Tagebuch, Sonntag, 24. Juni 2018 – Teig bearbeiten, Bilder bearbeiten

Den Samstagabend verbrachte ich zunächst alleine zuhause und guckte relativ emotionslos DER MANNSCHAFT dabei zu, wie sie kurz vor dem Vorrundenaus stand, was mir überraschend egal war. Irgendwo war da die winzige Hoffnung darauf, dass mit dem Ausscheiden vielleicht auch der Scheiß-Schland-Wahn wieder aufhören würde, der seit 2006 immer schlimmer und sinnloser geworden war. Die widerlichen Diskussionen um Özil und Gündogan hatten mich sehr erschreckt. Dass die Fotoaktion der beiden mit Erdogan äußerst dämlich gewesen war – geschenkt. Aber dass nun auf einmal aus gewissen Ecken darüber spekuliert wurde, ob die beiden deutsch genug für die deutsche Nationalmannschaft seien, erinnerte mich fatal an Ariernachweise und ähnlichen Rotz und nahm mir einen großen Teil der Vorfreude auf die WM. Dass sie in einer Quasi-Diktatur stattfindet, konnte ich bräsig ausblenden.

Als aber ausgerechnet der Querpasstoni den Siegtreffer im Spiel gegen Schweden erzielte, eskalierte ich doch. Verdammter Fußball.

Dass draußen vor der Tür die hupenden Autos eine Party feierten, als hätte DIE MANNSCHAFT schon das Finale erreicht, fand ich allerdings arg übertrieben, albern und nervig, und zack, war die schlechte Laune wieder da.

Den Restabend und die Nacht verbrachte ich bei F., mit dem ich netterweise immer bessere Laune habe. Die Nacht wurde deutlich kürzer als gedacht, denn irgendwer *hust* ich *hust* wollte nach dem Durchschnittswein noch einen schönen Whisky haben und danach noch einen und dann noch einen. Leider vergaßen wir beide, dazu ausreichend Wasser zu trinken, weswegen ich schon nachts mit Kopfschmerzen aufwachte. Als ob ich noch nie Alkohol im Glas gehabt hätte. Wie so eine Laientrinkerin. Schlimm.

Dafür lungerten wir am Sonntagmorgen ewig rum; mein Arbeitstag begann daher deutlich später als geplant. Ich bearbeite immer noch die riesige Bildausbeute vom Donnerstag und ahne allmählich, warum Dissertationen so lange dauern. Zwischendurch faltete ich Baguetteteig und buk, befreite dann die Küche vom üblichen feinen Mehlstaubüberzug, schob die neue Folge Masterchef Australia ein und ging wieder an den Schreibtisch. Meine Gliederung für die erste Präsentation meiner Diss wird allmählich so, dass sie mir gefällt. Die fülle ich jetzt im Laufe dieser Woche mit schnaften Fakten auf, indem ich im ZI sitze und mich darüber freue. Darauf ein Tässchen Tee!

Nanette

Hannah Gadsby, in die ich mich bei Please Like Me verknallt habe, beendet ihre Comedykarriere – mit einem Comedyprogramm. Es ist ein wilder Ritt durch Lachen, Unwohlsein, laut ihren Kritiker*innen not enough lesbian content und Kunstgeschichte und ich finde, ihr solltet das alle sehen.

Die NYT hat das Programm im März gesehen, schreibt ziemlich spoilerfrei darüber und erwähnt vor allem den Knackpunkt der ganzen Comedyshows, die von Menschen aufgeführt werden, die sich Hass und Ausgrenzung ausgesetzt sehen, was auch Gadsby aufnimmt: „Her self-mocking nebbish is a familiar persona, but there comes a moment when she drops and deconstructs it, and that turning point makes you re-evaluate everything you saw before. “Do you know what self-deprecation means coming from somebody who exists on the margins?” she asks. “It is not humility; it is humiliation.”“

Gadsby spricht darüber, wie ihr schon als Kind beigebracht wurde, dass Homosexualität etwas Verachtenswertes ist und dass sie es teilweise immer noch nicht abschütteln kann. Ich begebe mich mal auf dünnes Eis, wenn ich sage, dass das mit Dickenhass ähnlich ist. Ich weiß, dass ich okay bin, aber an manchen Tagen muss ich mir das wirklich selber nochmal sagen, um nicht wieder sinnlos Lebenszeit und Energie darauf zu verschwenden, über Magen-OPs, Sport in freier Natur ohne Angst vor Scheißsprüchen und Anerkennung von Arschlöchern nachzudenken. Rebel Wilson als Amy brachte es in Pitch Perfect auf den Punkt mit einem Witz, über den vermutlich nur nicht-dicke Menschen lachen, indem sie sagt, sie nennt sich von sich aus Fat Amy, bevor die skinny bitches es tun, was sie sowieso tun werden. So ähnlich funktioniert Gadsbys Comedy: Sie macht homophobe Witze, bevor die anderen es tun, und genau damit sei jetzt Schluss. Sie möchte und muss ihre Geschichte anders erzählen und deswegen will sie die ganze Scheiße, der sie täglich ausgesetzt ist, nicht auch noch als Grundlage für Scherze benutzen. Dieser Weg der Katharsis sei für sie der falsche. Und ich glaube, für uns als Publikum auch.