Tagebuch Mittwoch, 6. Februar 2019 – Moderne Klassik

Gemeinsam aufgewacht, gemeinsam rumgelungert, F. zur Tür begleitet, entspannt in den Tag gestartet. Vor dem Aufwachen allerdings einen fiesen Traum gehabt: Ich verstand bei einer Uni-Klausur total die Frage falsch und konnte dann die Uhr nicht mehr lesen, um herauszufinden, ob ich noch genug Zeit gehabt hätte, um sie richtig zu beantworten. Es ist kompliziert. Panik, dass ich das Semester wiederholen müsste! Nach dem Aufwachen gedacht, dass es eigentlich ganz nett wäre, ein Semester zu wiederholen.

Ein antiquarisches Buch aus der Packstation geholt – das, was ich letzte Woche im ZI stundenlang las und ebenso stundenlang daraus abtippte. Das gab es gerade leicht angeknickt für zehn Euro in diesem Interweb, und ich dachte mir, och, so zehn Euro könnte ich mal in die Diss investieren. Jetzt kann ich im Buch rummalen und bunte Post-its reinkleben. Die wenige grundlegende Literatur zur NS-Kunst besitze ich auch bereits antiquarisch, und auch sie sieht schon ziemlich zerlesen aus.

Dann ging ich ein bisschen spazieren und hörte ausnahmsweise mal wieder Musik dazu. Meine Spotify-Playlist der Woche besteht zurzeit ausschließlich aus Klassik, weil ich gerade nur Klassik auf Spotify höre. So lernte ich Peter Maxwell Davies kennen, dessen Stück „Farewell to Stromness“ aus The Yellow Cake Revue (1980) mir so gut gefiel, dass ich es gleich fünfmal hintereinander anklickte. Das könnt ihr auch!

Oder Funeral Ikos (1981) von dem mir vorher ebenfalls nicht bekannten John Tavener, allerdings nicht gesungen, sondern in der Instrumentalversion.

Oder Sepia Fragments (2012) von Derek Charke. Ich stapfe gerade durch klassische Musik wie ein Kind im Süßigkeitenladen: alles neu, alles bunt, alles toll.

Ebenfalls brav weitergehört: Year of Wonder. Am Sonntag stand die vierte Szene aus La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina (1625) von Francesca Caccini auf dem Programm. War nicht ganz so meins, aber: Diese Oper gilt als die erste aufgeführte von einer Frau. Und wie das Buch richtig vermerkt: So irre viele Opernkomponistinnen sind nicht mehr hinterhergekommen.

Am Montag gab’s dann die erste schwarze symphonische Komponistin zu hören, die von einem großen Orchester als würdig erachtet wurde, aufgeführt zu werden (nicht meine Formulierung): Florence Prices Fantasie nègre von 1929. Auch diese Dame kannte ich nicht. Langsam ahne ich, dass ich mit der Klassik noch sehr lange beschäftigt sein könnte. Andererseits: Auch bei Popmusik habe ich keine Ahnung mehr, damit habe ich quasi Anfang der 1990er Jahre aufgehört, seitdem läuft Duran Duran in der Dauerschleife, mehr gibt’s nicht.

Den nett-barocken (schnarch) Telemann vom Dienstag überspringen wir mal und kommen direkt zu Ritchie, auf den ich ja seit dem 1. Januar warte. Wir hören die Ouvertüre zu den Meistersingern von Nürnberg, der Oper von Wagner, die ich am allerwenigsten mag. Dementsprechend mag ich auch die Ouvertüre am allerwenigsten. Alle seine anderen Vorspiele und Ouvertüren sind toll oder wunderschön, die hier ist für meine Ohren so okay so.

Den Rest des Tages am Schreibtisch verbracht, abends entsetzt dem FC Augsburg bei einem mehr als glücklichen Duselsieg über den Zweitligisten Kiel zugeschaut. Das sah Sonntag noch alles so gut aus, und jetzt sind wieder viele Spieler verletzt und schon gibt es wieder hektischen Rumpelfußball. Aber ich habe mich für Herrn Gregoritsch gefreut, dass er endlich mal wieder getroffen hat. Ebenso sehr habe ich mich darüber gefreut, dass die Kieler ungefähr einhundert Torchancen vergaben. (Sorry, Kiel!)

Abends gab es aus Kochfaulheit wieder Caesar Salad. Wobei: Faul war ich nicht, denn seit dem allerersten Aufschlagen habe ich es nie wieder beim ersten Versuch geschafft, aus Eigelb und Öl mit dem Schneebesen eine Mayonnaise zu produzieren. Sie ist jedesmal umgekippt, woraufhin ich sie mit heißem Wasser wieder retten konnte, aber manchmal kostete das auch noch mehr als einen Versuch. Gestern dachte ich bis kurz vor Schluss, also bis alles Öl in der Schüssel war, das sieht super aus, endlich mal geduldig gewesen, top gemacht – dann ging ich zum Kühlschrank, um die Zitrone zu holen, deren Saft ich in die Ei-Öl-Mischung geben wollte, und als ich wieder in die Schüssel guckte, blickte mich die fiese hässliche fleckige Sauce aus Eigelb und Grütz an, aber keine Majo mehr. Das hatte ich auch noch nicht, dass sie HINTER MEINEM RÜCKEN kaputtgeht.

Über ein FAZ-Interview auf @ROB0TIUS aufmerksam geworden, einen Bot von Marie Kilg, der Storyideen postet und sie mit entsetzten Aussagen aus der Relotius-Kritik-Presse abbindet.

The Decline of Historical Thinking

Im Artikel geht es um die rückläufige Zahl von Studierenden in den USA, die sich für Geschichte als Hauptfach entscheiden. Was für mich spannend war: Die Situation an den Ivy-League-Schulen sieht ganz anders aus als die an den kleinen Colleges in den Flyover-States. Außerdem mochte ich die Charakterisierung des Fachs – also: Was hat man eigentlich davon, Geschichte zu studieren?

„The steep decline in history graduates is most visible beginning in 2011 and 2012. Evidently, after the 2008 financial crisis, students (and their parents) felt a need to pick a major in a field that might place them on a secure career path. Almost all of the majors that have seen growth since 2011, Schmidt noted in a previous study, are in the stem disciplines, and include nursing, engineering, computer science, and biology. […]

Nonetheless, the history major continues to thrive at Yale, in part because it’s a great department with a number of nationally known stars, all of whom are expected to teach at an undergraduate level, and in part because it is Yale, where even a liberal-arts degree opens almost all professional doors. […]

The reason that students at Yale and places like it can “afford” to major in history is that they have the luxury of seeing college as a chance to learn about the world beyond the confines of their home towns, and to try to understand where they might fit in. That’s what history does best. It locates us and helps us understand how we got here and why things are the way they are. “History instills a sense of citizenship, and reminds you of questions to ask, especially about evidence,” Willis told me. In a follow-up e-mail after our conversation, Mikhail wrote, “A study of the past shows us that the only way to understand the present is to embrace the messiness of politics, culture, and economics. There are never easy answers to pressing questions about the world and public life.”“

Dirk von Gehlen wies gestern und heute mit zwei Tweets auf die Neuformierung der New York Times hin, die sich ganz allmählich zu einer Digitalzeitung gewandelt hat. Der Spiegel schreibt:

„Viele schreiben es Sulzberger zu, dass die “Times” heute gut dasteht. Die Zahl der Abos hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt, die Abhängigkeit vom Werbemarkt ist geschrumpft, die Redaktion mit 1500 Journalisten so groß wie nie zuvor. Sulzberger hat ihr vermittelt, dass Digitalisierung nicht bedeutet, sich bei Lesern mit Bildern von Kim Kardashian anbiedern zu müssen, sondern ihnen in hohem Tempo harten, guten Journalismus zu liefern: “Journalismus, der Zeit braucht, der Reisen braucht, der Expertise braucht, der Anwälte und Faktenchecks braucht”.

Dafür, sagt er, gebe es auch weiter ein Geschäftsmodell.“

Niemanlab hat weitere Zahlen und verlinkt zur NYT:

„The dream for any newspaper seeking to last longer than print itself is to transition its business model into digital. The New York Times is almost there. […]

The Times brought in a total of $1.748 billion in 2018, which means digital revenue accounted for just over 40 percent of the total. Given the trendlines in print and digital, it won’t be too long until it hits that 50 percent tipping point — I’d guess Q2 2020. […]

A common goal in newspaper circles a few years ago was to someday be able to make enough money in digital to cover the cost of the newsroom. Well, at this point, the Times could pay for the newsroom two times over with just digital money. Which is probably why that newsroom keeps growing — the Times reported it now employs 1,600 journalists, an all-time high.“

Würde mich jetzt aber schon interessieren, warum der Spiegel die falsche Zahl von Journalisten nicht nachgebessert hat (der Times-Artikel ist vom 6. Februar, der im Spiegel vom 5.). ROB0TIUS?