Tagebuch, Samstag, 7. Juli 2018 – Lesen und lesen lassen

Da mir der Freitagnachmittag mit dem Bachmannpreis so gut gefallen hatte, saß ich am Samstagvormittag gespannt vor dem Rechner, um die letzten vier Texte anzuhören. Hier gibt’s einen kleinen Ãœberblick, auch mit Links zu den Texten und den Jurydiskussionen.

Mir persönlich gefiel der Text von Özlem Özgül Dündar am besten; mich wunderte allerdings seine Schreibweise. Ich las nie mit, sondern ließ mir vorlesen, aber auf Twitter bekam ich mit, dass der Text anscheinend ohne Interpunktion und Großschreibung einfach so vor sich hinfließt. Beim Vortrag klang das nicht so, insofern bin ich ganz dankbar, eine Lesung mitbekommen zu haben. Obwohl mich seit dem letzten Kapitel des Ulysses, das genauso geschrieben ist, nichts mehr abschrecken kann. Wenn ich einen Text lesen will, dann lasse ich mich von fehlenden Kommata nicht mehr aufhalten. (Ich lese allerdings weiterhin keine Texte in weiß auf dunklem Grund im Internet.)

Ich fand es spannend, dass in der Jurydiskussion das Stichwort der Pietà fiel, denn das kam mir auch in den Sinn bei diesem Text über vier Mütter, von denen einige Opfer bzw. Opfermütter sind und eine Tätermutter ist. Ich mochte die sehr persönliche Herangehensweise an ein leider aktuelles Thema, gerade im Unterschied zu einem anderen Text, der sich auch mit der Geschichte der Bundesrepublik befasste und eitel scheiterte. Fand ich jedenfalls. Dündar wurde gerade mit dem KELAG-Preis ausgezeichnet, quasi der dritte Platz (weil die dritthöchste Preissumme). Bov Bjerg, dessen Text mich fast genauso begeistern konnte, erhielt den zweithöchst dotierten Preis, und der Bachmannpreis ging an Tanja Maljartschuk, die gefühlt den klassischsten Text vortrug, jedenfalls von denen, die ich mitbekommen hatte. Die anderen Texte werde ich jetzt brav nachlesen. Das hat mir alles sehr gut gefallen, und ich werde mir das für nächstes Jahr im Kalender eintragen, um Zeit zu haben, vor dem Livestream zu sitzen.

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Fußballgucken und Referatformulieren. Letzteres ging zäher voran als mir lieb war. Jedesmal, wenn ich denke, jetzt weiß ich endlich, was ich sagen will, hinterfrage ich mich wieder. Ich hätte nicht gedacht, schon im Anfangsstadium der Diss – denn so fühlt es sich auch nach acht Monaten noch an – so rumzueiern. Praktischerweise hat F. immer einen guten Tipp, wie ich mein eigenes Gedankenknäuel auflösen kann, und damit werde ich mich heute befassen.

Ein paar weitere Seiten in Finnegans Wake bezwungen. Wenn man sich mal so richtig doof fühlen will, ist das Buch wirklich perfekt. Am Freitag twitterte ich noch launig, dass das Buch ein totales Wellnessbuch sei, denn man versteht halt nichts und muss sich mit nichts aufhalten. Aber so leicht will ich es dem Joyce ja auch nicht machen, ich will schon wissen, ob er nur Quatsch geschrieben oder sich wenigstens Mühe dabei gegeben hat. Daher suche ich immer einen Sinn, gebe meist auf, manchmal nicht, lese weiter, vergesse gerne, was ich eben gelesen habe und eiere quasi genauso rum wie bei der Diss. An manchen Sätzen knabbere ich rum, weil sie mir gefallen, an anderen, weil sie für mich überhaupt keinen Sinn ergeben, mich aber ein Wort oder ein Ausdruck daran hindern, einfach weiterzulesen. So was hier zum Beispiel:

„We can’t do without them. Wives, rush to the restyours! Ofman will toman while led is the lol.“

„The restyours“ bedeutet für mich schön patriarchalisch der Ehemann, der aus einer Frau ein Ganzes macht, ohne ihn ist sie unvollkommen. „Ofman“ ließ mich natürlich sofort an A Handmaid’s Tale denken, wo die Frauen keine eigenen Namen mehr haben, sondern als Besitz eines Mannes gekennzeichnet sind, wie die Hauptfigur Offred (Of Fred). Aber was heißt dann „toman“? Und woher zum Teufel kennt sich Joyce im Interweb aus LOL?

Aber der gute Mann versorgte mich ein paar Seiten weiter mit einem Begriff, den ich sofort in meinen Sprachschatz übernommen habe: Twitterlitter. Ihr kriegt jetzt den ganzen Satz, Moment:

„Gaping Gill, swift to mate errthors, stern to checkself, (diagnosing through eustacetube that it was to make with a markedly postpuberal hypertituitary type of Heidelberg mannleich cavern ethics) lufted his slopingforward, bad Sweatagore good murrough and dublnotch on to it as he was greedly obliged, and like a sensible ham, with infinite tact in the delicate situation seen the touchy nature of its perilous theme, thanked um for guilders received and time of day (not a little token abock allthe same that that was owl the God’s clock it was) and, upon humble duty to greet his Tyskminister and he shall gildthegap Gaper and thee his a mouldy voids, went about his business, whoever it was, saluting corpses, as a metter of corse (one could hound him out had one hart to for the monticules of scalp and dandruff droppings blaze his trail) accompanied by his trusty snorler and his permanent reflection verbigracious; I have met with you, bird, too late, or if not, too worm and early: and with tag for ildiot in his secondmouth language as many of the bigtimer’s verbaten words which he could balbly call to memory that same kveldeve, ere the hour of the twattering of bards in the twitterlitter between Druidia and the Deepsleep Sea, when suppertide and souvenir to Charlatan Mall jointly kem gently and along the quiet darkenings of Grand and Royal, ff, flitmansfluh, and, kk, ‘t crept i’ hedge whenas to many a softongue’s pawkytalk mude unswer u sufter poghyogh, Arvanda always aquiassent, while, studying castelles in the blowne and studding cowshots over the noran, he spat in careful convertedness a musaic dispensation about his hearthstone if you please, (Irish saliva, mawshe dho hole but would a respectable prominently connected fellow of Iro-European ascendances with welldressed ideas who knew the correct thing such as Mr. Shallwesigh or Mr. Shallwelaugh expectorate after such a callous fashion, no thank yous! when he had his belcher spuckertuck in his pucket, pthuck?) musefed with his thockits after having supped of the dish sot and pottage which he snobbishly dabbed Peach Bombay (it is rawly only Lukanpukan pilzenpie which she knows which senaffed and pibered him), a supreme of excelling peas, balled under minnshogue’s milk into whitemalt winesour, a proviant the littlebilker hoarsely relished, chaff it, in the snevel season, being as fain o’t as your rat wi’fennel; and on this celebrating occasion of the happy escape, for a crowning of pot valiance, this regional platter, benjamin of bouillis, with a spolish olive to middlepoint its zaynith, was marrying itself (porkograso !) erebusqued very deluxiously with a bottle of Phenice-Bruerie ’98, followed for second nuptials by a Piessporter, Grand Cur, of both of which cherished tablelights (though humble the bounquet ’tis a leaman*s farewell) he obdurately sniffed the cobwebcrusted corks.“

(James Joyce: Finnegans Wake, London 1992, S. 36–38.)

Was wollte ich sagen? Ach ja: Meine Liste von Nervensägen auf Twitter heißt jetzt Twitterlitter. Much obliged, James.