Was schön war, Samstag, 29. Juli 2017 – Documenta, Tag 2

Einen richtigen Plan hatten F. und ich nicht, als wir die Documenta-Tickets gebucht hatten. Einzig die Neue Galerie war Pflichtprogramm, weil wir das Rudel von Beuys sehen wollten. Wir brachen also nach ordentlichem Hotelfrühstück auf und standen mit Öffnung um 10 Uhr in einer recht kurzen Warteschlange. Ich brachte meinen Rucksack in einen der Garderobencontainer und stellte, wie am Freitag auch schon, befriedigt fest: Die Documenta funktioniert, weil Kassel weiß, was es tut; die machen das offensichtlich nicht zum ersten Mal. Besucher*innen bringen Rucksäcke und Riesentaschen mit, die normalen Garderoben wären vermutlich zu klein, also stellt man überall Garderobencontainer auf. Praktisch und kostenlos. Ebenfalls praktisch und kostenlos: der große Faltplan, den man überall bekommt, auf dem alle Spielstätten und die dazu passenden Öffis aufgeführt sind.

Weil wir aber noch keinen Plan hatten, wussten wir nicht, was uns an den einzelnen Stationen erwartet. Ich freute mich über das Rudel, das man leider nicht ganz aus der Nähe betrachten konnte, weil irgendein Honk vor Kurzem einen Aufkleber auf den VW-Bus gepappt hat, weswegen der Raum jetzt gesperrt ist und man nur noch von außen reingucken kann. War trotzdem gut. Ich wünschte mir zum wiederholten Male eine Art Groundhopper App, nur nicht mit Fußballplätzen, sondern mit Museen oder Meisterwerken.

Im Raum vor dem Rudel hing ein Werk von Piotr Uklánski: Real Nazis (2017). Es bestand aus 203 Porträtfotos von Menschen, die das System des Nationalsozialismus mitgetragen hatten, was man unter anderem an den vielen Eisernen Kreuzen erkennen kann, die an vielen Hälsen zu sehen waren. Ich musste an die Faszination Faschismus denken, die ich gerade in der Masterarbeit angesprochen hatte, und betrachtete die vielen Stahlhelme, Uniformen und Herrenmenschen vermutlich zu lange. In der untersten Reihe war übrigens Joseph Beuys zu sehen. Dann dachte ich länger über den Titel nach: Sind die NSU-Leute keine „real Nazis“, weil sie nicht zwischen 1933 und 1945 gelebt haben? Überhaupt kann man am Wort „real“ noch weiter rumknabbern, denn die Bezeichnung „echte Kerle“ für Männer in Holzfällerhemden und „echte Frauen“ für Damen, die mehr als Größe 36 tragen, ist genauso bescheuert.

Mit Beuys beschäftigte sich noch ein weiteres Kunstwerk im Raum von Sokol Belqiri: Im Kurzfilm Adonis (2017) schneidet er einen Zweig einer Beuys-Eiche in Kassel ab und pfropft sie auf ein Bäumchen in Athen; von diesem schneidet er ebenfalls einen Zweig ab und setzt den an eine der Kasseler Eichen an. Ich mochte diese schlichte Idee der Verbindung der beiden Ausstellungsorte der Documenta und auch, dass eine der Beuys-Eichen jetzt weit außerhalb von Kassel wächst.

Meine Lieblinge im Haus: die formlosen Zeichnungen aus dem Ghetto von Władysław Strzemiński, die Collagen von Elisabeth Wild, die Klangcollagen von Katalin Ladik, die Bilder von Erna Rosenstein, vor allem die Porträts ihrer Eltern, sowie mehrere Bronzeköpfe aus dem 19. Jahrhundert aus Benin. Im unteren Stockwerk mochte ich noch die gewebten Teppiche von Marilou Schultz, die aussahen wie Platinen, sowie die Tumorskulpturen von Alina Szapocznikow: Materialwülste, -berge, -ausstülpungen, die aus der Wand zu kommen scheinen oder ein Podest überwuchern. Beides waren ältere Arbeiten, also nicht speziell für die Documenta gemacht. Überhaupt war vieles in der Neuen Galerie keine neue Arbeit, aber die Kombination von Alt und Neu war hier hervorragend.

Das alles umfassende Thema war die Provenienz von Kunstwerken. Das begann eben im unteren Stockwerk mit den persönlichen Verstrickungen von Menschen wie Beuys in ein System, das Kunstraubzüge perfektionierte, und setzte sich im Obergeschoss mit dem Rose-Valland-Institut von Maria Eichhorn fort. Dieser Blogeintrag würde ewig lang werden, wenn ich jedes Kunstwerk und seine Verbindung zu nächsten Werk aufzählen würde, daher hier nur ein paar Stichworte. Es geht grundsätzlich um Provenienzforschung, um die Bitte an Menschen, die vielleicht Kunst von ihren Großeltern geerbt haben, doch mal zu überprüfen, wann und wo diese die Kunst erworben haben. Es geht um die Rolle von Auktionshäusern im „Dritten Reich“, worüber ich vor gefühlt 100 Jahren mal eine Hausarbeit geschrieben habe. Es geht auch um die Documenta als Wiederaufbauleistung nach dem 2. Weltkrieg, die die Bundesrepublik mit ihrem Fokus auf Abstraktion klar im westlichen Bündnis verortete (ein Bild von Gerhard Richter, das Arnold Bode zeigt, ist zu sehen). Es geht aber auch um Kontinuitäten: Es sind Werke von Cornelia Gurlitt zu sehen, der Schwester von Hildebrand Gurlitt und damit Tante von Cornelius Gurlitt; es gibt Werke, die dem des Schwabinger Kunstfunds ähneln etc. Wie gesagt, das führt alles zu weit, aber für mich war das ein kleines Paradies an Kicks und Klicks im Gehirn.

Das Dumme war, dass damit mein Kopf erstmal beschäftigt war. Das Palais Bellevue nebenan durchstreifte ich nur sehr kurz, während F. dort weitaus mehr Zeit zubrachte. Ich genoss immerhin die Arbeiten von Olaf Holzapfel und Entwürfe und Modelle von Frei Otto. Dann war mein Documenta-Tag allerdings vorbei, und das lag an einer doofen Kleinigkeit.

Mein Handy nervt seit Monaten. Ich hatte vor ewigen Zeiten schon ergoogelt, dass dieses spezielle iPhone-Modell einen Softwarefehler hat, der dazu führte, dass der Touchscreen nicht mehr so reagiert wie er soll. Meine Reaktion auf diesen Satz: ACH FUCKING WAS?!? An guten Tagen musste ich Apps mehrfach aufrufen – also anklicken, nichts passiert, das Handy ausschalten, wieder anschalten, wieder klicken, nichts passiert – oder das Handy mehrfach brutal neu starten, dann ging es wieder für ein paar Tage. Anfangs hatte das Zurücksetzen auf Werkseinstellungen einmal geholfen, seitdem hielt auch das nur für wenige Tage. An miesen Tagen öffneten sich Apps von alleine, sobald das Handy angeschaltet war, Text erschien ohne mein Zutun in Textfeldern, Apps schlossen sich wieder, die Bildschirme wechselten lustig durch, und das, obwohl ich meine Finger nicht mal in der Nähe des Telefons hatte. Meine Horrorvision war immer, aus Versehen einer Dozentin einen Emoji-Kackhaufen per Mail zu schicken, aber das ist gottlob nicht passiert. Wird es jetzt auch nicht mehr, denn nach dem Palais Bellevue entschloss ich mich nach ewigem Rumärgern und Handy-Anschreien, mir ein neues Telefon zu kaufen.

Normalerweise fotografiere ich in Ausstellungen eher wenig, aber ich knipse gerne die Schilder neben den Werken, damit ich mir Namen und Werktitel nicht merken oder notieren muss, aber trotzdem Stoff für den meist folgenden Blogeintrag habe. Das ging seit Freitag nachmittag nicht mehr. Mein iPhone ließ mich netterweise noch den Parthenon of Books knipsen, aber schon beim abendlichen Festmahl lieh ich mir F.s Telefon, weil meins nicht mehr wollte. Manchmal half es, es nachts am Strom zu haben, damit es morgens wieder lieb zu mir war, aber auch das ging Samstag nicht. Also: neues Handy. Ganz toll. Wo ich gerade in Geld schwimme, ist das echt ne Ausgabe, die ich gebraucht habe. Knurr. Aber in einer fremden Stadt nicht mal auf Google Maps gucken zu können oder zu checken, wann welche Tram von wo fährt oder auch nur F. eine DM schicken zu können, dass ich schon durch bin mit Gucken und draußen im Schatten warte, war mir dann doch zu doof. Ich kaufte also ein neues Handy und verbrachte dann den Nachmittag damit, aus dem alten Mistding ein Backup zu ziehen (immerhin das ging noch) und das neue Handy startklar zu machen. Seitdem schreie ich mein Telefon nicht mehr an, sondern brabbele „OMG es funktioniert!“ vor mich hin wie ein Idiot.

Den Abend verbrachte ich aber trotzdem gut gelaunt, weil ich erstens wieder ein funktionierendes Handy hatte und weil zweitens F. einen Berg wohlschmeckendes Essen vom nahegelegenen syrischen Kebaphaus anschleppte, das wir mit Plastikbesteck auf dem Hotelzimmerfußboden genossen.

Wir unterhielten uns auch über die eher schlechten Kritiken zur Documenta (zu denen wir am Sonntag ein schönes Bilddokument fanden). Ich hatte nicht so viel gelesen, aber der Grundtenor war wohl, dass die politische Kunst zu billig war oder dass überhaupt Kunst politisch sein wollte. Das frage ich mich ja eh schon länger und das wird mich voraussichtlich auch in der Diss beschäftigen: Was will Kunst überhaupt von mir? Ich persönlich meine total unwissenschaftlich, dass Kunst natürlich politisch sein darf, es aber nicht muss, die darf auch einfach mal nett über dem Sofa aussehen. Und ich glaube, diese nette Kunst hat die gleiche Berechtigung wie die Kunst, die mir mitteilen möchte, dass wir zu viele Menschen haben, denen es nicht mehr möglich ist, in ihrem Heimatland menschenwürdig zu leben und die deshalb flüchten, dass NSU-Morde passieren, dass es Raubkunst gibt, seit es Kunst und Krieg gibt uswusf. Kunst weist mich immer auf irgendetwas hin, und das darf auch gerne mal nur die Tatsache sein, dass ich anscheinend Dinge mag, die in einer bestimmten Ordnung zu einem Stillleben aufgetürmt sind. Vielleicht bringen mich Stillleben dazu, über the internet of things nachzudenken oder dass ich noch Zitronen einkaufen muss oder dass totes Geflügel echt nicht hübsch aussieht und dass ich es vielleicht nicht mehr essen sollte. Ja, schlimme Beispiele, ich weiß. Das hier ist aber nicht meine Diss, bis dahin überlege ich mir noch was Besseres. Aber auch schlimme Beispiele machen klar: Kunst macht im besten Fall irgendwas mit mir. Dass sie das mit vielen Kunstkritiker*innen nicht mehr macht, die schon alles gesehen haben, ist nicht das Problem der Kunst, sondern das der Kritiker*innen. Ich habe mir selber meine Faszination an Kino versaut, weil ich irgendwann das Gefühl hatte, alle Geschichten schon mal erzählt bekommen zu haben. Das ist natürlich Quatsch, aber es ist genauso Quatsch zu sagen, diese Documenta ist zu politisch oder nicht politisch genug oder was auch immer. Man hat in Kassel alle fünf Jahre die Gelegenheit, eine irrwitzige Menge an Kunst auf sehr kleinem Raum zu erschwinglichen Preisen zu sehen. Ich kann daran nichts Falsches finden.

Was schön war, Freitag, 28. Juli 2017 – Kassel: Kunst und Futtern (Business as usual also, aber in Kassel)

F. und ich lungern gerade in Kassel rum, wo diese Kunstausstellung läuft, diese … na, Dings halt. Als ich im ersten Semester Kunstgeschichte in der Einführungsvorlesung saß, fragte uns der Dozent, wer denn auf der Documenta war (also die von 2012). Es meldeten sich recht viele, ich nicht, und alle, die sich nicht gemeldet hatten, bekamen einen sanften Rüffel, das wäre ja wohl das mindeste, sich für die Documenta zu interessieren. Fünf Jahre lang hatte ich ein schlechtes Gewissen, und jetzt, wo mein Studium vorbei ist, JETZT bin ich in Kassel.

Wir haben uns nur ein Zwei-Tages-Ticket gegönnt, weswegen wir Freitag nur Dinge anguckten, die frei zugänglich waren. Außerdem hatten wir die Anreise und abends eine nette Reservierung zum Tafeln, weswegen wir ganz zufrieden waren, kein großes Programm zu haben. Sobald wir in Kassel aus dem Zug kletterten, begannen wir, nach den Beuys-Eichen Ausschau zu halten, und ich war fast enttäuscht, dass es über eine halbe Stunde und eine Straßenbahnfahrt dauerte, bis wir die erste sahen. Ab dann tippten wir uns aber quasi dauernd an: „Da, noch eine“, und schon nach wenigen Stunden guckten wir nur noch blasiert in der Gegend rum. Nein, Quatsch. Ich mag die Eichen sehr gerne, weil die Idee so schön simpel ist: Ein Teil des Kunstwerks – der Basaltblock – bleibt stets gleich, während der andere Teil – die Eiche – sich ständig verändert, indem er wächst. (F. irgendwann: „Nein, Anke, das ist kein Basaltblock, das ist ein Papierkorb.“ „Egal. Beuys-Eiche.“)

Das ist eine der beiden ersten gepflanzten Eiche am Friedrichsplatz, direkt vor dem Fridericianum, einem Gebäude, das den Mittelpunkt der diversen Ausstellungsplätze bildet. Direkt nebenan steht der Parthenon of Books, eine Wiederauflage eines Kunstwerks von 1983, das verbotene Bücher zeigt. Das Werk kannte ich von diversen Fotos und quengelte innerlich immer von „instagrammable art“, aber als ich dann selber durch das Stahlgerüst mit den vielen Büchern ging, mochte ich es doch. Erstens kenne ich jetzt die Ausmaße des Parthenon, das ich noch nicht gesehen habe, und zweitens geht alles mit Büchern bei mir ja immer. Vor allem in Kombination mit dem Werk, mit dem das Fridericianum bespielt wird.

Ich habe keinen Katalog, daher trage ich Werktitel und Künstler*in irgendwann nach. Aus einem der Erker stieg in gewissen Abständen Rauch auf, während eine Stimme in verschiedenen Sprachen „Ignoranz ist eine Tugend“ flüsterte. Ich mag Kunst, die so offensichtlich im Raum stattfindet, deren Botschaft nicht auf einen Galerieraum oder ähnliches beschränkt ist, sondern die sich dauernd in dein Leben drängelt. Klar, wenn ich das alle fünf Minuten für den Rest meines Lebens hören würde, wäre mein Leben vermutlich nicht mehr sehr lang, weil nervig, aber für die Dauer des Aufenthalts im Parthenon und die Zeit, die wir mit den Eichen und mit de Marias vertikalem Erdkilometer, den ich dringend sehen wollte, verbrachten, fand ich es immerhin reizvoll. Vielleicht sehr auf die Zwölf, aber F. meinte, vielleicht braucht man in einer Zeit, in der einfache Parolen zu wirken scheinen, halt Kunst, die ebenso einfach funktioniert.

Über dem Eingang des Fridericianum steht normalerweise der Name des Gebäudes; derzeit steht dort „Being safe is scary“, und auch das ist auf die Zwölf, aber auch das passt halt gerade. Wenn Menschen in reichen Wohlstandländern Busse angreifen, in denen Flüchtlinge sitzen, dann stimmt das so. Auf die Flüchtlinge trifft der Satz vermutlich allerdings so gar nicht zu, was wieder Fragen öffnet nach „Für wen ist Kunst überhaupt gemacht – denkt man beim Schaffen auch an die Rezipienten?“ oder ähnlich.

Wir spazierten dann noch durch die Elisabethkirche – da steht ne Kirche, also geh ich da rein – und bestaunten die Architektur. Mir gefiel, dass sich der Neubau aus dem 20. Jahrhundert an dem zerstörten aus dem 12. Jahrhundert orientierte: die hohen Wandöffnungen für das Licht und der einschiffige Kirchenraum, der außen noch zwei Seitenschiffe andeutet, erinnerte mich sehr an die Romanik. Ich murmelte die ganze Zeit #506070kassel vor mich hin – ein Instagram-Hashtag, der sich auf Architektur der jeweiligen Jahrzehnte bezieht –, denn wir sahen erst abends in der Nähe des Restaurants mal mehr als ein Altbaugebäude. Wir hatten einen Tisch im Voit reserviert und jetzt, wo wir da waren, kann ich euch nur empfehlen, es uns gleichzutun. Vielleicht ein Jäckchen oder ein Kissen für die etwas unbequemen Stühle mitnehmen.

Der Gruß aus der Küche war Tunfisch in einer Krustentiersauce. Beim ersten Bissen dachte ich, huch, was, WTF?, beim fünften hätte ich von der Sauce einen ganzen Teller leeressen wollen. Die war etwas sperrig, wurde dann aber sehr spannend.

Erster Gang: gleich noch mal Tunfisch, dieses Mal mit hübsch arrangierten Gurke, Melone, Misomousse und Senfkörnern. Die Weine lasse ich mal alle weg, obwohl F. sie sich brav notiert hat; ich vergesse die immer sofort, sobald der Kellner die Flasche aus meinem Blickfeld nimmt. Mir fiel gestern der Unterschied zum Broeding auf: Dort ist die Küche zwar auch immer hervorragend, aber doch eher klassisch; dafür sind die Weine stets spannend. Im Voit scheint die Philosophie eine andere zu sein: Hier steht das Essen im Mittelpunkt, während der Wein wirklich nur begleitet. Der war immer stimmig und schmackhaft, aber mehr als einen würde ich davon nicht nach Hause tragen wollen, während ich im Broeding quasi von allem alles kistenweise ordern möchte.

Rindertatar mit Champignons, Avocadotupfen, winzigen Zwiebelscheibchen und knusprigem Brot. Klingt so simpel, war aber mit jeder Gabel ein großes Vergnügen.

Eine kurz gebratene Jakobsmuschel in kalter Erbsensuppe, von der ich auch deutlich mehr hätte essen wollen. Passte von der Menge aber natürlich, was wir daran merkten, dass wir keinen Käsegang haben wollten.

Maishuhn, sous vide gegart (was für eine Konsistenz!), dazu Kartoffelpüree und -chips und eine kleine Tomate. Auf den grünen Bohnen, bei denen ich zunächst nur Thymian schmeckte, lagen noch winzige Olivenstücke, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie da hingehören.

Zum Magenaufräumen gab’s eine perfekte Nocke Sanddornsorbet – mit Dillöl! Über diese Kombi konnte ich mich den ganzen Abend nicht beruhigen. Ich bin nicht der Riesendillfan, und ich hätte nicht gedacht, dass er in seiner Zickigkeit mit dem ebenso zickigen Sanddorn klarkommt, der für mich so ein unentschlossenes Ding zwischen süß und herzhaft hist. Passte aber ganz hervorragend.

Adlerfisch mit Bouchot-Muscheln und Artischockenpüree. Sagt jedenfalls die Karte, für mich schmeckte das nach Fenchel. Das gelbe müsste Süßkartoffel gewesen sein, und auch hier wusste ich nicht, ob’s das gebraucht hätte. Es kann aber auch sein, dass ich durch das ganze Masterchef-Australia-Gucken in den letzten Wochen etwas verdorben bin, wo einem immer gesagt wurde, dass nur auf den Teller gehört, was da halt drauf soll. Ich war mir gestern bei mehreren Gängen unsicher, wieviele Geschmäcker ich denn noch im Mund haben soll. Das passte alles, aber manchmal quengelte ich innerlich, dass ich gerne mehr Geradeaus-Gänge haben wollte, die nicht dauernd mit noch einer Komponente um die Ecke kommen.

Kalbstafelspitz, ebenfalls sous vide gegart und daher unglaublich zart und toll. Hier quengelte ich, dass ich statt Spargelmousse und Spargel lieber eine Kombi gehabt hätte. Man konnte es mir nicht ganz recht machen, aber ehe das jetzt klingt, als wäre alles doof gewesen: Es war alles toll. Hier mochte ich besonders die rote Zwiebel, deren Sechzehntel man zerteilen und mit dem Spargel kombinieren konnte. Und hier gab’s dann auch den einzigen Wein, den ich nochmal trinken wollen würde: einen Hensel Aufwind Spätburgunder von 2015. Beim ersten Schluck dachte ich, ich hätte Butter im Mund, so weich war der Wein. Er veränderte sich dann von Minute zu Minute, die er im Glas war, bis er schön kapriziös rumduftete und -schmeckte.

Erdbeere, Vanille, Jogurt, Schokoladenerde, danach noch Espresso und für mich den üblichen Haselnussgeist, während F. sich gerne durch andere Obstbrände trinkt. Wir ließen uns mit der Tram nach Hause chauffieren und rollten glücklich ins Bett.

Was schön war, Mittwoch, 26. Juli 2017 – Aus bräsiger Gewohnheit ins Online-Transcript-of-Records gucken

Im Prüfungsamt sagte man mir, die Note für die Masterarbeit und das Gutachten dazu müssten bis Ende August vergeben bzw. geschrieben sein. Viel früher rechnete ich auch nicht damit, aber ich habe es mir in den vergangenen neun Semestern blöderweise angewöhnt, trotzdem viel zu früh ins Online-Tool zu gucken, weil ich es nie erwarten kann, meine Noten zu sehen. Ja, Streberin, ja, ich weiß, aber ich kann inzwischen damit leben, in manchen Dingen sehr gut sein zu wollen und auf erbrachte Leistungen stolz zu sein.

Normalerweise warten immer mehrere Seminarnoten auf mich, aber im letzten Semester schrieb ich ja nur meine Masterarbeit. Das fiel mir aber erst ein, als ich auf „PDF erzeugen“ geklickt hatte, was dann den Notenspiegel runterlädt. Über mich selbst augenrollend klickte ich das PDF an, denn obwohl ja noch nichts drinstehen kann: Wenn ich was runterlade, wird das angeklickt. Also klickte ich – und sah sehr überrascht die Note für meine Masterarbeit, mit der ich noch gar nicht gerechnet hatte.

Solange ich das Gutachten noch nicht gelesen und vor allem die Endnote für mein Masterstudium noch nicht habe, bleibt der Schampus zu und das Feuerwerk ungezündet. Aber ich lasse mal mein Lieblings-gif hier.

(1,0.)

Was schön war, Montag/Dienstag, 24./25.7.2017 – Lehrreiches Prokrastinieren, Schuhe kaufen, Eichhörnchen

Nach der Abgabe der Masterarbeit wurschtelte ich tagelang vor mich hin und dachte, ich hatte das blöde Loch, das mich immer am Semesterende erwischt, umgangen, aber das holte mich letzte Woche ein, wo ich sehr traurig und mutlos war, was die Zukunft angeht, diese blöde Kuh. Ich weiß inzwischen, dass mich Bibliotheken immer glücklich machen können, aber selbst dazu konnte ich mich nicht aufraffen. Nachdem mich Donnerstag letzter Woche nicht einmal F. mit kulinarischen Köstlichkeiten und Bier und Balkonblick und Puschelkram aufheitern konnte, zerrte ich mich Freitag morgen gewaltsam selbst ins ZI, im Hinterkopf den Gedanken, „notfalls guckste halt vier Stunden deinen Laptop an.“ Aber natürlich wurde alles gut.

Ich walke ja neuerdings – also seit Februar – mehrmals wöchentlich über den Alten Nordfriedhof. Inzwischen kann ich die Strecke vermutlich blind gehen, muss nicht mehr auf Baumwurzeln oder Wegverengungen achten, weswegen ich nun Zeit habe, mir die ganzen Grabsteine etwas genauer anzuschauen, an denen ich dauernd vorbeischnaufe. Stehenbleiben will ich zwar nicht, aber je öfter ich an bestimmten Steinen, Stelen und Figuren vorbeikomme, desto neugieriger machen sie mich. In eine Grabstele mit Bronzefigur und -platte habe ich mich besonders verguckt, einfach weil ich sie schön finde.

Eigentlich müsste ich mal so langsam mein Exposé für die Dissertation anfangen, damit mir jemand ein Stipendium gibt, aber mit Recherchen über Grabsteine und Begräbniskultur im 19. Jahrhundert kann man prima prokrastinieren. So saß ich Freitag im ZI und las die enttäuschend wenigen Bücher über den Alten Nordfriedhof durch, die bei uns stehen – ganze zwei, von denen eins auch ein Buch über alle Friedhöfe Münchens ist und der Nordfriedhof hat gerade zwei Seiten; das andere ist ein sehr unwissenschaftlicher Spaziergang und über 30 Jahre alt. Das war’s. Ich fand noch eine Magisterarbeit von 1989, aber die musste ich bestellen, die stand nicht im Regal.

Was ich aus dem ersten Buch immerhin erstaunt lernte: Der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte Friedhof wurde nach 1945 von Hans Döllgast restauriert. Döllgast kenne ich als den genialen Architekten, der die Alte Pinakothek so gut wieder hingekriegt hat, dass sie heute – trotz bzw. gerade wegen ihrer offensichtlichen Wunde – als Musterbeispiel für den sogenannten „interpretierenden Wiederaufbau“ gilt. Ich renne dauernd durch Döllgast-Architektur und weiß nichts davon! Aber jetzt, wo ich es weiß, habe ich drauf geachtet.

Am Montag war ich netterweise schon vor dem Wecker wach und marschierte los, besah mir im langsamen Vorbeigehen erstmals aufmerksam die Außenmauer, die Döllgast teilweise in der Höhe verringert hatte, achtete auf Übergänge zum Originalmaterial, merkte aber auch, dass seine Arbeiten aus den 1950er Jahren nicht die letzten gewesen sein konnten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass spätestens in den 2000er Jahren – jedenfalls nach dem Abschluss der Magisterarbeit von 1989 und dem Buch über Döllgast von 1998, das ich hatte – noch was an Mauer und Bauwerken am Südeingang gemacht wurde, aber darüber fand ich keine Literatur, und so dringend will ich mich nicht vor der Arbeit drücken, dass ich mal im Bestattungsamt nach Umbauakten und -plänen frage.

Nach Dusche und Kaffee radelte ich ins ZI, wo ich ein sehr dickes und empfehlenswertes Buch über den Alten Südfriedhof las, weil mich einige Materialien interessierten. Außerdem war die Magisterarbeit da, die sich kunsthistorisch und nicht touristisch-stadtgeschichtlich mit dem Friedhof auseinandersetzte. (Gern gelesen, auch wenn mich das Präsens wahnsinnig gemacht hat.) Durch die erfuhr ich, warum es vermutlich so wenig Literatur gibt: „Darüberhinaus lässt sich bereits auf den ersten Blick erkennen, daß es sich bei dem vorliegenden Friedhof um keinen Bestattungsplatz des Geldadels handelt und dass München im 19. Jahrhundert immer noch eher provinziell geprägt ist. Die gewaltigen und kostspieligen Grabaufbauten, die man zur gleichen Zeit in Wien, Paris und Genua errichtet, fehlen hier gänzlich. Ebenso gibt es auf dem alten nördlichen Friedhof keine richtungsweisende Neuerung oder einzigartige Grabmalsgestaltung.“ (S. 34)

Ich fand in der Arbeit aber immerhin ein bisschen was zu meinem Grabstein. Weswegen ich so an ihm hängengeblieben bin, liegt nicht nur an der stimmungsvollen Figur, sondern auch an der Darstellung auf der Bronzeplatte über der Grabstele. Auf ihr sind zwei der drei Pyramiden von Gizeh abgebildet sowie die Sphinx. Das hat mich erstaunt, weil das Bild keinen München-Bezug hat und kein christliches (oder anderes religiöses) Symbol ist, und für ein sinnloses Schmuckelement ist es zu klar erkennbar. Die Autorin der Magisterarbeit, Annette Wagner, ordnet dieses Ensemble in die pyramidalen Gräber des Nordfriedhofs ein; es gibt noch wenige weitere, bei denen eine Pyramide die Grabstele bildet (liegen nicht auf meinem Weg, habe ich noch nicht gefunden), und hier ist die Pyramide eben abgebildet. Die Pyramide wurde nach der Antike erst wieder von Raffael als Ornament für eine Grabstelle eingesetzt und zwar für das Grab von Sigismondo Chigi, das sich in S. Maria del Popolo in Rom befindet. In der Neuzeit ist zum Beispiel das Grab der Herzogin Maria Christina in der Augustinerkirche in Wien in Pyramidalform gestaltet (ich habe es schon bewundern dürfen). Die Pyramide steht angeblich für die Unsterblichkeit der Seele. Das kann ich zwar nachvollziehen, auch wenn im 16. Jahrhundert bei Raffael und auch noch im 19. Jahrhundert die Kenntnisse über Pyramidalbestattungen eher vage bzw. nicht vorhanden waren, aber ich glaube trotzdem nicht, dass das Bild an der Grabstätte Lodter/Schneider Unsterblichkeit sagen soll. Meiner total unbegründeten Meinung nach hat das Bild etwas mit den verstorbenen Personen zu tun, denn es zeigt keine beliebige Pyramidalform, sondern ganz klar Gizeh.

Ägypten war seit Napoleons Feldzug in Europa bekannt und als Thema für wilde Raumdekorationen und Feste beliebt. Durch Thomas Cook gab es Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals Pauschalreisen in dieses Land, und wohlhabende Bürger und Bürgerinnen – zu denen die hier Bestatteten vermutlich gehörten – konnten sich diese Reise durchaus leisten. Herr Lodter war ein Chemiker, und ich habe auch einen Aufsatz von ihm finden können, aber für einen Besuch im Stadt- oder Landesarchiv war ich zu faul; irgendwo hat auch Prokrastination ihre Grenze. Trotzdem würde ich gerne wissen, ob die hier bestatteten, verschwisterten Ehefrauen und/oder ihre Ehemänner mal in Ägypten waren und die Bronzeplatte eben das würdigt. Aber das werden mir wohl auch die Archive nicht sagen können.

Auf der Platte ist übrigens in der oberen linken Ecke der Name des Künstlers eingeritzt: „H. Waderé München 1890“. Das sagt zumindest die knapp 30 Jahre alte Magisterarbeit, ich kann die Schrift beim besten Willen nicht mehr erkennen. „Der Künstler schuf zahlreiche Bauplastiken an Münchner Repräsentationsbauten wie z.B. die Skulpturen an der Paulskirche (1892–1900), die Figuren „Lex“ und „Jus“ am Justizpalast (1899–1906), die Skulpturen am Rathaus (1899–1908) und am Prinzregententheater (1900/01), um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Die Antike war Waderés bevorzugtes Vorbild und auf seinen zahlreichen Reisen waren Antikensammlungen sein bevorzugtes Ziel.“ (S. 115) Auch der Gießer von Platte (und vermutlich der Dame) ist bekannt; sein Name findet sich zu Füßen der Plastik: „Guss v. C. Leyrer“. In der Arbeit wird noch ein „München“ dahinter notiert, aber auch das kann ich nicht mehr lesen.

Abends traf ich mich mit F. in der Hypo-Kunsthalle, um Fotos von Peter Lindbergh anzuschauen. Im ersten Raum war ich noch sehr geflasht, denn dort warteten die Supermodels und die Bilder, wegen derer ich ewig in Linda Evangelista verknallt war. Danach kam aber ein Raum nach dem anderen, in dem weitere sehr schöne Menschen auf sehr schönen Bildern zu sehen waren. Klingt gut, war in der Masse aber recht schnell langweilig. Ich ahne, dass es Können braucht, um aus schönen Menschen noch schönere zu machen, aber ich ermüdete zügig von all dieser inszenierten Ästhetik. Der einzige Raum, in dem ich länger blieb, war der, in dem fast ausschließlich Bilder von Tänzer*innen zu sehen waren. Das waren – neben vielen Schauspieler*innen, die natürlich auch alle irre schön waren – die einzigen Körper, die danach aussahen, mehr zu können als dass Klamotten an ihnen gut aussehen.

Es war interessant, ein völlig anderes Publikum in der Kunsthalle zu sehen als das, was sonst durchläuft. Wo man sich üblicherweise mit vielen Menschen über 60 vor den Exponaten tummelt, musste man sich hier hauptsächlich durch viele junge, meist sehr dünne Mädchen kämpfen. (Kein Body-Shaming, nur eine Beobachtung.)

Gestern ließ ich mich per Bus und U-Bahn in die Innenstadt chauffieren, denn ich brauchte neue Walkingschuhe. Als ich mit dem planmäßigen Rumlaufen anfing, zog ich einfach die Sneakers an, mit denen ich eh die ganze Zeit rumlaufe. In wenigen Monaten habe ich es geschafft, die stoffartige Innenverkleidung der Schuhe komplett durchzulaufen, so dass meine rechte Hacke schon reines Plastik spürte (und mit einer blutigen Blase quittierte). Also kaufte ich Schuhe, mal nicht in diesem Interweb, sondern mit Beratung in einem Geschäft, zu dem man hinfahren muss. War aber okay, denn direkt danach kaufte ich nebenan meine Lieblingstrüffel und packte sie grinsend in die Tüte mit den Schuhen.

Den Nachmittag verbrachte ich dann wieder auf dem Alten Nordfriedhof, aber nicht, um rumzulaufen, sondern um Fotos von vielen, vielen Grabsteinen zu machen, über die ich mal bloggen will, und natürlich auch um ein paar Bilder für diesen Eintrag zu haben. Nebenbei ist mir sogar jemand von der Eichhörnchengang vor die Linse gehuscht, aber er war doch zu schnell für ein anständiges bzw. scharfes Bild.

Ein mathematisch-künstlerisch-musikalisches Dankeschön …

… an Sabine, die mich mit Gödel, Escher, Bach: An Eternal Golden Braid überraschte. Das Buch taucht in regelmäßigen Abständen in meiner Blogrunde oder meinem Twitterstream auf, irgendwer liest es immer gerade und staunt und schreibt darüber (oder erwähnt es wenigstens). Nach Jahren des Widerstands gab ich auf und packte es auf meinen Wunschzettel. Das scheint eine gute Idee gewesen zu sein, denn die Schenkende hat das Buch, laut ihrer Widmung, auch gelesen und verspricht unter anderem „Hirnfutter, Spaß und Ablenkung“. Das kann ich gerade alles sehr gut brauchen. Vielen Dank für das Geschenk und die Widmung, ich habe mich sehr gefreut.

Was schön war, Samstag, 22. Juli 2017 – Hasscup aka Coup d’Amour

Manche Nicht-Fußballfans stolpern in der Twittertimeline vielleicht manchmal über Hashtags wie #tpmuc, #tkhh oder #tpus. Dahinter verbergen sich Stammtische von Fußballfans in verschiedenen Städten: TweetPass München, TweetKick Hamburg oder mein lokaler Liebling TweetPass Unterm Schwanz, was natürlich Hannover ist, wo man sich bekanntlich unterm Schwanz trifft.

Vorletztes Jahr fand zum ersten Mal ein gemeinsames Treffen dieser Twitterstammtische statt, der #tkschland (hoffentlich selbsterklärend). In Köln wurde gequatscht und gekickt: Zum ersten Mal wurde der Hasscup ausgespielt, zu dem sich Fans verschiedener Vereine, die sich ja bekanntlich alle hassen, in Mannschaften zusammentun und um einen winzigen Pokal spielen, während die Nichtspielenden biertrinkend klatschen. 2016 traf man sich in Hamburg, was ich großflächig ignorierte; zum einen, weil ich schon seit langem nicht mehr zum tpmuc gehe – es gibt dann doch Wichtigeres als Fußball, aber ich habe über diesen Stammtisch viele tolle Menschen kennengelernt, unter anderem F. Zum anderen, weil Hamburg immer noch weh tat.

In diesem Jahr traf man sich in München. Und wenn etwas vor der Haustür liegt, kann man ja schlecht ganz wegbleiben. Aus meiner üblichen Introvertiertheit heraus sagte ich nur zum Hasscup-Termin zu, alle anderen Dinge ließ ich gleich aus und las sie einfach bei Twitter unter #tkschland nach. Das waren in diesem Jahr unter anderem ein Golf-Schnupperkurs, ein Rasenfunk Live, eine Schnitzeljagd durch den Englischen Garten und eine Trambahntour, alles von Freiwilligen organisiert, die dafür eine Menge Zeit opferten. (Applaus dafür!) Auch das Orgateam fand sich von alleine zusammen und arbeite hart; eine Schwierigkeit war es, einen Platz für den Hasscup zu finden. Einer der Orgamenschen erzählte mir gestern, dass ein halbes Jahr vor dem Termin quasi schon alles ausgebucht war. Aber einen Platz hatten sie noch nicht angefragt: das Trainingsgelände eines gewissen Münchner Fußballclubs. Einer der dortigen Social-Media-Verantwortlichen war öfter beim tpmuc gewesen und kannte die Rotte daher. Und so kam es, dass gestern geschätzt 100 Leute auf dem Kunstrasenplatz des FC Bayern kicken und klatschen durften.

(Das ist nicht der Kunstrasenplatz, aber ich wollte das Verwaltungsgebäude mit dem Logo im Bild haben. Unser Spielfeld liegt rechts davon, sieht man im eben verlinkten Bild sehr schön.)

Ich habe mich sehr gefreut, @heinzkamke wiederzusehen, den ich das letzte Mal vor fünf Jahren in der Küche des ehemaligen Mitbewohners getroffen hatte – deswegen musste der Herr auch erstmal auf sein Namenschild zeigen. Sorry! Mit @Mariondie @KarolineDoering (ups) und @DonnerBella bepöbelte und beklatschte ich immerhin das erste Spiel des Cups aufmerksam, bevor mir die Spiele egal wurden. Ich konnte @fehlpass, @lizaswelt und charmanter Begleitung, @mirkovj, @kaffchris und @spielbeobachter wenigstens kurz Hallo sagen, @trainerbaade hat mich, glaube ich, nicht erkannt, weil ich noch kein Namensschild trug und wir uns nicht auf Twitter folgen, @hirngabel habe ich leider verpasst, aber ich war auch damit beschäftigt, @quarkbaellchen und @nedfuller für ihre Transparente anzupöbeln (#tkaustria), die sie 800 Kilometer aus Hamburg angeschleppt hatten. Dann lernte ich endlich mal @runnertobi kennen, der so ziemlich der einzige Hannover-96-Fan in meiner Timeline ist und der deswegen immer für ein bisschen Heimatgefühl sorgt. In der nächsten Saison könnte das etwas anstrengend werden, denn Augsburg ist direkter Konkurrent. Mit einem kurzen Plausch mit dem ehemaligen Mitbewohner ließ ich meinen Nachmittag ausklingen und ging nach ein paar Stunden in der Sonne (IN DER SONNE! Okay, im Schatten, aber es gab Sonne!) wieder nach Hause in meine stille, dunkle Höhle. #hach

Ich fand es ziemlich souverän vom FC Bayern, uns seinen heiligen Rasen zu überlassen. FCB-Fan @alex_muc86 meinte dann gestern auch: „An der Säbener Straße ein Tor geschossen. Jetzt kann ich mich zur Ruhe setzen.“

Links vom Samstag, 22. Juli 2017

The 12-Hour Goodbye That Started Everything

Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt und man kann sich auch nicht aussuchen, wann das Gefühl wieder aufhört, wenn es nicht erwidert wird. Kennt jede/r, weiß jede/r, aber manchmal ist es hilfreich, wenn es einem noch mal so hübsch formuliert gesagt wird wie im Essay von Miriam Johnson.

„I looked for ways to manage the hurt, denial and rage. I took up kickboxing, which helped. I contacted a therapist I had seen, a powerful woman nearing 70 who often spoke with the air of a monk meditating on a mountain.

“There are no shortcuts to love,” she said. “Honor the truth inside yourself and give that to another.”

After months of meditating on the parts of him that had blindsided me, I started to consider the parts of myself that I had hidden from him. Not just from him but from myself as well, parts of my life where I wasn’t living honestly. While we were together, I had anxiety attacks every day, though I never mentioned them while dancing across the kitchen to offer him oven-baked salmon and glasses of wine.

I’m not sure if we fall in love with people or if we fall in love with the way they make us feel, the ways they expand who we are and wish to be.“

Wenn ihr keine Geduld für diesen wirklich nicht langen Text habt, dann lest wenigstens die letzten Sätze. Sie haben mich an den Film Marvin’s Room erinnert, in dem Diane Keaton die schönen Zeilen sagt: „I’ve been so lucky to have been able to love someone so much.“

Der Kreißsaal der Moderne

Andrea Diener schreibt über das Bauhaus, und ich konnte sogar noch was lernen. Der Einstiegssatz ist mein neuer Lieblingsreinkommer.

„Kandinsky wollte Rosen. Das passte zwar nicht in das Konzept des Direktors Walter Gropius, das minimalistische Grünflächen vorsah, aber gut: Dann sollte Kandinsky eben seine bürgerlichen Rosen züchten und sein Wohnzimmer in Rosa und Gold streichen wie eine begehbare russische Ikone. Und historistische Wanduhrmonstren über die Plüschsofas hängen, das sah man von außen ja nicht. Von außen sah man nur diese weißen Kuben mit ihren dunkel gerahmten Fenstern zwischen den hohen, schlanken Kiefern stehen, die Balkone mit ihren luftigen, geschwungenen Stahlgeländern und die Wege, die alle Häuser miteinander verbanden. Von außen sah man weder Rosen noch Plüsch.

Irgendwie nämlich war es Walter Gropius gelungen, die führende Riege der zeitgenössischen Kunst zunächst ins beschauliche Weimar und einige Jahre später in die laute, müffelnde, aber damals auch sehr betriebsame Industriestadt Dessau zu locken, die nicht gerade der Nabel der Welt war. Paul Klee war da und teilte sich die Doppelhaushälfte mit Wassily Kandinsky, seine Innendekoration übrigens in deutlich dezenterer Farbgebung, Lyonel Feininger und Oskar Schlemmer wohnten hier, László Moholy-Nagy und Georg Muche, und am Ende der Reihe wohnte Gropius in seiner ebenfalls sehr weißen und kubischen Direktorenvilla, selbstredend ohne Rosen. Denn diese Häuser waren auch als Musterhäuser für modernes Wohnen gedacht. Großzügig ist in ihnen allerdings nur das Atelier, alle anderen Räume schachteln sich eng aneinander. Ise Gropius, Schriftstellerin, Lektorin und wichtigste Organisationskraft für alle Bauhaus-Belange, führte reihenweise Landfrauenvereine durch ihre Villa und zeigte ihnen, wie modernes Hauswirtschaften aussehen konnte. Die Reaktion der Damen ist leider nicht überliefert.“

Haus der Kunst auf YouTube

Das Haus der Kunst stellt netterweise seine Vorträge recht schnell auf YouTube. Die beiden folgenden habe ich selbst noch nicht gesehen, aber ich verlinke sie trotzdem mal. Hier spricht Iris Lauterbach aus dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte über die Architektur des Hauses der Kunst, und hier unterhält sich Andreas Huyssen mit dem Fotografen Thomas Struth, dessen Ausstellung ich euch noch mal ans Herz legen möchte (falls wer den letzten Fehlfarben-Podcast nicht gehört haben sollte). Huyssen hat einen meiner Meinung nach grundlegenden Aufsatz zu Anselm Kiefer geschrieben, und ich habe ihn sowohl in meiner Seminar- als auch meiner Masterarbeit exzessiv zitiert.

Was schön war, Donnerstag, 20. Juli 2017 – Eine Nacht drüber schlafen und immer noch das Gleiche fühlen

Am Mittwoch bekam ich eine Mail von Kai, die etwas finalisierte, was bisher noch nicht finalisiert war. Eigentlich hatte ich mich vor dieser Mail seit über zwei Jahren – so lange ist unsere Trennung schon her – gefürchtet, aber als sie kam, war die erste Bauchreaktion: Jetzt isses durch. Und das nicht in einem bedauernden Tonfall, falls Bäuche Tonfälle haben, sondern erleichtert.

Jetzt kann ich nicht mehr darüber nachdenken, ob ich doch noch nach Hamburg fliegen sollte, um meine 20-Euro-Ikea-Gardinen abzunehmen, denn die hängen da noch in unserer ehemals gemeinsamen Wohnung, und an manchen Tagen denke ich ernsthaft über solchen Quatsch nach. Nun wird es diese Wohnung in naher Zukunft nicht mehr geben. Ich hatte immer Angst davor, dass mich diese Endgültigkeit fertig macht, aber vorgestern und netterweise gestern auch noch fühlte es sich eher an wie ein Schlussstrich, der jetzt gezogen werden kann, ohne dass es noch irrwitzig weh tut. Ein bisschen ziept es noch, aber ich glaube, das ist okay, Abschiede dürfen ziepen. Es ziept auch noch, wenn ich Kai in meiner Timeline habe oder Mails kommen, aber auch das ist okay. Im Moment ist alles okay, was ihn und mich angeht und das freut mich sehr, weil es das lange Zeit nicht war.

Ich brauche immer Rituale oder klare Enden, damit ich irgendwas abschließen kann. Ab liebsten würde ich alles in irgendwelche Kisten packen und sie anständig beschriften, damit man den Inhalt wiederfindet, und dann alles in ebenfalls anständig beschriftete Regale packen. Eine Bibliothek von abgeschlossenen Dingen quasi, in der alles seinen Platz hat. Das klappt natürlich nicht immer, aber manchmal reicht es schon, wenn Dinge wenigstens ein Label kriegen oder irgendeine klare Bezeichnung. Die fehlte mir für diesen Zustand, dieses Wissen, dass „unsere“ Wohnung noch da ist, obwohl sie nicht mehr „unsere“ ist, sondern seine. Jetzt ist sie bald auch nicht mehr seine, sondern wird von anderen Leuten bewohnt wie alle Wohnungen, in denen ich früher mal gelebt habe und an die ich so gut wie nie denke, weil sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Das kann ich bald auch mit der schönen Hamburger Wohnung tun. Und dann kann Hamburg endlich in eine Kiste.

Was schön war, Mittwoch, 19. Juli 2017 – Regen

Erstmal war es schön, den Wecker um 6 nicht an die Wand zu werfen (bwz. das iPhone, das mich weckt), sondern mich daran zu erinnern, wie gut es mir geht, wenn ich erstmal aus dem Bett und der Wohnung rausgekommen bin. So war es dann auch: Die Luft draußen war etwas kühler als in meiner Wohnung, aber mit 18 Grad immer noch zu warm für mich. Spotify spielte meinen Mix der Woche, den ich schon deshalb mag, weil da grundsätzlich Zeug drin ist, das ich nicht kenne, und darauf kann ich mich konzentrieren, wenn mir beim Walken langweilig ist.

Neuerdings kürze ich immer um ein paar hundert Meter ab, indem ich nicht mehr stur außen um den Friedhof rumlaufe, sondern mal kreuz und quer die Wege erkunde. Es gibt ja noch so viele Grabsteine, die ich anschauen kann. Und auch hier: Es hilft, bevor die Langeweile dafür sorgt, dass ich gar nicht mehr laufen will. Ich ahne allerdings, dass ich mich wirklich mal nach einer neuen Strecke umgucken muss.

Gelaufen bin ich gestern gar nicht, dafür war es wie gesagt zu warm; ab einer gewissen Luftfeuchtigkeit oder Ozonbelastung oder was auch immer es ist, nervt mein Asthma etwas rum, und ich hasse es, wenn meine Lunge Geräusche macht. Das macht sie beim Gehen eher selten, also wurde nicht gelaufen, sondern gegangen. Auch gut.

Und was dann richtig gut war: Auf der vorletzten Runde begann es plötzlich wie aus Eimern zu regnen. Ich genoss es sehr, auf den kurzen Strecken, die nicht von Bäumen geschützt waren, richtig schön nass zu werden. An der Haustür angekommen, war ich allerdings schon fast wieder trocken, so warm war es.

La familia in Minga, Tag 2 – Wie man Leute zum Kunstgucken kriegt, die eigentlich gar nicht Kunstgucken wollen

(Tag 1)

Unser Spaziergang durch die erweiterte Maxvorstadt hatte uns am Samstag auch durchs Kunstareal und an den drei Pinakotheken vorbeigeführt. Eigentlich standen Kunstmuseen nicht auf dem Plan meiner Familie, aber anscheinend haben F. und ich die Bande doch neugierig genug machen können. Oder es lag am Eintrittspreis von nur einem Euro, der Sonntags für die Pinakotheken fällig ist. Meine Schwester und ihr Mann wollten in die Pinakothek der Moderne, Papa lieber in die Alte, weil er meinte, mit moderner Kunst nichts anfangen zu können. Wir trafen uns an der Tramhaltestelle, ich kam mit dem Rad und fragte: „Wie lange wollt ihr denn im Museum bleiben?“ „20 Minuten.“ Und das war vermutlich kein Scherz. Ich meinte: „Lasst uns mal ne Stunde ausmachen; wenn ihr euch langweilt, ruft an.“ Einverstanden.

Papa und ich gingen also in die Alte Pinakothek. In der war ich, ehrlich gesagt, schon etwas länger nicht mehr; einmal weil es nicht mehr die Kunst ist, mit der ich mit hauptsächlich beschäftige, und zum anderen, weil sie seit gefühlten Ewigkeiten saniert wird. Das heißt, vieles hängt nicht da, wo es hängen soll. Ich wusste also selbst nicht genau, was uns erwartet, aber ich zahlte unsere zwei Euro Eintritt und schloss unsere Sachen im Schließfach ein. (Eigentlich komme ich ja umsonst in die Pinakotheken und einige andere Museen, aber bei einem Euro Eintritt ist es mir zu peinlich, den Studiausweis zu zücken.) Wir gingen das herrliche Treppenhaus von Hans Döllgast nach oben, von dem zurzeit nur eine Treppenhälfte begeh- und sichtbar ist; das Ding ist aber trotzdem noch sehenswert.

Mein üblicher Rundgang beginnt eigentlich immer in Flandern mit Rogier van der Weyden, aber genau die Seite wird gerade renoviert. So standen wir stattdessen unvermittelt zwischen lauter anderen Niederländern – und dem Selbstporträt von Albrecht Dürer, das ich fast übersehen hätte, weil es hier sonst nicht hängt. Hier konnte ich Papa ein bisschen was über das Selbstverständnis von Künstlern in der Renaissance erzählen, die sich nicht mehr nur als Handwerker sahen, die Aufträge ausführten, sondern als Schöpfer. Die Ähnlichkeit zu Jesus ist bei Dürer absolut gewollt. Bei Rubens’ Großem Jüngsten Gericht konnte ich erzählen, dass die Pinakothek um dieses großformatige Bild herumgebaut wurde – ohne dieses Gemälde würde es das Gebäude nicht geben. Bei anderen Rubens-Bildern wies ich auf die Farbigkeit hin, die mir an Rubens so gut gefällt; ansonsten kann ich mit ihm nicht so viel anfangen. (Nein, nur weil er dicke Frauen malte, muss er mir nicht gefallen.) An einem vierteiligem Bild, von dem ich keine Ahnung habe, wie es hieß oder von wem es ist, erklärte ich den Bildaufbau in mehrteiligen Werken und bot eine Lesart an, die mir vor dem Bild einfiel. An Madame de Pompadour erläuterte ich die Menschendarstellung vor und nach der französischen Revolution, an Canaletto die Grand Tour, die eine Nachfrage für Stadt- und Landschaftsabbildungen schuf, die zur Erinnerung an die Reise dienten; an mehreren Landschaftsbildern zeigte ich die Vorliebe für gestaltete Natur mit antiken Ruinen, die darauf hinwiesen, dass der Mensch von „heute“ schon eine lange Geschichte hinter sich hat und sich ihrer erinnern soll. Bei Stillleben guckt mein Papa demnächst vermutlich immer nach Zitronen, weil ich so davon geschwärmt habe, dass ich die Darstellung mit der in Ringeln abgeschälten Schale so gern mag. An einem weiteren Stillleben, in dem blauweiße Porzellanschüsseln abgebildet waren, konnte ich mein Wissen zur Porzellanherstellung anbringen, das ich mir im Dresdner Zwinger angelesen hatte.

Ich selbst sah den Velázquez seit meiner Lektüre über ihn mit neuen, neugierigen Augen und erfreute mich wie immer an Raffael, auch wenn von ihm mein am wenigsten geliebtes Bild von den drei vorhandenen hängt. Und ich konnte über den ollen Leonardo lästern, der direkt nebenan hängt und den ich total doof finde.

Das war vermutlich eine eher konfuse Führung, weil ich mich weder an einer Chronologie noch an Orten oder Künstlern entlanghangelte, sondern einfach in den Sälen rumguckte und spontan entschied, was ich erzählen wollte. Eigentlich wollte ich Papa einfach nur auf Dinge aufmerksam machen, auf die man vielleicht sonst nicht achtet (das Hündchen bei Madame de Pompadour oder eben die Ruinen in den Landschaften) und ihm ein paar Hintergrundinfos geben, die nicht allzu wissenschaftlich sind, sondern eher die Bilder bzw. ihre Motive fassbar machen.

Nach einer Stunde verließen wir, wie verabredet, die Alte Pinakothek und setzten uns auf eine Bank im Schatten, von wo ich den Eingang zur Pinakothek der Moderne sehen konnte, wenn man sich etwas umdrehte, denn ich erwartete, dass Schwesterchen und Ehemann auch gleich kommen würden. Die kamen aber nicht, und so guckten wir uns bequem im Sitzen die modernen Skulpturen an, die auf der Wiese zwischen Alter und Neuer Pinakothek stehen. Papa meinte, er könne damit nichts anfangen, er wüsste nicht, was er sich darunter vorzustellen habe. Ich meinte, bei vielen Skulpturen müsse man sich gar nichts vorstellen; vielleicht hat sich der Künstler oder die Künstlerin nur gedacht, hey, ich habe hier ein schickes Material, Eisen, Bronze, was auch immer, ich gebe diesem schicken Material jetzt eine Form, die so in der Natur nicht vorkommt, fertig, Kunst. Ich meinte, man müsse Kunst nicht verstehen, man könne sich auch einfach mal so vor ein Werk stellen und gucken, was es mit einem macht. Und dann erzählte ich von Carl Andres 10 Steel Row in der Pinakothek der Moderne, das ich so mag, weil man sich nicht nur vor das Werk stellen könne, sondern sogar drüberlaufen. Das fand Papa unglaublich: Kunst, die man nicht nur anfassen, sondern auf die man drauftreten darf? Das wollte er sehen.

Und so rief ich Schwesterchen auf dem Handy an, ob sie nach jetzt anderthalb Stunden schon fertig wären – sie flüsterte: „Nee, wir gucken noch“ – und ging mit Papa für zwei weitere Euro in die Pinakothek der Moderne, wo wir auf Kunst rumliefen. Danach führte ich ihn natürlich in den Saal mit den frisch angekauften Werken von Anselm Kiefer und flüsterte ihm meine halbe Masterarbeit zu. Irgendwann standen dann auch Schwester und Gatte neben uns und ich flüsterte alles noch mal. Während die beiden schon in Richtung Café schlenderten, zeigte ich Papa noch den Saal 13 mit der Kunst, die zwischen 1933 und 1945 entstand und fasste den Inhalt meiner letzten drei Semester in fünf Minuten zusammen.

Beim Kaffee meinte Schwesterchens Mann, dass er es seltsam fände, dass die Pinakothek ausgerechnet am Sonntag, wo ja eh alle Zeit haben, den Eintritt so günstig macht – das wäre doch schlauer, den an diesem Tag normal zu lassen. F. hatte darauf einen Tag später eine schlaue Erwiderung: Der Widerstand, in ein Kunstmuseum zu gehen, ist geringer, wenn es finanziell nicht so weh tut. Und wenn eh alle Zeit haben, ist er noch geringer. Daran musste ich am Montag denken, als die Rotte das Deutsche Museum für vier Stunden erkundete, obwohl meine Schwester schon nach einer Stunde keine Lust mehr hatte. Aber dafür hatte man jetzt elf Euro bezahlt, die lief man dann eben ab. Die Pinakotheken konnten anscheinend eher überzeugen. Mich hat es jedenfalls sehr gefreut, dass alle länger Kunst geguckt haben als sie eigentlich wollten und das nicht, weil ich nicht aufgehört habe zu reden, sondern weil da halt so viel Zeug hängt und steht und liegt, das spannend ist.

Der Tagesabschluss überzeugte die Familie dann endgültig von München. Während sie nach dem Museum eine Stadtrundfahrt machten, stand ich in der Küche und bereitete Nudelsalat mit Pesto und Tomaten zu, schnitt Radieschen und Gurken in mundgerechte Stücke und rührte einen Bottich Obadza an. Ich wickelte Metallbesteck in Servietten und verpackte alles zusammen mit einem Berg Brezn und Papptellern in Tragetaschen (Porzellan war mir für fünf Leute zu schwer), die F. und ich gemeinsam in den Taxisgarten schleppten. Das Konzept „In den Biergarten darf man Essen mitbringen“ stieß auf ungeteilte Begeisterung. (Mein Essen netterweise auch.) Wir spielten Geber-Doppelkopf, bis wir selbst bei Handy-Taschenlampen nichts mehr sehen konnten und gingen satt, angeheitert und sehr zufrieden nach Hause.

La familia in Minga, Tag 1 – Die Maxvorstadt in Kurzfassung

Freitag abend kamen mein Vater, meine Schwester und ihr Mann in München an; meine Mutter musste leider aus gesundheitlichen Gründen im Norden bleiben. Eigentlich wollten wir uns erst am Samstag morgen zum Frühstück treffen, aber Schwesterchen und Ehemann machten noch einen Abendspaziergang, der sie in meine Nähe führte, sie whatsappten mich an, ich öffnete Türen und Bierflaschen und DMte F., doch auch noch rumzukommen. Wir verquatschten uns bis halb zwei, und ich war daher morgens um 7 entsprechend müde, als ich aufstehen und Frühstück organisieren musste. Den Tisch hatte ich immerhin schon abends gedeckt. Väterchen bot F. gleich nach zehn Minuten das Du an, ich bekam selbstgekochte Marmelade und Birnenschnaps überreicht, wir frühstückten gemütlich und besprachen dann, wie wir die weiteren drei Tage gestalten wollten.

Eigentlich hatte ich eine Stadtrundfahrt vorgesehen, aber Samstag war in München CSD, was mir erst Freitag aufgefallen war. Die Parade hatte eine sehr ähnliche Route wie die Busse der Stadtrundfahrt, also schlug ich vor: Ich zeige euch mein München, also die Ecken, die mir etwas bedeuten oder an denen ich mich gerne aufhalte.

Wir fuhren zwei Stationen bis zum Königsplatz (natürlich), wo ich schon in der U-Bahn-Station über das Kunstareal sprechen konnte, denn die Wände der Station sind mit diversen Werke der Museen illustriert. Dann rolltreppten wir an die Oberfläche und ich erzählte was über Franz von Lenbach und Norman Foster, der das alte Lenbachhaus mit einem Goldklotz erweitert hatte. Wir spazierten durch die Propyläen und ich erzählte was über Leo von Klenze. Wir spazierten über den Königsplatz und ich erzählte was vom Isar-Athen, vom Willen Ludwig I., aus München eine Kunst- und Kulturmetropole machen zu wollen, von der Anlage des Platzes und dass man so schön die antike Säulenordnung an den drei Gebäuden am Platz ablesen kann: Die Propyläen haben dorische Säulen, die Glyptothek hat ionische und die Antikensammlung korinthische. Ich erzählte über die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten und wie sie das Ensemble aus dem 19. Jahrhundert in ihre Repräsentationsarchitektur umbauten, indem sie die „Ehrentempel“ sowie den Führerbau und das NS-Verwaltungsgebäude errichteten. Auch über diese Gebäude konnte ich natürlich etwas erzählen; ich erwähnte, dass im Führerbau das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde, worauf auch eine Gedenktafel hinweist, und erklärte, was der Central Collecting Point war. Und natürlich glänzten meine Äuglein und meine Bäckchen färbten sich rosig, als ich verliebt von einer der weltweit größten kunsthistorischen Bibliotheken im ZI berichtete, die sich heute im ehemaligen NS-Verwaltungsgebäude befindet und ich der ich am liebsten wohnen würde.

Auf dem Weg zum Karolinenplatz sprach ich über das NS-Dokumentationszentrum und empfahl einen Besuch. Am Platz selbst konnten wir schon die Türme von Theatiner– und Frauenkirche sehen. Wir gingen in Richtung der Pinakotheken und kamen am isrealischen Generalkonsulat vorbei, auf das ich hinwies. Ich freue mich jedesmal, wenn ich vorbeiradele, über den Ort, den sich das Konsulat für seinen Sitz ausgesucht hat: geschätzt 100 Meter Entfernung zum ehemaligen Führerbau, quasi in Sichtweite von Hitlers ehemaligem Arbeitszimmer. Die Flagge mit dem Davidstern ist für mich immer ein selbstbewusstes „Fuck you“ in Richtung des Nazibaus. Gekommen um zu bleiben, Arschloch.

An der Alten Pinakothek sprach ich über die Restaurierungsarbeiten von Hans Döllgast, die heute als beispielhaft gelten für den Umgang mit Kriegsschäden (Wunden sichtbar machen anstatt einfach neu zu bauen). Nach so vielen Infos waren alle hungrig und wir mussten quasi beim Ballabeni ein Eis essen. La familia nahm dann nebenan bei Dompierre noch einen Kaffee mit, während F. sich so langsam verabschiedete. Ich führte die Rotte dann natürlich noch zur Universität, wo wir uns den Lichthof anschauten, in dem die Weiße Rose die Flugblätter ausgelegt hatte. Ich erwähnte auch den Rundbogenstil und erzählte was zum Ensemble Ludwigstraße und zum Siegestor.

Und schon wieder Zeit für Erholung: Wir setzten uns in den 154-Bus und ließen uns von der Uni direkt zum Biergarten am Chinesischen Turm im Englischen Garten chauffieren. Dort erfreuten sich die Norddeutschen an der Blasmusik und den riesigen Brezn; genau so war es mir vor fünf Jahren ergangen, deswegen wollte ich hier unbedingt hin. Schwesterchen und Gatte machten sich danach gestärkt zu Fuß in Richtung Haus der Kunst auf, mein fußmüder Papa und ich nahmen die Tram. Meine Schwester wollte nämlich unbedingt die Surfer auf der Eisbachwelle sehen, während ich natürlich viel dringender übers Haus der Kunst reden wollte. Wir haben beides gut geschafft.

Die Familie zog sich dann zum Nachmittagsschläfchen ins Hotel zurück, während ich einkaufte, um sie am Sonntag im Biergarten verköstigen zu können. Den Abend verbrachten wir im Georgenhof, der Lieblingsadresse von F., wenn sich Auswärtige ankündigen. Die Familie war auch sehr zufrieden mit den bayerischen Köstlichkeiten, und wir waren dem Kellner sehr dankbar für den Hinweis, dass man sich das Brotzeitbrettl bequem zu zweit teilen kann. Tag 1: ein voller Erfolg. Und Tag 2 wurde – in meinen Augen – noch besser.

Ein privates Dankeschön …

… an Jutta, die mich mit Janosch Steuwers »Ein Drittes Reich, wie ich es auffasse«: Politik, Gesellschaft und privates Leben in Tagebüchern 1933-1939 überraschte.

Ich vertwitterte im April die beeindruckte Rezension aus der SZ, die ich leider dort nicht wiederfinde und sie deshalb in etwas anstrengend zu lesender Form bei buecher.de verlinke. Der Teaser der SZ war so ungefähr: „Das politische Leben bestimmte auch das private“, woraufhin irgendein Stoffel mir das loriot’sche „Ach was?!“ als Reply schickte. Ich gehe davon aus, dass der Stoffel dem Link gar nicht erst gefolgt ist, denn dann wüsste er, warum ich das Buch so spannend fand:

„Inspiriert wohl von Sebastian Haffners unmittelbar im englischen Exil 1938 begonnener Autobiografie „Geschichte eines Deutschen“, hat sich der in Zürich lehrende Historiker Janosch Steuwer der Erfahrungs- und Gesellschaftsgeschichte der Etablierung des Nationalsozialismus zugewandt. Es war ja Haffner, der als einer der Ersten darauf verwies, dass „die Nazi-Revolution die alte Trennung zwischen Politik und Privatleben aufgehoben“ habe. Steuwer knüpft in seiner Analyse des Begriffs „Volksgemeinschaft“ daran an: Wie bestimmten die Zeitgenossen ihr eigenes Verhältnis zum neuen Regime mitsamt neuen ideologischen Grenzziehungen, aber auch Veränderungen ihrer Position im alltäglichen Sozialgefüge. Bestehende Lebensweisen und Selbstreflexionen wurden plötzlich hinterfragt und neuen politischen Kategorien angepasst. Dadurch tauchte eine neue Form der Privatheit auf, die der Autor anhand von etwa 140 bisher unveröffentlichten Tagebüchern der Jahre 1933 bis 1939 untersucht. Er attestiert diesen Quellen systematische Einsichten in das NS-Regime, wie sie anderswo hätten nicht erreicht werden können.

Man denke nur an die Tagebücher von Victor Klemperer. Steuwer trennt sie klar von retrospektiven Selbstzeugnissen wie Autobiografien oder Erinnerungen. Er wertet sie als Quelle sui generis, vor allem weil ihre Verfasser „den Stoff nicht vollständig kennen und nicht autonom über ihn verfügen können“. Mit der Zuschreibung einer antifiktionalen Authentizität der Tagebücher (vielfach aus dem Fundus des Deutschen Tagebucharchivs Emmendingen) versucht er einen neuen Zugang zum Wandel konkreter Verhaltensweisen nach dem Beginn der NS-Herrschaft zu rechtfertigen. Eine solch strukturelle Herangehensweise scheint wissenschaftliches Neuland zu sein. […]

Der für manche vielleicht interessanteste Teil dieser Untersuchung behandelt die Frage, welche Meinung die Deutschen über das NS-Regime hatten, wie sie auf dessen Entscheidungen reagierten, wie die Bevölkerung in die Politikgestaltung einbezogen wurde und welchen Rückhalt sie bedeutete. Auch hier überrascht Steuwers Vorgehen. Statt erneuter Auswertung der Lageberichte von Gestapo und Exil mit ihren bekannten kollektiven Zuschreibungen wie „Konsensdiktatur“, „Zustimmungsdiktatur“, wendet er sich dem Einzelnen und seiner individuellen Beschäftigung mit der Regierungspolitik zu. Er glaubt, dass auch hier Tagebücher die Stimmungsberichte besser dokumentieren. Nur wurden sie so bislang nicht ausgewertet. Zitate vom November 1933 wie: So schnell ich begeistert bin, so schnell kühle ich ab. Warum kommen mir immer nur wieder Zweifel? Warum kann ich nicht rücksichtslos glauben?“, sagen viel über das Auswertungspotenzial aus. Bescheiden merkt der Autor an, dass er statt weiterer Begrifflichkeiten das Wissen ergänzen möchte, was „Zustimmung“ unter den Bedingungen der NS-Diktatur meint. So wies bereits Klaus Theweleit darauf hin, dass in Tagebuchaufzeichnungen nicht der Inhalt politischer Ansprachen reflektiert wurde, sondern vielmehr die Inszenierung eigener Gefühle. So auch Steuwers Annahme, dass die NS-Politik die Deutschen weniger durch Überzeugungen und Argumentationen geprägt habe, sondern durch inszenierte unpolitische Gefühle. Wichtig war den Tagebuchschreibern stets eine „Übereinstimmung zwischen der eigenen Wahrnehmung und der propagandistischen Politikinszenierung her- und auszustellen“. Das aber verweist auf ein ungleich komplexeres Verhalten, als es die gängige These einer vom „Hitler-Mythos“ zusammengehaltenen Bevölkerung zeichnet.“

Gerade die Aufzeichnungen von Einzelpersonen interessieren mich sehr. Im Zuge meiner Masterarbeit habe ich, schlicht aus Platzgründen, mit den Deutschen als halbwegs einheitliche Masse argumentieren müssen bzw. habe meist die Ansichten der Mehrheit als Richtschnur genommen. Ich zitiere mich mal selbst zum Thema Vergangenheitsbewältigung (mal sehen, ob der Plagiatsdetektor des Prüfungsamts anspringt):

„Hans-Ulrich Thamer […] sah in der Zeit zwischen 1945 und 1949 zunächst die Phase der Entnazifizierung, in der die Deutschen sich notgedrungen intensiv privat und öffentlich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzten. Die Entnazifizierungs-bemühungen der Alliierten und die daraus folgende Einteilung in Täter und Mitläufer begünstigten aber auch die Entstehung eines ‚langwirkenden Geschichts- und Täterbildes, nach dem auf der einen Seite ein dämonischer Hitler und eine kleine verbrecherische Führungsclique stand, auf der anderen Seite die Gutgläubigen, in ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer Gefolgschaftstreue missbrauchten Deutschen.‘“

In der Fußnote zum Zitat schrieb ich:

„Thamer, Hans-Ulrich: „Der Umgang mit dem Nationalsozialismus und die politische Kultur in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit“, in: Hansen, Hendrik/Veen, Hans-Joachim (Hrsg.): Aufarbeitung totalitärer Erfahrungen und politische Kultur. Die Bedeutung der Aufarbeitung des SED-Unrechts für das Rechts- und Werteverständnis im wiedervereinigten Deutschland, Berlin 2009, S. 81–100, hier S. 89. Dennis Mayer widerspricht: Zunächst sei die Zustimmung der Bevölkerung zu den Entnazifizierungsmaßnahmen sehr hoch gewesen (über 50% der Befragten im November 1945), nahm aber stark ab (17% Zustimmung im Mai 1949). Die Nürnberger Prozesse sowie die Spruchkammerverfahren wurden als Siegerjustiz wahrgenommen. Laut Mayer hatten viele Deutsche das „Dritte Reich“ nicht als Unterdrückerstaat wahrgenommen, sondern waren von der „volksgemeinschaftlichen“ Loyalität überzeugt, vgl. Meyer, Dennis: Art. „Entnazifizierung“, in: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, 3. überarb. und erw. Aufl., Bielefeld 2015, S. 20–21, hier S. 21. Im Gegenzug lehnten die Deutschen aber die These einer Kollektivschuld rigoros ab, vgl. Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005, S. 32.“

Ich habe schon ein wenig im Buch quergelesen, und genau am NS-Begriff der „Volksgemeinschaft“ stößt sich der Verfasser sehr und hinterfragt, wie sehr dieser Begriff überhaupt noch trägt, wenn man ihn anhand von Einzelpersonen erforscht. Ich bin gespannt auf seine Schlussfolgerung. Vielen Dank für das Geschenk und die Widmung, ich habe mich sehr gefreut.

Nachtrag: Was schön war, Freitag, 7. Juli 2017 – Spontan-Broeding

Mein Lieblingsrestaurant in München ist das Broeding, wie Stammleser*innen wissen. Da es ein winziges bisschen hochpreisiger ist als der Schnitzelladen um die Ecke, gönne ich mir das aber nicht allzu häufig. Zum Geburtstag ist es Pflicht und meistens schaffe ich es im Jahr noch ein zweites Mal, aber das war’s.

Am kommenden Wochenende sollten eigentlich meine Eltern, meine Schwester und ihr Mann nach München kommen (hat sich leider teilweise aus Krankheitsgründen erledigt), und ich hatte schon ein schönes kulturelles Programm und diverse Biergartenbesuche geplant. Was den abendlichen Speiseplan anging, ließ sich meine Rotte partout nicht zum Broeding überreden, denn das war ihnen zu schickimickimäßig. (Alles, was kein halbes Schwein auf Toast ist, ist schickimicki.) Und zu teuer. (Das lasse ich gelten.) Ich redete mir sinnloserweise den Mund fusselig und bekam totale Sehnsucht nach den herrlichen Weinen, dem freundlichen Service und der stets hervorragenden Küche, so dass F. und ich Mittwoch spontan einen Tisch für Freitag reservierten. Das war eine ganz ausgezeichnete Idee.

Als Reinkommer gab’s einen kleinen Krautsalat. Ich freute mich über deutlich schmeckbaren Kümmel, der mir eigentlich egal ist, aber hier gefiel er mir sehr gut.

Masterschwein mit darunter versteckten Kokoslinsen und Ingwer-Karotten. Schöne Kombi aus den mild-weichen Linsen, den knackigen Karotten und dem knusprigen Ingwer. Eigentlich sah die Weinbegleitung einen anderen Wein vor, aber die Sommelière meinte, den würden wir schon kennen, daher hätte sie uns einen anderen mitgebracht. Mir war nicht klar, dass man schon zum Stammpublikum gehört, wenn man zweimal im Jahr auftaucht, aber F., ganz der bescheidene Mann, meinte, dass er ein Gesicht habe, das man sich merke. Ich hustete grinsend in meinen vollmundigen Szepsy Tokaji Furmint 2013.

Kalte Schlangengurkensuppe mit Mozzarella. Ein Löffelchen Basilikumsorbet war frisch und schmeckig, und es knusperte ein bisschen dunkles Brot in der Suppe rum. Dazu gab’s einen Riesling von Loimer, 2015. Mit Riesling macht man mich ja immer glücklich, aber mit dem hier besonders, denn er bleibt ewig am Gaumen.

Ein peinlich unscharfer Saibling mit Zucchini„nudeln“ und Wasserspinat, durch die Brösel ganz leicht scharf, was ich bei den beknackt heißen Temperaturen gerade sehr angenehm fand. Als die Flasche Wein dazu am Tisch ankam, quietschte ich wie so ein Weingutgroupie los: „Oh, ein Kollwentz!“ (Kein Augenrollen der Sommelière, Respekt.) Es gab einen Steinmühle Sauvignon Blanc 2016, der mir wie alles von dem Laden hervorragend schmeckte. Lauter dicke Stachelbeeren!

Auf Instagram meinte jemand, das Bild sehe aus wie ein Einhorn, und ich behaupte jetzt, dass das natürlich Absicht vom Küchenchef war, der weiß, was er Blogger*innen anbieten muss. Zur sous-vide-gegarten Rinderbrust mit Polenta und Spitzpaprika gab es einen Pannobile 2011 von Heinrich, dem zweiten Weingut, von dem ich alles trinke, was man mir vor die Nase stellt. Ich bin sehr einfach glücklich zu machen.

Zum Käse mit Rosmaringelee reichte man uns noch einen Furmint, von dem ich langsam mal eine Kiste einlagern müsste: Tokaij Late Harvest 2009 vom Weingut Kikelet. Ich werde immer seltsam sentimental, wenn in einem Laden, der sich hauptsächlich der österreichischen Küche verschrieben hat, was Ungarisches auf den Tisch kommt. Vor meinem Auge sehe ich die Donaumonarchie untergehen und proste ihr zum Abschied zu.

Als Vordessert gab’s ein bisschen Jogurtcreme, wenn ich mich richtig erinnere, aber die habe ich vergessen zu fotografieren. Das anständige Dessert war dann Limettenparfait, auf das ich mich total gefreut hatte, aber die Quasi-Beilage hat mich dann richtig umgehauen: Mandelmousse. Da erwartete ich klebrig-Süssliches, bekam aber stattdessen luftig-Frisches mit feinem Geschmack. Das letzte Getränk war ein Triebaumer Muscato, ein Restsüßeschaumwein – ein Wort, über das sich F. noch stundenlang freute. Ich freute mich über den kaum spürbaren Blubber; ich trinke ja bekanntlich am liebsten Alkoholisches mit sprudelnden Bläschen drin. Deswegen nahm ich mir auch gleich zwei Flaschen von dem Getränk mit, das wir als Aperitif genossen hatten.

Den Rosé Schilcher Frizzante von Reiterer bekamen wir anscheinend aus dem Kühlfach gereicht, denn trotz des 30-minütigen Nachhausewegs bei 25 Grad hatte er perfekte Trinktemperatur, als wir ihn am Küchentisch als einen wohlverdienten Absacker nahmen. (Ja, natürlich die ganze Flasche. Wir sind Profis.)

Was schön war, Sonntag, 9. Juli 2017 – Synagogen-Besichtigung

Als ich mit dem Studium in München begann, erstellten der ehemalige Mitbewohner und ich eine Liste von Dingen, die ich in München gesehen oder erlebt haben sollte. Auf dieser Liste stand auch die Besichtigung der Ohel-Jakob-Synagoge, die 2006 eröffnet wurde. Und was soll ich sagen, nur fünf Jahre später haben wir diesen Punkt dann auch abgehakt. Aufs Oktoberfest habe ich es peinlicherweise deutlich früher geschafft.

Für die Führungen muss man sich anmelden und wie in jüdischen Zentren in Deutschland leider immer noch üblich, muss man sich ausweisen, man darf keine großen Taschen mitbringen und man geht durch einen Metalldetektor. Der Unterschied schmerzt umso mehr, wenn man daran denkt, dass man in so ziemlich jede Kirche einfach so reingehen kann, jedenfalls tagsüber. Ich stand in den letzten Jahren nur sehr selten vor einem versperrten Portal.

Man erreicht die Synagoge durch den sogenannten Gang der Erinnerung, einen über 30 Meter langen unterirdischen Gang, an dessen einer Seite die Namen von über 4500 Münchner Juden und Jüdinnen stehen, die zwischen 1933 und 1945 ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen die Zahl „6.000.000“ sowie die Namen einiger Vernichtungslager.

In der Synagoge selbst durften wir dann in den Bänken Platz nehmen, und Marian Offman erzählte uns eine gute Stunde lang etwas über das jüdische Zentrum in München, die Synagoge, ein wenig zur jüdischen Religion und wie ein Gottesdienst abläuft. Er begann mit dem Gang, durch den wir eben geschritten waren und erwähnte kurz die Alte Hauptsynagoge in München, die bereits im Juni 1938, also vor der Pogromnacht zerstört wurde. Die jüdische Gemeinde musste die Abrisskosten selber tragen. Ich war während meiner Recherchen zur Bachelorarbeit auch auf die Synagoge gestoßen, denn auch sie gibt es als digitale Nachbildung. Heute erinnert ein Gedenkstein am ehemaligen Standort an das zerstörte Gebäude und die Gemeinde.

Auf dem Weg zum Gang der Erinnerung ist der Grundstein des Gebäudekomplexes sichtbar. Er wurde 2003 verlegt; damals bereiteten Neonazis einen Anschlag vor. Ich paraphrasiere Offman: „Die Täter wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Die haben sie inzwischen abgesessen, Sie können sie also wieder auf der Straße treffen. Zum Beispiel bei den Pegida-Demos.“

Ich will hier gar nicht die Führung wiedergeben, kann sie aber sehr weiterempfehlen. Mich persönlich hat das helle Licht im Inneren der Synagoge überrascht. Von außen sieht man zunächst den hohen Steinsockel, dessen rau gestaltete Steine an die Klagemauer bzw. den zweiten Tempel in Jerusalem erinnern. Diese Anmutung funktioniert im Inneren sogar noch besser, denn dort sind die mit Stein und Holz verkleideten Wände in deutlich größere Abschnitte eingeteilt als die Außenmauer; die Platten kommen in ihren Ausmaßen denen der Klagemauer noch näher (wenn ich mich richtig erinnere – es ist etwas länger her, dass ich vor ihr stand). Über dem steinernen Sockel sitzt der zweiteilige Aufbau; wie genau der innere, schwarze aussieht, habe ich von außen nie recht erkennen können, man sieht allerdings sehr gut die goldenen Verstrebungen auf dem äußeren Teil, aus denen man mit etwas Mühe einen Davidstern basteln kann. Offman: „Ich gucke da seit Jahren drauf, ich sehe den immer noch nicht.“ Ich hatte erwartet, dass das Licht dämmriger ist oder man viel künstliche Beleuchtung braucht. Braucht man nicht; das dunkle Gitter ist lichtdurchlässig – man kann sogar von innen den blauen Himmel draußen erkennen.

Die Gemeinde, die zur Ohel-Jakob-Synagoge gehört, ist übrigens orthodox, das heißt, es gibt im Innenraum eine kleine, nur leicht abgesetzte Galerie für Frauen. Das überraschte mich etwas, ich hatte bei der modernen Architektur unwillkürlich auf eine Reformgemeinde getippt. Die heißt in München aber Beth Shalom, und laut Offman sind beide Rabbiner gut miteinander befreundet – „aber natürlich meint jeder, er selber habe Recht und der andere nicht.“ Überhaupt sprach Offman sehr locker über seine Religion bzw. die Gemeinde. So meinte er, dass von den 10.000 Münchner Juden und Jüdinnen vielleicht 100 streng den Sabbat einhielten, also nicht arbeiteten, das Auto stehen ließen etc. Er selber bezeichnete sich nicht als fromm. Auch auf die Kompatibilität vom modernen Leben mit der Torah kam er kurz zu sprechen: „Die Ehe für alle, über die ich sehr froh bin, wird von ihr nicht unbedingt abgedeckt.“

Was ich mir noch gemerkt habe: dass zum Zentrum auch eine Mikwe gehört, sowohl für Männer als auch für Frauen (ich dachte bisher, die Mikwe wäre ausschließlich für Frauen). Dass Shalom Ben-Chorin gar nicht bewusst war, dass er jüdisch war, „bevor ihn SA-Männer halb tot prügelten“ und dass er das lesenswerte Buch Jugend an der Isar geschrieben hat. Und dass der Architekt Albert Schmidt nicht nur die Alte Hauptsynagoge errichtete, sondern auch den Löwenbräukeller am Stiglmairplatz. Der steht übrigens noch.

In diesem Zusammenhang: Navid Kermani sprach vor Kurzem zum 20-jährigen Bestehen des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München, was Offman auch erwähnte. Die FAZ hat die Rede fast komplett abgedruckt. Es ist ein Longread, aber sehr empfehlenswert.

„Mit einer Beobachtung möchte ich beginnen, die ich im vergangenen Sommer nach einer Reise durch Osteuropa aufgeschrieben habe. Um Auschwitz zu besuchen, musste ich mich online anmelden und für eine Sprache entscheiden, Englisch, Polnisch, Deutsch und so weiter. Die Prozedur war nicht viel anders als auf einem Flughafen: Die Besucher, die meisten mit Backpacks, kurzen Hosen oder anderen Signalen, auf der Durchreise zu sein, hielten den Barcode hin, um einzuchecken, nahmen einen Aufkleber für ihre Sprache in Empfang und passierten eine Viertelstunde vor Beginn der Führung eine Sicherheitsschleuse. In einer engen Halle verteilten sie sich auf zu wenige Sitzbänke, bis ihre Gruppe aufgerufen wurde. Nachdem ich das Ticket unter einen weiteren Scanner gehalten hatte, stand ich von einem Schritt auf den anderen im ehemaligen Konzentrationslager, vor mir die Baracken, die Wachtürme, die Zäune, die jeder von Fotos, Dokumentationen, Filmen kennt.

Die Gruppen hatten sich bereits gesammelt und warteten darauf, von ihren Führern abgeholt zu werden. Während die israelischen Jugendlichen – oder bildete ich mir das nur ein? – etwas lauter und selbstbewusster waren, drückten sich die Deutschen – nein, das bildete ich mir nicht nur ein – stumm an die Mauer des Besucherzentrums. Plötzlich wog der Aufkleber schwer, den ich in der Hand hielt, eigentlich doch nur ein kleines Stück Plastikfolie. Er wog schwer. Instinktiv holte ich Luft, bevor ich den Aufkleber an die Brust heftete, auf dem schwarz auf weiß ein einziges Wort stand: deutsch. Das war es, diese Handlung, von da an wie ein Geständnis der Schriftzug auf meiner Brust: deutsch. Ja, ich gehörte dazu, nicht durch die Herkunft, durch blonde Haare, arisches Blut oder so einen Mist, sondern schlicht durch die Sprache, damit die Kultur. Wenn es einen einzigen Moment gibt, an dem ich ohne Wenn und Aber zum Deutschen wurde, dann war es nicht meine Geburt in Deutschland, es war nicht meine Einbürgerung, es war nicht das erste Mal, als ich wählen gegangen bin. Schon gar nicht war es ein Sommermärchen. Es war letzten Sommer, als ich den Aufkleber an die Brust heftete, vor mir die Baracken, hinter mir das Besucherzentrum: deutsch.“

Tagebuch, Dienstag bis Donnerstag, 4. bis 6. Juli 2017 – Nächster Lebensabschnitt

Hier stand bis eben ein Blogeintrag, der knapp zwei DIN-A4-Seiten lang war. Das weiß ich, weil ich ihn gerade in ein Word-Dok kopiert habe und ihn lieber nicht veröffentlichen werde. Es geht um meine Planung für den nächsten Lebensabschnitt, bei dem es mehrere Möglichkeiten gibt. Mit denen ringe ich seit Wochen und finde mal hier, mal dort Vorteile, aber natürlich auch Nachteile; alles wäre irgendwie gut, aber gleichzeitig in Bereichen doof oder unbefriedigend, und ich denke seit Wochen darüber nach, was mir persönlich am wichtigsten ist, denn das müsste ja eigentlich den Ausschlag für eine der Möglichkeiten geben.

Ich weiß inzwischen, dass ich am besten denke, indem ich Dinge aufschreibe, also habe ich das in den letzten Tagen gemacht. Jetzt weiß ich zwar, wo ich hin will, aber das behalte ich lieber noch für mich. Vielleicht steht dieser Eintrag dann in zwei, drei oder zehn Jahren im Blog. Bis dahin dürft ihr mir gerne für irgendwas die Daumen drücken. Irgendwas ist immer gut.