Tagebuch, Samstag, 3. Januar 2018 – Notungs Trümmer zertrotzt’ ich mir nicht

Eigentlich wäre gestern der Siegfried in der Staatsoper drangewesen und bis Freitag abend war ich auch der Meinung, ich geh da hin und wenn ich wirklich alles zerhuste, gehe ich halt zur Pause, ehe mich einer von meinen Sitznachbarn erschlägt. Samstag setzte sich dann aber die Vernunft durch, die blöde Nervensäge.

Ich fühle mich gesund, aber der dusselige Husten ist halt immer noch da; deutlich weniger häufig, nicht schmerzhaft, jetzt kommt ein bisschen TMI: kein Schleim mehr, TMI vorbei, sorry und danke fürs Mitlesen, aber er ist halt da. Und wenn ich irgendetwas von vergangenen Bronchitissen oder wie immer hier der korrekte Plural lautet gelernt habe, dann: Nimm deine Lunge ernst, schon dich, kasper nicht rum. Also blieb ich brav zuhause, während F. sein sehr kurzentschlossenes Mütterchen in die Oper ausführte. Die Dame war noch nie in einer Wagner-Oper, fand es aber anscheinend sehr nett, und so kann ich mich immerhin darüber freuen, dass nicht nur meine erste Wagner-Oper der Siegfried war, sondern auch die meiner derzeitigen Schwiegermutter in spe. (F. schnappt gerade beim Lesen nach Luft, sorry, Hase!)

Das heißt natürlich auch, dass ich heute nicht nach Augsburg ins Stadion fahre. Mit angegriffenen Bronchien bei Nullgraden draußen rumzusitzen, scheint mir der Heilung nicht förderlich. Seufz. Noch kein Stadionbesuch in diesem Jahr.

Da meine Buchungssituation gerade so schön ist, traute ich mich, Geld für Bücher auszugeben und legte mir drei Standardwerke zur NS-Kunst zu, die ich sonst nur in der Bibliothek vor der Nase habe. Jedenfalls meistens, das Buch von Frau Brenner habe ich noch nie im ZI gefunden, ich glaube inzwischen, das hat jemand geklaut oder perfekt falsch eingeordnet. Dabei ist genau dieses Buch von 1963 die erste Auseinandersetzung mit NS-Kunst nach 1945 und deswegen habe ich es gerne als Ausgangspunkt für jeden Forschungsstand im Anschlag.

Im Thread zum Tweet schrieb ich noch, dass die „Dokumente der Unterwerfung“ von 1975 sind; das ist der Katalog zur ersten Ausstellung von NS-Kunst in Deutschland nach 1945 und war dementsprechend umstritten. In ihm sind aber noch heute grundlegende Aufsätze, in denen, was mich sehr erstaunt hat, als ich sie das erste Mal las, schon Thesen erwähnt werden, die wir heute noch versuchen zu belegen. Was wir im Rosenheim-Seminar und in der Ausstellung aufzeigen wollten, war die Kontinuität der Zeit, dass also nicht 1933 plötzlich in der Kunst alles anders wurde und 1945 wieder, sondern dass einiges schlicht weiterlief und nun verstärkt gefördert wurde (der ganze revanchistische und naturalistische Schnarchkram, der aussieht wie aus dem 19. Jahrhundert), während anderes offiziell verboten war, aber hinter den Kulissen – also fernab der Ausstellungswelt – weiterproduziert wurde (alles, was nicht nach revanchistischem und naturalistischem Schnarchkram aussieht). Wobei es auch da Ausnahmen gab, weswegen ich persönlich so von Carl Grossberg fasziniert bin, der, wie ich hier schon schrieb, heute als rein neusachlich wahrgenommen wird, aber zur NS-Zeit weiter an Ausstellungen teilnahm und 1942, zwei Jahre nach seinem Tod, sogar noch eine Einzelausstellung bekam – mit Bildern, die so gar nicht nach dem aussehen, was auf den Titelbildern im Tweet abgebildet ist.

Ein Beispiel: Das ist eine Seite aus dem Ausstellungskatalog von 1942, die ich mal eben für F. fotografiert hatte, um ihm zu zeigen, an was für spannendem Zeug ich wieder sitze. Ich habe mir den Titel nicht notiert, aber es war etwas in Richtung Tapetenfabrik, und ich meine mich daran zu erinnern, dass das Bild von 1938 ist.

Dirksen, Victor Alexander/Krause, Franz: Carl Grossberg. Sein Malschaffen 1920 bis 40, Dortmund 1942, S. 23.

Die auf den Titelbildern abgebildeten Gemälde sind Ivo Saligers Rast der Diana (1940) sowie Adolf Zieglers Göttin der Kunst (1938). Sehr deutlich erkennbar eine ganz andere Richtung als Grossberg, aber quasi zeitgleich entstanden. Ich will Grossberg jetzt um Himmels willen nicht unterstellen, ein NS-Maler zu sein, aber was mich an dem ganzen Themenkomplex so interessiert, ist eben diese Zweigleisigkeit der Kunstentwicklung bzw. die Diskrepanz zwischen den politischen Positionen und den hehren Reden und dem, was anscheinend trotzdem möglich war. Wobei ich Widerlichkeiten wie die Schau „Entartete Kunst“ und deren Folgen natürlich nicht ausblenden will.

Über dieses Thema zu bloggen, bedeutet für mich immer, 17 Disclaimer einzubauen, dass mir schon klar ist, dass das ein Drecksstaat war. Manchmal frage ich mich, warum Historiker*innen sich nicht dauernd von ihrem Forschungsfeld distanzieren müssen, aber die Kunstgeschichte schon.