Nachtrag: Tagebuch Freitag, 21. September – Balkonien

Ich hatte noch nie einen Balkon. Also in der gemeinsamen Wohnung hatten Kai und ich schon einen, aber der ging auf eine vierspurige Hauptstraße raus, und deswegen standen auf ihm nur Kais Satellitenschüssel und mein Aschenbecher, solange ich noch rauchte, wir selbst hielten uns da nie wirklich auf. Daher war es mir bisher auch immer egal, ob meine Wohnung einen Balkon hat oder nicht. Jede*r, dem oder der ich das sagte, nickte geduldig und meinte dann: „Wenn du erstmal einen hast, willst du ihn nicht mehr missen.“

Das habe ich natürlich nicht geglaubt. Aber nun stand ich mit meinem frischen Aeropresskaffee in der Hand in der Küche und dachte, dein Sofa ist noch nicht unten – du kannst jetzt wieder ins Bett oder auf den Pausenstuhl. Oder du nimmst einen der anderen Stühle, die F. netterweise aus dem Keller geholt hat, trägst ihn auf den Balkon und überprüfst das Geschnatter der anderen mal. Ist bestimmt total langweilig da draußen. Gibt ja auch noch kein Internet bis da hin.

Ich weiß nicht, ob es am Alter liegt oder an der subtilen Bevormundung aller Balkonmenschen, aber das waren wirklich schöne, entspannte 15 Minuten, die ich da auf meinem Riesenbalkon saß. Er geht auf unseren Hinterhof raus und ich besah mir zum ersten Mal die ganzen bunten Nachbarbalkons, die ich von unten nie richtig gesehen hatte. Hier haben fast alle irgendein Grünzeug am Geländer, was ich sehr schön finde. Das Nachbarhaus ist gerade eingerüstet, und ich konnte aus den Augenwinkeln den Dachdeckern zugucken (man will ja nicht so glotzen, obwohl ich genau das gerne getan hätte). Bis zur nächsten Häuserreihe sind es fast 100 begrünte und bewachsene Meter, so dass ich einen angenehmen und halbwegs weiten Blick habe. In der Ferne kann ich das Gebäude das Bayerischen Rundfunks sehen. Und: Es war ungewohnt ruhig. Natürlich hört man die Straße auf der anderen Hausseite – die, die ich bisher als einzige in meiner Wohnung hatte –, aber sie war deutlich gemindert. Der Kaffee war natürlich auch perfekt, weil man in der Aeropress einfach keinen schlechten Kaffee machen kann, und so genoss ich den ersten Morgen in meiner Wohnung sehr und war erstmals ohne innere Widerrede der Meinung, dass der Umzug eine gute Idee war. (Ja, ich habe damit auch noch nach der Unterschrift auf dem Mietvertrag gehadert.)

Dann ging’s aber los mit dem Tagewerk. Erstmal ging ich zum Lieblingsmetzger, um einen Leberkäse für Samstag mittag vorzubestellen, wenn ich eine Meute hungriger Umzugshelferlein in der Butze habe. Der Lieblingsmetzger ist auch deshalb der Lieblingsmetzger, weil er Fragen stellt, mit denen ich nie rechne.

„Wieviel darf’s denn sein?“
„Äh … was wiegt denn ein durchschnittlicher Leberkäse?“ (Man hat als Norddeutsche ja überhaupt keine Ahnung.)
„Wieviele Menschen werden denn bedient?“ (Was für eine Formulierung!)
„Wir sind acht. Umzug.“
„Wird noch etwas anderes serviert?“ (<3)
„Nur noch Gemüse und Schokolade.“
„Dann würde ich schon zwei Kilo nehmen.“

Gekauft.

Dann fuhr ich zum Karstadt, weil ich ein paar Plastikboxen für den neuen Wandschrank brauchte. Eigentlich wollte ich auch noch einen Klemmspot für die Küche haben; meine nun schön lange Arbeitsplatte bekommt leider überhaupt kein Licht außer der Funzel der Abzugshaube. Ansonsten steht man direkt mit dem eigenen Körper vor der Deckenlampe, die eh noch ein Provisorium ist. Daher würde ein Klemmspot für das offene Regal am Ende der Oberschränke sehr gut tun, um wenigstens ein bisschen was zu sehen, wenn man mit großen, scharfen Messern hantiert. Karstadt hatte allerdings nur ausnehmend hässliche Spots und daher verzichtete ich auf einen Kauf. (Momentan steht da eine Art Schreibtischlampe als ein weiteres Provisorium.)

Dann verbrachte ich den Resttag damit, meine eigene Blödheit zu kompensieren. Ich hatte zwar ausreichend Bücherkisten geordert, aber den Rest meiner Wohnung komplett unterschätzt. Ich hätte jetzt das Arschloch machen können, das am Umzugstag jedem eine blaue Ikeatüte und einen leeren Karton in die Hand drückt und sagt: „Packt einfach ein, was noch rumsteht, tragt’s runter und geht mit dem leeren Gepäck wieder hoch“, aber das wollte ich nicht. Stattdessen war ich die einzige, die den ganzen Tag mit Ikeatüte, einer Umzugskiste und einem vollgepackten Rucksack treppauf und treppab lief, einpackte, schleppte, auspackte und dann das ganze noch dreißigmal. Irgendwann merkte ich erstmals den Rücken und auch meine Handgelenke konnte kaum noch etwas anheben, und so machte ich Feierabend. Bis auf zehn Flaschen Alkohol und drei schwere Schüsseln war alles unten oder verpackt, und bei dem kleinen Rest hatte ich kein ganz schlechtes Gewissen.

Abends mit Chips und Schokolade und ein paar aufs iPad geladenen Serienfolgen von Netflix im Bett rumgelungert. Wie immer in den letzten Tagen allerdings fürchterlich geschlafen; ich wachte fast immer gegen 4.30 Uhr auf und konnte nicht mehr schlafen, weil ich im Kopf durchging, was ich noch alles zu erledigen hatte. Ich hoffte, dass das nach dem Umzug aufhören. (Überraschung: tat es nicht, denn ich musste in der alten Wohnung ja auch noch 1000 Dinge erledigen. Aber davon später mehr.)