Mittwoch, 8. Mai 2024 – Nochmal Freude und Büro

Dirk von Ligne Claire hat einen netten kleinen Newsletter, wo Menschen ihre Arbeitsplätze herzeigen. Gestern war ich dran: Hier gibt’s ein bisschen Text zum untenstehenden Bild.

Abends holten wir das Geburtstagsdinner für F. nach, das letzte Woche wegen unabhängig von einander krank seienden Teilnehmer*innen verschoben werden musste. Wir ließen es uns wie immer bei Tohru gut gehen, lernten den neuen Sommelier kennen und lieben und hatten erneut einen ganz hervorragenden Abend.

Ich habe nur eins der Desserts fotografiert („Okashi“), denn bei den anderen Gängen war ich mit Riechen und Anschauen und Bewundern und dann konzentriertem Schlemmen beschäftigt. Beim letzten Gang hatte ich schon so viele tolle Weine intus, dass es für einen kurzen Schnappschuss gereicht hat.


Ich weiß noch, dass ich die kleine Blüte komplett mit den sie umgebenden Blättchen sowie der Kokoscreme und der Erdbeersauce auf den Löffel bekommen habe und zu F. meinte, wie hübsch das alles sei. Und dann war sie weg, die ganze Schönheit. Darauf noch einen Absacker-Whisky.

Dienstag, 7. Mai 2024 – Freude!

Für das Bayern-Viertelfinale in der Champions League hatte ich mir mal wieder einen Monat Amazon Prime gegönnt, der sich beim gestrigen Halbfinale von Dortmund auszahlte. Blöderweise lief aber gleichzeitig auf arte die Neunte von Beethoven, ich erwähnte es gestern. Also schloss ich Fußball auf dem Laptop und rief Klassik auf, loggte mich aber auf dem Handy bei Prime ein und ließ das Spiel stumm nebenbei laufen, während ich Beethoven hörte. Das sollte ich öfter machen, das war sehr lustig. Vor allem, weil der Schlusspfiff und die überbordende Freude des BVB über den Finaleinzug ganz herrlich mit dem vierten Satz zusammengingen.

Man kann die Aufführung aus vier verschiedenen Städten netterweise in der Mediathek nachschauen.

Montag, 6. Mai 2024 – Konditionstraining

Dieser halbkranke Zustand ist ja kein Zustand. Also nahm ich gestern mein Konditionstraining für die Welt da draußen auf, indem ich drinnen blieb, Bettwäsche wechselte, das Schlafzimmer entstaubte und in drei Zimmern Fenster putzte. Damit war die Kraft dann kurz erschöpft und ich hatte schon fast 4000 Schritte gemacht, wie mein Hosentaschenhandy mir anzeigte. Ein paar verbrauchte ich dann noch beim Kochen, aber der Nachmittag und Abend wurde wieder brav auf dem Sofa verbracht, wo ich mich erneut und immer wieder über seltsame Duolingo-Vokabeln amüsierte.

Burrito Bowl: Reis, Paprika aus der Pfanne, schwarze Bohnen mit ordentlich Chili und Limettensaft, veganer Queso (Cashewkerne, Jogurt, Nährhefe. Gewürze), Avocado, Cherrytomaten und ein Salätchen dazu. Memo to me, weil das schon der zweite Salat aus dem Meal Plan ist, mit dem ich nicht ganz so glücklich bin: Dressings mit Orangensaft magst du nicht, weil zu obstig. Mach einfach dein Lieblingsdressing mit Rotweinessig.

Meine Stimme ist fast wieder komplett da, wie ich beim zweistündigen Telefonat mit dem Mütterchen merkte.

Ich hatte eine etwas größere Sendung bestellt, die aus mehreren, teilweise schwereren Einzelteilen bestand, weswegen ich davon ausging, dass zwei Speditionsjungs bei mir auflaufen würden. Es war aber der DHL-Bote, der die ersten beiden Teillieferungen brachte, die dritte kommt vermutlich heute, von der vierten weiß ich noch nichts. Gestern war der schwere Teil dabei, weswegen ich 10 Euro Trinkgeld zückte, was den Boten irgendwie überforderte. Vielleicht brauche ich doch ab und zu ein Auto. Ich habe mir eure Tipps für Leihwägen in München brav gemerkt, will aber eigentlich kein Auto durch München steuern.

(LIEFERTRAMS NOW!)

Heute vor 200 Jahren hatte Beethovens Neunte Uraufführung, wie ich seit Tagen auf allen Kulturkanälen lernen darf. Auf arte gibt es deswegen heute abend ab 21.35 Uhr ein Livekonzert und das tollerweise aus vier Städten:

„Das Gewandhausorchester unter Andris Nelsons eröffnet den Abend in Leipzig mit dem ersten Satz. Weiter geht es mit dem Orchestre de Paris, das unter Klaus Mäkelä in der Philharmonie de Paris mit dem zweiten Satz zu hören ist. Den dritten Satz interpretiert Riccardo Chailly an der Spitze des Orchestra del Teatro alla Scala. Für den vierten und letzten Satz, der mit der „Ode an die Freude“ ganz im Zeichen der Völkerverständigung steht, kehrt ARTE zurück in die Stadt der Uraufführung: nach Wien. Es spielen die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka.“

Freude!

Sonntag, 5. Mai 2024 – Ein halbes Klavier

Wir hatten Konzertkarten für Grigory Sokolov. Auf den Abend hatte ich mich schon länger gefreut, denn, warum auch immer, das Publikum ist bei Sokolov eindeutig disziplinierter als bei allen anderen Interpret*innen. Der olle Herkulessaal ist schön runtergedimmt, der einzige wirkliche Lichtpunkt ist der Kegel über dem Flügel, an dem Sokolov sehr unfeierlich Platz nimmt, sein Ding macht, sich nach vorne und hinten verbeugt (auf der Bühne stehen auch Stühle fürs Publikum) und wieder abgeht. Nach dem eigentlich Programm gibt es immer sechs Zugaben, jeweils zwei Verbeugungen und dann ist Schluss. Und weil der Pianist gefühlt so abgezirkelt seinen Stiefel durchzieht, hustet kaum jemand, kein Handy flackert (wobei gestern eins klingelte) und sobald das Saallicht gedimmt wird, ist Ruhe im Laden.

Leider war ich noch nicht ganz optimal fit, ich merkte im ersten Teil, der komplett aus Bach bestand, dass alles an mir vorbeilief, ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren, mein Kopf war noch im Bett oder wollte da wieder hin. Außerdem muss ich mir Bach immer erarbeiten, das klingt für mich stets wie vertonte Mathematik, das bewundere ich intellektuell, aber ich lasse mich dann doch lieber von osteuropäischen Komponist*innen emotional hinwegspülen. Gestern war mir alles eine Nummer zu groß und ich musste in der Pause gehen, schon vom Rumsitzen und konzentrierten Zuhören angeschwitzt und überfordert.

Es gab zunächst Bachs „Vier Duette BWV 802–805“, hier mit Tatiana Nikolayeva, und anschließend, von Sokolov ohne Pause gespielt, die „Partita Nr. 2 in c-Moll BWV 826“, hier mit Sokolov. Die Sarabande war der einzige Teil, bei dem ich merkte, dass ich mitging und fasziniert war, der Rest war Arbeit und damit für mich nicht das richtige gestern. Sonst gerne, aber mir fehlte die Kraft.

Nach der Pause hätte ich gesehen: Chopins „Vier Mazurken op. 30“, hier mit Julianna Avdejeva, danach seine „Drei Mazurken op. 50“, hier mit Wladimir Aschkenasi. Abschließend noch Schumanns „Waldszenen“ op. 82, hier mit Igor Schukow.

Hier ist ein total illegaler Smartphone-Mitschnitt vom kompletten Konzert vom Februar in Sevilla mit demselben Programm, wie ich gerade auf YouTube sehe. Mal sehen, wie lange das online bleibt.

Samstag, 4. Mai 2024 – „Die Prüfung“

Gestern wieder brav gar nichts gemacht, um die Rekonvaleszenz nicht zu stören wie am Freitag, wo es anscheinend schon zu viel war, drei Mahlzeiten zuzubereiten. Also zurück zum Sandwich, Apfelmus (immer ein Gläschen im Haus) und Müsli. Und Immobilienschrott auf Netflix, „Black-ish“ auf Disney+ (die Serie ist völlig an mir vorbeigegangen – die kann ich jetzt komplett nachschauen) und einem Film auf Amazon Prime, auf den ich bei Christian aufmerksam geworden bin: „Die Prüfung“.

Ich zitiere von Amazon: „687 Bewerber, 10 Plätze, 9 Prüfer, 10 Tage Zeit: Jahr für Jahr ist die Aufnahmeprüfung an der Staatlichen Schauspielschule Hannover nicht nur eine besondere Herausforderung für die Bewerber, sondern auch eine außerordentliche Belastungsprobe für das Kollegium.“ Die Kamera durfte anscheinend in allen Auswahlrunden der Bewerber*innen dabei sein, wir sehen also erste Vorsprechen bis hin zum abschließenden Workshop, nach dem die Endauswahl der zehn zukünftigen Studierenden ansteht. Dazu gibt es Aussagen der Prüfenden, die ein bisschen einordnen, was wir sehen.

Ich war schon beim Beginn des Films erstaunt, als die ganzen Bewerberinnen aus der Straßenbahn am Messegelände ausstiegen – das Expo-Gelände ist dann doch recht unverkennbar. Ich wusste nicht, dass der Bereich Schauspiel der Hochschule für Musik, Theater und Medien anscheinend dort residiert. Gleich mal auf der Website geguckt, ob das auch alles seine Richtigkeit hat, denn ich hatte die Hochschule immer mitten im Grünen an der Eilenriede verortet. Da sitzt aber nur die Musik. Wieder was gelernt.

Die Doku ist bereits von 2016, weswegen man die Namen der Angenommenen aus dem Abspann schön ergoogeln kann. Einige sind anscheinend a) nach Hannover zum Studium gekommen anstatt sich für eine andere Stadt zu entscheiden, b) inzwischen in diesem Beruf tätig oder c) machen jetzt etwas ganz anderes.

Ich fand es spannend zu sehen, worauf die Prüfenden achten bzw. was sie suchen oder aus den Kandidat*innen herauskitzeln wollen. Ein Zitat eines Prüfers beschäftigt mich seit gestern, weil ich erst da rational nachvollziehen konnte, was im Theater eigentlich mit mir als Zuschauerin passiert: „Ein guter Schauspieler, eine gute Schauspielerin geht persönlich über die eigene Angst, zum Beispiel vor Veröffentlichungen oder auch vor Kontakt, die jedem Menschen innewohnt heutzutage. Und dass sie das schaffen und dann Dinge so öffentlich verhandeln, die man sich im Leben privat wohl kaum zu sagen traut – das ist ja nicht nur ein extrovertierter Rausch, sondern es ist für die meisten ein echter Schritt, [die Überwindung der Angst] zu erobern und zu kultivieren –, das ist für den Zuschauer eine Riesenchance zu einer Befreiung. Das dann zu erleben.“

Ja! Auch Kino mit seinen Geschichten und erzählerischen Kniffen erweckt in mir Dinge, von denen ich nicht wusste, dass sie da sind oder die an der Oberfläche wollen; auch in klassischen Konzerten bin ich neuerdings immer wieder davon überrascht, was alles hochgespült wird, das ich gar nicht auf dem Plan hatte, sobald die Geigen einsetzen. Aber Theater ist noch näher, direkter, intensiver. Das „öffentliche Verhandeln“ findet quasi auf Augenhöhe und vor der eigenen Nase statt. Das ist manchmal schwer auszuhalten; ich bin schon aus Theatervorstellungen gegangen, weil sie mich überforderten. Aus Kinos bin ich bisher nur gegangen, weil ich tödlich gelangweilt war.

Memo to me: mal wieder ins Resi gehen. Oder in die Kammerspiele.

Freitag, 3. Mai 2024 – Zu früh

Während der fiesen Erkältung ernährte ich mich von Tiefkühlsuppe (lohnt sich die Anschaffung von Soup Cubes? Ich friere momentan alles in Gläschen ein, was immer erst auftauen muss), French Toast (nur fünf Minuten in der Küche und es gibt danach was Süßes, was dem Hals nicht weh tut) und Weingummi (immer auf die Vitamine achten!). Plus literweise Pfefferminztee und Orangensaft.

Gestern fühlte ich mich erstmals wieder fit genug, um etwas länger in der Küche zu stehen. Da ich meinen Kühlschrank eine Woche lang sehr vernachlässigt hatte, gab’s erstmal Reste-Shakshuka aus roter Paprika und sehr viel Spinat. Während das durchzog, wischte ich den Kühlschrank gleich mal komplett aus, entsorgte Zeug, das sich irgendwie in die dritte Reihe geschlichen hatte, weil ich es nie benutze (Remoulade? What the hell) oder nicht oft genug (im Dezember 2022 abgelaufenes Augustiner).

Was auch dringend entsorgt werden musste, waren zwei Bananen, die ich kaum noch aus der Schale bekam, weil sie so weich waren. Ich hatte die ganze Woche überlegt, ob ich sie zum French Toast schon zerquetschen sollte, aber bei braunen Bananen muss man Banana Bread machen, das gehört sich so. Und man hat gleich wieder was zum Einfrieren. Ich liebe dieses Rezept sehr, es ist idiotensicher, man braucht nur eine Schüssel und einen Schneebesen und es ergibt immer saftiges Backwerk.

Abends gab’s dann auf dem Sofa erneut Tiefkühlgrünzeug (Erbsen, Bohnen, Edamame) mit frisch von Knuspr geliefertem Brokkoli und Koriander sowie viel zu wenig Erdnusssauce. Das einzig Nicht-Grüne waren Möhrenstreifen. Hier ein verspätetes Dankeschön an eine*n Leser*in, der oder die mir mal dieses herrliche Werkzeug für Grüne-Papaya-Streifen empfohlen hatte. Ich benutze es seitdem für Möhren und es ist fantastisch.

Danach war ich allerdings dreimal durchgeschwitzt und musste mir eingestehen, es vielleicht doch etwas übertrieben zu haben. Wieder ins Bett.

Eigentlich haben wir für morgen schon wieder Konzertkarten und ich hoffe wirklich sehr, dass ich für drei Stunden Rumsitzen und zwei Busfahrten fit genug bin und nicht allzu sehr huste.

Donnerstag, 2. Mai 2024 – Der Kopf kommt wieder

Nach einer Woche Bettruhe, viel Pfefferminztee, drei negativen Covid-Tests, Halsschmerzen aus der Hölle, aber dafür so gut wie keinem Schnupfen bin ich langsam auf dem Weg der Besserung. Was auf der Strecke geblieben ist: meine erste Uni-Sitzung im Semester, das Geburtstagsessen für F. in einem unserer Lieblingslokale und ein Konzert in der Isarphilharmonie, auf dessen Solo-Künstlerin Sol Gabetta ich mich sehr gefreut hatte. Verdammte Viren überall.

Im Erkältungsnebel bekam ich mit, dass immer mehr Blogs runde Jubiläen feiern. Mein 20-Jähriges war im Juli 2022, daher ist mein Blog derzeit unrund, aber ich guckte mal spaßeshalber – und weil ich sonst nichts zu bloggen hätte –, was vor 20 Jahren im Blog stand. Das meiste kann ich nicht mehr ertragen, ist total kryptisch oder ich weigere mich, es zu lesen, aber manche Einträge klingen immer noch nach mir.

Das hier stand am 3. Mai 2004 im Blog:

„i’m tired
i’m happy
i’m busy
i’m sad
i’m curious
i’m in love

i’m just around the corner“

Das kann ich auch zwei Jahrzehnte später so stehenlassen.

Mittwoch/Donnerstag, 24./25. April 2024 – Kein Museum, keine Zeit, dafür Husten

Mein Zug ins schöne Düsseldorf hatte eine Stunde Verspätung. Da ich in diesem Semester in einem Gebäude unterrichte, das nicht auf dem Uni-Gelände ist, ich daher neue Wege lernen muss und ich diese Wege gerne einmal abgehe, bevor ich die erste Stunde gebe, erledigte ich genau das vorgestern. Für den eigentlich geplanten Museumsbesuch reichte die Zeit leider nicht. Und außerdem wollte ich es nicht übertreiben, denn ich saß schon mit Aspirin-Complex gedopt im Zug und hoffte, dass die Gliederschmerzen und die allgemeine Mattigkeit nur einen Tag lang anhielten.

Taten sie leider nicht, ich wachte gestern um kurz vor 5 Uhr morgens im Hotelbett auf, hatte null Stimme, aber hustete dafür herz- und schmerzhaft. Ich buchte flugs den 6.08-Uhr-Sprinter zurück nach München, schrieb den Studis eine Absagemail, setzte meine Maske auf und fuhr nach Hause, wo ich seitdem weiter huste und jammere. (Nur eine halbe Stunde Verspätung im Sprinter. Yay.)

Und ich noch so letzte Woche beim Konzert: „Vielleicht doch ne Maske aufsetzen, so eine Woche vor der ersten Sitzung? Nah, wird schon passen.“ Hmpf.

Dienstag, 23. April 2024 – Sütterlinkurs 2 und schlechte Laune

Gestern fand die zweite und letzte Sitzung des Sütterlinkurses statt, den ich im Stadtarchiv für schmales Geld belegt hatte. Tipp des Dozenten: Er unterrichtet auch an der Münchner Volkshochschule; dort dauert der Kurs etwas länger. Mir reichen aber, und damit hätte ich selbst gar nicht gerechnet, die zwei Sitzungen zu je 90 Minuten, die ich jetzt hinter mir habe. Ich habe in der vergangenen Woche schon mal ein paar weitere Übungstexte in diesem Interweb ergoogelt und konnte die deutlich besser lesen als noch vor zwei Wochen. Der Rest sei Übungssache, wurde uns versichert.

Gestern lasen wir zunächst ein Schreiben einer Dame an den „hohen Magistrat der königl. Haupt- und Residenzstadt München“ aus dem Dezember 1883, damit wir auch die ältere Kurrentschrift mal kennenlernten. Das ging halbwegs gut, wir scheiterten quasi alle an den Großbuchstaben. Wenn man einmal die Ähnlichkeit von e und n kapiert hat, dass das Ding, was wie ein F aussieht, meist ein H ist und das S in zwei verschiedenen Ausführungen geschrieben wird, geht das Wortinnere eigentlich ganz gut. Und so tastete auch ich mich meist von der Mitte des Worts ans Ende und konnte dann den blöden Anfangsbuchstaben raten. P, du Nervensäge.

Der zweite Text war etwas krakeliger geschrieben als die Eingabe an den Magistrat, für den die Absenderin vermutlich einen Profi beauftragt hatte. Dieses Schreiben ging ans Standesamt München und stammt vom 6. Dezember 1938.

Transkription: „Auf Grund der Kennkarte führe ich ab 1. Januar 1939 nach Vorschrift den zusätzlichen Beinamen Sara, wovon Sie gefälligst Kenntnis nehmen wollen [und] auch hie[r]von das Polizei-Präsidium zu verständigen bitte.

Mit vorzügl. Hochachtung
Frieda Michaelis
Witwe

Frieda Obermeyer geb. 28. Nov. 1867 in München
verehelicht in München am 16. Februar 1888
mit Herrn Arthur Michaelis“

Warum die Dame dem Staat mitteilt, dass sie nun auch noch Sara heißt, muss ich hoffentlich nicht mehr erklären; falls doch, übernimmt das die Wikipedia. Ich hatte schlagartig schlechte Laune. Der Dozent erklärte, warum er sich für diesen Text entschieden habe: erstens wegen der Handschrift, zweitens genau wegen des Inhalts: „Wenn man ahnt, worum es geht, klappt das Entziffern besser.“ Das stimmt vermutlich, aber auf diese Quelle war ich mal wieder innerlich nicht vorbereitet.

Ich wusste natürlich um die Zahlen der jüdischen Gemeinde in München. Zuhause erledigte ich mich dann selbst und schaute in der Datenbank von Yad Vashem nach, ob Frau Michaelis in ihrem hohen Alter vielleicht gnädigerweise einfach in ihrem hoffentlich noch eigenen Bett entschlafen durfte, aber nein. Sie wurde am 3. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie bereits im August ermordet wurde.

Ich verachte dieses jämmerliche Land gerade wieder so sehr.

Montag, 22. April 2024 – Maxie und Masterchef

Schreibtischtag, viel Orgazeug.

Aber: „Masterchef Australia“ hat wieder angefangen. Es gibt eine größtenteils neue Jury, und die Kandidat*innen sind so dermaßen erfreut ÜBER ALLES, dass ich ständig Angst hatte, sie würden hyperventilieren und einfach umfallen.

Ausgelesen: Maxie Wanders „Guten Morgen, du Schöne“. Lieblingsstelle: „Mensch, hab ich mir gesagt, irgendwann stirbste, da gibts dich nie wieder, da mußte doch machen, waste am liebsten möchtest.“ (S. 145)

Sonntag, 21. April 2024 – Textilmuseum Augsburg

Seit wir das 49-Euro-Ticket haben, sprechen F. und ich vage von „Da könnte man sich ja einfach mal am Wochenende in den Zug setzen, alles bis zu circa einer Stunde, irgendwo hinfahren, ein Museum angucken, was Nettes essen und dann wieder nach Hause“. Das haben wir natürlich bisher noch nie gemacht, aber gestern war endlich die Zeit reif.

Es ging – nach Augsburg. Das ist jetzt vielleicht eher unspannend für Leute mit FCA-Dauerkarten (ich ja seit einer Saison? zwei Saisons? nicht mehr), aber ich muss zugeben, bis auf den Weg zum Stadion, den Christkindlesmarkt und ein paar wenige Dinge, die wir glücklicherweise ein halbes Jahr vor Papas Schlaganfall noch mit der ganzen Familie besichtigt hatten, kenne ich sehr wenig von der Stadt. Im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg (TIM) war ich jedenfalls noch nicht.


Das ist nicht das Museum, sondern die Textilfabrik davor, aber die sah halt spannender aus. Sorry, TIM. Im Gebäude des TIM befindet sich auch das Stadtarchiv sowie die Stadtarchäologie.
Ich so: „Stadtarchäologie?“ F. so: „Wenn du in Augsburg eine Baugrube aushebst, kommt immer was aus dem Mittelalter oder dem alten Rom.“ True dat, Augusta Vindelicorum.
Ich dann so: „Nette Wohngegend hier. Life goal: einmal in der Nähe des Stadtarchivs wohnen!“ F. so: „Tust du doch schon.“ Ich so: *mind-blown* *hakt ein Lebensziel ab*

Mich hatte die Sonderausstellung „Kleider. Geschichten. Der textile Nachlass von Arno und Alice Schmidt“ gereizt. Ich stellte mir vor, anhand von Kleidungsstücken ein bisschen bundesrepublikanische Geschichte nähergebracht zu bekommen. Genau das war es dann auch, aber um so viel facetten- und detailreicher als ich geahnt hatte. Große Empfehlung! Die Ausstellung läuft noch bis zum 13. Oktober.

Ich copypaste mal einen Teil des Vorworts im Katalog, den ich natürlich brav erworben habe; der ordnet ganz gut ein, warum sowohl die Sammlung an sich spannend ist als auch das, was man anhand von ihr erzählen kann:

„Alice und Arno Schmidt teilten zunächst das historische Schicksal Millionen anderer Menschen, die sich aufgrund des vom nationalsozialistischen Regime entfesselten Zweiten Weltkriegs zur Flucht aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs in die westlichen Besatzungszonen gezwungen sahen. Mit nur wenigen Habseligkeiten im Fluchtgepäck begannen die Schmidts ihr neues Leben im Westen Deutschlands – ein Leben, das für einige Jahre von großen materiellen Entbehrungen geprägt war.

Zunächst galten die Anstrengungen von Alice und Arno Schmidt deshalb dem Ziel, die bloße Existenz zu bestreiten: für Unterkunft, Nahrung und Kleidung zu sorgen. Nur langsam gelang es, den Lebensunterhalt zu sichern und mittels Konsum ein wenig am notorischen deutschen »Wirtschaftswunder« zu partizipieren.

Vielleicht hat diese so grundlegende Erfahrung von Flucht, Verlust und Mangel das Ehepaar Schmidt dazu veranlasst, seinen kompletten textilen Hausstand sorgfältig aufzubewahren, der mit manchen Kleidungsstücken bis in die 1930er Jahre zurückreicht. Damit hat sich ein textiler Nachlass von ungewöhnlichem Ausmaß erhalten, der um die 1000 Einzelteile umfasst.

Dass Arno Schmidt zu einem ebenso gefeierten wie umstrittenen Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte avancieren sollte, verstärkt aus heutiger Perspektive den besonderen Reiz dieser textilen Sammlung. Dies nicht nur, weil das Leben der Schmidts exemplarisch für die historische Situation zahlreicher Fluchtfamilien sowie für die Alltagsgeschichte der sich etablierenden Bundesrepublik steht, sondern weil Arno Schmidt zudem als Autor – vor dem Hintergrund dieser persönlichen Erfahrung – das häufig kleinbürgerliche Personal seiner Literatur bis hin zu Accessoires modisch ausgestattet hat. Damit wandelt sich der textile Nachlass von Arno und Alice Schmidt zu einem Spiegel der vestimentären Kultur der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik, die der Schriftsteller literarisch würdigt.“

Hiermit die Vokabel „vestimentär“ gelernt. Wo ich doch schon von Duolingo „vêtements“ kenne. Ha!

Im Vorraum der Ausstellung werden Zitate aus Schmidts Werken eingeblendet, die irgendwas mit Kleidung zu tun haben, das fand ich einen schönen Reinkommer. Der Ausstellungsraum selbst ist eine einzige Fläche, was mir auch gut gefiel, weil man einfach durch die Gegend wandern kann. Man kapiert aber schon, dass die rechte Reihe aus großformatigen Bildern und Texten ein Abriss der Biografie des Ehepaars ist, der nach Örtlichkeiten aufgeteilt ist; deswegen sind wir auch erst einmal dort entlanggegangen. Neben diesen ersten Stationen befindet sich eine circa 20 Meter lange Regalwand, in der ein Teil der vielen Kleidung liegt. Das fühlte sich ein bisschen so an wie im elterlichen oder großelterlichen Kleiderschrank zu stöbern. Schon hier fiel der Kontrast auf zwischen Stücken, die eher ungenutzt aussahen und den Lieblingsstücken, die vermutlich jeder im Schrank hat: der Pulli mit den zig Stopfstellen und daneben die quasi neuen silbernen Glitzerpumps. Oder auch ein paar Gamaschen, die vermutlich in den 1950er Jahren das letzte Mal getragen wurden.

Bei den blauen Puma-Sneakers überlegte ich sofort, was die heute wohl auf ebay brächten.

Die Stationen direkt am Regal bestehen jeweils aus einem Kleidungsstück mit einer Texttafel sowie einem Foto, auf dem Arno oder Alice zu sehen sind, die dieses Kleidungsstück tragen. Die Texte verweisen meist noch auf einen bestimmten Ort, wenn ich mich richtig erinnere; die restlichen Stationen im Raum sind ort- und zeitloser. Hier ein Beispiel aus Mainz:


Die Texte fand ich übrigens durchweg sehr gut, nicht nur inhaltlich aufschlussreich, sondern auch gut lesbar. Hier wird erneut erwähnt, dass Schmidts Schwester ausgewandert war (ihr Mann war jüdisch), und der Text macht deutlich, wie groß die materielle Not 1951 noch war.


Hier mochte ich die Hinweis auf die letzte Strickwarenfabrik in Deutschland. Das meinte ich vorhin mit Facetten und Detailtiefe. Mehr Stationen habe ich nicht fotografiert, aber ich hoffe, es wird klar, wieviel man anhand von Kleidungsstücken erzählen kann. Die Größe der Ausstellung war genau richtig, es gab genug zu schauen und zu lesen, man wurde aber nicht erschlagen. Clevere Grundiee, richtig gut umgesetzt.

Und natürlich gab es Schmidts Werke im Gift Shop, der auch sonst sehr hübsch ausgestattet war.

Die Dauerausstellung des Museums durchwanderten wir etwas zackiger, aber ich staunte über viele Musterbücher und Webarten und lernte ein bisschen Industriegeschichte Augsburgs in Form von Johann Heinrich Schüle kennen. In den Museumsräumen, durch eine Glaswand abgetrennt, befindet sich die Maschinenhalle, auf der heute noch Dinge hergestellt werden – zum Beispiel die Schürze und die Ofenhandschuhe, die ich gleich mal erwarb. Und ein Handtuch mit Schmidt-Zitat, natürlich.

Für den Handtuchkauf müsst ihr auch nicht nach Augsburg. Für die Ausstellung allerdings schon. Macht das mal.

Samstag, 20. April 2024 – Mediathek und Schönbrunn

Das Konzert, das F. und ich am Freitagabend in der Isarphilharmonie genießen konnten, ist jetzt online. Enjoy.

Ich habe die Aufführung gestern in der Ausstrahlung vom BR noch einmal angeschaut und die Untertitel vermisst. Falls Sie mitlesen wollen: hier lang.

Außerdem freute ich mich über die vielen Blickwinkel, die ich im Saal natürlich nicht hatte, merkte aber auch erneut, wie toll es ist, etwas live und unmittelbar zu erleben. Alleine für die gefühlten Schallwellen der Chöre. Falls Sie die gestern erwähnte Jamie Barton hören wollen, starten Sie ab ungefähr Minute 51. Der erste brachiale Chor kommt gegen 1.15. Der wunderbare Thomas Quasthoff als Erzähler, von dem ich behaupte, dass er sich sehr zügeln musste, um nicht zu singen, startet gegen 1.42. Und wer mir sagen kann, in was die Damen, die sonst Piccoloflöte spielen, ab 1.39:46 blasen, hat meine große Dankbarkeit. Für mich sieht das aus, als ob man in einem Marmeladenglas Blubberblasen macht.

(Edit: Wollte gerade die Piccoloflötenfrage auf Masto posten, wo mir das Wort „Pikkoloflöte“, wie ich es eigentlich geschrieben hatte, als Fehler angezeigt wurde. Gegoogelt und gemerkt, dass mein Kopf zu sehr im Sekt war.)

Joseph Roth – Schönbrunn (1919)

Der neue Ausgabe von „Reportagen aus der Vergangenheit“ ist da. Ich mochte die Einleitung (und damit Einordnung) sehr, daher copypaste ich sie hier komplett:

„[D]iese Reportage ist nicht besonders gut, aber sie trifft wunderbar ein Gefühl. Joseph Roth steht im Schloss Schönbrunn. Wir modernen Touristen kennen es als Pflichtprogramm eines jeden Wien-Besuchs und dann macht man eine Führung, wird durch ein paar Räume geführt, erfährt jede Menge total uninteressante oder unwichtige Dinge über das Leben der mittlerweile unwichtigen Habsburger und man macht diverse Fotos, die man dann eh nicht mehr anguckt.

Joseph Roth steht in den gleichen Räumen. Aber 1919. Kurz nach Zusammenbruch der Doppelmonarchie, kurz nach Abgang der Habsburger. Nicht in einem Museum, sondern in den Räumen, die noch vor Kurzem bewohnt waren.“

Freitag, 19. April 2024 – „Das Leben kommt mit Macht und Glanz, mit Taten und pochendem Herzen“

Oder anders: Wir haben uns Schönbergs Gurre-Lieder in der Isarphilharmonie angeschaut. F. so: „So könnte Wagner klingen, wenn er einen Profi seine Texte hätte schreiben lassen. Aber dann wär’s ja kein Gesamtkunstwerk mehr.“ Ich so: „Da muss man drüber stehen. Wagala, weiala. Hojotoho.“

Ich musste nach dem Konzert erstmal durchatmen, bevor ich klatschen konnte. Aber davor habe ich ein bisschen geweint, sehr viel gestaunt, wurde hervorragend unterhalten und erwischte mich im zweiten Teil dabei, mit offenem Mund den Chören zuzuhören, die einen äußerst fetten Sound vom Balkon runtersangen. Meine Güte! (So! Toll!)

Im Programmheft ist der Text abgedruckt, und eine Zeile gebe ich seit gestern abend dauernd von mir: „Tauben von Gurre!“ Im Tonfall von „Völker dieser Welt! Schaut auf diese Stadt!“ Oder wahlweise, weil ich Rodin im Kopf hatte: „Bürger von Calais!“ Es ist der erste Satz im Lied der Waldtaube, das für mich mit eines der schönsten des ganzen Abend war. Gesungen wurde es gestern von Jamie Barton, über die im Programmheft unter anderem folgende Sätze standen:

Als Solistin bei der BBC Last Night of the Proms setzte sie 2019 Akzente, als sie ein Konzert zur Förderung von Vielfalt und Inklusion gab, das weltweit im TV und auf BBC Radio 3 übertragen wurde. Auch darüber hinaus tritt Jamie Barton zunehmend als Sängerinnenpersönlichkeit auf, die Frauen, queere Menschen und marginalisierte Gruppen mittels ihrer Kunst unterstützt.“

Das kannte ich im Klassiksektor noch nicht so. Außerdem Props für den ganzen Auftritt, bei dem sie sich vielleicht gedacht hat: „Ich bin eine nicht ganz schlanke Frau mit Undercut, die auf einer Bühne steht – mich starren eh alle an, dann kann ich auch das goldene Glitzerkleid tragen.“ Ich bin Fan.

Und ihr könnt das auch werden, denn das Konzert wurde gestern aufgezeichnet. Ich konnte also nicht nur dem größten Orchester ever zuschauen, sondern auch noch diversen Kameramenschen, sehr spannend. Es wird heute abend übertragen, leider erst ab 22 Uhr, what the hell, da schläft mein Mütterchen doch schon!

Falls ihr einen barbiepinken Blazer in der 20. Reihe entdeckt – das war ich.

Mit diesem Blazer passte ich auch ganz hervorragend ins Tantris, wo wir natürlich den Abend in der Bar ausklingen ließen. Ich blieb gestern bei Tequila und bekam als letzten Drink eine Eigenkreation serviert, die nicht mal einen Namen hat, aber bestellt das bei eurem Stamm-Shaker doch auch mal: Tequila Reposado, Cocchi Americano und ein bisschen Maraschino, wenn ich mich richtig erinnere. Der Drink duftete nach Zimt vom Tequila und schmeckte fruchtig-kräuterig – ein perfekter Abschluss des Abends.

Donnerstag, 18. April 2024 – Zwei Podcasts

Mit dem Weinpodcast „Terroir und Adiletten“ hadere ich gerne, aber seit gestern ist eine schöne Folge online. Könnte natürlich auch daran liegen, dass es in dieser Folge ums Tantris geht. Gesprächspartner*innen von Sommelier Willi Schlögl und Musiker Curly sind Mit-Inhaberin des Hauses Sabine Eichbauer und Sommelier Julian Grunwald.

Zur Entstehungsgeschichte des Restaurants gab’s für mich zu wenig zu hören, ich liebe die sehr, aber okay. Neu für mich: Bei der Eröffnung 1971 war der Parkplatz etwas ganz Besonderes und wurde angepriesen. Heute passen da fünf Wagen drauf und nacheinander alle Taxen Münchens.

Mich hat erstaunt, dass Curly, der sich mit diesem Podcast vom Wein-Newbie zum Weinkenner entwickelt (das ist die Grundidee hinter der ganzen Sache) ein bisschen Schwellenangst mitbrachte. Er selbst war noch nie im Tantris, kennt das Haus aber und scheint sich ein bisschen vor dem Mythos zu fürchten, wie generell vor der Sterneküche. Diese Schwellenangst kannte ich auch, das Tantris war mein erster Laden aus dieser Kategorie; ich feierte dort meinen Masterabschluss mit F. und wir grinsen heute noch darüber, wie wir im Restaurant saßen: total eingeschüchtert, die damals noch als unbequem und unpassend empfundenen Halbwegs-Feierlicher-Anlass-Klamotten am Leib und Gesichtsausdruck und Körperhaltung, bei denen wir uns sicher waren, dass uns alle ansehen, dass wir noch nie hier waren, nicht hierher gehören und nie wiederkommen.

(Unser Klamottengame ist heute deutlich besser. Ich gönne mir pro Jahr zwei, drei Stücke von hier, das hat mich deutlich entspannter werden lassen. Der grüne Anzug aus meinem Social-Media-Profilbildern ist von Rinaldi.)

Das Nie-Wieder-Kommen ist netterweise nicht eingetroffen, inzwischen duzen wir den Sommelier, haben beide ein paar gute Weine eingelagert und es gibt ernsthaft nichts, was uns so viel Freude macht, als gemeinsam richtig gut zu essen und richtig gut zu trinken und den ganzen Abend über nichts anderes als richtig gutes Essen und richtig guten Wein zu sprechen. Wir reden übrigens immer noch, nach fast sieben Jahren, vom Lamm mit der Petersilienpolenta bei unserem ersten Tantris-Besuch (siehe Link).

Zurück zur Schwellenangst: Deswegen glaube ich, dass die Bar Tantris sowie das À-la-carte-Restaurant Tantris DNA, alle unter einem Dach mit dem Menürestaurant, eine ganz hervorragende Idee waren und sind. Wer sich nicht gleich das ewig lange Menü zutraut, setzt sich halt nach hinten und ordert ein bis zwei Dinge; man merkt dort relativ schnell, ob einem das alles taugt oder nicht. Oder noch einfacher: Man biegt hinter dem Eingang gleich links ab und gönnt sich einen Cocktail an der Bar, dazu ein bisschen Barfood, das natürlich aus der Sterneküche kommt. Damit müsste die Schwellenangst eigentlich überwunden sein.

In einem anderen Podcast (bei dem man die ersten fünf Minuten skippen sollte, Alter, dein Tonfall! Du bist nicht bei CNN) mit Restaurantleiterin Mona Röthig und erneut Frau Eichbauer spricht letztere auch das Thema Geld an, darum kommt man bei dieser Art Küche ja nicht herum. Sie hadert mit Sätzen wie „So viel Geld für eine Mahlzeit!“, während es völlig akzeptiert sei, das Hundertfache für Autos, Hochzeiten oder Urlaube auszugeben. Gerade den Vergleich mit dem Auto fand ich sehr gut: Für mich ist ein Auto ein Ding, das mich von A nach B bringt, dafür reichen vier Räder und eine TÜV-Plakette. Aber natürlich kann ich auch ein bisschen mehr Geld in die Hand nehmen, wenn es denn da ist, und mit dem Siebener-BMW zum Einkaufen fahren. Das nimmt einem hierzulande vermutlich auch niemand übel, aber 300 Euro für ein Abendessen sind angeblich total frivol. Für mich sind inzwischen Autopreise frivol, aber ich gönne es jedem und jeder, wenn er oder sie soviel Kohle für ein Transportmittel raushauen will. Mein letztes Auto hat, wenn ich mich richtig erinnere, 1500 Euro gekostet und das fand ich einen okayen Preis.

Was ich sagen will: Geht ins Tantris. Oder in andere gute Läden. Das ist eine Art Küche, die für mich immer wie ein kleiner Urlaub ist, weil sie so meilenweit weg von allem ist, was ich jemals zuhause fabrizieren könnte. Und deswegen ist sie das Geld auch wert. Und weil wir sieben Jahre später noch von einem einzelnen Gang und einem bestimmten Wein reden, genau wie von einer tollen Reise.

Den Artikel hatte ich schon mal verlinkt, glaube ich, aber ich lese den immer wieder gerne: „I’m common as muck and spent £150 in a Michelin star restaurant to see if it was worth it.“

Mittwoch, 17. April 2024 – Arizona

Ich blogge nicht mehr über die USA, ich habe nicht für jede brennende Müllhalde geistige Kapazitäten. Aber über einen der stets informativen Newsletter von Heather Cox Richardson aus der vorletzten Woche bin ich immer noch nicht hinweg.

Richardson, die in Boston Geschichte lehrt, schreibt auf Substack „Letters from an American“ und kommentiert fast jeden Tag aktuelle politische Debatten. Am 9. April schrieb sie über das neue bzw. uralte Abtreibungsgesetz, das in Arizona wieder Anwendung findet. Worum geht es?

„In a 4–2 decision, the all-Republican Arizona Supreme Court today said it would not interfere with the authority of the state legislature to write abortion policy, letting the state revert to an 1864 law that bans abortion unless the mother’s life is in danger. “[P]hysicians are now on notice that all abortions, except those necessary to save a woman’s life, are illegal,” the decision read.“

Richardson ordnet diese Entscheidung historisch ein:

„The Arizona law that will begin to be enforced in 14 days was written by a single man in 1864.

In 1864, Arizona was not a state, women and minorities could not vote, and doctors were still sewing up wounds with horsehair and storing their unwashed medical instruments in velvet-lined cases.

And, of course, the United States was in the midst of the Civil War.

In fact, the 1864 law soon to be in force again in Arizona to control women’s reproductive rights in the twenty-first century does not appear particularly concerned with women handling their own reproductive care in the nineteenth—it actually seems to ignore that practice entirely. The laws for Arizona Territory, chaotic and still at war in 1864, appear to reflect the need to rein in a lawless population of men.“

Richardson beschreibt, dass es dem einsamen Gesetzesautoren vor allem darum ging, Duelle unter Strafe zu stellen, sowie Vergiftungen – die auch dazu genutzt wurden, Fehlgeburten einzuleiten. Das Gesetz sollte dazu dienen, (weiße) Männer vor Verletzungen zu schützen, und schwangere Frauen waren mitgemeint.

„Written to police the behavior of men, the code tells a larger story about power and control.

The Arizona Territorial Legislature in 1864 had 18 men in the lower House of Representatives and 9 men in the upper house, the Council, for a total of 27 men. They met on September 26, 1864, in Prescott. The session ended about six weeks later, on November 10.

The very first thing the legislators did was to authorize the governor to appoint a commissioner to prepare a code of laws for the territory. […]

The second thing the legislature did was to give a member of the House of Representatives a divorce from his wife.

Then they established a county road near Prescott.

Then they gave a local army surgeon a divorce from his wife. […]

These 27 men constructed a body of laws to bring order to the territory and to jump-start development. But their vision for the territory was a very particular one.

The legislature provided that “[n]o black or mulatto, or Indian, Mongolian, or Asiatic, shall be permitted to [testify in court] against any white person,” thus making it impossible for them to protect their property, their families, or themselves from their white neighbors. It declared that “all marriages between a white person and a [Black person], shall…be absolutely void.”

And it defined the age of consent for sexual intercourse to be just ten years old (even if a younger child had “consented”).

So, in 1864, a legislature of 27 white men created a body of laws that discriminated against Black people and people of color and considered girls as young as ten able to consent to sex, and they adopted a body of criminal laws written by one single man.

And in 2024, one of those laws is back in force in Arizona.“

Hier nochmal der Link zum gesamten Text (er ist nicht viel länger als dieser Blogeintrag).