Tagebuch, Mittwoch bis Freitag, 27. bis 29. Juni 2018 – Matschbirne

Mittwoch war wieder ein Geleetag – ich watete in meinen ganzen Diss-Dokumenten rum, ohne zu irgendeinem Punkt zu kommen. Und dafür hatte ich auf die Eichhörnchenvorlesung verzichtet! Andererseits war ich so weder in einem Hörsaal noch in der Bibliothek, als mein Handy klingelte und sich ein neuer Job ankündigte. Das war schön.

Überhaupt finde ich es gerade schön, dass sich alle Kunden und Kundinnen an mich wenden anstatt umgekehrt. Es bestätigt sich immer mehr, dass die Jobs dadurch reinkommen, dass ich einen anderen Job gut gemacht habe, dass mich ein Texterkollege oder eine -kollegin weiterempfiehlt, so wie ich das auch mache, wenn ich keine Zeit habe, dass Leute mein Blog lesen oder sogar mein Buch. Um irgendeine Ecke kommt immer was. Allerdings noch nie über meine lustigen Akquisemails oder Xing und bis jetzt auch noch nicht über Designerdock, bei denen ich mich im November letzten Jahres angemeldet habe. Aber noch sind die 18 Monate ja noch nicht rum, in denen sie mich mal anrufen könnten.

Das Ausscheiden DER MANNSCHAFT habe ich sehr emotionslos hingenommen. Das hat mich selbst überrascht, wie emotionslos ich war, aber als der eklige Rumpelfußball endlich vorbei war, dachte ich nur, yay, in zwei Tagen kommt die Bundesliga-Terminvorschau raus, und dann gibt’s wieder anständigen Fuppes.

Das komische schwarzrotgelb verzierte Teilchen bei meinem Bäcker mit dem schönen Namen „Endspielteilnehmer“ liegt jetzt verschämt weiter hinten in der Vitrine.

Donnerstag auch vom heimischen Schreibtisch aus gearbeitet, Protzen-Bilder, fragt nicht, ich seh die schon gar nicht mehr, ich schneide nur aus und notiere Größenangaben und Titel und höre meinen Spotify-Mix der Woche dreimal hintereinander durch. Noch ein paar Aufsätze gelesen und wieder mit allem gehadert. Doofe Idee, tolle Idee, halbgare Idee, ich weiß gar nichts mehr. Ich verfranse mich schon wieder auf zwanzig Baustellen, anstatt den roten Faden weiterzuverfolgen, den ich vor ein paar Tagen in den Fingern hatte. Ein Elend, diese Wissenschaft.

Und wie immer, wenn ich wieder mit allem hadere, erinnert mich F. an den schönen Satz, der ihn durch seine Diss getragen hat: „If you know what you’re doing more than fifty percent of the time, it’s not research.“ Den sticke ich mir jetzt auf ein Kissen. Aber das habe ich, glaube ich, schon öfter im Blog angekündigt und nie gemacht und deswegen vergesse ich diesen Satz immer und F. muss ihn dauernd wiederholen.

Weitere, ich glaube sechs, Seiten an zwei Tagen in Finnegans Wake bezwungen. Das Ding ist ein einziges Rätsel, aber völlig faszinierend. Es ergibt beim ersten Lesen überhaupt keinen Sinn und beim zweiten auch nur, wenn man sich irgendeine Story dazu ausdenkt, aber zwischendurch kommen schöne Satzfetzen oder Worte, auf denen ich rumdenken kann beim Einschlafen.

„And laughtears!“

„As innocens with anaclete play popeye antipop.“

Antipop! 1939! Natürlich hat das überhaupt nichts mit Pop Art oder Popmusik zu tun, aber ich finde es so spannend, aus diesen alten Worten, die für Joyce damals eine andere Bedeutung hatten, eine neue zu schnitzen. Oder Assoziationen brodeln zu lassen, die Joyce noch nicht haben konnte. Weil jede neue Leserin neue Dinge denkt und die Zeit immer weiter voranschreitet, in der neue Leserinnen mit neuen Gedanken kommen, ist das Buch quasi ein ständiger work in progress. Das war übrigens der Arbeitstitel des Werks, als es in Vorabdrucken erschien. Das fühlt sich für mich im Nachhinein sehr prophetisch an.

„Echoland.“

Echoland! Vor meinem geistigen Auge entsteht der große Nachwenderoman. Oder ein Alternative-Rock-Album. Vor deinem auch? Schreib’s auf! Nimm’s auf!

Als einzige Gegenmaßnahme zum Rumgelieren und Fadenverlieren am Freitag brav im ZI gewesen, wo ich hingehöre. Versucht, mich nicht noch weiter zu verfransen, sondern nur die Fragen zu beantworten, die ich beim Aufsatzlesen am Donnerstag hatte. Hat natürlich nicht geklappt. Wieder neue Baustellen aufgemacht. Aber immerhin noch schöne Texte zu Grossberg gefunden und viele seiner Bilder angeschaut.

Ich stelle naiv-erstaunt den Unterschied von einer langen Forschungsarbeit zu BA- und MA-Arbeit fest, die mir im Nachhinein wie hingeworfene Notizen erscheinen. Ich habe jetzt die Freiheit, bei allem, was ich lese, in die Tiefe zu gehen, mich mit jedem Bild zu beschäftigen, das mir über den Weg läuft, jede Abzweigung in meinen Gedanken mitzunehmen, denn ich habe weder eine Zeit- noch eine Zeichenbegrenzung. Und was ich anfangs so befreiend fand, schüchtert mich jetzt zunehmend ein.

Neuerdings hat die U2 keinen Zehn-, sondern einen Fünf-Minuten-Takt. Ich behaupte, ich habe ein einzigartiges Talent, gerade am Hauptbahnhof, wenn ich vom Zug komme und ECHT NACH HAUSE WILL, die U-Bahn genauso zu verpassen, dass ich neun Minuten auf die nächste warten muss. Ich komme die Rolltreppe runtergehetzt und sehe, gerade verpasst, na super, neun Minuten warten, eine Ewigkeit, jammerjammerjammer. Daher freute ich mich sehr über die Fahrplanumstellung.

Da ich in den letzten Tagen kein Fahrrad gefahren bin (Reifen waren nicht anständig aufgepumpt) und mit der U-Bahn ins ZI fuhr, konnte ich den neuen Takt gleich ausprobieren. Was soll ich sagen? Jetzt komme ich die Rolltreppe am Königsplatz runtergehetzt und sehe, gerade verpasst, na super, vier Minuten warten, eine Ewigkeit, jammerjammerjammer.

Fahrradreifen aufgepumpt.