Tagebuch Montag, 10. Dezember 2018 – Mall Walking

Da meckert man zuerst ewig über das aufdringliche Verkaufspersonal im Einzelhandel, das einen nie in Ruhe gucken lässt, dann kauft man nur noch online, weil die Auswahl größer ist und einen niemand nervt, und dann sitzt man plötzlich nach gefühlt zehn Jahren Abstinenz wieder in einem Schuhladen und wundert sich, dass sich niemand um einen kümmert. Das haben wir ja schön hingekriegt.

Meine halbhohen Winterstiefel zum Schnüren sind arg in die Jahre gekommen und zudem ziemlich schwer. Da mein doofer rechter Fuß aber ohne Hilfe schon nicht in Stiefeletten reinkomt – ich kann diese komische gewundene Reinschlüpfbewegung nicht machen – und mein dicker Körper gefühlt an den Waden am meisten Fett angelegt hat, sind Winterschuhe meine persönliche Einkaufshölle. Stiefel sind seit Jahren komplett raus aus den genannten Gründen. Stiefeletten habe ich oft genug anprobiert (also nachdem ich sie im Interweb bestellt hatte) und nölig zurückgeschickt, weil der Reißverschluss nicht mit meinen Waden klarkommt oder mein Fuß nicht mit allem und ach es ist ein Kreuz und daher habe ich dieses Problemfeld so lange wie möglich ignoriert. In normalen Wintern muss ich eh nie so lange vor die Tür, dass mir die alten Stiefel wirklich Stress machen; ich brauche kein Schuhwerk für die Alpen bei Tiefschnee, ich brauche nur irgendwas, mit dem ich an der Bushaltestelle nicht friere. Beim letzten Stadionbesuch habe ich allerdings missmutig festgestellt, dass das Futter meiner alten Stiefel anscheinend jetzt wirklich die Arbeit eingestellt hat, mir wurde trotz Thermosocken etwas kalt an den Füßen. Also: neue Winterschuhe.

Online wurde ich nirgends fündig, auch weil ich online schlicht nicht sehen kann, ob die Schäfte weit genug sind. An den hübschen Modelwaden haben sie immer noch gefühlt zehn Zentimeter Spiel, an meinen sieht das erfahrungsgemäß sehr anders aus. Natürlich gibt es Stiefel mit weiten Schäften oder Fußbetten, aber deren Auswahl ist noch winziger als die von anderen Schuhen. Und nach drei, vier Jahren sinnlosem Zurückschicken habe ich mich jetzt in mein Schicksal gefügt, Schuhe anscheinend wirklich anprobieren zu müssen, bevor ich sie kaufe. Außer Sneaker, weswegen ich die weiter online kaufe, noch nie was zurückschicken musste und immer gerne trage.

Ich wühlte mich also durch einige Websites von Schuhgeschäften, die ich in München finden könnte. Meist war die Auswahl akzeptabel, einige hatten sogar einen Storefinder, bei dem man nachschauen konnte, ob das gewählte Paar in der gewählten Größe in einem Laden in der Nähe vorhanden ist, was ich ziemlich nett fand. Dafür stehen auf Websites aber auch scheußliche Dinge wie: „Egal zu welchem Anlass, ein neues Paar Schuhe von [Firma] lässt Frauenherzen höher schlagen und auch das Damenschuhe kaufen soll schon das eine oder andere Glücksgefühl in einer Frau ausgelöst haben .“ (Interpunktion wie im Original), was mich in dem Wunsch bestärkte, in dem Laden schon mal nicht einkaufen zu wollen. Ich wollte nun aber auch nicht die ganze Kaufingerstraße runterlatschen, vor allem, weil da gerade Weihnachtsmarktbuden rumstehen, und deswegen entschied ich mich für das Olympia-Einkaufszentrum. Das ist in meinen Augen eher etwas schraddelig, aber immerhin stehen einem keine Glühweinnasen im Weg.

Ich hatte online nachgeschaut, wo die Geschäfte waren, in die ich gehen wollte/musste, kletterte in eine U-Bahn, stieg einmal um, musste 30 Meter frische Luft zwischen U-Bahn-Ausgang und Mall-Eingang überwinden und befand mich dann in der klimatisierten – vulgo: zu warmen – Einkaufspassage. Den ersten Laden fand ich auch sofort, wollte aber eigentlich zunächst im anderen nachschauen. Den fand ich allerdings nicht da, wo ich ihn mir gemerkt hatte. Netterweise stehen überall große Touchscreens rum, an denen man suchen kann, wo welcher Store ist, aber ich hatte irgendwie Lust, ein bisschen rumzulaufen. Es war nicht sehr voll, und so latschte ich sinnlos an Läden und Fressbuden vorbei und erinnerte mich an meinen ersten USA-Urlaub, wo Karl und ich auch sinnlos durch eine Mall gegangen waren, einfach weil er mir das Mall Walking zeigen wollte, was ich damals genauso seltsam fand wie heute. Als ich in Berlin gebucht war (2008/2009), lief ich ab und zu durchs Alexa, aber das war mir immer zu eng und zu voll. Nach kurzer Zeit fand ich den zweiten Laden, drehte aber noch eine Runde, ging dann zu ihm zurück – und fand nichts, was mir irgendwie hübsch vorkam oder passend oder bezahlbar. Ich wühlte gut zehn Minuten durch alle Regale, war auch irgendwann bei den Herrenschuhen (soll ja auch Männer mit kleinen Füßen geben) und spätestens da hätte ich gedacht, dass mich mal jemand anspricht, aber nichts. Ich habe auch nicht irre viel Personal gesehen, vielleicht sind Verkaufsgespräche auch gar nicht mehr en vogue.

Ich ging zum zweiten Laden, wo noch weniger Personal unterwegs war; ich sah nur jemanden an der Kasse und eine Dame, die Kartons in Regale räumte, bis ihr ein weiterer Kollege recht atemlos zu Hilfe kam. Es war kurz nach 11 Uhr, und er erzählte, dass er wegen des Streiks erst jetzt hatte kommen können. Ach stimmt, da war ja was. Lag es daran, dass gestern so wenig los war? Ich ging auch hier von allen unbehelligt durch die Regale und fand bei der zweiten Runde endlich ein Paar, bei dem ich nicht sofort zurückzuckte. Es hatte nicht die Farbe, die ich haben wollte, aber: Die halbhohen Stiefel konnte ich weit genug aufschnüren, um problemlos, also mit Hilfe eines Schuhanziehers, hineinzuschlüpfen, und durch die Schürsenkel hatte ich auch genug Spielraum für meine Waden und musste nicht mit einem Reißverschluss kämpfen. Warm schien ihr Futter auch zu sein und gut rumlaufen konnte ich auf zehn Metern Ladenfläche auch. Okay, dann habe ich jetzt halt blaue Stiefel statt schwarze. Mir ist Kleidung immer noch bemerkenswert egal.

Nicht mal an der Kasse musste ich meinen Standardsatz „Nein, ich brauche wirklich kein Imprägnierspray dazu“ aufsagen, aber immerhin hatte ich da menschlichen Kontakt. Und beim Verlassen des Ladens wurde mir vom atemlosen Kollegen auch noch ein schöner Tag gewünscht. Der hatte ein paar Minuten vorher einer Kundin die Auskunft gegeben, sie möge in ein paar Tagen doch nochmal vorbeischauen, vielleicht sei ihr gewünschtes Paar Schuhe dann in ihrer Größe da, auf die Bestellungen hätten sie leider keinen Einfluss. Das kommt mir arg seltsam vor, dass die Filiale der Kette nicht selbst entscheidet, was sie ordert. Ist das so? Haben wir mit unseren Onlinekäufen Offlinekäufe noch schwieriger gemacht als sie es eh schon waren, weil jetzt vielleicht nur noch im Laden steht, was auch online gut weggeht? Keine Ahnung.

Auf dem Nachhauseweg Bücher im Buchladen bestellt. Immerhin da habe ich mein Einkaufsverhalten schon vor Längerem geändert.

Ich kann mit beiden Listen nur bedingt etwas anfangen, aber vielleicht ja ihr: 15 Books to Read by Black Female American Writers (NYT Magazine) und Das sind die besten Wirtschaftsbücher von Frauen (Handelsblatt). #frauenlesen