ihre Subjekte eher doof als spannend findet.

Gleichzeitig hat der Film eine ganz eigene Sprache, einen hervorragenden Rhythmus und eine trotz aller Groteske hemmunglose Poesie in Geschichte und Dialog, die mich absolut begeistert hat. Jeder Satz und jede Aktion ist schonungslos, und genau damit entlockt der Film dem Publikum ebensolche Reaktionen. Hier gibt’s kein Man könnte mal … oder Wir sollten vielleicht … nee, hier gibt’s auf die Zwölf, und das sitzt dann auch.

Nebenbei: Ich habe Hornhaut noch nie so ästhetisch in Szene gesetzt gesehen.

Bechdel-Test bestanden: leider nein. Auch hier waren es fast überwiegend gemischte Doppel im Dialog. Die wenigen gleichgeschlechtlichen Dialoge waren zwischen zwei Schülern.

Die Trost-Bechdel: Frauke Finsterwalder hat Regie geführt und zusammen mit Christian Kracht (ja, dem Christian Kracht) das Drehbuch geschrieben.

Foxfire – Confessions of a Girl Gang, Frankreich/Kanada 2012
Regie: Laurent Cantet; Drehbuch: Robin Campillo und Laurent Cantet nach dem Roman von Joyce Carol Oates. Hauptdarstellerinnen: Raven Adamson, Katie Goseni, Claire Mazzarolle, Madeleine Bisson, Paige Moyles, Rachel Nyhuus, Alexandria Ferguson.

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Vier Mädchen gründen im Amerika der 50er Jahre eine Bande – den Film wollte ich sehen. Klang leider besser, als er war. Regisseur Cantet war anwesend (im Bild links) und betonte, dass die Darstellerinnen alles Laien seien, und genau das war ein Grund, warum ich den Film nicht ganz so mochte. Ich hatte des Öfteren „stop acting!“ im Hinterkopf, wenn eine der Damen wieder ein bisschen zu dick auftrug, oder im Gegenzug „start acting!“, was immer Katie Goseni betraf, von der ich gerne mehr als einen Gesichtsausdruck gesehen hätte. (Außerdem musste ich dauernd an Happy Schnitzel denken, aber dafür kann die Dame natürlich nichts.)

Die Mädchen tun sich zusammen, weil ihnen von Jungs und Männern Unrecht getan wird. Erstmal ein hübsches Motiv, aber der Film zeigt blöderweise fast nur Klischeemänner mit Schablonensätzen: Entweder sie sind komplette Arschlöcher oder total nett, was aber egal ist, denn sie kriegen alle auf die Nase. Das mindert die Sympathie zu den Mädels etwas, aber das war nicht mein Hauptproblem. Ich habe die Motivation der Hauptfigur nur schwer nachvollziehen können; warum sie die Bande gründet, ist klar, sie will sich rächen, Stärke zeigen, nicht mehr allein sein. Aber auch, als sie Menschen kennenlernt, die sich ehrlich um sie bemühen, bleibt sie dabei, dass die Welt widerlich ist, weswegen sich die abschließende Eskalation übertrieben angefühlt hat. Außerdem ist Foxfire mit 143 Minuten ein ziemlicher Brocken für eine leider recht kleine Geschichte.

Und, die übliche persönliche Notiz zum Schluss: Es gibt tollerweise ein dickes Mädchen in der Gang. Weniger toll: Blutüberströmte Mädchen auf der Leinwand – kein Ding. Mädchen, denen Gewalt angetan wird – da stehen wir wortlos drüber. Aber wenn ein dickes Mädchen im BH oder im Bikini zu sehen ist, muss man das anscheinend dringend mit der Begleitung besprechen. Nerv.

Bechdel-Test bestanden: mit Bravour.

Mr. Morgan’s Last Love, Deutschland/Belgien 2013
Regie: Sandra Nettelbeck; Drehbuch: Sandra Nettelbeck nach einem Roman von Françoise Dorner. Hauptdarsteller_innen: Michael Caine, Clémence Poésy, Justin Kirk, Jane Alexander, Gillian Anderson.

Nach dem langen Meh-Film hatte ich netterweise was fürs Herz zum Abschluss. Die Geschichte klang zwar eher nach Klischee – alternder Witwer in Paris trifft junge Frau –, aber Sir Michael Caine spielt den Witwer und war zudem persönlich anwesend. Gekauft.

Der Film hat mich dann doch sehr positiv überrascht, was zum einen am leichtfüßigen Drehbuch lag und zum anderen am Sir, der mich sowohl hemmungslos lachen und fünf Minuten später ebenso hemmungslos weinen ließ. Natürlich geht es um den Tod und wie wir mit ihm umgehen, aber auch um Familie, Freundschaft und den letzten Gang, den jeder so antreten sollte, wie er oder sie möchte. Im Mittelteil hätte ich gerne ein bisschen was gekürzt; so hat es mich zwar sehr gefreut, Gillian Anderson mal wiederzusehen, aber ihre Figur hat die Geschichte kein winziges bisschen weitergebracht. Und da ich zwei ältere Herren als Nachbarn hatte, die beide die Armlehne als ihr persönliches Eigentum betrachteten und ich außerdem in der dritten Reihe im Carl-Orff-Saal im Gasteig saß und mir den Hals verrenkte, wäre ich persönlich für 15 Minuten weniger Film sehr dankbar gewesen. Auch das Ende zögert sich gefühlt zu sehr hinaus, aber darüber haben mich der routinierte Caine, die bezaubernde und ganz und gar ungekünstelte Poésy und mein ständiger Schmachtfetzen Kirk gut hinwegtrösten können.

Beim anschließenden Q&A – nach einem langen Schlussapplaus – waren dann auch alle guter Laune. Der Produzent der Bavaria erzählte, dass er 1994 zum ersten Mal beim Filmfest war; damals war Quentin Tarantino anwesend und er selbst hatte keine Chance auf eine Karte. Ein Freund von ihm war allerdings Vorführer, und deswegen sah er den Film aus der Vorführerkabine. “And now I’m standing here on stage.” Ich mag solche Geschichten. Auch Poésy hatte mich mit einer ihrer ersten Bemerkungen. Nettelbeck wurde gefragt, wie sie auf Poésy gekommen wäre, woraufhin sie meinte: “We had lunch and she stole my heart.” Poésy: “I stole your fries.” Nettelbeck: “In that order.” Und natürlich hing ich an den Lippen von Michael Caine und war zugegebenermaßen etwas star struck. Er wurde gefragt, warum er diese Rolle angenommen habe: “I am retired. But if someone offers you such a beautiful lead as an 80-year-old man – you take it. Usually, roles for old men are comedy. You have to fall down a lot.”

Nettelbeck erzählte auch, dass sie Caine im Hinterkopf hatte, als sie das Buch schrieb – “something you should never, ever do. What do you do if he declines? I got very lucky.” Auch wegen ihm schrieb sie Referenzen an alte Rollen oder seine Autobiografie ins Drehbuch, zum Beispiel die Liebe zu e.e.cummings, die auch Caines Figur in Hannah and her Sisters hatte. Oder seine Alkoholabhängigkeit, wo sie fast wörtlich aus seiner Autobiografie zitierte: “I used to try alcohol for a while. It didn’t work.” Woraufhin Caine beim C&A meinte: “Someday I just wasn’t thirsty anymore.”

Bechdel-Test bestanden: nein. Schon wieder ein Pärchenfilm.

Die Trost-Bechdel: Regie und Drehbuch von Sandra Nettelbeck.

< quote >

„Die sechziger Jahre waren ein Paroxysmus der Stile, in dessen Verlauf, so will mir scheinen – und auf dieser Grundlage sprach ich überhaupt vom „Ende der Kunst“ –, es allmählich, zuerst durch die nouveaux réalistes und dann durch die Pop-Art, klar wurde, daß Kunst im Vergleich zu den von mir „bloß reale Dinge“ genannten Objekten kein bestimmtes Aussehen aufweisen mußte. Um mein Lieblingsbeispiel anzuführen: Nichts braucht äußerlich einen Unterschied zwischen Andy Wahrhols Brillo Box und den Brillo-Kartons im Supermarkt zu markieren. Die Konzeptkunst hat gezeigt, daß ein Werk der bildenden Kunst nicht einmal ein greifbares visuelles Objekt erfordert. Das heißt, daß sich die Bedeutung von Kunst nicht mehr anhand von Beispielen lehren ließ. Es bedeutete, das Erscheinungsbild betreffend konnte alles Kunst sein und man mußte von der sinnlichen Erfahrung auf das Denken umschalten, um herauszufinden, was Kunst war. Kurz gesagt, man mußte sich an die Philosophie wenden. (…)

Erst als klar wurde, daß alles Kunst sein konnte, war philosophisches Denken über Kunst möglich. Das war der Auslöser für eine wirklich allgemeine Kunstphilosophie. Und die Kunst selbst? Wie stand es mit der „Kunst der Philosophie“ – um den Titel von [Joseph] Kosuths Essay [Art After Philosophy, 1969] zu verwenden, der selbst ein Kunstwerk sein könnte? Wie steht es mit der Kunst nach dem Ende der Kunst, wobei „nach dem Ende der Kunst“ in meinem Diskurs „nach dem Erstehen philosophischer Selbstreflexion“ bedeutet? Wobei ein Kunstwerk aus einem beliebigen Objekt bestehen kann, das als Kunst ins Recht gesetzt wird und die Frage aufwirft: „Warum bin ich Kunst?“

Mit dieser Frage war die Geschichte der Moderne vorbei. Sie war vorbei, weil die Moderne zu sehr lokal beschränkt und zu materialistisch war, da es ihr um Form, Oberfläche, Pigment und dergleichen ging, die alle den Reinzustand der Malerei definierten. (…) Mit dem philosophischen Mündigwerden der Kunst wird das Visuelle (…) unwichtig, ist fortan so wenig relevant für das Wesen der Kunst, wie sich die Schönheit als nicht relevant erwies.“

Danto, Arthur Coleman: Das Fortleben der Kunst, München 2000, S. 35–39.

„Let My Baby Ride“

Holy Motors gesehen. Holy shit, was für ein großartiger Film.

Fototagebuch der letzten Wochen

Die Rote Nacht der Bars am 8. Juni startete in der okayen Bar 45, führte @probek und mich dann ins charmant-ranzige Beverly Kills, anschließend ins Negroni, das leider völlig überfüllt war, und schließlich zum stilvollen Ausklang in die Falk’s Bar des Bayerischen Hofs. Dort zahlten wir übrigens für den Cocktail, mit dem wir den Abend für 4,50 Euro begonnen hatten, 12,50. Netterweise stehen die Rezepte auf der Campari-Seite, der Tocco Rosso gehört inzwischen zu meinen Lieblingen und er kostet nur einen Bruchteil, wenn ich ihn zuhause mixe.

Fisch schwimmt ja bekanntlich gern. Das hier war laut Flickr-Pool mein Abendessen am 11. Juni.

Am gleichen Tag hielt ich mein erstes Referat in diesem Semester, und das war ziemlich gut. Im ersten Semester ließ unsere Dozentin uns noch lustig reden und grätschte nur rein, falls wir kompletten Quatsch erzählten. In diesem Semester ist der Tonfall etwas rauer. Neulich fragte sie spaßeshalber ein paar Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts ab, und als nicht alles wie aus der Pistole geschossen kam, knurrte sie: „Wenn Sie das alles nicht interessiert, wieso studieren Sie das dann?“ Auch im Propädeutikum gab’s die erste Breitseite, als nach einem Autor gefragt wurde, den wir garantiert im ersten Semester gehört hatten, ganz egal bei wem wir im Kurs gesessen hatten. Es wollte sich so recht niemand melden, woraufhin die konsternierte Frage der Dozentin kam, ob das bei uns alles nur so durchrausche.

Zurück zum Skulpturenkurs, wo ich das Referat gehalten habe. Dort war ich sehr glücklich, ein bisschen über den Tellerrand weggelesen zu haben. Denn in diesem Semester lässt uns die Dozentin eben nicht mehr lustig reden, sondern fragt dauernd dazwischen. Und dann ist es ziemlich prima, gelassen „Futurismus“, „Boccioni“ und „Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum“ sagen zu können – und sogar noch das Bild dazu auf dem Rechner zu haben. Nicht das abgebildete, das ist der Titel meiner Präsentation gewesen.

Einen Tag später redete ich in Musikwissenschaften über Bachs Weihnachtsoratorium, Parodien, Figuren und Affekte, und das war ziemlich fürchterlich. Meine beknackte Erkältung hatte meinen schönen Fahrplan komplett ruiniert, weswegen ich nur eine lausige Woche Vorbereitungszeit hatte. Ja, das reicht natürlich theoretisch, um irgendwas zu erzählen, aber wie eben schon erwähnt, weiß ich, wenn ich vor Leuten spreche, immer gerne etwas mehr als ich müsste. Ich will mich sicher fühlen, und das hat hier überhaupt nicht geklappt. Roten Faden verloren, Fragen vergessen, zu aufgeregt gewesen (ist mir lange nicht passiert), und es entspann sich keine gute Diskussion mit den Kommilitonen und Kommilitoninnen, was der Sinn der Übung war. Ich habe mir brav von der Dozentin Feedback geben lassen, die mich erstmal fragte, wie ich es fand, was ich wahrheitsgemäß mit „nicht gut“ beschrieb und aufzählte, was mich alles gestört hatte, woraufhin sie nickte und meinte, das sei alles schön reflektiert gewesen und genau das gleiche hätte sie mir auch erzählt. Na super. Trotzdem sähe sie bei mir Potenzial und ich hätte mich total unter Wert verkauft, denn so würde sie mich nicht aus dem Unterricht kennen. Es bleibt der blöde Nachgeschmack, dass ich ein Geschichtsreferat um Klassen besser hingekriegt hätte. Musik überfordert mich manchmal, sobald es um die technisch-funktionale Seite geht und nicht mehr um die knuffig-emotionale. (Vielleicht hätte mich das Fach Musikwissenschaft misstrauisch machen sollen.)

Deswegen war Singen eine Wohltat. Neu auf meinem Notenständer: meine Lieblingsarie aus Turandot. Gesangslehrerin so: „Ges-Dur? Das begleite ich nicht. Sing’ nen Halbton höher.“ Ich so: *nachluftschnapp* Sie so: „Scherz. Ich hab’ ne CD mit Begleitung. Dann kannst du wieder mit Orchester singen.“ Ich so: *swooooon*

Was mich außerdem wieder aufgerichtet hat: Von meinem Lieblingsperlwein Le 7 stehen jetzt 48 Flaschen in München. Schmeckt solo und mit den ersten Erdbeeren der Saison.

Und wie immer, wenn ich nölig bin, müssen Bücher gekauft werden. Die hier kann ich sogar steuerlich absetzen. Die zwei Bände zu den Klassikern der Kunstgeschichte stammen von einem meiner Dozenten (der übrigens gerade Vollbart trägt, was sehr sexy ist, aber das nur nebenbei). Der Benjamin ist auch ein Klassiker, und aus der Very Short Introduction haben wir im Propädeutikum zwei Kapitel gelesen, die mir sehr gut gefallen haben, weil sie einen Hauch Genderpolitik und die Sicht von nicht-europäischen Ländern auf die Kunstgeschichte ins Spiel brachten. Daher lese ich den Rest des Buchs natürlich auch. Und die Legenda aurea kommt in meine Mittelalterecke im Regal.

Dienstag abend feierte der charmante Herr @fehlpass seinen Geburtstag nach und lud ins Lindwurmstüberl. Schöner Abend mit vielen netten Jungs und noch mehr Bier. (Okay, Radler. Es ist zu heiß.)

Mein neuer Lieblingsdozent sagt übrigens Sätze wie den hier:

Eine meiner Lieblingsperspektiven in der LMU. Man muss nur die breite Haupttreppe bis in den ersten Stock raufklettern, und dann kann man aus den Fenstern auf die Springbrunnen gucken. Ein Stockwerk höher wartete gestern die Musikgeschichte auf mich, in der wir uns mit Herrn Mahler und seinen Sinfonien auseinandergesetzt haben. Gehört haben wir in Ausschnitten unter anderem den ersten Satz der 10. Sinfonie.

Mein Abendessen von gestern. Mehr Tagebuch geht echt nicht.

< quote >

„Seit dem 15. Jahrhundert lassen Fürsten, einen antiken Brauch wieder aufgreifend, ihre Bildnisse in Medaillen prägen. Diese Bildnismedaillen tragen auf der Vorderseite, auf dem Avers, das Porträt des Herrschers, meistens im Profil, und auf der Rückseite, dem Revers, ein Sinnbild, eine Devise, mit einem kurzen Sinnspruch. Diese Ehrenmedaillen wurden auf mannigfache Weise verwendet: Sie wurden bei Neubauten in den Grundstein gelegt; zu besonderen Anlässen, etwa bei fürstlichen Hochzeiten oder Einzügen, unter das Volk geworfen, und man hat sie verdienten Untertanen oder hohen Besuchern als Auszeichnung übergeben. Bald wurden sie in Silber oder Gold geprägt und man verlieh sie an goldenen Ketten, so daß der Geehrte das Bildnis des Fürsten auf der Brust tragen konnte; wir sehen sie häufig an solchen Ehrenketten auf gemalten Bildnissen seit dem 16. Jahrhundert. Neben dem materiellen Wert, den solche Medaillen haben konnten, hatten sie einen hohen ideellen Wert, da ihr Träger sich als jemand ausweisen konnte, der vom Fürsten persönlich ausgezeichnet wurde. Indem der Fürst seine Medaille an Untertaten, Gesandte oder befreundete Fürsten überreichte, stiftete er eine persönliche Beziehung zu dem Geehrten und sicherte er sich auch emotional dessen Loyalität.

Im 18. Jahrhundert gewinnt neben der Medaille auch die Bildnisminiatur an Bedeutung, die man in Aquarellmalerei auf dünne Elfenbeinplatten übertrug. Auch sie wird vom Fürsten wie eine Ordensauszeichnung verliehen und an Bändern über der Brust getragen.

Diese Praxis der Loyalitätsstiftung über ein persönlich überreichtes Bildnis ist bis heute nicht aus dem Gebrauch gekommen, wenn auch die Medaillenübergabe in dem geschilderten Rahmen selten geworden ist. Aber schon Kaiser Wilhelm II. hat die Praxis auf eine Massenbasis zu stellen gewußt, indem er Postkarten mit einer fotografischen Aufnahme von sich und seiner Unterschrift massenhaft herstellen und verbreiten ließ. Staatsmänner und Diplomaten verweisen heute auch noch stolz auf Bildnisfotos mit persönlicher Widmung, die ihnen von Mächtigen dieser Welt überreicht worden sind. Auf einer anderen Ebene haben in den siebziger Jahren Aufkleber, Plakate und Anstecknadeln mit dem Bildnis Che Guevaras Solidaritätsempfindungen zum Ausdruck gebracht. Im nichtpolitischen Bereich aber ist das Verfahren gerade zu einem eigenen Industriezweig ausgewachsen: Im Auftrag von Firmen liefern Stars aus Film, Unterhaltungsmusik und Sport unterschriebene Bildnisse, Covers oder Poster; sie stellen sich auch zu Autogrammstunden zur Verfügung. Noch immer hat diese Praxis der Bildübermittlung die Funktion einer Loyalitätsstiftung, hier zwischen einem Fan und seinem Idol. Die Funktion des gewidmeten Bildes ist geblieben und ausgebaut, obwohl keine Künstlerspezialisten mehr von Hof zu Hof ziehen, um Medaillen und Miniaturen herzustellen: der Medienwechsel hat der alten Funktion neuen Auftrieb gegeben.“

Warnke, Martin: Das Bild als Bestätigung, in: Busch, Werner (Hrsg.): Funkkolleg Kunst II. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, München 1991, 2. Aufl., S. 502–503.

Womit ich mal wieder geschickt einen Buchtipp angebracht hätte. Der Funkkolleg ist nur noch gebraucht zu kriegen, kostet dafür aber so gut wie nix mehr und ist für mich als kleines Zweitsemester eine großartige Fundgrube. In den zwei Bänden wird so ziemlich alles Wichtige angerissen, womit die Kunstgeschichte sich beschäftigt, und es wird gerne an den klassischen Beispielen erklärt, denen ich auch in der Uni begegne. Zusätzlich lernt man ein paar Namen von Kunsthistorikern kennen, die einem auch immer wieder über den Weg laufen, denn die Bücher wurden von vielen verschiedenen Autoren geschrieben (29 Kerle, eine Frau. Grrr). Wer also mal kurz in mein Fach reingucken will – das hier wäre eine prima Gelegenheit.

Nebenschauplätze

Der naive Plan war: Ich nehme mir eine Auszeit von der Werbung, studiere was Nettes, um den Kopf wieder ein bisschen mehr anzustrengen, um dann nach drei Jahren als frischgebackene kluge Bachelorette wieder Werbung zu machen.

Die unangenehme oder auch total tolle Realität: Seitdem ich meine Füße zum ersten Mal in die LMU gesetzt habe, ist die Werbung eine elende Nervensäge geworden und das Studium ein Paradies auf Erden.

Mein Widerwille, sich mit Reklame zu befassen, ist kaum zu beschreiben. Ich würde im Moment lieber kellnern gehen als weiterhin Kram zu texten, den kaum jemand lesen will und den meist niemand braucht. (Mein Rücken findet texten allerdings netter als kellnern. Man ist ja keine 40 mehr.) Ja, meine Kataloge holen die Leute sich freiwillig, aber trotzdem: Ich mag gerade nicht. Und ich mag eigentlich schon seit längerer Zeit nicht mehr, sonst hätte ich die Idee mit dem Studium gar nicht erst gehabt.

Mein derzeitiges Luxusproblem: Da ich nur etwas studieren wollte, das mich interessiert und nicht etwas, das mich eventuell beruflich weiterbringt (ich hab ja nen Beruf), habe ich eben Kunstgeschichte und Musikwissenschaften gewählt. Ich merke allerdings in jeder Unterrichtsstunde und Vorlesung mehr, dass ich wirklich gerne was im Bereich Kunstgeschichte machen würde. Ja, ich weiß, die Welt wartet nicht auf 46-jährige Kunstbachelorettes oder 48-jährige KuGi-Masters, aber sie hat auch nicht auf orientierungslose Studienabbrecherinnen gewartet, die bloß nen Copytest ausgefüllt haben, und trotzdem ist aus mir was geworden. Und wenn ich mir mit 48 einen neuen Job schnitzen muss, dann mach ich das eben. (Oder ich ziehe zu meiner Schwester, die mich mit Essen dafür bezahlt, dass ich ihre Wohnung aufräume. Vielleicht kriege ich sogar Taschengeld.)

Um wieder auf das Problem zurückzukommen: Als Ergänzung zu Kunstgeschichte ist Musikwissenschaft eher suboptimal. Also nicht völlig daneben, aber es gäbe schlauere Nebenfächer. Zum Beispiel Geschichte, das ich ja sogar schon mal studiert habe, wenn auch ohne Abschluss. Bei jedem kunstwissenschaftlichen Buch zieht es mich zu Geschichtsbüchern aus der Epoche, in jeder Vorlesung bastele ich mir im Kopf um die Bilder die Zeitläufe herum, in denen sie entstanden sind, um sie irgendwie einzunorden. Wenn ich mir meine Sachbuchvorlieben angucke, findet sich da neben Kunst, Musik, Futter und Fußball so gut wie nur Historisches – und das lese ich freiwillig und in meiner Freizeit. Warum dann nicht in der Uni?

Der eventuelle Nebenfachwechsel hat noch einen anderen Hintergrund: das leidige Geld. Durch mein selbständiges Texten ist mein Konto in den letzten Jahren richtig schön voll geworden, und wenn ich nicht in München wäre, könnte ich entspannt ohne Nebenjob drei Jahre davon leben und studieren. Ich bin aber nun mal in München, weil ich nur da Musikwissenschaften studieren kann. Von der Hamburger Uni hatte ich vor knapp einem Jahr auch eine Zusage im Briefkasten – und zwar für die Fächer Kunstgeschichte und Geschichte. Aber Frau Gröner wollte ja was Lustiges studieren und hat zudem die Mietkosten in München sträflich unterschätzt, weswegen ein Nebenfachwechsel mir auch die Möglichkeit gibt, ganz eventuell den Studienort zu wechseln, falls es finanziell einfach nicht mehr geht. (Dann lasse ich mich vom Kerl mit Essen dafür bezahlen, dass ich unsere Wohnung aufräume. Vielleicht kriege ich sogar Taschengeld.)

Vielleicht ist die Werbemüdigkeit nur temporär bzw. vielleicht liegt es an den Dingen, die ich bewerbe. Daher hatte ich mich vor kurzem um einen Nebenjob als Texterin in einem Reiseunternehmen beworben, mit dem ich selbst gerne durch die Gegend fahre, aber das hat nicht geklappt – passt schon; nach dem Vorstellungstermin wollte ich dort weitaus weniger gern arbeiten als beim Bewerbungschreiben. Lag nicht am Gespräch, war nur ein Bauchgefühl, und die nächste Florenzreise wird auch wieder bei dem Unternehmen gebucht. Auch der Nebenjob in der Bayerischen Staatsoper hat nicht geklappt, aber für den war ich wirklich nicht qualifiziert genug – was mich natürlich nicht daran gehindert hat, trotzdem eine Bewerbungsmail zu schreiben. Jetzt grübele ich über Jobs in Museen nach, mit denen sich vielleicht ein bisschen was in die Kriegskasse spülen lässt, wobei ich in diesem Bereich noch nicht mal weiß, wo ich anfangen könnte. Mein neuer Liebling, das Lenbachhaus, sucht allerdings gerade jemand fürs Marketing. Zwar in Vollzeit, aber egal. Ich schreib mal wieder ne Mail.

Ich bin immer noch selbst erstaunt davon, wie sehr mir das Studium gefällt, wie großartig ich es finde, mich mit ganz anderen Dingen zu befassen als in den letzten Jahren. Ich mochte meinen Job und die meisten Kunden und Agenturen und natürlich vor allem die Leute, mit denen ich gearbeitet habe. Aber ich habe immer mehr gemerkt, dass ich mich über Zeug aufrege, das es schlicht nicht verdient hat, mir Magengeschwüre zu bereiten. Kein Adjektiv ist es wert, dass ich wegen ihm mitten in der Nacht aufwache, weil der Kunde es mir gestrichen hat. Keine Präsentation ist so wichtig, dass man bis Mitternacht in der Agentur für sie sitzen muss. Und wegen keinem, wirklich keinem Job sollte man auf dem Klo hocken und heulen.

Ich erlebe mich an der Uni komplett anders als in der Agentur. Deutlich weniger angespannt, mit weniger Schmerzen in den Schultern, mit durchgeschlafenen Nächten und vorfreudigem Aufwachen. Ich wette sogar, dass mein Blutdruck niedriger geworden ist. Ich fühle mich anders, weil ich anders arbeite: selbstbestimmter, interessierter, begeisterter. Und: Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Man kann sicher darüber streiten, ob ein altes Gemälde sinnvoller ist als ein neues Auto, aber ich für meinen Teil habe die Entscheidung zugunsten des Gemäldes getroffen. Ich war und bin der Meinung, dass Kunst und Musik die Menschheit zu einer besseren machen, während Technik das vielleicht nicht immer schafft. Diese beiden Bereiche machen zumindest mich zu einem besseren – gesünderen, glücklicheren – Menschen. Und ich bin mir sicher, dass auch Geschichte das schafft.

Weitergrübeln.

Austrinken, zuhören, staunen.

Mein Didaktikkurs entpuppt sich immer mehr als Wundertüte. In den ganzen Kunstkursen weiß ich, was mich erwartet, wenn die Stunde beginnt; ich kriege haufenweise Informationen zu Bildern oder Kunstwerken, die ich meist vorher noch nicht kannte, schreibe brav mit, hebe ab und zu den Finger und sage was Schlaues, Durchdachtes, Auswendiggelerntes, dann ist die Stunde rum und fertig. Auch bei Musikgeschichte ist das so. Aber eben nicht bei Didaktik.

Wir sind zu zwölft in dem Kurs, anscheinend alle mit genug Sensibilität und Neugier ausgestattet, um sich hemmungslos in Musik fallenzulassen und danach ebenso hemmlungslos zu berichten, was die Musik denn mit uns gemacht hat. Dazu haben wir eine Dozentin, deren Begeisterungsfähigkeit schon etwas fast Animateurhaftes hat (was ich als Kompliment meine).

In der letzten Stunde haben wir verschiedene Arten von Hören kennengelernt. Da gibt es zum Beispiel das unspezifische Hören, also die kurze, folgenlose Wahrnehmung von Supermarkgedudel im Hintergrund. Das kompensatorische Hören bedeutet: traurige Musik bei Liebeskummer, gut gelaunte Musik an Sommerabenden auf der Terrasse mit drei Cocktails im Blut. Angeblich gibt es sogar Studien darüber, dass es eher nicht möglich ist, Traurigkeit mit lustiger Musik zu verscheuchen, aber ich bin mir gerade selbst nicht mehr sicher. Was ich mir gemerkt habe: Das ist schon okay, fiese Schnulzen zu hören, wenn man rumheult. Das muss so.

Das senso-motorische Hören schließt eigene Bewegung mit ein, zum Beispiel tanzen oder auch nur rhythmische Bewegung. Alles, was hilft, den Höreindruck zu verarbeiten. Das assoziative Hören ist das, was mir im Kurs so viel Freude macht: Wir schließen meist die Augen und gucken zu, was vor unserem inneren Auge an Bildern und Eindrücken auftaucht, wenn wir Musik hören. (Falls das noch nicht klar geworden ist: Wir hören in dem Kurs quasi die ganze Zeit Musik.) Gleichzeitig gehen mit den inneren Eindrücken manchmal auch körperliche Reaktionen einher, ich schrieb schon mal darüber.

Das bewusste Hören ist quasi das wissenschaftlichste: Man hört gezielt auf zum Beispiel Instrumente oder Strukturen, um sich das Stück zu erschließen. Und das integrative Hören schließlich ist alles zusammen: Man hört zu und entscheidet sich bewusst, wie man zuhören möchte. Das kann sich innerhalb eines Stücks auch ändern, je nachdem, wie man die Musik gerade wahrnehmen will.

Im gestrigen Kurs haben wir mal wieder assoziativ gehört – und dieses Mal mit Hilfsmitteln. Jeder von uns bekam ein Schnapsglas voll mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Nach den üblichen Scherzen über bewusstseinserweiternde Drogen und ihr Einfluss auf die Musikgeschichte waren wir wieder brav und hörten zu. Diesem Stück nämlich – Unter Donner und Blitz von Johann Strauß aus der Fledermaus. Die Ansage war: „Wir hören das Stück einmal mit geschlossenen Augen. Dann kippt jeder, ebenfalls mit geschlossenen Augen, sein Becherchen runter, versucht möglichst nicht verbal oder akustisch darauf zu reagieren, und dann hören wir das ganze noch mal. Und dann will ich wissen, wie es euch ergangen ist.“

Gesagt, gehört. Ich hatte sofort eine rauschende Ballnacht in der Wiener Hofburg vor meinem inneren Auge, sah Sisi und eine Runde ungarischer Tänzer, einen betrunkenen Hofmarschall, der sich unmöglich macht und gegen Dinge rennt, alles laut und bunt und lustig – aber ich stand einfach nur daneben und guckte mir das an. Wie ich das bei Partys eben mache.

Dann trank ich – Zuckerwasser. Die Musik erklang erneut, und plötzlich war ich mittendrin. Das Zuckerwasser war Champagner, ich wirbelte mit den Ungarn übers Parkett und hakte mich bei Franzerl ein. Eine großartige Party, die viel zu schnell zu Ende war.

Andere hatten statt des Leckerzeugs Salzwasser in ihren Bechern, und die hatten keine so gute Zeit. Eine Dame hatte ähnliche Assoziationen wie ich: Sie war auf einer Party und tanzte lustig mit, aber nach dem Schluck Salzwasser stand sie plötzlich abseits. Andere mussten bei der Musik an das Äffchen mit den Becken denken, die es bräsig zusammenschlug, was sie superkomisch fanden, aber nach dem Salzwasser nur noch nervig. Eine andere Reaktion war, dass man mehr damit beschäftigt war, genau zu gucken, was die Flüssigkeit mit einem macht und man gar nicht mehr auf die Musik achtet, ganz egal was im Becher war. Das war dann wieder die verschulte Rangehensweise, bei der man irgendwas richtig machen will anstatt sich unwissenschaftlich fallenzulassen.

Wie auch immer: Ich fand es zum wiederholten Male spannend, wie man sich mit Musik auseinandersetzen kann. Und weil wir ja ein Didaktikkurs sind, hat das ganze natürlich auch einen Sinn gehabt: Die Übung diente schlicht dazu, sich dem Sinnlichen in der Musik bewusst zu werden, das im schulischen Musikunterricht gerne zu kurz kommt.

Ich teste die Fledermaus jetzt mit wodkabasierten Getränken, mal sehen, was dann passiert.

< quote >

„Die Plastik ist das formgewordene Körpergefühl des Menschen. Der seinen Leib verneinende, nie sich als machtvoll empfindende gotische Mensch konnte dreidimensionale Freiplastik nicht kennen. Das Gebäude, das er seiner Sehnsucht geschaffen, die Kirche, erlaubte es ihm nicht. An die Pfeiler schützend gelehnt, bildmäßig dem Schnitzaltar eingereiht und dem Tympanon, kollektiv am Portalgewände in lehrender Versammlung, dienen sie demütig ohne eigenes Leben. Sie begrenzen einen gestalteten Raum, der Hauptsache ist, Ausdruck für das unstillbare Streben nach Auflösung der eigenen Persönlichkeit, Entmaterialisierung, Einswerdung mit Christus in der Kontamplation, in der Ekstase.“

Kuhn, Alfred: Die neuere Plastik. Von 1800 bis zur Gegenwart, 2. Aufl. München 1922, S. 107

Ich bin sehr in Kuhns Schreibstil verliebt.

(mir fällt nicht mal ne überschrift ein)

Warum hier seit gefühlt zwei Wochen nur noch Pflichteinträge und Buchzitate stehen? Weil eine gut zweiwöchige Erkältung (das muss dieses Alter sein, von dem alle reden) meinen exakt getakteten Uni-Fahrplan total ruiniert hat. Und wenn nicht auch eine meiner Dozentinnen krank gewesen wäre, hätte ich das allererste Mal an drei Universitäten ein Referat verpasst; das wäre nämlich gestern gewesen. So warten nächste Woche gleich zwei auf mich, eins über Herrn Archipenko und seine „Schreitende“ und eins über Herrn Bach und sein Weihnachtsoratorium. Oder einen Teil davon. Oder auch nicht, ich habe mich völlig verzettelt und gestern in der Sprechstunde mit meiner Dozentin ein paar Knoten entwirrt. Gefühlt weiß ich aber immer noch nicht, was ich meinen charmanten Mitstudis nächsten Mittwoch erzählen und vorspielen soll. Bei der Skulptur geht’s mir besser, da hatte ich schon vor der Erkältung anständig was gelesen, aber auch hier hätte ich alte Werbetante gerne noch einen Kracher, der aus dem sicherlich total spannenden Referat eins von diesen SUPERSPANNENDEN macht. Und die Handouts muss ich noch machen. Und die Präsentationen. Und deswegen steht hier unter anderem noch keine Lobhudelei über das wunderschöne Lenbachhaus, in dem ich unfassbarerweise eine Privatführung hatte, die ich natürlich noch dringendst verbloggen will.

(Danke an Doppelhorn für die schönere Ausgabe des Bildes anstatt der ersten Version, die hier stand.)

Als Trostpreis kriegt ihr immerhin einen Flügel des Abendmahlaltars von Dieric Bouts, über den erschreckend wenig in der Wikipedia steht. Das Bild zeigt Elias, der sich in die Wüste zurückgezogen hat, um zu sterben, als ihn ein Engel mit Wasser und Brot versorgt. Im hinteren Bildteil sehen wir den gestärkten Elias, kurz bevor ihm Gott erscheint. (Ich sag’s ja immer: Essen ist super. Nie aufhören damit.)

Ich mag an dem Bild die Flächigkeit, die Bouts dadurch schafft, indem er die Gewänder des Engels und des Elias’ in die Breite zieht. Gleichzeitig begrenzt er das Bild durch den Gehstock in der Horizontalen und durch den Baum in der Vertikalen. Der Altarflügel, genau wie die Räume im Rest des Altars, wirkt streng komponiert und strahlt trotzdem so viel Menschlichkeit aus. Allein die Zartheit des Engels, mit der er Elias berührt! Wunderschön. Oder wie unser Professor sich ausdrückte – und ich schwöre, die Dame neben mir hat ergriffen geseufzt –: „Hier verbindet sich Mathematik mit Poesie.“

Twitterlieblinge im Mai 2013