Tagebuch Dienstag, 30. Oktober 2018 – Wuseln

Gestern war Feedbacktag für mehrere Kunden, so dass ich dauernd zwischen Jobs hin- und hersprang, weil alle JETZT SOFORT noch Änderungen haben wollten. Ich lasse Texte ja gerne eine Nacht liegen, weil sie am nächsten Tag immer anders klingen und einem immer noch irgendetwas auffällt, was man verbessern könnte, aber wir haben ja alle keine Zeit. Zwischen den Jobs kam ich nicht so richtig dazu, etwas anderes zu machen, weil mein Mailfach dauernd rumpingte. Die Zeitung las ich quasi bis abends zum Fußballspiel in Etappen anstatt in einem Rutsch in der Mittagspause, denn auch in der schrieb ich an Dingen.

Deswegen verschob ich auch gleich Einkaufen und Altpapier wegbringen und so auf heute und den letzten noch fälligen Ikeabesuch auf irgendwann. Für den muss ich auch in den – Schockschwerenot – zweiten Ikea in München, von dem ich nicht mal weiß, wie ich zu ihm hinkomme. Ich hatte mir außer für die Küche die schlichtestmöglichen Lampenschienen für die Zimmerdecken ausgesucht, die ich finden konnte, weil ich Deckenlicht fürchterlich finde. In meinen Zimmer stehen immer fünf bis zehn andere Lichtquellen, von Steh- zu Tischlampen bis Lichterketten und Teelichtern, damit ich bloß nicht das bescheuerte Licht von oben anmachen muss. In meiner oberen Wohnung hingen ernsthaft sechs Jahre lang die nackten Glühbirnen an der Decke, weil ich sie eh nie anschaltete, außer im Bad und im Flur, und da war das Licht so hell und unabgeschirmt prima.

Hier unten möchte ich jetzt aber doch mal wieder was Vernünftiges, und so suchte ich nach Lampen, die quasi gar nicht auffallen. Der oben verlinkte Viererspot hängt schon im Arbeitszimmer und schmeißt prima Licht, wenn ich ihn denn anmache (zwei Stehlampen und eine Tischlampe machen ihren Job auch super), und für Flur (bisher nur eine Birne, ich möchte aber an zwei Stellen Licht), Schlafzimmer (drei Tischlampen, reichen locker) und Bibliothek (drei Stehlampen, reichen noch lockerer) möchte ich diese Lampe als unauffällige Zweierschiene haben. Die suchte ich bei Ikea-Brunnthal aber bei meinem letzten Großeinkauf vergeblich, bis mir eine nette Mitarbeiterin sagte, dass sie die nur in Ikea-Eching hätten. Oder online halt. Aber da ich ja jetzt Platz für theoretisch VIEL MEHR WEIHNACHTSDEKO habe als vorher, kann ich ja nochmal unauffällig im anderen Ikea einkaufen gehen. (Ich dekoriere für kein Fest außer Weihnachten, aber da darf es gerne total aus dem Ruder laufen.)

Die Gehirnkapazität, die nicht für Texten und Zeitunglesen drauf ging, war damit beschäftigt zu überlegen, ob ich zum Fußball nach Augsburg fahren sollte. Gestern spielte der FCA gegen Mainz im DFB-Pokal und der Anstoß war um fucking 20.45 Uhr. Wenn es ein Ligaspiel gewesen wäre, hätte ich nicht nachdenken müssen, denn das wäre brav nach 90 Minuten plus Halb- und Nachspielzeit gegen 22.45 zu Ende gewesen, was mir genug Zeit gegeben hätte für Fußweg zur Tram und Tramfahrt zum Bahnhof, wo um 23.45 der letzte Regionalzug nach München fuhr, den ich mit dem kostengünstigen Bayernticket hätte nehmen können. Im DFB-Pokal besteht aber die Möglichkeit zu Verlängerung und eventuell sogar noch Elfmeterschießen, und auch wenn es nur in die Verlängerung ginge, müsste ich vor Spielende gehen, um den Zug noch zu kriegen. Oder ich nehme den ICE um 00.21, der dann aber teurer ist, und ich wäre noch später im Bett.

Ich konnte mich den ganzen Tag nicht so recht entscheiden, wollte eigentlich gerne wieder ins Stadion, vor allem alleine, weil ich es ganz nett finde, nicht immer in Gesellschaft sein zu müssen. Um halb sieben sagte mein Bauch dann sehr nölig Nein, und ich quengelte bis zur 87. Minute des Spiels über die Anstoßzeit und außerdem über das Spiel, bei dem Augsburg hinten lag – bis eben zur 87. Minute, als Gregoritsch den Ausgleich schoss und es in die Verlängerung ging, während der ich hätte gehen müssen. So war ich endlich entspannt, der FCA gewann das Ding sogar noch, ich war ein bisschen traurig, nicht dabeigewesen zu sein, aber gleichzeitig sehr dankbar dafür, dass mein Bett nur 90 Sekunden entfernt war und nicht 90 Minuten, ich Schönwetterfan.

(Ja, mir ist das durchaus klar, dass es eine gewisse Unstimmigkeit gibt zwischen „Ich werfe sinnlos viel Geld für Weihnachtsdeko raus“ und „Ich quengele über 30 Euro mehr für einen Zug“. Aber: Weihnachten macht glücklich. Zugfahren nur so bedingt. Vor allem morgens um eins.)

Tagebuch Montag, 29. Oktober 2018 – Aufräumen

Bis in den frühen Nachmittag saß ich in eigener Sache am Schreibtisch. Zunächst ordnete ich Blogeinträge der Excel-Tabelle der VG Wort zu, was ich in diesem Jahr erstmals mache. Wenn sich das nicht halbwegs auszahlt, lasse ich das wieder, aber ich wollte es wenigstens mal ausprobieren, wenn ich hier schon so gut wie jeden Tag etwas publiziere.

Danach aktualisierte ich meine Favorite-Entries-Liste, die vermutlich niemand außer mir jemals anklickt, aber ich finde das als Rückblick ganz schön. Gestern morgen war der Stand „September 2017“, jetzt ist er „Oktober 2018“.

Weiter in der Wohnung rumgeräumt, zu F. gefahren, um ihm Zeug wieder vorbeizubringen, das er mir netterweise vor Wochen für den Umzug geliehen hatte (ausklappbare Plastikkörbe, Rollbrett, Zeug halt). Seine Werkzeuge behalte ich vorerst noch, die sind viel toller als meine.

Auf dem Rückweg knurrend die FAZ gekauft, denn die fehlte im Briefkasten. Manchmal glaube ich, dass mir die jemand klaut; neulich ging ich zum Walken frühmorgens vor die Tür und sah die Zeitung im Briefkasten, aber als ich wiederkam, war sie weg. Ich bin kurz davor, einen Zettel an den Briefkasten zu kleben: „He, wenn du über genug Geld für eine gute Wohnung in der Maxvorstadt verfügst, hast du auch noch 3 Euro für ne Zeitung übrig, Pappkopf.“

Danach endlich gekocht, weil mir der Magen schon zu den Knien rausknurrte. Mal wieder den schnellen Currybierteig zusammengerührt und ihn um Blumenkohl geschlotzt. Hervorragendes Comfort Food.

Deutlich weniger von meinen Kunden gehört als mir lieb ist, aber okay.

Dummerweise vor ein paar Tagen die Originalfassung von Futurama bei Amazon Prime entdeckt. Jetzt komme ich nie wieder vom Laptop weg. Ich habe damals, glaube ich, nach der vierten Staffel aufgehört, die Serie zu schauen, da besteht DRINGEND Handlungsbedarf.

Irrwitzig früh ins Bett, aber dort noch auf Twitter rumgelungert und einen wunderschönen Thread gefunden. Halbwegs mit der Welt versöhnt eingeschlafen.


(via @ineshaeufler)

Tagebuch Sonntag, 28. Oktober 2018 – „Ex Libris“

Gestern war für mich seit ewigen Zeiten mal wieder Kinotag. Um kurz nach 11 Uhr saß ich in den City-Kinos und schaute mir Ex Libris an, einen Dokumentarfilm über die New York Public Library (Trailer). Das Ding dauert fiese dreieinhalb Stunden, aber ich fand, das war gut verbrachte Zeit.

Bei mir hatte der Film von vornherein gewonnen, weil ich ein Fan von Bibliotheken bin. Ich kenne allerdings nur die alte Gemeindebibliothek, die ich als Kind leergelesen habe, und seit ein paar Jahren die vielen Unibibliotheken bzw. die Stabi, in denen ich zu wissenschaftlichen Zwecken sitze. Was die NYPL leistet, hat mich sehr oft überrascht. Ich wusste nicht, dass es dort Jobmessen gibt, Tanzstunden, Lesezirkel, Poetry Slams und Konzerte. Der Film kommt ohne jeden Kommentar aus, er zeigt einfach nur die überbordende Vielfalt, die die Bibliothek und ihre vielen Zweigstellen anbieten – und vor allem die Menschen, die all das benutzen. Im Trailer wird es angesprochen: „Viele Menschen glauben, Bibliotheken seien nur Lagerräume für Bücher.“ Das sind sie anscheinend nicht, obwohl ich schon sehr darüber gestolpert bin, dass man extrem selten Menschen Bücher lesen sieht, womit ich gerechnet hatte. Stattdessen sitzen Menschen vor Laptops, Tablets und Smartphones, vor Mikrofiche-Geräten, in Archiven, blättern Bilderberge durch oder digitalisieren Landkarten.

Ich gebe zu, beim fünften Schnitt zu einem der gefühlt dauernd stattfindenden Staff Meetings wurde ich ein bisschen ungeduldig, aber selbst die hatten natürlich immer eine Art Pointe für mich als Zuschauerin. Mal ging es schlicht um Budgetfragen, dann um den Umgang mit Obdachlosen, die schließlich auch zur community gehören und für die sei eine Bibliothek nun mal da, es ging um Lizenzen für eBooks, weil dort die Nachfrage viel höher sei als nach Papierbüchern und generell um die Digitalisierung. Es wurden auch einige Projekte angesprochen, die sich intern dafür einsetzten, Frauen oder Minderheiten zu fördern, wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Das Fiese: Der Film wurde bereits 2015 gedreht, bevor er ab 2017 auf Festivals und ab 2018 auch in den Kinos gezeigt wurde. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie es dem Budget, das teilweise auch aus Bundesmitteln kommt, und diesen speziellen Projekten jetzt wohl geht, seitdem jemand Präsident ist, der gefühlt nicht mal den Teleprompter lesen kann – oder will. Einmal wurde ein Projekt der First Lady erwähnt, das sich mit mental health befasste – das dürfte jetzt vermutlich auch Geschichte sein.

Für mich spannend war die Kooperation mit der Gemeinde, um die ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte. Es wurden Pakete für Lehrer*innen erwähnt, die von den Bibliotheken auf den Unterricht zugeschnitten wurden, so dass Kinder und Eltern damit arbeiten können (die Lehrer*innen sowieso). In einem Stadtteil wurden auf einmal viel mehr Mathebücher ausgeliehen als in anderen Teilen, weswegen jetzt überlegt wurde, aktiv auf Schulen zuzugehen, um zusammenzuarbeiten.

Generell fand ich es interessant zu sehen, welche Angebote da waren, die eher Lebenshilfe waren als Hilfe bei der Suche nach einem bestimmten Medium oder einer Information. Die Jobmesse hatte ich angesprochen, aber es gab auch Ausschnitte von Vorträgen über Hilfe für behinderte Menschen, besonders bei der Wohnungssuche. Es wurde Unterricht in Braille-Schreiben und -Lesen gezeigt. Menschen, die sich um fremdsprachige Besucher*innen kümmerten und teilweise Dinge wie USB-Sticks erklärten, während nebenan jemand einer Ahnenforscherin Anknüpfungspunkte zur Datenbank von Ellis Island vorschlägt. Es war schön zu sehen, wie nah hochspezialisiertes, akademisches Arbeiten am kindlichen Lesen- und Schreibenlernen ist, wo ein Mädchen mit einer Betreuerin an einem Lückentext überlegt, ob man nun Steine oder Fische in einer Tierhandlung kauft; beides findet in der gleichen Institution statt.

Im Abspann versuchte ich noch Namen zu entziffern, aber es gelang mir nicht bei allen. Einige Prominente bei Podiumsdiskussionen hatte ich erkannt, zum Beispiel Elvis Costello oder Te-Nehisi Coates, aber auch Patti Smith, die über Jean Genet sprach, bei dem ich sofort an Anselm Kiefer denken musste, der sich in einigen seiner Werke auf Genet bezieht, und schon fiel Kiefers Name, und nach dem Film musste ich dringend googeln, was Patti Smith 2015 für ein Buch geschrieben hat (M Train). Außerdem stellten zwei Akademiker Thesen oder Bücher vor, deren Namen ich in der IMDB nicht finden konnte, deren Bücher ich aber sofort lesen wollte. In einem Gespräch ging es um den Sklavenhandel im Senegal, in den auch der Klerus verwickelt wurde, der bisher von Sklavenhändlern verschont geblieben war. Google findet zwar nicht direkt ein Buch dazu, aber, noch besser, die Aufzeichnung des Gesprächs in der NYPL mit dem Historiker Rudolph Ware. Toll. Ein weiterer ungenannter Herr stellte ein Buch vor, in dem die Geschichte von Delis aufgearbeitet wurde und was diese für die jüdische Gemeinde von New York bedeutet haben. Immerhin das konnte ich herausfinden: Pastrami on Rye: An Overstuffed History of the Jewish Deli von Ted Merwin.

Das Rumgoogeln war zwar lehrreich, aber das wäre mein einziger Kritikpunkt am Film: Manchmal hätten ein paar Einblendungen ganz gut getan. An der Länge des Films kann ich leider nicht rummeckern, denn mir fällt keine einzige Szene ein, die ich hätte weglassen wollen. Ex Libris ist ein Hauch education porn und man klopft sich als Bildungsbürger vielleicht ein bisschen zu sehr auf die Schulter, aber ich fand den Film wirklich sehenswert. Vielleicht gerade für Leute, die sonst nicht in Bibliotheken rumsitzen. Guckt mal, was die alles können!

Wer keine Zeit für den Film hat, liest vielleicht einfach diesen Artikel: To Restore Civil Society, Start With the Library.

„Libraries are being disparaged and neglected at precisely the moment when they are most valued and necessary. Why the disconnect? In part it’s because the founding principle of the public library — that all people deserve free, open access to our shared culture and heritage — is out of sync with the market logic that dominates our world. But it’s also because so few influential people understand the expansive role that libraries play in modern communities.

Libraries are an example of what I call “social infrastructure”: the physical spaces and organizations that shape the way people interact. Libraries don’t just provide free access to books and other cultural materials, they also offer things like companionship for older adults, de facto child care for busy parents, language instruction for immigrants and welcoming public spaces for the poor, the homeless and young people.

I recently spent a year doing ethnographic research in libraries in New York City. Again and again, I was reminded how essential libraries are, not only for a neighborhood’s vitality but also for helping to address all manner of personal problems.“

(via Bingereader)

Tagebuch Samstag, 27. Oktober 2018 – Sofatag

Morgens wie üblich Durchzug produziert, alle Fenster aufgerissen, außer die im Bad, denn da duschte ich schließlich, während die restliche Wohnung plötzlich kalt wurde. Danach die Bialetti auf den Herd gestellt, Kaffee bzw. Pseudo-Espresso gekocht, Milch in eine große Tasse gegossen, Kaffee drauf, mit ihr auf den morgendlichen Rausguck- und Ruheplatz auf dem Sofa im Arbeitszimmer gegangen und in Ruhe rausgeguckt. Dabei erfreut festgestellt, dass meine uralten Hannover-Gardinen am Balkonfenster genau das taten, weswegen ich sie aufgehängt hatte: Sie wehten ein bisschen im Wind. Sie sind eigentlich 50 Zentimeter zu lang, aber ich habe sie nie gekürzt, weswegen der untere Teil am Boden schleift, aber bei Luftzug weht deswegen nicht die ganze Gardine zwei Meter weit ins Zimmer, sie bläht sich einfach nur ein bisschen, wird aber am Boden quasi festgehalten, und ich sehe diesem Spiel sehr gerne zu. Das war schön.

Was auch schön war: Regen! Endlich wieder Regen. Mit Regengeräusch aufwachen, durch den Regen zum Supermarkt spazieren und den Tropfen auf dem Regenschirm zuhören, nach Hause kommen und von drinnen dem Regen zugucken. Dabei literweise schwarzen Tee mit Milch und Kluntjes trinken. You can take the girl out of Norddeutschland, but you can’t take Norddeutschland out of the girl.

Ich habe meine Umzugskiste voller Geschirr ausgeräumt, die die letzten drei Jahre in meiner Abstellkammer gestanden hat, weil ich in meinen Schränken kein Platz fürs Omas Goldrandgeschirr hatte. Ich hatte mir irgendwann angewöhnt, zwei Teller draußen stehen zu lassen, damit ich sie griffbereit habe und benutzen kann (im Link bis zu „Für gut“ scrollen), denn was bringt mir mein schönes Geschirr, wenn ich es für irgendwelche Gelegenheiten aufspare, die nie kommen. Aber das restliche Geschirr blieb in einem Umzugskarton in der Abstellkammer. Jetzt habe ich wieder Platz, es irgendwo hinzuräumen und seit ein paar Tagen auch ein Regal dafür. Ich weiß zwar, dass ich es irre oft abstauben werde müssen, aber ich mag es nicht mehr in der Kiste lassen, ich möchte es wieder sehen, denn es macht mir Freude, es zu sehen. Also packte ich die noch im Umzugspapier von vor drei Jahren eingewickelten Teller, Schüsseln und Platten aus, räumte sie ins Regal – und stellte fest, dass am Boden der Kiste noch eine flache Silberkiste lag. Die hatte ich völlig vergessen. Ich hatte wohl irgendwann mal eine der beiden Silberkisten rausgeräumt, weil in der das „Grundbesteck“ liegt, und diese hatte ich dann griffbereit im Regal in der Abstellkammer liegen gelassen. Die zweite Kiste mit den Fischmessern, den Vorlegegabeln und den großen Löffeln hatte ich aber anscheinend am Boden der Umzugskiste vergessen. Das war ein bisschen wie Weihnachten, sie zu finden.

Und gucken Sie mal, was in der Kiste noch drin war.

Den Rest des Tages habe ich gnadenlos in der Bibliothek auf dem Sofa verbracht. Zuerst Zeitung gelesen (hier ein kleiner Ausschnitt, den ich sehr schön fand), dann zugeguckt, wie Augsburg so gerade in Hannover gewinnen konnte, dann die letzten beiden Folgen Wanderlust auf Netflix geschaut und sehr gemocht, und schließlich die Nase in Feuchtwangers Exil gesteckt. Hach, der Feuchtwanger! Ich mag seinen Stil so gerne.

„Sie hängte den Hörer ein und schaute, von ihrem Bett aus, hinüber zum Schreibtisch, wo Fritzchens Bild stand. Sie war zufrieden mit sich, daß sie das Bild Tag und Nacht dort stehen hatte. Fritzchen hatte reizvolle Augen. Manchmal hatte er einen treuen Hundeblick, manchmal schaute er wild verzweifelt, aber es waren geniale Augen. Niemand begriff, warum sie, die Tochter reicher, angesehener, „arischer“ Eltern, den unscheinbaren, jüdischen Journalisten geheiratet hatte, der bei all seiner Brillanz recht anrüchig war. Sie wußte gut, warum, nur selten begriff sie es selber nicht, und auch dann spürte sie Hochachtung vor sich, daß sie es getan hatte.

Wenn sie an die Zeit bei ihren Eltern zurückdenkt, dann sind diese Pariser Jahre [im Exil] trotz ihrer kleinen Sorgen noch immer ein erfüllter Wunschtraum. Sie wurde, seinerzeit, von ihren reichen Eltern verwöhnt, konnte haben, was sie wollte, flirtete, ritt, chauffierte, spielte Tennis, plapperte französisch, englisch, italienisch, reise, hörte ausgefallene Vorlesungen. Aber was für bürgerlich stickige Luft hatte bei dem allen dieses Kaufmannshaus angefüllt, wie kontrolliert war sie gewesen, von wie vielen Konventionen umgeben, von wie vielen Vorurteilen. Aus purer Opposition mußte man in einem solchen Hause highbrow werden; schon der Widerspruchsgeist, der jedem halbwegs persönlichen Menschen eingeboren ist, mußte es einem als höchstes Ziel erscheinen lassen, den Bürger zu verblüffen. Der Tag, an dem sie sich entschlossen, Benjamins Frau zu werden, war ein großer Tag gewesen, der größte ihres Lebens; niemals sonst war sie sich so geistig vorgekommen, so vorurteilsfrei, so originell.

Noch heute kostete sie den Vorgang aus, der sie veranlaßt hatte, ihn zu heiraten. Die Sentimentalität und Zähigkeit, mit welcher dieser Mensch mit dem anziehend häßlichen Gesicht sie belagert hatte, seine zynischen, leidenschaftlichen, maßlosen Schmeicheleien hatten auf sie, die Zwanzigjährige, Eindruck gemacht und sie hatte bald beschlossen, mit ihm zu schlafen. Da aber, als sie das erstemal in seine Wohnung kam, hatte sich der „Vorgang“ ereignet. Es war eine sonderbare Wohnung gewesen, gemischt aus Dürftigkeit und ungeschickt arrangiertem Prunk, neben einem mehr als armseligen Badezimmer stand unter einer geschmacklosen Ampel ein üppiges Bett, sie hatte geduldet, daß Friedrich Benjamin sie halb auszog, und wartete nun gierig, höchst willig auf das, was kommen werde. Er aber hatte mit einemmal brüsk, unvermutet von ihr abgelassen. Seine Passion, hatte er ihr erklärt, sei stark und ehrlich, sie aber scheine nur Appetit darauf zu haben, ein- oder zweimal mit ihm zu schlafen. Er fürchte, er dürfe bei ihr auf nichts weiter rechnen als auf Lust und Neugier; das aber habe er oft genug gehabt, das reize ihn nicht mehr. Dieses Argument hatte Eindruck auf sie gemacht, der ganze, freche Mensch hatte Eindruck auf sie gemacht, er imponierte ihr noch heute. Sie hielt es heute noch für die beste, klügste Tat ihres Lebens, daß sie die maßlose Dummheit begangen hatte, ihn zu heiraten.“

Lion Feuchtwanger: Exil, Berlin 2012 (Text von 1940), S. 53/54.

Tagebuch Freitag, 26. Oktober 2018 – Südlicht

Ein neues Feature in meinem Badezimmer habe ich erst gestern entdeckt. Die Handtuchstange, an der mein großes Badetuch hängt, befindet sich über der Heizung. Da ich vorgestern abend vor den Temperaturen eingeknickt bin und die Heizung angeschaltet habe, um morgens in einem warmen Bad zu duschen, durfte ich gestern feststellen, dass ich jetzt ein warmes Badetuch habe! Scheiß auf die doppelt so hohe Miete – ich habe ein warmes Badetuch.

Morgens zu F. gefahren, um mich von ihm zu verabschieden; der Mann ist für ein paar Tage weg. Gefühlt ist er das dauernd, und als mir völlig aus dem Nichts die Tränen bei der Abschiedsumarmung kamen, war ich wieder dankbar, nicht vor ein paar Jahrzehnten gelebt zu haben, wo man als Frau brav zu Hause blieb, während Männe die Welt erobert. Ich wäre ja dauernd verzweifelt. (Und vermutlich schnell Alkoholikerin geworden, ich Weichei.)

Auf dem Nachhauseweg Croissants fürs späte Frühstück geholt. Jeder Tag mit Croissants ist ein guter.

Vom Nilgiritee mal wieder temporär auf Assam umgeschwenkt. Den trinke ich mit Milch und Kandis statt pur wie Nilgiri. Deswegen gesellten sich gestern zu meiner Arbeitszimmerteekanne und -tasse auch das Milchkännchen (zu geizig für Sahne) und die Zuckerdose mit den Kandisbrocken. Die holte ich mit einem Teelöffel heraus und fragte mich – wie garantiert viele alkoholisierte Stepford Wives vor ein paar Jahrzehnten –, wo eigentlich meine Zuckerzange ist. Vermutlich bei meinen Eltern auf dem Dachboden, wo ALLES ist, was ich nicht wiederfinde.

Wenn ihr die Antworten zu diesem Tweet lest, wisst ihr, warum ich die Hamburger Damen so vermisse. (Und ihr wisst dann auch, wie wir nach zwei Flaschen Wein klingen.)

Ortheils Berlinreise ausgelesen und Feuchtwangers Exil angefangen (Erfolg und Die Geschwister Oppermann habe ich schon durch, dies ist das letzte Buch der Wartesaal-Trilogie). Die Berlinreise empfehle ich euch uneingeschränkt, aber ich empfehle ja alles von Ortheil uneingeschränkt. Da bin ich gnadenloses Fangirl.

Die Möbel, die ich vorgestern aufgestellt und gestern begutachtet habe, wieder umgestellt. Das dauert anscheinend noch ein bisschen, bis ich mal sage, so, jetzt isses gut hier. Dabei mal wieder Dinge weggeschmissen anstatt sie umzuräumen. Die Lohnsteuerkarte von 2010 brauche ich als jemand, die seit 2008 selbständig ist, nicht mehr, oder? WARUM HAB ICH DIE DANN NOCH? UND WARUM NICHT MEINE ZUCKERZANGE?

Aber es fühlt sich schon fast so an, als ob alles hier gut ist, was vor allem am Licht liegt. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich es sechs Jahre oben ohne Südlicht ausgehalten habe. Ich mochte das sehr gerne, dass in die kleine Wohnung nie direkte Sonne kam, weil es sonst im Sommer noch wärmer gewesen wäre als es eh schon war, aber meine Güte, ist das im Arbeitszimmer und in der Küche und im Bad eine herrliche Stimmung, wenn da ab dem frühen Nachmittag das Südlicht reinfällt. Deswegen stehen auch immer alle meine Türen offen, damit der Flur noch was davon abkriegt und das Schlafzimmer und die Bibliothek es wenigstens sehen können, die Armen.

Tagebuch Donnerstag, 25. Oktober 2018 – Eher ja

Vormittags hatte sich F. angekündigt, um mir noch bei ein paar Wohnungsdetails zu helfen. Ich hatte den armen Mann vollgejammert, dass die Wände meines Schlafzimmers aus Granit bestünden, jedenfalls konnte ich kein anständig tiefes Loch bohren, um meine Gardinenstangen anzudübeln. Das war einer der Gründe, warum mich der Mittwoch spontan und langanhaltend überforderte: Irgendwie funktionierte nichts, was ich mir vorgenommen hatte, die neuen Möbel sahen im Raum teilweise nicht so gut aus wie erwartet, die Pappverpackungen von drei Regalen standen im Flur rum, den ich seit fünf Wochen nicht leerbekomme, und Mittwoch war dann irgendwie alles ein bisschen zu viel. Es fühlte sich an wie ein Riesenberg, der nicht kleiner wird, und in ganz fiesen Minuten dachte ich so lustige Dinge wie: „Ich stecke jetzt irre viel Geld in eine Wohnung, aus der ich in drei Monaten ausziehen muss, weil mich niemand mehr bucht und ich kein Geld mehr verdiene.“ Und dann musste ich gedanklich in Papiertüten atmen bzw. Schokolade essen (für mein Seelenleben ist das dasselbe).

Aber gestern war Unterstützung da, und zu zweit geht Zeug wegschaffen besser. Wir begannen mit der Gardinenstange im Schlafzimmer, wobei mich F. fragte, wieso ich nicht zu seiner Hilti gegriffen hätte, wenn meine Bosch mit der Wand nicht klarkommt. Darauf hatte ich keine gute Antwort außer „Ich habe großen Respekt vor der Hilti“, woraufhin F. mir das Ding in die Hand drückte, ich auf die Leiter kletterte – und natürlich der Bohrer wie durch Butter in die Wand glitt. Ich hätte mir eine Menge Seelenfirlefanz ersparen können, wenn ich einfach die Bohrmaschine gewechselt hätte. Wieder was gelernt. Bohrmaschinen statt Schokolade. Andererseits wäre meine Gardinenstange dann garantiert nicht so perfekt gerade wie sie jetzt ist, denn ich neige beim Heimwerkern grundsätzlich zum „Das passt schon irgendwie“ aka „Da gewöhnt man sich dran“.

Auch die Gardinenstange im Arbeitszimmer wurde angebracht. Nachmittags bügelte ich dann Kürzungsbänder auf die zu langen Gardinen im Schlafzimmer, zog diese abends erstmals zu und fühlte mich gleich wie in einem Hotelzimmer. Was nett ist; ich schlafe gerne in Hotelzimmern. Im Arbeitszimmer hängte ich Gardinen auf, die ich letztmals vor 19 Jahren in Hannover abgenommen hatte (damals im Schlafzimmer) und die ich seitdem sinnlos von einer Wohnung zur anderen getragen habe, weil ich sie so schön finde, sie aber seitdem nirgends hingepasst haben. Es sind ganz schlichte, dünne, weiße Flattergardinen von Ikea (natürlich), die alles Licht reinlassen, aber von draußen kann man, solange im Zimmer kein Licht brennt, nicht reingucken. Also genau das, was ich fürs Arbeitszimmer haben wollte, denn die letzten Wochen konnte man mir von den Nachbarbalkonen ganz prima beim Tippen und Teetrinken zuschauen.

Aber vor diese Glückseligkeit hatte der Heimwerkerteufel noch zwei Lampen gesetzt. Nach den erfolgreich angedübelten Gardinenstangen machte sich F. an die Arbeitszimmerdeckenlampe. Da meine Monsterstehschreibtischlampe (ich erwähnte sie bereits) gerade nicht finanzierbar ist, hatte ich mich für eine simple Lichtschiene entschieden. Meine Vormieterin hatte ihre Lampe anscheinend aus der Decke gerissen, denn die noch hervorstehenden Kabel waren arg kurz und eine Lüsterklemme gab es auch nicht. Weswegen ich in den letzten Wochen immer brav aufgepasst habe, wenn ich lange oder hohe Gegenstände in der Gegend rumschwenkte, um bloß nicht an die offenen Kabel an der Decke zu kommen. Bei Strom bin ich vermutlich extrem übervorsichtig; bevor ich Kabel anfasse, schaue ich ungefähr achtzigmal mit dem Phasenprüfer, ob auch ja kein Strom fließt und gucke fünfmal nach, ob die Sicherung auch wirklich draußen ist. Gestern stieg aber F. freiwillig auf die Leiter, weil die Lampe zu schwer für eine Person alleine war, um sie vernünftig anzubauen. Wir bohrten erstmal nur Löcher und schraubten die Lüsterklemme der Küchenlampe im Arbeitszimmer an, die danach noch drankommen sollte, hatten nach den Gardinenstangen aber allmählich Hunger und gingen erstmal frühstücken bzw. mittagessen.

Danach wollte F. eigentlich noch wohin, aber vorher könne man ja noch schnell die beiden Lampen … äh. Ja. Ich glaube, der Mann kam erst gegen 16 Uhr bei mir weg, weil sich beide Lampen als zickiger herausstellten als gedacht. Wir hatten auf dem Rückweg vom Lunch zwar beim Suckfüll noch Lüsterklemmen, Dübel und zwei Meter Kabel besorgt, aber es war alles ein Schmerz im Arsch, und ich bewundere seit gestern die stoische Ruhe von F., während ich zwischendurch den ernsthaften Vorschlag machte, einfach eine neue Lampe zu kaufen, verdammte Axt.

Bei Suckfüll erstand ich auch einen Hammer. Mein Hammer hat mal meinem Opa gehört und bei meinem Auszug von zuhause bestückte mein Papa meine Werkzeugkiste damit. Seitdem weiß ich, dass man wackelige Hammerköpfe wieder festkriegt, indem man den Stiel fest auf irgendwas draufklopft, aber nach 30 Jahren wird das Ding nicht mehr besser. Daher kaufte ich einen neuen Hammer, werde den alten aber vermutlich einfach weiter in der Kiste liegen lassen.

Während F. auf der Leiter vor sich hinfluchte und ich nichts tun konnte als eiskaltes Spezi anzureichen bzw. kurz Wundversorgung zu machen, weil der Cutter doch recht scharf war, mit dem F. Kabel von der Umhüllung befreite, klingelte auch noch ein Handwerker, den mir die Verwaltung bestellt hatte. Ich wusste beim Telefonat gar nicht, was genau der Mann machen sollte, aber seit gestern habe ich vor der Balkontür jetzt eine Holzschwelle statt einer gammeligen Plastikschiene, die mir nicht mal groß aufgefallen war, bis der Mann sie herausriss. (Ich sag ja: „Da gewöhnt man sich dran.“)

Nachdem beide Fleißbienchen weg waren, saugte ich die ganze Wohnung durch und gefühlt 20 Kabelenden und 200 Gramm Holzstaub ein. Der Schreiner hatte aber brav nach Kehrblech und Handfeger gefragt, die ich seit meinem großen Baumarktkauf für die Farbeimer auch besitze. Und ich fand sie sogar! Aber innerlich jammerte ich dabei wieder, genau wie Mittwoch. Ich habe für diese Wohnung so vieles neu gekauft, was ich schon mal besessen hatte (Badezimmerschrank, anständige Teleskopstange zum Streichen, Handfeger, Besen, Schrubber undundund). Das hatte ich alles in Hamburg zurückgelassen, weil ich keinen Platz mehr dafür hatte bzw. weil ich wusste, es ist billiger, es neu zu kaufen, als es jetzt erst auf den Dachboden meiner Eltern zu schleppen und dann irgendwann wieder zu mir. Trotzdem nagt das alles manchmal noch an mir, dieses „Da war ich schon, das hatte ich alles“ und jetzt fange ich wieder neu an. Aber ich ahne langsam, dass das der Witz am Leben ist. Man fängt halt immer irgendwas oder irgendwo wieder neu an.

Abends saß ich dann auch einfach nur still in der Küche, freute mich über mein neues, warmes Schnuffellicht über dem Esstisch, schälte ein Dutzend Mandarinen und guckte in der Gegend herum. Das war schön.

‘Salt, Fat, Acid, Heat’ Changes the Rules for Who Gets to Eat on TV

Ich habe noch nicht alle Folgen von Salt, Fat, Acid, Heat gesehen, aber schon bei der ersten dachte ich genau das, was Jenny G. Zhang für Eater so eloquent formuliert hat: Da sagt eine Frau, dass sie bitte noch mehr essen möchte und macht das dann auch. Das ist radikal.

„Eating as a woman is fraught. Given that more than half of American women have unhealthy relationships with food or their bodies, it’s small wonder that dining in public is a mental tightrope walk of weighing indulgence versus restraint, portion sizes versus the eventual, inevitable hunger — all while being acutely aware of how any given choice may be read by dining companions and passersby alike. A salad? She’s dieting. A dessert all for herself? She’s not watching her figure.

Now imagine that amplified on screen, for the mass consumption of thousands and millions of viewers. If eating as a woman is fraught, doing so as a woman on TV is even more so. Food TV most often functions as an escape from reality, transporting the audience to faraway lands or alternate realities in which every bite is creamy, fatty, decadent, transcendent, glorious. But for many viewers, the existence of that fantasy is propped up by an underlying tension: the tangled relationship between food, weight, and self worth. If we had the means to eat like a king, if we had the metabolism — without fear of judgment or the sheer physicality of bodies — would we not just live every day like an episode of Diners, Drive-ins and Dives?

To confront that unspoken tension is to ruin the fantasy, as Great British Baking Show fans discovered with the latest iteration of the beloved baking competition series. “It’s not worth the calories,” judge Prue Leith has taken to declaring as her ultimate critique of cakes, pastries, and other desserts that don’t make the cut. It’s proven to be an inflammatory catchphrase, not least because it ruins the escapist joy of a show like GBBS: It poisons the fantasy with the nagging reminder that, in the real world, calories are the enemy because of the virtue we assign to thinness, and entire lives are reoriented around the axis of consuming as little of them as possible.

What would Leith call the generous way Nosrat eats on Salt, Fat, Acid, Heat? “Guilty pleasures,” perhaps, that infuriating phrase that denotes performative guilt and pleasure. We know we’re not supposed to enjoy too much butter in our pasta, according to societal conventions, so we must loudly confess our sin to absolve ourselves for eating it. What is radical, then, is to watch Nosrat, a woman of color who is neither a Giada nor an Ina, eat on camera with no reservations, and to do so without any mention of calories or guilty pleasures. She makes no apologies for occupying space and for consuming, even requesting more.“

Tagebuch Mittwoch, 24. Oktober 2018 – Eher nö

Doofer Tag, aus verschiedenen Gründen. Mag ich nicht aufschreiben. Aber hey, zwei Regale zusammengebaut und ein bisschen Geld verdient.

Tagebuch Dienstag, 23. Oktober 2018 – Basteltag

Jetzt, wo ich hier schon fast fünf Wochen wohne (wo-hoo!), werden die Baustellen nach und nach kleiner. Dank F.s scharfem Verstand konnte der eine Wandschrank so organisiert werden, dass ich an immerhin das meiste rankomme, ohne schreien zu müssen. Der zweite war noch work in progress. Ich hatte in ihn erstmal alles Zeug geworfen, das nicht im Weg rumliegen sollte, aber noch einen festen Platz braucht, unter anderem meine Putzkiste, die beim besten Willen nicht mehr in den ersten Schrank passte, obwohl sie thematisch dort angedockt wäre, wo auch Wäscheständer, Bügelbrett, Besen und Kehrblech stehen. (Don’t judge.) Dieser zweite Schrank musste also erstmal leer werden, und dazu brauchte ich einen neuen Schrank, nämlich einen schmalen, hohen fürs Bad, denn bis jetzt waren Handtücher und Badutensilien der Hauptinhalt.

Ich dachte lange, vermutlich zu lange darüber nach, ob ich jetzt wieder online bei Ikea bestellen oder hinfahren und es mir liefern lassen sollte. Online-Vorteile: bis auf Annahme der Lieferung kein echter Aufwand. Nachteil: dauert zehn Tage. Hinfahren-Vorteile: alles am gleichen Tag da. Nachteil: Man muss die fies schweren Pakete aus den Regalen ziehen und steht ewig an der Kasse. Da mir die Putzkiste aber seit Wochen auf den Zeiger geht, entschied ich mich für Hinfahren und Paketezerren.

Noch ein Wort zu Ikea: Mir ist erst bei diesem Umzug aufgefallen, dass ich seit 30 Jahren in Ikeamöbeln wohne. Bis auf wenige Ausnahmen (Omas Schrank und Esstisch, derzeit leider noch bei meinen Eltern; Designerlampen, ebenfalls dort; Riesencouch und Schlafsofa; hervorragender Schreibtischstuhl) stammt meine komplette Einrichtung vom Schweden. Und so hübsch ich Biedermeierstühlchen oder Bauhausmöbel finde – ich will nicht mit ihnen wohnen. Ich mag anscheinend seit mehreren Jahrzehnten den schlichten Stil, den Ikea anbietet, auch wenn ich damit so dermaßen im Mainstream liege wie es mainstreamiger nicht mehr geht. Passt schon.

Am Hauptbahnhof konnte ich einem asiatischen Geschäftsmann den Weg zur Flughafen-S-Bahn weisen („right track, wrong train“), wartete dann gefühlt 20 Minuten auf meine eigene S-Bahn, weil es wieder irgendeinen Knoten beim MVV gab, aber ich hatte ja ein Buch dabei und keine Eile. In der Bahn setzten sich nach wenigen Stationen ein kleiner Junge mit seiner Mutter und (vermutlich) Oma auf den gegenüberliegenden Vierersitz. Der Junge saß am Fenster und blubberte vor sich hin, bis er auf einmal richtig laut wurde: „Mamaaa, guck maaaal!“ Die Mutter schaute hinaus und meinte wissend-andächtig: „Ein Kran!“ Und der kleine Junge, noch andächtiger, als hätte er die Pyramiden oder die Chinesische Mauer entdeckt: „Ein Kraaaaan.“

Den Rest der Fahrt versuchte ich mit Kinderaugen zu sehen und bestaunte (stumm) eine Altmetalldeponie, Fußgängerbrücken über Gleisen und ein riesiges violettes Blumenfeld.

Bei Ikea arbeitete ich dann brav meinen langen Einkaufszettel ab, von Großkram zu Kleinkram, und der einzige Ausrutscher (KEINE SERVIETTEN! KEINE KERZEN!) war eine zweite Garnitur meiner Lieblingsbettwäsche.

An der Kasse stellte ich mich zielstrebig hinter eine Dame, die, wie auch immer, zwei Einkaufswagen voller Zeug erstand. Ich konnte leider nicht gucken, wie sie die beiden Wägen gleichzeitig schieben konnte, denn dann war die flinke Kassendame schon bei mir und meinem Wägelchen. Den Badschrank, der einer der Gründe für meine Fahrt hierher gewesen war, musste ich in der SB-Halle bestellen und konnte ihn nach der Kasse abholen. Bzw. erstmal wartete ich wieder, aber ich hatte ja ein Buch dabei und keine Eile. Als ich auch den Schrank auf dem Wagen hatte, rollte ich zur Speditionskasse und bat um Lieferung zu mir. Dass der Kram noch am selben Tag ankommt, war mir klar, aber der freundliche Herr an der Kasse meinte: „Die Jungs sind gerade beim Beladen und können dann sofort zu Ihnen.“ Ich meinte, mit Bus und S-Bahn bräuchte ich mindestens eine Stunde bis Zuhause, worauf er meinte, der LKW auch. Die Jungs würden sich vorher per Handy melden, das ginge schon.

Und so hatte ich auf einmal keine Zeit mehr, aber die Öffi-Göttinnen hatten nach dem Schluckauf heute morgen wieder alles im Griff: Der Bus fuhr bei Ikea vor, als ich gerade zwei Minuten gewartet hatte, auf die S-Bahn wartete ich dann nochmal drei Minuten, und für die letzten drei Stationen U-Bahn vier. Fußweg nach Hause nochmal drei, und gerade als ich zuhause ankam, klingelte das Handy. Ich konnte bis zum Eintreffen der Jungs noch Kartoffeln, Zwiebeln und Paprika fürs Mittagessen vorbereiten, die Lieferung war in fünf Minuten bei mir oben, und nach einer ordentlichen Stärkung begann ich mit dem ersten Schrank. Für den brauchte ich dann doch etwas länger als geplant; ich hatte gehofft, noch etwas mehr wegarbeiten zu können, aber gut, immerhin einer von dreien. Ich rollerte ihn mit dem Rollbrett von F., mit dem ich seit Wochen gut gelaunt Dinge durch die Gegend schiebe, weil das so viel Spaß macht, vom Arbeitszimmer ins Bad, stellte ihn auf, wischte ihn kurz ab, wunderte mich wie bei vielen Ikeamöbeln, dass sie in einem Zimmer perfekt stehen und im nächsten wackeln, legte etwas unter das eine Schrankbeinchen, damit er nicht mehr wackelte, räumte Zeug aus dem Wandschrank in ihn – und als gloriosen Tagesabschluss die Putzkiste in den nun deutlich geleerten Wandschrank.

Ich wollte mich dann darüber freuen, wie ereignis- und arbeitsreich mein Tag gewesen war, bis mir einfiel, dass ich nur Geld ausgegeben und keins verdient hatte, was mich manchmal immer noch beunruhigt, aber zwei Kundenmails machten das ein bisschen wieder wett.

Mit Belohnungsspezi auf der Couch Bayern in Athen zugeguckt, aber schon fast weggedämmert. Mit Buch ins Bett und sofort eingeschlafen.

Tagebuch Montag, 22. Oktober 2018 – Nichts Neues

Normaler Arbeitstag, 7 Uhr raus, duschen, Cappuccino (mittelprächtiger Milchschaum), ein paar Minuten ohne alle technischen Dinge auf dem Sofa zum Kaffeetrinken und Rausgucken, ab spätestens 9 am Schreibtisch (IM ARBEITSZIMMER! ES IST IMMER NOCH SO TOLL!). Fies ist allerdings: Das Haus nebenan wird gestrichen. Ich denke seit Wochen, whoa, ein Riesengerüst, nur um am Dach rumzuflicken, aber nein, wenn das Ding schon mal steht, werden eben auch fünf Stockwerke plus Dachgeschoss verschönert. Ich habe vom Schreibtisch aus einen Logenplatz und war gestern deshalb arg abgelenkt, weil es sehr spannend war, Handwerkern beim perfekten Abkleben von Fenstern und Balkontüren zuzugucken. Die Farbeimer stehen auch schon auf den verschiedenen Stockwerken, ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht und wette mit mir selbst, welche Farbe es sein wird. Jetzt gerade ist es ein dreckiges Grünbeige, das kann eigentlich nur besser werden.

Zum Mittag den restlichen Pizzateig von vorgestern verarbeitet, damit ist der Mozzarella dann auch alle.

Nachmittags weitergetippt und nach Feierabend versucht, eine Lampe zu finden, die a) gut aussieht, b) bezahlbar ist und vor allem c) über dem Esstisch (aka Küchentisch) nicht so tief hängt, dass man sein Gegenüber nicht mehr sieht. Anscheinend gibt es nur noch Lampen für Altbauten. Oder mir gefallen nur noch Lampen für Altbauten, grrr. Innerlich habe ich mich auch von meiner Traumschreibtischlampe verabschiedet, die im Prinzip ein Fußballstadion ausleuchten könnte, aber genau so was hätte ich für den langen Winter sehr gerne. Ist im Moment aber nicht finanzierbar. Ästhetisch würden mir die filigranen Lampen aus dem ZI natürlich besser gefallen, aber die beleuchten nur sehr punktuell den Schreibtisch vor mir und ich lehne mich manchmal gerne zurück mit einem Buch auf dem Bauch, was ich dann im mummeligen Halbdunkel nicht mehr lesen kann. Daher die Flaklampe. Aber egal, ist ja eh nicht drin.

Die letzte Folge The Bold Type geguckt und die Mädels schon beim Abspann vermisst. Dann noch drei Folgen Maniac, nach denen ich immer noch nicht weiß, ob ich die Serie mag oder nicht. Mit Hanns-Josef Ortheil vom Sofa ins Bett gewechselt.

Ortheils Berlinreise ist ein sehr später Druck eines Reisetagebuchs, das er als Zwölfjähriger 1964 schrieb. Ich mag es bis jetzt sehr gerne, denn es liest sich wie eine unbedarfte Zeitkapsel. Manchmal nervt mich eben diese kindliche Unbedarftheit etwas, aber das verzeihe ich dem Buch, weil es mich auf Details aufmerksam macht, die ich in den großen Geschichtsüberblickswerken nicht finde. Und manchmal muss ich einfach sehr grinsen.

„Die Berliner haben viel mehr Zeit als zum Beispiel die Kölner. Sie frühstücken mindestens eine Stunde, und jede Unterhaltung dauert ebenfalls mindestens eine Stunde. Zu einer solchen Unterhaltung setzt man sich zusammen und redet im Kreis, und der Lauteste redet am längsten. Damit die Unterhaltung richtig läuft, wird viel Bier getrunken, und der Lauteste raucht am meisten. Geht die Unterhaltung zu Ende, verabredet man sich gleich für die nächste. So verbrauchen die Berliner mehr Zeit als andere Menschen, die einfach nicht soviel Zeit haben. Die Berliner haben aber mehr Zeit, weil sie auf einer Insel leben und nicht leicht weg können. Insulaner haben mehr Zeit als Nicht-Insulaner, das ist klar. Ich würde nicht besonders gern ein Insulaner sein, aber die Berliner sind sehr gerne Insulaner und sogar stolz darauf, es zu sein. Das Insulaner-Sein ist eben etwas Besonderes, und die Berliner sind gerne etwas Besonderes. Die Kölner dagegen sind nichts Besonderes, sondern einfach nur Kölner. Das reicht.“

Hanns-Josef Ortheil: Die Berlinreise. Roman eines Nachgeborenen, München 2014, S. 68/69.

The Myth of Whiteness in Classical Sculpture

In den vatikanischen Museen habe ich eine Statue gesehen, die teilweise bemalt war, das war schon sehr spektakulär. Aber im Artikel aus den New Yorker geht es auch um eine aktuelle Auseinandersetzung. Ich will nicht „Debatte“ sagen, wenn es um Vorurteile vs. Wissenschaft geht.

„Lately, this obscure academic debate about ancient sculpture has taken on an unexpected moral and political urgency. Last year, a University of Iowa classics professor, Sarah Bond, published two essays, one in the online arts journal Hyperallergic and one in Forbes, arguing that it was time we all accepted that ancient sculpture was not pure white—and neither were the people of the ancient world. One false notion, she said, had reinforced the other. For classical scholars, it is a given that the Roman Empire—which, at its height, stretched from North Africa to Scotland—was ethnically diverse. In the Forbes essay, Bond notes, “Although Romans generally differentiated people on their cultural and ethnic background rather than the color of their skin, ancient sources do occasionally mention skin tone and artists tried to convey the color of their flesh.” Depictions of darker skin can be seen on ancient vases, in small terra-cotta figures, and in the Fayum portraits, a remarkable trove of naturalistic paintings from the imperial Roman province of Egypt, which are among the few paintings on wood that survive from that period. These near-life-size portraits, which were painted on funerary objects, present their subjects with an array of skin tones, from olive green to deep brown, testifying to a complex intermingling of Greek, Roman, and local Egyptian populations. (The Fayum portraits have been widely dispersed among museums.)

Bond told me that she’d been moved to write her essays when a racist group, Identity Evropa, started putting up posters on college campuses, including Iowa’s, that presented classical white marble statues as emblems of white nationalism. After the publication of her essays, she received a stream of hate messages online. She is not the only classicist who has been targeted by the so-called alt-right. Some white supremacists have been drawn to classical studies out of a desire to affirm what they imagine to be an unblemished lineage of white Western culture extending back to ancient Greece. When they are told that their understanding of classical history is flawed, they often get testy.

Earlier this year, the BBC and Netflix broadcast “Troy: Fall of a City,” a miniseries in which the Homeric hero Achilles is played by a British actor of Ghanaian descent. The casting decision elicited a backlash in right-wing publications. Online commenters insisted that the “real” Achilles was blond-haired and blue-eyed, and that someone with skin as dark as the actor’s surely would have been a slave. It’s true that Homer describes the hair of Achilles as xanthos, a word often used to characterize objects that we would call yellow, but Achilles is fictional, so imaginative license in casting seems perfectly acceptable. Moreover, several scholars explained online that, though ancient Greeks and Romans certainly noticed skin color, they did not practice systematic racism. They owned slaves, but this population was drawn from a wide range of conquered peoples, including Gauls and Germans.

Nor did the Greeks conceive of race the way we do. Some of the ancients’ racial theories were derived from the Hippocratic idea of the humors. Rebecca Futo Kennedy, a classicist at Denison University, who writes on race and ethnicity, told me, “Cold weather made you stupid but also courageous, so that was what people from the Far North were supposed to be like. And the people they called Ethiopians were thought of as very smart but cowardly. It comes out of the medical tradition. In the North, you have plenty of thick blood. Whereas, in the South, you’re being desiccated by the sun, and you have to think about how to conserve your blood.” Pale skin on a woman was considered a sign of beauty and refinement, because it showed that she was privileged enough not to have to work outdoors. But a man with pale skin was considered unmasculine: bronzed skin was associated with the heroes who fought on battlefields and competed as athletes, naked, in amphitheatres.“

Democracy and its discontents

Esquire schreibt über Francis „End of History“ Fukuyama, der notgedrungen seine Meinung über den Sieg der Demokratie ändern muss. Oder nicht?

„A minor aspect of every geopolitical crisis since then has been the ritualized use of Fukuyama’s name as a piñata in the prestige media, asserting some variant of “The End of the End of History.” But the underlying trend of the succeeding years was a continuous expansion of democracy. Between 1975 and 2005, the number of electoral democracies increased from around 35 to 110 and overall gross domestic product grew by a factor of four.

In the mid-2000s, however, that trend began to reverse itself and the world went into what Fukuyama calls a “democratic recession.” China and Russia have grown more authoritarian and assertive. Hungary, Turkey, Thailand, and Poland have regressed toward increasingly illiberal democracy. The Arab Spring descended into civil war throughout the Middle East. Anti-immigrant and anti–European Union parties gained strength in Germany, Austria, France, the Netherlands, even Sweden. And in 2016, Britain voted to leave the EU, and Donald Trump, running on an explicitly nativist platform, was elected president.

“The world is not moving toward greater democracy or converging toward greater openness,” Fukuyama conceded. “But it’s still too early to tell whether this is just a glitch akin to a market correction or some kind of permanent state of affairs. . . . People still would rather live in a prosperous, well-governed country than in Guatemala or Nepal or Zimbabwe, and so long as that’s the case, there will continue to be a lot of grassroots pressure for the institutions that produce stable, rich countries.”“

(via Arts & Letters Daily)

Was schön war, Samstag/Sonntag, 20./21. Oktober 2018 – Wochenende

Den Vormittag verbrachte ich dankbar im Internet, denn das erzählte mir, wie man ein Bügeleisen entkalkt. Meins ist mindestens zwanzig Jahre alt und ich ahne, dass es auch so lange schon Kalk ansetzen kann. Da ich aber Mittags einen wichtigen Termin hatte, wollte ich endlich mal wieder Bügelwäsche ohne weiße Krümelchen darauf produzieren und füllte deshalb mein Bügeleisen mit einem Wasser-Essig-Gemisch (ich innerlich so: „DER GUTE WEISSWEINESSIG VON GÖLLES!“), ließ es rumdampfen und einwirken und dann nochmal rumdampfen und bügelte erst nach gefühlt zwei Stunden die erste dunkle Bluse – aber ohne weiße Krümel, ha! Danke, Internet.

Vor dem Mittagstermin war ich etwas nervös, denn ich war erstmals auf einer Feier von F.s Familie. Solche Veranstaltungen sind nie meins – zu viele Leute, zu viel Small Talk –, aber das war entspannter als ich dachte. Wir aßen und tranken sehr gut im Aumeister (ich Apfelschorle, ich war noch nicht in Stimmung für Helles oder Wein), dann gingen wir im Englischen Garten spazieren, und zum Abschluss gab es natürlich noch Kaffee und Kuchen, wie sich das halt gehört. Beim Spaziergang war ich vom Herbstlaub sehr fasziniert (#nofilter) und hätte dieses Motiv jetzt gerne als Bettwäsche.

Ich fand die Gegensätze zwischen den Feiern meiner Familie und dieser hier sehr spannend, traf nette Menschen und fühlte mich auch rundum wohl. Als ich aber zuhause ankam, wurde ich von einer Sekunde auf die andere bleiern müde; nach gut sechs Stunden bestem Benehmen in Kundenklamotten wollte ich nur in Schlumpfklamotten bierrülpsend auf der Couch wegdämmern. Aber ich guckte stattdessen die Sportschau, weil ich das Heimspiel von Augsburg gegen Leipzig leider versäumen musste; die SMS von einer unserer Mitstadiongängerinnen an F: „Habt nix verpasst“ half aber bei der Trauerarbeit. Direkt nach der Sportschau kam F. vorbei, und ich schloss für zehn Minuten die Äuglein, bevor ich mich aufraffte, um vielleicht noch ein kleines Getränk am Küchentisch zu mir zu nehmen, bevor wir um zehn ins Bett wollten.

Ähem.

Davor gab’s schon ein Fläschchen Fräulein Hu von meinem neuen Lieblingsweingut Wechsler, die ich inzwischen sogar lieber trinke als den Le 7, aber trotzdem werde ich mir für die letzte Flasche einen besonderen Anlass überlegen. Silvester oder so. Was richtig Ausgefallenes!

Das war sehr schön, mal wieder stundenlang gemeinsam rumzusitzen und einfach zu reden, keine Termine, nichts, was wirklich dringend besprochen werden muss, einfach nur in der Gegend rumreden. (Und trinken.) Ich mag solche Abende so gerne!

Gemeinsam sehr spät eingeschlafen.

Sonntag blieb der Wecker aus, wir waren trotzdem halbwegs früh wach, und F. musste auch kurz nach Hause für einen Winztermin. Ich holte mir derweil Croissants und bereitete Cappuccino für mich zu.

Gegen Mittag kam F. wieder rum und wir machten uns auf den Weg für einen kleinen Spaziergang: Wir wollten uns die Kirche St. Sebastian anschauen. Wir schlenderten dazu die Hiltenspergerstraße entlang, blieben kurz staunend am Glockenturm der Kreuzkirche stehen, entdeckten schön gestaltete Hausnummern und Fassadenreliefs und bewunderten dann schließlich St. Sebastian von innen und außen. Ich stellte fest, dass ich doch nicht bei allen biblischen Bilddarstellungen sattelfest war – die Geschichte bzw. den Psalm vom guten Hirten habe ich lieber mal kurz nachgeschlagen –, freute mich aber über eine ungewohnt ungeschmückte katholische Kirche.

Danach bummelten wir durch den Luitpoldpark, schauten Menschen beim Sport, beim Lesen und beim Pokemonfangen zu und ließen uns dann von der Tram (TRAMFAHREN!) in die Nähe des Ballabeni chauffieren, wo wir das vermutlich letzte Eis der Saison genossen, denn der Laden schließt nächstes Wochenende für den Winter. In einer Galerie daneben entdeckten wir Kunstwerke mit Büchern, die uns beiden gefielen; die werden wir uns nochmal anschauen müssen, wenn die Galerie geöffnet ist. Satt und zufrieden gingen wir zu St. Markus, wo eine Ausstellung lief, deren Plakat wir auf dem Weg zu St. Sebastian an einer Litfasssäule gesehen hatten, Das Prinzip Apfelbaum, wo Menschen über ihre Lebensphilosophie und ihren Nachlass sinnieren und fotografisch porträtiert wurden. Die Fotos von Bettina Flitner gefielen mir erwartungsgemäß sehr gut, die von den Abgebildeten selbst erdachten Ideen dahinter fand ich aber meist sehr blass. Spannend fand ich, dass sich ausgerechnet die zwei Berufspolitiker Richard von Weizsäcker und Egon Bahr am uneitelsten in Szene gesetzt hatten. (Bei Reinhold Messner musste ich arg mit den Augen rollen.)

F. wollte ein Nickerchen machen, ich Serien gucken, das taten wir dann auch, bis wir uns um 17 Uhr nochmal auf ein Stück Kuchen mit Nilgiritee trafen, natürlich von Omis Teegeschirr, über das ich mich immer, immer, immer freue. Dann musste F. leider gehen, Termine, Termine, immer beschäftigt der Mann, während ich Pizzateig ansetzte, die Geschirrspülmaschine einräumte, noch ein bisschen in der Wohnung grundpuschelte, damit sie irgendwann mal fertiggepuschelt ist, bevor ich recht zeitig mit einem Buch im Bett verschwand.

Das war, auch durch die nach gefühlt längerer Pause viele gemeinsame Zeit mit F., ein sehr schönes Wochenende. Gerne wieder.

Tagebuch Freitag, 19. Oktober 2018 – Semesterbeginn

Gemeinsam aufgewacht, endlich mal wieder. Das war schön.

Der Herr lungerte noch länger im Bett rum, während ich mit dem ersten Weckerklingeln (aka iPhone-Weckton) aus dem Bett hüpfte, alle Fenster aufriss, die Espressomaschine anschaltete, mich duschte und eincremte, um dann in die Hausklamotten zu schlüpfen (Shirts, in denen ich nicht mehr vor die Tür gehe plus Leggings) und meinen üblichen Cappuccino zubereitete. Fürs interne Tagebuch: perfekter Milchschaum! Dann saß ich, auch schon wie üblich (aka seit vier Wochen) auf meinem Schlafsofa im Arbeitszimmer und guckte über den Balkon ins Grüne, das allmählich herbstbunt wurde.

Als der Herr dann auch endlich mal los musste, setzte ich mich an den Schreibtisch, um einen Text per Mail zu versenden, den ich gerne vormittags loswerden wollte, falls der Kunde seine Korrekturen noch am Nachmittag anbringen wollte. (Wollte er nicht.) Danach fuhr ich zur Hausärztin, um meine regelmäßig einzunehmenden Medikamente abzuholen.

Im Kopf formulierte ich hier einige launige Bemerkungen zum Altwerden und zu Zipperleins vor, aber die kamen mir schon im Kopf falsch vor. Ja, ich werde älter (netterweise, darf gerne noch ein paar Jahrzehnte weitergehen, danke!), ja, das merke ich auch körperlich. Aber eigentlich wurde mir mal wieder klar, dass ich mich sehr wohl und innerhalb meiner Parameter gesund fühle. Ich freue mich immer noch darüber, dass ich die viele körperliche Arbeit, die mit dem Umzug, der Grundreinigung und dem Streichen von zwei Wohnungen verbunden war, hervorragend weggesteckt habe, wo ich früher Rückenschmerzen hatte, wenn ich nur zwei Bücher zuviel hochgehoben hatte. Ich freue mich auch darüber, dass ich meinen Körper jetzt bewusst wahrnehme, aber ohne ihn fürchterlich zu finden, ganz im Gegenteil. Ich weiß ihn zu würdigen und alles, was er für mich tut. Ich weiß inzwischen auch, was ihm gut tut, und anscheinend ist meine Taktik, auf ihn aufzupassen, ihn halbwegs regelmäßig zu bewegen, aber ansonsten mit Wärmflaschen statt mit Hanteln zu arbeiten, für mich das richtige. (Das mag für dich ganz anders sein.)

Auf dem Rückweg von der Hausärztin zur U-Bahn-Station kommt man an einer Feuerwache vorbei, wohin gestern gleich mehrere Einsatzfahrzeuge zurückkehrten. Die Tore öffneten sich und ein Mann stand auf dem Gehweg und gestikulierte, weswegen alle Fußgänger*innen inklusive mir automatisch stehenblieben, damit die Fahrzeuge einfahren konnten. Fühlte sich ein bisschen an wie wieder in einem Auto zu sitzen, wo man Notarztfahrzeugen auch Platz macht, nur netter.

Die U-Bahn fuhr mich zum Schweinchenbau, dem rosa getünchten LMU-Gebäude an der Giselastraße, wo die erste Vorlesung des Semesters auf mich wartete. Der Gastdozent, bei dem ich im Sommer die Eichhörnchenvorlesung so genossen hatte, ist noch ein weiteres Semester bei uns und erzählt dieses Mal etwas über den Beginn der Kunst der Moderne. Ich kopiere mal aus dem Vorlesungsverzeichnis: „Ziel ist es nicht, einen Kanon der ‚wichtigsten‘ Werke zu erstellen oder einen repräsentativen Überblick zu liefern. Vielmehr soll in jeder Sitzung anhand eines Fallbeispiels jeweils ein Thema erörtert werden, das als spezifisch für die Moderne bzw. die moderne Kunst angesehen werden kann, wie z.B. die öffentliche Kunstausstellung, Abstraktion, Materialität, die neuen Medien, die Globalisierung oder die künstlerische Auseinandersetzung mit Krieg und Holocaust.“

Den Hörsaal musste ich erst suchen, den kannte ich noch nicht, ich wusste nicht mal, dass der Schweinchenbau Vorlesungssäle hatte. Wie bereits dutzende Male vorher freute ich mich über den Online-Raumfinder und war auch sofort am richtigen Ort, wo ich allerdings nölig feststellte, dass die üblichen Klappstühle ziemlich unbequem waren. Aus der Einführungssitzung nahm ich ein paar Literaturtipps mit und den für mich neuen Hinweis darauf, dass sich die Bildformate in der Moderne änderten. Wo vorher (also ungefähr vor der Französischen Revolution, damit fangen wir an) der Adel und die Kirche die größten Auftraggeber für Künstler*innen gewesen waren, die auch entsprechend Platz für riesige Bilder hatten, leisteten sich nun auch Bürger*innen Kunst, die aber deutlich geringere Flächen bespielen konnten. Dementsprechend wurde nun viel kleinformatiger gemalt. Der Dozent wies auf den bestverdienendsten Maler des 19. Jahrhunderts hin – „quasi der damalige Gerhard Richter“ –, von dem ich noch nie gehört hatte, Ernest Meissonier, der sich genau auf solche Formate spezialisiert hatte und nun historische Begebenheiten, die eigentlich riesengroß gemalt wurden, im Wohnzimmerformat anbot.

Der Dozent wies auch darauf hin, dass seine Vorlesung eine Einführungsvorlesung sei, höhrere Semester würden das vermutlich alles schon kennen, aber da er ein Fachmann für das Frankreich des 19. Jahrhunderts ist, von dem ich vor Cézanne im Prinzip überhaupt keine Ahnung habe, werde ich vermutlich trotzdem wiederkommen. (Den gestern erwähnten Kostümstreit kannte ich zum Beispiel noch nicht. Zack, schon wieder was gelernt. Toll.) Wenigstens die Sitzung zu Kriegsdenkmälern will ich sehen, denn genau darüber habe ich im Zuge der Masterarbeit einiges gelesen, von dem quasi nichts in der Arbeit gelandet ist, weil es nicht passte. Aber ich fand es sehr interessant zu lernen, wie Kriegstoten nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gedacht wurde – vor allem, weil einige Opfer auch Täter waren. Die Diskussion führen wir heute noch: Wie gedenkt man Wehrmachtsangehörigen?

Nach der Uni war ich sehr hungrig und warf mir einen Salat zusammen, den ich mit frisch gekauften Butterbrezn genoss. Dabei freute ich mich schon wieder (ich freute mich gestern quasi den ganzen Tag über irgendwas), denn ich durfte feststellen, dass Gemüse in meinem neuen Kühlschrank wirklich deutlich länger frisch bleibt als in meinem alten. Ein guter Kauf!

Der Nachmittag war dann wieder Schreibtischzeit. Im Kopf vermisste ich eine Art Warentrenner für meine ganzen Tätigkeiten – das Mittagessen hatte nicht ganz gereicht, mein Uni-Hoch zu verscheuchen, aber ich musste mich jetzt einbremsen und wieder brav Dinge texten, die anderen gefallen sollen und nicht mir.

Abends mit Nutellabrot auf der Couch rumgelungert und die FAZ der letzten Woche teilnachgelesen. Den Politikteil hatte ich jeden Tag geschafft, das Feuilleton wurde jetzt nachgeholt, die Wirtschaft überflogen, Finanzen und Sport kamen gleich ins Altpapier.

“Massiv geschlampt”: CSU will Landtagswahl teilweise neu auszählen lassen

Der Artikel zeigt ganz gut auf, warum auch meine Wahlnacht deutlich länger war als sie hätte sein müssen.

„Am Donnerstag hatte [der Münchner Stimmkreisleiter und Kreisverwaltungsreferent Thomas] Böhle, nachdem sein Haus zuvor tagelang abgewiegelt hatte, in der Süddeutschen Zeitung eingeräumt, dass es in 40 bis 50 Wahllokalen zu Pannen bei der Übertragung gekommen sei. Deshalb habe die Stadt die fehlenden Daten einzelner Wahllokale geschätzt, und zwar auf Basis der Landtagswahl 2013 und mathematischer Hochrechnungen.

Diese Zahlen gingen in die Schnellmeldungen für das vorläufige Endergebnis ein. Für die entscheidenden amtlichen Zahlen habe man die Schätzungen durch die tatsächlichen Zahlen ersetzt. Das sei auch schon bei anderen Wahlen vorgekommen. Da die Grünen diesmal aber ein außerordentlich gutes Ergebnis erzielten, lagen die Schätzungen ziemlich weit daneben. Das Gesamtergebnis in München veränderte sich um bis zu einen Prozentpunkt nach unten und oben, einzelne Kandidaten verloren oder gewannen mehrere hundert Stimmen.“

Küchen an die Front! Wie der Lieferessen-Boom die Gastronomie verändert

HolyEats schaut sich an, wie Lieferservices nicht nur Lokale, sondern auch das Stadtbild verändern.

„Bei vielen unabhängigen Gastronomen gehört eine solche Anpassung der Abläufe im Restaurant an die Bedürfnisse zwei grundlegend verschiedener Zielgruppen (Gäste bzw. Kunden) bislang eher zu den Ausnahmen. In der Systemgastronomie etabliert sie sich dagegen in rasantem Tempo als neuer Standard. Um Online-Bestellungen noch effizienter abwickeln zu können hat die amerikanische Mexican-Grill-Kette Chipotle schon vor längerer Zeit so genannte „second make lines“ in ihren Schnellrestaurants getestet – separate Küchenplätze, an denen ausschließlich Bestellungen zubereitet werden, die für Abholung und Lieferung bestimmt sind. Das hat so gut geklappt, dass die Zubereitungsseparées inzwischen in allen Restaurants installiert sind, die dafür Platz bieten.

Auf Bildschirmen über den Küchenplätzen werden die eingehenden Bestellungen automatisch nach ihrer Zubereitungsreihenfolge geordnet. Damit lässt sich auch genau timen, wann die von Kunden per App vorbestellten Essen in die Abholregale („pick-up shelves“) eingestellt werden können, die Chipotle u.a. in New York City in einigen Restaurants testet.

Die deutsche Schnellnudelkette Vapiano ist noch ein Stück konsequenter und baut in ihre Restaurants inzwischen eigene „Take Away“-Schalter ein. Die sind (nicht immer, aber in der Regel) vom klassischen Restaurant getrennt und verfügen über einen separaten Eingang, an den Selbstabholer und Lieferkuriere gelotst werden können – was vor allem zu Stoßzeiten eine deutliche Entlastung des ohnehin schon wuseligen Restaurantbetriebs bedeutet. Wie bei Chipotle werden die Gerichte dort an separaten Kochstationen zubereitet. Sozusagen Showkochen für Lieferando und Foodora.“

(via @Supermarktblog)

Tagebuch Donnerstag, 18. Oktober 2018 – Schreiben, essen, schreiben, essen, zwischendurch ein bisschen Tee aus Omis schöner alter Teekanne

Die Überschrift sagt alles. Das war mein Tag.

Na gut.

Morgens endlich mal wieder richtig schönen Milchschaum produziert. Ich habe keine Ahnung, was ich mache, ich weiß nicht, an was es liegt, dass es manchmal luftige Plörre und manchmal cremige Perfektion ist, aber mein Ehrgeiz hat auf diesem Gebiet sehr nachgelassen. Es schmeckt immer, und das ist super.

Für Geld getextet. Und wie immer wenn ich das tue, steht eine Kanne Tee neben mir. Beziehungsweise: stand neben mir. Denn jetzt habe ich ja EIN ARBEITSZIMMER (über das ich mal mit meinen Steuerberater reden sollte, wie das schlaue Lektorgirl gestern am Telefon feststellte) und da kann die Teekanne nun schön hinter mir auf dem Sideboard stehen und mein Rechner ist sicherer vor Spritzern. Auch die Teetasse steht schön weit weg. Ich mag das sehr.

Mittags ging ich ein wenig spazieren, um auf dem Rückweg noch einzukaufen. Leider fand ich keine Steinpilze, aber auch mit Champignons schmeckt diese Kleinigkeit hervorragend. Pilze in ordentlich Öl anbraten aka fast frittieren, ein frisches Eigelb dazu, Meersalz, Pfeffer, Petersilie, fertig. (Das Bild zeigt natürlich wieder nur die hübsche Instaportion, gegessen habe ich die doppelte Menge.)

Dann wieder getextet. Tee war irgendwann alle, danach gab’s Wasser, denn auf zwei Kannen hatte ich keine Lust.

Abends eine Runde Carbonara gemacht, Speck musste weg, und mein Kopf will wirklich immer das gleiche essen, wenn Speck im Haus ist: Carbonara. Es ist aber auch zu geil. Dazu mit F. ein Fläschchen französischen Rotwein geleert, bei dem ich mich die ganze Zeit gefragt habe, woher der kam: selbstgekauft? Mitbringsel? Was macht ein französischer Rotwein bei mir, wo ich doch sonst Österreich und Italien leerkaufe?

Tagebuch Mittwoch, 17. Oktober 2018 – Letztes Biergartenbier

Schreibtischtage geben fürs Blog weitaus weniger her als Archiv- oder Bibliothekstage, aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Also: Normaler Tag, mieser Milchschaum, dafür erstmals so fies getampert, dass die Espressomaschine kaum IRGENDWAS rausgekriegt hat. Schmeckte aber großartig.

Vormittags einen Job beendet, den ich am Vortag begonnen hatte. Also „beendet“ wie in: Ich warte jetzt auf Feedback. Zum Mittagessen gab’s gnadenlos eine Leberkässemmel, denn die kräftigt ja bekanntermaßen, ist gesund und bekömmlich und heilt vermutlich auch Krebs. Ich bin seit der Wahlnacht immer noch angeschlagen, fühle mich matschig, will eigentlich um 16 Uhr ins Bett gehen, gähne stattdessen noch ein paar Stunden vor mich hin, falle um 23 Uhr um und schlafe so fest wie selten bis 7 durch. Ich gebe zu, das Durchschlafen ist toller als das ewige Wachliegen vor und während des Umzugs, aber da war ich gefühlt nie so erschlagen wie jetzt gerade. Anscheinend bin ich zu alt (oder zu memmig) geworden für konzentriertes Arbeiten am Abend bzw. in der Nacht.

Nachmittags einen zweiten Job begonnen, für den ich aber noch ein paar mehr Infos brauche, deswegen ist das eher Vorarbeit („ins Blaue texten“) als ernsthafte Copy. He, beim letzten Satz fiel mir der hübsche Zusammenhang zwischen „in Blaue texten“ und meinem neuen Arbeitszimmer auf. Alles richtig gemacht.

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#fromwhereiwork (Team Det. #mainzelmännchen)

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Noch schnell ein Käsebrot geschmiert, denn abends war ich mit dem ehemaligen Mitbewohner im Biergarten verabredet auf die vermutlich letzte Maß der Saison. Es wird in München gerade schon um kurz vor halb sieben dunkel, weswegen der Biergarten auch gegen 7 die letzte Runde anklingelte, was sich völlig absurd anfühlte. Mir ging es aber magentechnisch nicht ganz so gut (OMG VIELLEICHT VERTRAGE ICH KEINEN LEBERKÄS MEHR?), weswegen ich schon nach nicht mal einer Radlermaß und gegen halb acht schlappmachte. Wir fuhren in meine Wohnung, die der Herr noch nicht gesehen hatte und ließen den Abend am Küchentisch ausklingen (ich bei Wasser, unfassbar).

Melissa McCarthy Wants to Cheer You Up

Ein wie ich finde gelungenes Porträt von Taffy Brodesser-Akner über die wundervolle Melissa McCarthy. Ich bin immer etwas hin- und hergerissen, wenn man die Stimme der Autorin oder des Autors durchhört, aber hier fand ich es gut zu lesen und sinnvoll für die Story. (Die Kommentare sind sich da nicht so einig.)

„Originally, we were scheduled to go to a rage room, which, I think, is a place where you can beat things to death in a disturbing, passive-aggressive cry for help. Neither of us had ever been to one, but honestly, by the time it was suggested to me, it sounded like the cure of and for the century. I’ll probably never know. The local rage room was open for only 15 minutes on a Thursday, which we all found strange because, considering the state of the world, a rage room should maybe be open around the clock as a public service. (“You need to have them like Starbucks,” McCarthy told me later.)

Her publicist tried, but ultimately the rage room wouldn’t open early, not even for Melissa McCarthy, and she called to tell me that we would be changing to indoor sky diving at the iFly at Universal Studios. “I hope you see the metaphor here,” her publicist said to me. “She’s flying, she’s up high, she’s soaring.” I nodded and dutifully wrote this down. […]

A tall, athletic man who worked for iFly led us to change into purple jumpsuits that were made out of some environment-defiant mixture of nylon and other proprietary materials and forced us to watch an instructional video about all the safety and fun we were going to have. McCarthy was excited. I tried to be, too, but truthfully, I was still kind of bummed. A rage room! I could really find my way through a rage metaphor right now. I asked her why she wanted to do it in the first place. Was she as angry as the rest of us? She said it sounded fun. I asked her how she chose indoor sky diving as a runner-up. Was she ready to jet off and leave this earth and colonize another planet and start over like the rest of us? No, she said. The rage room was closed and this also sounded fun. I blinked.

I sat on deck, watching her take her turn. It had been a long time since I’d participated in an overt magazine stunt whose purpose was to set a scene for the opening paragraph of a story, to crystallize and illuminate a person for the reader and create a metaphor through which to weave a story — it’s just not done anymore. And I didn’t want to waste time flying just because it’s fun when we had a lot to talk about: The way the world has changed comedy, the grave wounds that make somebody go into this weird profession.

I looked from my notebook to the tube to my notebook to the tube, and yeah, I guess she was flying, she was up high, she was soaring. Then I noticed her face beneath her helmet: Her mouth and eyes open as round as her dimples, her face an expression of unmitigated wonder and joy, and there beyond the glass, I noticed for the first time just what a good time she seemed to be having.“

Tagebuch Dienstag, 16. Oktober 2018 – Schreibtischtag

Pünktlich um 7 aufgestanden, geduscht (die Farbdusche! Immer wieder ein Kracher!), auf dem Lieblingsplatz (Sofa am Balkonfenster) den üblichen Morgencappuccino getrunken (mieser Milchschaum), am Schreibtisch gearbeitet, in der Mittagspause einen Burger gegessen, weil arg hungrig, FAZ gelesen (musste noch ein bisschen vom Montag nachholen), den Nachmittag weiter am Schreibtisch verbracht, weswegen ich auch die zweite freiwillige Vorlesung im Semester ausfallen lassen musste (Geld geht jetzt wieder vor Bildung), abends nur noch ein Salamibrot, viel Wasser getrunken, eingeschlafen, sobald ich im Bett lag.

In der FAZ stand am Montag ein langer Artikel, der leider nur gegen Geld im Archiv abrufbar ist. Montags gönnt sich der Laden immer eine ganze Seite für Gastbeiträge, die gerne historische Themen behandeln, weswegen ich mich immer auf die Montagsausgabe freue. Dieses Mal ging es um Veränderungen in der Wirtschaft in der Zeit um 1968, ich zitiere mal den Untertitel des Artikels „Die Ressource Mensch“ von Bernhard Dietz: „Für die Unternehmen war ‚1968‘ eine mediale und politische Provokation. Zunächst reagierten sie mit kämpferischer Rhetorik nach außen, zunehmend aber auch mit Dialogbereitschaft, professionalisierter Öffentlichkeitsarbeit und schließlich mit Absorption von Kritik und Reformbereitschaft.“

Der Artikel beginnt mit der Feststellung, dass „1968“ gerne als Metapher für gesellschaftliche Umbrüche genutzt wird, die sich „im Bereich des Politischen, der Bildung oder in der Sphäre des Privaten“ ereignet haben, während aber die „Wirtschafts- und Arbeitswelt“ kaum beachtet werde. „Wenn aber ‚1968‘ im Kern eine Revolte gegen traditionelle Autorität und Hierarchie war und es letzlich darum ging, individuelle Freiheitsspielräume zu erkämpfen und neue Lebensstile zu erproben, dann liegt es auf der Hand, auch nach den Auswirkungen der Revolte auf die Unternehmen oder – allgemeiner gesagt – auf die westdeutsche Wirtschaft zu fragen. Allgemein gefragt: Mit welchen Strategien gelang es dem westdeutschen Kapitalismus, die Akzeptanz des Ordnungsmodells der ‚Sozialen Marktwirtschaft‘ aufrechtzuerhalten?“

Dietz beschreibt den Quasi-Neubeginn der westdeutschen Wirtschaft nach Kriegsende, deren Entwicklung sich mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung deckt – kurze Auseinandersetzung mit den Jahren 1933–45, dann gefälliges Ignorieren bis Verdrängen: „Mussten sich die Unternehmer in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg noch den Vorwurf gefallen lassen, Handlanger des NS-Systems gewesen zu zu sein, waren sie zu Beginn der 1950er Jahre schon bald unersetzbare Garanten für Prosperität und Stabilität. Geschickt inszenierten sie sich als ‚Kapitäne des Wirtschaftswunders‘, als ‚geborene Unternehmer‘, die dank harter Arbeit und einer gehörigen Spur Genialität den Wiederaufbau nach dem Kreig erfolgreich gesteuert hatten.“

„Zum Ende der 1960er Jahre wichen aber Selbstgewissheit und Zuversicht ersten Zweifeln und schießlich einer wachsenden Unsicherheit. Die Wirtschaftskrise 1966/67 hatte gezeigt, dass das kontinuierliche und ungebremste Wachstum vorbei war.“ Gleichzeitig änderten sich Öffentlichkeit und Berichterstattung über Wirtschaftsthemen. Dietz benennt die Fernsehsendungen Report und Panorama sowie Günter Wallraffs „Industriereportagen“, die 1966 erstmals erschienen. Ab den 1970er Jahren kritisierten auch Wirtschaftsmagazine wie Capital oder das Manager Magazin autoritäre Führungsstile und publizierten „Missmanagement-Geschichten“. Auch die Politik veränderte sich: „‚Wirtschaftsdemokratie‘ war seit dem Antritt der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt im September 1969 offizielles Regierungsprogramm.“

Was mich überraschte: „Die Auseinandersetzung [der Wirtschaft] mit den Kapitalimuskritikern begann auf dem Feld der politischen Sprache. Der theorielastigen Argumentation der Studenten fühlten sich viele Wirtschaftsführer unterlegen.“ Woraufhin das Deutsche Industrie-Institut (seit 1973 Institut der deutschen Wirtschaft) inhaltliche und rhetorische Schulungen begann, damit die alten Kapitäne den Jungen ihren Mao um die Ohren hauen konnten. „Kurse wie ‚Marxismus für Manager‘ befriedigten ein zu Beginn der 1970er Jahre sprunghaft gestiegenes Bildungsbedürfnis in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft.“

Seit den 1970er Jahren änderte sich aber auch der Führungsstil vieler Unternehmen, das mittlere Management bekam mehr Bedeutung, „verhaltensökonomische und motivationspsychologische Ansätze“ hatten Konjunktur. Anders ausgedrückt: Es sollten beim Arbeitnehmer ständig neue Bedürfnisse geweckt werden, damit dieser sich entfalten könne – im für das Unternehmen produktiven Sinn natürlich. Dietz zitert das Buch „Führungspsychologie für Vorgesetzte“ von 1973: „Dabei handelt es sich keineswegs um Zwang oder Manipulation, sondern darum, zu erreichen, dass der Mitarbeiter in seiner Aufgabe aufgeht und sich mit ihr identifiziert.“

Die Frage der Identifikation mit dem Arbeitgeber ist für mich eine sehr spannende, denn genau das werfe ich gerade uns Marketinghanseln gerne vor: Die Agentur stellt hübsche Obstteller und eine teure Espressomaschine auf, veranstaltet üppige Weihnachtsfeiern und wir duzen uns alle auch mit den Chefs, aber dafür wird insgeheim erwartet, 60 Stunden statt der bezahlten 40 zu arbeiten, weil wir ja alle dicke Freunde sind. Nee, sind wir nicht, und deswegen mache ich um 18 Uhr Feierabend. Dietz: „Wer kooperative Führung und ‚Selbsterfüllung‘ als höchstes Ziel der eigenen Management- und Personalpolitik anbieten konnte, brauchte den Vorwurf der ‚Entfremdung‘ der Arbeit [ihr habt alle Marx erkannt, gell?] nicht zu fürchten. Entsprechend ließ sich so auch gegen die Notwendigkeit von gewerkschaftlicher Organisation auf betrieblicher Ebene argumentieren. Gewerkschaften waren in dieser Perspektive dann nur für überbetriebliche Belange in der Tarifpolitik und als Sozialpartner relevant. In Zeiten von immer weiter gehenden Mitbestimmungsforderungen war dies für die Unternehmen eine interessante Perspektive.“

Erst in den 1980er Jahren änderte sich laut Dietz wirklich etwas, die 35-Stunden-Woche kam, genau wie „flexible Lösungen zur Arbeitszeit“, die als „personalpolitische Antwort auf die Bedürfnisse zu mehr Individualitätsentfaltung und Autonomie in der Arbeit“ genutzt wurden. Und damit schließt der Artikel, dessen Schluss ich euch mal komplett abtippe, weil er eine Frage beantwortet, die ich mir beim Lesen auch gestellt habe, Stichwort Selbstausbeutung, Hobby als Beruf und Instagram-Influencer:

„Haben also die 1968er die autoritären Verhältnisse in den deutschen Unternehmen geschleift? Und haben sie darüber hinaus mit ihren Forderungen nach Entfaltung des Individuums und nach Selbstverwirklichung langfristig sogar das sozialkulturelle Fundament für den Neoliberalismus geschaffen? Sine sie gar die unfreiwilligen Ahnherren der zwanzig Jahre alten Influencerin, die heute als ‚unternehmerisches Selbst‘ im Zeichen der Selbstentfaltung schon ihr morgendliches Frühstück über die sozialen Medien vermarktet? Solche in der Soziologie populären Thesen sind anregend, aber entschieden einzuschränken. Empirisch belegbar ist: Die Kapitalismuskritik der 1968er forderte die Unternehmen heraus und sorgte für umfangreiche und vielfältige Investitionen vor allem im Bereich der Führungskräfteausbildung. Aber erst im Zusammenspiel mit medienhistorischen Veränderungen, mit politischem Reformdruck zu mehr ‚Wirtschaftsdemokratie‘ und mit dem Generationenkonflikt in der westdeutschen Wirtschaft kam es zu einem graduellen Verlust des Vertrauens in den westdeutschen Kapitalismus. Die alten Überzeugungs- und Legitimationsstrategien (Elite, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder) kamen um 1970 in eine Krise, und es bedurfte neuer Leitbilder, die um kooperative Führung, gesellschaftliche Verantwortung und Kreativität kreisten.

Dass aber um 1970 autoritäre Führungsstile oder das ‚Genie‘ des Unternehmers generell als nicht mehr ausreichend betrachtet wruden, hatte vor allem ökonomische Gründe: zum einen den seit den frühen 1960er Jahren voranschreitenden Prozess der Professionalisierung von Unternehmensführung, durch den Autorität eingehegt und formalisiert wurde; zum anderen den mit der Wirtschaftskrise von 1966/67 einsetzenden Paradigmenwechsel in der deutschen Industrie. In einer angebotsorientierten Konsumwirtschaft wurde Kreativität zur überlebenswichtigen Ressource, um in einem gesättigten Markt weiter Produkte zu verkaufen.

Daher zielten die neuen Managementtechniken darauf, die bisherigen als starr empfundenen – also kreativitätshemmenden – Ordnungen und Hierarchien aufzubrechen und neue unkonventionelle, motivierende und produktive Situationen zu schaffen. Der um 1970 geborene ‚neue Geist des Kapitalismus‘, dem wir die moderne Arbeitswelt mit ihren flachen Hierarchien, Kooperationen, Teams, Projekten und Netzwerken verdanken, hatte also nicht einen, sondern viele Väter [und Mütter, ähem]. Das ‚1968‘ der Manager gehört zweifelsfrei dazu.“

Das Thema finde ich spannend, ich werde mir mal den von Dietz mitherausgegebenen Tagungsband Wertewandel in der Wirtschaft und Arbeitswelt (2016) ausleihen und weiterlesen. Wenn ihr noch weitere Buchtipps zu Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik für mich habt, gerne her damit.

(Alle Zitate: Dietz, Bernhard: „Die Ressource Mensch“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2018, S. 6.)

Tagebuch Montag, 15. Oktober 2018 – Matschbirne

Ich wollte mir Montag bewusst einen freien Tag gönnen, weil der Wahlsonntag so arbeitsreich war (und aus Gründen noch arbeitsreicher als vorher geahnt). Das war nötiger als ich dachte: Ich wachte zwar schon um 7 auf, wurde aber den halben Tag nicht richtig wach und fühlte mich, als ob ich die Nacht durchgefeiert hätte. Das hatte ich schon lange nicht mehr, dieses Matschkopfgefühl. Anscheinend sind über sechs Stunden konzentriertes Arbeiten mit Ärgerinseln bis halb ein Uhr morgens doch anstrengender als gedacht.

Ich schenkte mir gleich die erste freiwillige Vorlesung in diesem neuen Semester um 12 Uhr, aber am frühen Nachmittag hatte ich ein berufliches Meeting, für das ich vor die Tür musste. Das war doch ganz schön, durch das warme München zu spazieren, ein gutes Briefing zu bekommen und erfreuliche Jobaussichten zu hören. Danach war aber wirklich alle Energie aufgebraucht und ich bekam Kopfschmerzen. Statt zu kochen holte ich mir zwei Semmeln mit viel Körnerkram und vom Lieblingsmetzger schönen Schinken, was ich mit bergeweise Cherrytomaten und Gurkenscheiben verzehrte, während ich bei ein paar Folgen The Bold Type auf Amazon Prime wegdämmerte.

Die Serie habe ich erst vor wenigen Tagen entdeckt und finde sie trotz Schwächen ganz reizvoll. Es geht um drei Damen Mitte 20, die bei einem fiktiven Frauenmagazin angestellt sind, eine als Autorin, eine als Social-Media-Chefin (Führungsrolle! Sehr schön) und eine als Assistentin, die aber noch andere Karrierewünsche hat. Die Serie schafft es, sehr aktuelle Herausforderungen gut abzubilden, auch wenn natürlich (bis jetzt jedenfalls) alles immer irgendwie gut ausgeht, sei es ein Shitstorm online oder Beziehungskrempel. Ich bin zwar jedesmal irritiert davon, dass die unglaublich attraktiven Frauen mit langen Wimpern und Lippenstift aufwachen und trotz ihres angeblich winzigen Budgets zum Leben in jeder Szene neue Klamotten tragen, aber das kann ich der Serie verzeihen, denn die Dialoge klingen für mich gut und die drei Hauptcharaktere sind mir sehr schnell ans Herz gewachsen. Und, Pluspunkt, wenn ich richtig aufgepasst habe, war in acht Folgen das Thema Essen, Körper, Diät oder generell das eigene Aussehen noch nie Thema.