X2: X-Men United

X2: X-Men United
(X-Men 2, USA 2003)

Darsteller: Patrick Stewart, Hugh Jackman, Ian McKellen, Halle Berry, Famke Janssen, Anna Paquin, Rebecca Romijn-Stamos, Brian Cox, Alan Cumming, James Marsden
Musik: John Ottman
Drehbuch: Daniel P. Harris (nach einer Story von David Hayter, Zak Penn & Bryan Singer)
Kamera: Newton Thomas Sigel
Regie: Bryan Singer

Ach ja, die armen Mutanten. Keiner mag sie, alle haben Angst vor ihnen oder wenigstens ihren Fähigkeiten, jammerjammerjammer. Im ersten Teil von X-Men haben sich nicht nur die Menschen und die Mutanten bekämpft, sondern auch die Mutanten untereinander. Der böse Magneto wanderte zum Schluss in ein Gefängnis aus Plastik, der gute Professor Xavier durfte dagegen eine Schule betreiben, in der kleine Mutantenkinder zusammen groß werden.

Soviel zum ersten Teil, den man aber nicht zwingend gesehen haben muss, um in den zweiten zu gehen. Der erzählt nämlich im Prinzip die gleiche Geschichte nochmal, nur mit ein paar neuen Gesichtern, noch mehr Special Effects und noch weniger Handlung. Nichtsdestotrotz ist ein schönes Popcorn-Filmchen dabei rausgekommen.

Gleich zu Beginn lernen wir einen neuen Mutanten kennen: Kurt Wagner, einen Teleporter, der, kaum ist er irgendwo aufgetaucht, auch schon wieder weg ist. Der Effekt klingt völlig simpel, hat mich aber sehr erfreut, weil er ein bisschen klüger ist als die sonstigen, einfach viel zu schnell geschnittenen Szenen, mit denen unser lahmes Auge überlistet wird. Wagner löst sich nicht einfach auf, sondern verschwindet in einer Art schwarzem Rauch, der aussieht wie Tinte. Unser Auge versucht noch, in diesen Schwaden etwas zu erkennen, da blitzt er plötzlich ganz am Rande unseres Sichtfelds auf und ist – zack – sofort wieder verschwunden.

Außerdem sorgt er für einen charmanten Unterton, den wahrscheinlich nur das hiesige Publikum würdigen kann, denn er ist anscheinend deutschen Ursprungs und erwähnt auch ab und zu den Zirkus in München, in dem er aufgetreten ist. Sein deutscher Akzent hat ausnahmsweise mal nichts Nazi-artiges, und es klingt einfach sehr rührend, wenn er Halle Berrys dahingehauchtes „Thank you“ nach einer Rettungsaktion mit einem verlegenen „Bitteschön“ beantwortet.

Überhaupt haben sämtliche Charaktere bei all ihrer Schablonenhaftigkeit (wir befinden uns schließlich in einer Comicverfilmung) alle ihre kleinen Eigenarten, die aus ihnen mehr machen als bloße Staffage in einem bunten Spektakel. Jeder darf seine Fähigkeiten mehr oder weniger martialisch vorführen: Pyro, ein zündelnder Teenager, jagt die halbe Polizeistaffel in die Luft, während Iceman, dessen Atem alles zufrieren lässt, sein Talent auch gerne mal an einer zu warmen Cola unter Beweis stellt. Dass nun jeder das, was ihn auszeichnet, einmal groß ins Bild rücken darf, bringt allerdings mit sich, dass der Film verdammt lang wird. Es ist zwar schön, dass wir neue Charaktere kennenlernen, aber die ziehen die eh schon dünne Story doch arg in die Länge.

Diese kleineren Einlagen wie die Szene mit der Cola-Flasche dienen nicht nur zum Atemholen, sondern auch, um wenigstens ein bisschen Charakterbildung zwischen die ganzen Action-Szenen zu klemmen. Es bleibt allerdings eher beim Versuch; die Charaktere sind eben relativ simpel gestrickt, werden auf ihre jeweilige Fähigkeit reduziert und sorgen so für einen Effekt nach dem nächsten. Trotzdem ist es genau das, was X2 ausmacht: Er ist, so komisch es klingt, eher ein Ensemble-Film als ein Actionfilm, denn die ganze Geschichte dreht sich eben um die Mutanten und ihre Fähigkeiten. Es wird nicht versucht, eine blöde Rahmenhandlung um die Weltherrschaft oder was auch immer um die Jungs und Mädels herumzustricken. Jede Storyline entsteht aus der ganz simplen Frage: Sind Mutanten eine gute oder eine bösartige Form von Evolution?

Leider wird dieser Story nicht mehr ganz so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie im ersten Teil. Die Effekte in X2 sind sicher besser geworden und sehen nicht mehr ganz so pappkulissig aus, aber dafür leidet leider die Geschichte. In X-Men war ich zum Beispiel sehr gerührt von Rogue, die niemanden anfassen konnte, ohne denjenigen dabei durch ihre spezielle Kraft zu verletzen. In diesem Teil hat sie ihr Herz an Iceman verschenkt und sie versuchen sich näherzukommen, aber – auch hier scheitert sie. Aber anstatt daraus einen Themenstrang zu machen, wird die ganze Storyline einfach fallengelassen. Nichts mehr von ihren Seelenqualen, sich niemandem nähern zu können, nichts mehr von ihrer gerade aufkeimenden Zuneigung – wenn’s nicht geht, dann geht’s eben nicht, weiter im Text, wir müssen schließlich noch über zwei Stunden Film vollkriegen.

Die einzigen, die immerhin einen Hauch von Wahrhaftigkeit in das bunte Spektakel bringen, sind (natürlich) Patrick Stewart als Professor und (natürlich) Ian McKellen als Magneto. Auch ihre beiden Rollen geben eigentlich nicht mehr her als ein paar Standardsprüche aus dem Drehbuchbaukasten, aber die beiden haben einfach eine solche Leinwandpräsenz, dass sie ihre Rollen durchaus mit Ernsthaftigkeit und sogar einer gewissen Würde ausspielen. Während der Rest der Truppe theatralisch-verängstigt oder theatralisch-wütend in die Kamera guckt und sich darüber beschwert, dass die Menschen die Mutanten nie verstehen werden, bringen der Professor und Magneto Ruhe in diese verfahrene Situation – natürlich jeder auf seine Weise; der eine gut, der andere böse. Genau wie die beiden einfach erfahrene Schauspieler sind, geben sie hier die erfahrenen Mutanten, die die anderen fast zu nöligen Kleinkindern degradieren. Man wartet beinahe darauf, dass beide dem Jungvolk kurz Einhalt gebieten und den Satz bringen: „Wenn du erstmal in mein Alter kommst …“

Und so wie X2 endet, ahne ich, dass die X-Men alle Chancen haben, noch in das Alter von Professor und Magneto zu kommen. Das Ende bleibt nämlich sehr offen … so offen, dass man kaum glauben kann, jetzt am Schluss angekommen zu sein. Wo ist das obligatorische Schlussbild, wo der Böse noch einen Blick zurück aus dem Fenster des Fluchtfahrzeugs seiner Wahl wirft? Wo ist die große Knutschszene, egal mit wem?

Neinnein, so geht das nicht. Logan muss endlich ein Mädel abkriegen, Storm und Wagner scheinen sich auch ganz gut zu verstehen, und was wird aus der Familie, die den armen Iceman im Stich gelassen hat? Ich glaube, der Countdown zu X3 beginnt genau – jetzt. Wir sehen uns in zwei Jahren im Kino. Aber nun könnt ihr euch erstmal entspannt in diesem Teil zurücklehnen. Für einen gut gelaunten Abend reicht’s allemal. Es ist nicht Matrix – aber es ist auch nicht Rocky 6.

Cidade de Deus

Cidade de Deus (City of God): hm. Vielleicht habe ich zuviel erwartet nach den ganzen Vorschusslorbeeren, die der Film gekriegt hat. Mir ging er jedenfalls irgendwann nur noch auf die Nerven. Circa 30 Minuten vor Schluss hab ich mich dabei erwischt zu denken, jetzt bringt euch doch bitte alle endlich um, damit ich nach Hause gehen kann. Natürlich ist die Geschichte wichtig, natürlich sollte sie erzählt werden, aber ich hab mich gefragt, ob eine Dokumentation nicht besser geeignet gewesen wäre als ein Spielfilm.

Ich habe generell Probleme mit Filmen, die Gewalt glorifizieren. Daher habe ich auch Schwierigkeiten, Mafia-Filme gut zu finden. Denn obwohl zum Schluss meistens alle ins Gras beißen, guckt man sich doch zwei Stunden lang ziemliche Gewaltorgien an, die den Darstellern ein gutes Leben ermöglichen. Bei solchen Filmen bleibt bei mir nie hängen: „Schau an, Gewalt sät Gegengewalt, lassen wir das doch gleich sein, arbeiten wir lieber und kommen ehrlich an unser Geld.“ Bei mir bleibt stattdessen hängen: „Ich darf mich nur nicht erwischen lassen.“

So auch bei City of God. Der Film hatte einige Momente, die ihn besser gemacht haben als Mafia-Filme, zum Beispiel die Szenen, in denen Kinder, die offensichtlich nicht älter als 5 sind, mit Knarren in den Händen ihre Konkurrenten erledigen, die auch nicht älter sind. Mir hat gefallen, dass die Handlungsstränge besonders im letzten Teil des Films sehr elegant ineinander verwoben wurden, so dass aus dem ganzen gewaltsamen Chaos immer einige Figuren herausstachen, denen man folgen konnte.

Was mir nicht gefallen hat, war die blöde grobkörnige Wackelkamera-Optik. Wenn das Authentizität erzeugen sollte, warum dann nicht gleich eine Doku drehen? Ich fand den Film zu lang und, wie gesagt, mir ging das ganze Sujet auf die Nerven. Ich wusste zwar ungefähr, was mich erwartet, aber dann anscheinend doch nicht genug.

Ich kann einfach diese Geisteshaltung nicht verstehen, dieses „Wer die Waffen hat, kann sich alles erlauben“, dieses „Ich nehm mir einfach, was mir passt“ und die Faszination, die von Menschen dieses Schlags ausgeht. Das mag jetzt typisch verwöhntes Wohlstandskind-Genöle sein, klar. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einem Slum groß zu werden. Aber ich behaupte mal, dass es überall auf der Welt möglich sein sollte, sich seine Menschlichkeit zu bewahren.

Das will ich jedenfalls glauben. Vielleicht hat mir City of God deshalb nicht gefallen: weil er eine wahre Geschichte erzählt und nicht nur ein Script ist. Weil alles wirklich passiert ist. Und weil er mir damit eine meiner Illusionen geraubt hat.

„Maybe we are under the tyranny of cultural conventions and biological instincts, these forces lead us to feel out of sync with the world at large, and therefore we feel as if we are not part of the bigger picture.

Hey, maybe we are the lucky ones, everyone else are the dull witted unfortunate ones that got caught. I have been brainwashed to believe that my happiness is found in others; wrong, happiness is now, happiness is in accepting who we are, not wondering what others are thinking about us. I don’t need someone else’s personal appraisal of my self worth, who’s to say that they can judge me? And why should I care if anyone finds me special? That concern just weighs me down. I am not saying that everyone else is unimportant, just their opinions of me.

We all have perceptions and cognitions of this infinite place in which we exist, and no one sees the same pieces or experiences the same places, so we must grow strong in our own experiences, and glorify everyone’s claim at existence.

Anke, you are a unique talent, stand by your viewpoint, sell it to the world, and you will when you believe in it with all of your might. No fear. It is so hard to love ourselves, because we are so aware of all of our supposed shortcomings, but those shortcomings only come through our idiotic attempts at comparisons of self with others. We must stop trying to measure up to illusory standards that have no objective reality.

We are perfect in our imperfections.“

On some days, I miss your words of wisdom even more. And I’d give the world for just one last conversation.

A lady visited Matisse in his studio

„A lady visited Matisse in his studio. Inspecting one of his latest works she unwisely said: ‘But, surely the arm of this woman is much too long.’ ‘Madame,’ the artist politely replied, ‘you are mistaken. This ist not a woman, this is a picture.’ “

The Art of Looking Sideways, Alan Fletcher

The Importance of Being Earnest

The Importance of Being Earnest (Ernst sein ist alles): schönes, launiges, altmodisches, very britishes Kammerspiel mit Colin Firth, Rupert Everett und Reese Witherspoon, die auch mit englischem Akzent ganz niedlich klingt. Der Film plaudert so an einem vorbei, ab und zu schnappt man Worte wie countryside, proposal und cucumber sandwich auf, und dann ist er schon wieder vorbei. Ganz und gar unaufregend, aber sommerlich nett.

Sweet Home Alabama

Sweet Home Alabama (Liebe auf Umwegen): anspruchsloses Samstagnachmittagsfilmchen zum Schmachten (gleich zwei hübsche Kerle, die um Reese Witherspoons Gunst buhlen) und zum Lachen (wenn Reese ihren Südstaaten-Akzent anwirft oder Candice Bergen als unwillige Schwiegermutter ihre Giftsalven ablässt). Und nebenbei gab es das ursprünglich gedrehte Ende auf der DVD, bei dem ich zum ersten Mal dankbar für Test Audiences war. Denn deren vernichtendes Urteil erforderte einen Nachdreh – zum Glück, denn das originale Ende ging gar nicht.

Ich behaupte ja immer noch, dass Flatliners garantiert auch zuerst ein anderes Ende hatte. Jedenfalls will ich das glauben. So gerne ich Kiefer aufwachen sehe, so dämlich es ist trotzdem.

Lilo & Stitch

Lilo & Stitch: Ach, schöööön. Ich bin ja eh ein fürchterlicher Disney-Fan. Sobald ein neues Zeichentrick-Abenteuer draußen ist, sitze ich im Kino und verwandele mich in einer Sekunde in eine Fünfjährige, die mit offenem Mund auf die Leinwand starrt und brav mitlacht, mitheult und sich danach den Soundtrack kauft. So auch bei Lilo & Stitch. Das Grundthema Familie (“Family means: nobody gets left behind”) ist zwar schon verdammt Disney und wird auch ein bisschen zu sehr penetriert, aber dem winzigen Stitch bei seinen Zerstörungsorgien zuzusehen, wiegt das alles wieder auf. Und nebenbei finde ich es schön, dass die Zeichentrickmädels ausnahmsweise nicht auch so magersüchtig aussehen wie ihre Genossinnen aus wenig Fleisch und Blut.

Insomnia

Insomnia: Nicht unbedingt nervenzerfetzende Story eines Cops, der sich notgedrungen mit einem Killer zusammentut. Aber die mangelnde Spannung wird durch sehr sorgfältige Charakterzeichnungen, wundervolle Bilder und der Regie von Chris „Memento“ Nolan aufgewogen. Und mit Al Pacino und Robin Williams kann man eh nix falsch machen (wenn man mal von Scent of a Woman und Popeye absieht).

Orange County

Orange County (Nichts wie raus aus Orange County): Nee, bin ich zu alt für. MTV Films produziert immer so zielgruppenkompatibles Zeug über High Schools, Surfer und Cheerleader – das geht bei mir gar nicht mehr. Trotz der anscheinend nicht unbegabten Colin „Sohn von Tom“ Hanks und Schuyler „Tochter von Sissy Spacek“ Fisk unter der Regie von Jake „Sohn von Lawrence“ Kasdan.

The Sum of All Fears

The Sum of All Fears (Der Anschlag): Filme nach Büchern von Tom Clancy sollte man ja generell misstrauisch gegenüberstehen, vor allem solchen, die in den ersten drei Minuten ein abstürzendes Flugzeug mit einer Atombombe an Bord haben, die dann 23 Jahre in der israelischen Wüste vergessen wird. Ich hab auch nicht viel weiter geguckt. Wie geht er denn aus? Ach, egal.

Nebenbei bemerkt: Das Buch Op Center: Games of State von Clancy spielt in Hannover und hat die Chaostage zur Inspiration gehabt. Wohlgemerkt, zur Inspiration. Aus den Punks sind Nazis geworden, die Straßennamen, die wohl Lokalkolorit bieten sollen, taugen alle nix, und eine Kneipe im Rotlichtviertel trägt den poetischen Namen „Auswechseln“. Ein großartiges Buch. Ich hab damals sehr gelacht. Wenn ihr im Strandkorb nix zu tun habt, dann wäre das ein Tipp.

Enough

Enough (Genug): Haha, Jennifer Lopez als misshandelte Ehefrau, die sich alles bieten lässt und irgendwann zur Selbstverteidigung geht (aber erst nach dem Friseurbesuch), um dann ihren Gatten im hautengen Dress zu Kleinholz zu machen und sich und die total nervige Tochter zu retten. In den DVD-Features meinte Frau Lopez, dass sie ihre Rolle als eine Art weiblichen Rocky gesehen hat. Da fällt mir nichts mehr zu ein.

Das einzig Positive an dem Film ist ein wunderbarer Thread im imdb-Messageboard, in dem Enough in eine Reihe mit Filmen wie Vertigo und The Wizard of Oz gestellt wird. Leider haben nicht alle Teilnehmer der Diskussion die subtile Ironie mitgekriegt.

Mr. Deeds

Mr. Deeds: Ich mag Adam Sandler. Ich mochte seine niedliche Trotteligkeit im Wedding Singer. Ich mochte seine melancholischen Blicke in Punch-drunk love. Ich mochte sogar seine pubertären Klowitze in Big Daddy. Aber wenn er alle diese liebenswerten Eigenschaften einfach mal weglässt und nur noch seinen Text runterbetet, dann kommt leider so ein langweiliger Brei wie Mr. Deeds dabei raus. Winona Ryder mochte ich noch nie wirklich, aber hier tut sie mir sogar fast ein wenig leid, denn Talent hat sie. Das darf sie in Mr. Deeds allerdings nicht mal eine Sekunde unter Beweis stellen. Einziger Lichtblick: der unvergleichliche John Turturro als spanischer Butler, dem jede Szene gehört. Wo war doch gleich Sandler?

Punch-Drunk Love

Punch-Drunk Love
(USA, 2002)

Darsteller: Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymor Hoffman, Luis Guzmán
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Kamera: Robert Elswit
Musik: Jon Brion
Regie: Paul Thomas Anderson

Manche Dinge passieren einfach. Autounfälle. Geburtstagspartys. Missgeschicke. Herzensangelegenheiten. Und manchmal steht auch einfach ein Harmonium vor deiner Tür und wartet darauf, dass du es spielst. Solche Dinge passieren, und keiner fragt, warum. Wozu auch? Es würde nichts daran ändern, dass sie passiert sind.

In Punch-Drunk Love, dem neuen Film von Paul Thomas Anderson, passieren genau solche Dinge. Bis jetzt hatte ich in seinen Filmen (Boogie Nights, Magnolia) immer das Gefühl, dass er so fasziniert von der Menschheit und all ihren seltsamen Eigenarten ist, dass er sie sehr neutral und distanziert von außen betrachtet. In beiden Werken fühlte ich mich als Zuschauer immer wie ein, ja, Zuschauer, wie jemand, der bis an den Rand des Löwenkäfigs darf, aber keinen Schritt weiter – es könnte mir ja etwas passieren.

In Punch-Drunk Love gibt es keine Barrieren mehr. Anderson wirft uns mitten hinein in das skurrile Leben von Barry Egan (überraschenderweise sehr passend: Adam Sandler), dessen Schwestern ihn verkuppeln wollen, dessen Job ein Witz ist und der seinen Schwager, einen Zahnarzt, um Hilfe bei seinem Problem bittet, dass er sich selber manchmal nicht mag und aus keinem ersichtlichen Grund zu weinen anfängt. Und Anderson sitzt nun am Rand des Löwenkäfigs von Barrys Leben, und er schaut uns, den Zuschauern, erwartungsvoll dabei zu, was wir mit diesem Leben, dieser Story und diesem Film machen: Umarmen wir den Löwen oder fliehen wir? Lassen wir uns ein auf eine gefühlvolle, sehr intensive und im Endeffekt heillos romantische Geschichte? Oder sezieren wir das Ganze, distanzieren uns von seinen Hauptdarstellern und versuchen wir, in diesen Film eine Logik zu bringen? Versuchen wir etwa gerade, Antworten zu finden: Warum passiert dieses und jenes? Es wird nicht funktionieren. Und das soll es erst einmal auch gar nicht.

Adam Sandler ist in fast jeder Szene im Bild, und wenn wir ihn nicht sehen, wissen wir ihn doch mindestens im Hintergrund oder am anderen Ende einer Telefonleitung. Wir sitzen ihm quasi die ganze Zeit im Nacken, als er sich in Lena (die wundervolle Emily Watson) verliebt und sich gleichzeitig einer Erpressung von einem Telefonsexanbieter erwehren muss. Diese beiden Dinge, die ihm passieren, spiegeln ein Spektrum menschlicher Gefühle en miniature wider: die überwältigende Großherzigkeit der Liebe und die brachiale Skrupellosigkeit der Gier. Beiden Dingen begegnet Barry mit seiner eigenen, kindlichen, ehrlichen Art, und bei beiden findet er eine ganz einfache Lösung, die komischerweise nicht deplatziert wirkt, weil sie eben dieser seiner eigenen Art entspricht. Und beide Lösungen sind gut und hoffnungsvoll und damit unerwartet. Wir kennen aus unserem eigenen, wahren Leben genug Enttäuschungen und Schmerzen; die muss auch Barry erfahren, aber er befreit sich aus diesen Zwängen, diesem „So ist das Leben eben“, kämpft seinen eigenen, simplen Kampf – und gewinnt. Und wir können es fast nicht glauben, wir warten immer noch darauf, dass das Böse wieder zurückkommt – aber das tut es nicht. Denn Barry hat eine Gefährtin gefunden und mit diesem geliebten Menschen eine Stärke, die ihn unverwundbar macht gegenüber aller Realität.

Manchmal sind wir fast zu nahe an diesen beiden Menschen dran, und das sind die Momente, in denen uns klar wird, wie groß und unheimlich und gleichzeitig unerwartet wundervoll das Leben sein kann. Das sind im Film die Momente, in denen ich mich wirklich erschreckt habe, weil ich mit dem, was auf der Leinwand passiert, überhaupt nicht gerechnet habe. Aber das sind eben auch genau die Momente, die das wahre Leben ausmachen.

Manchmal küsst es dich, und manchmal reißt es dir das Herz aus dem Leib; manchmal stärkt es dir den Rücken, und manchmal bricht es dir das Kreuz. Aber ganz egal, was das Leben mit dir und mit Barry und mit Lena macht – es lässt sich nicht aufhalten. Es passiert einfach. Und man fragt nicht, warum.

Aber irgendwo im Hinterkopf erwartet man vielleicht trotzdem eine Antwort auf die vielen ungestellten Fragen. Und wer das Glück hat, den Menschen auf der Welt zu finden, dem man plötzlich alle diese Antworten geben kann, wer also diesen einen Menschen gefunden hat, für den ist das Leben plötzlich mehr als nur eine Story, ein Film, eine Aneinanderreihung von Dingen, die passieren. Für den ist es ganz plötzlich: ein Leben. Mit allen überwältigenden, Angst einflößenden, großartigen Momenten und Antworten und Möglichkeiten, die nur das Leben und die Liebe haben können.

Herr Wichmann von der CDU

Herr Wichmann von der CDU
(D, 2003)

Drehbuch und Regie: Andreas Dresen
Kamera: Andreas Höfer

Henryk Wichmann ist 25, Jurastudent und CDU-Kandidat für die Bundestagswahl 2002. Er tritt in der Uckermark an, ein von Gott und der Wirtschaft verlassenes Fleckchen in der Nähe von Berlin. Sein Gegenkandidat ist Markus Meckel, SPD, und sicherer Sieger in diesem Wahlkreis. Der Regisseur Andreas Dresen (Halbe Treppe) hat ihn im Monat vor der Bundestagswahl auf seinem Wahlkampf mit der Kamera begleitet.

Ich erinnere mich an den letzten Dokumentarfilm, den ich gesehen habe. Das war Bowling for Columbine, und ich habe ihn damals zerrissen: weil ich ihn falsch fand, zeigefingerig, laut, manipulativ. Ich finde es sehr schön zu sehen, dass es anscheinend auch noch andere Dokumentarfilme gibt, die genau diese Adjektive nicht verdient haben.

Herr Wichmann von der CDU kommt ohne Musik aus, ohne Interviews mit den Mitwirkenden, ohne hektische Schnitte, ohne Off-Kommentar. Wir erleben einfach einen jungen Politiker, der sich bemüht, seinem Wahlvolk seine Ideen zu erläutern. Wir begleiten ihn in Fußgängerzonen, auf Stadtfeste, auf Kundgebungen mit der Bundesparteiprominenz und erleben zum Schluss seine von vornherein sichere Niederlage gegen den übermächtigen Kandidaten. Und das schöne dabei: Selbst wenn wir keine Freunde der politischen Ausrichtung von Herrn Wichmann sind, selbst wenn wir uns einen Dreck für Politik interessieren, selbst wenn uns Henryk Wichmann vielleicht unsympathisch ist – wir finden ihn nie albern. Und das ist meiner Meinung nach ein großer Verdienst von Andreas Dresen, der sein Sujet nie der Lächerlichkeit preisgibt, was einfach, sehr einfach gewesen wäre.

Wichmann ist kein aalglatter Politprofi. Natürlich beherrscht auch er nach Jahren im Kreistag die Kunst, aus jedem Satz, den ein Passant ihm entgegenwirft, ein Stück seines Parteiprogramms zu drechseln. Natürlich weiß er, wem er wie nach dem Mund reden muss, um denjenigen wenigstens für einen Augenblick auf seine Seite zu bekommen. Aber er wirkt dabei nie abgebrüht, nie haben wir das Gefühl, da ist jemand, der bloß üppige Diäten im Bundestag abgreifen will. Auch wenn sein Slogan „Frischer Wind für die Politik“ noch so ausgelutscht ist – er scheint hinter ihm zu stehen. Er will anscheinend wirklich etwas verändern, und er glaubt daran, es schaffen zu können. Deswegen steht er sich die Füße unter seinem CDU-Sonnenschirm platt und redet mit jedem, der sich eigentlich nur für seine Kugelschreiber interessiert. Und deswegen wirkt er auch nie lächerlich oder künstlich; er ist ernsthaft bestrebt, eine Botschaft an seine Wähler zu bringen.

In einigen Momenten ist er aber eben doch noch unerfahren oder einfach zu jung. Wenn zum Beispiel die Bewohner eines Altenheimes ihm zwar brav zuhören, wenn er über die große Politik redet, aber aus ihren Antworten klar wird, dass sie eigentlich ganz andere Dinge beschäftigen. In diesen Momenten ist Wichmann kein Politiker mehr, sondern nur ein sehr junger Mann, der vor der absoluten Hoffnungslosigkeit des Alters kapituliert. Da wirken seine Sprüche von Aufschwung und dem viel beschworenen frischen Wind sehr, sehr einsam. Und der Film kommentiert auch hier nicht, gibt weder die Alten noch den Jungen preis, sondern lässt sie beide in ihrer Einzigartigkeit wirken.

Herr Wichmann von der CDU ist unterhaltsam, wenn man Anhänger einer anderen Partei ist, weil man sich dann genüsslich zurücklehnen und dem Jungspund beim Scheitern zusehen kann. Aber selbst dann bleibt ein Gefühl der Achtung vor Wichmann zurück. Eine Achtung vor der Aufgabe, der er sich stellt, von der Ehrlichkeit, die er noch besitzt, und gleichzeitig vor seiner Kraft, einen von vornherein aussichtslosen Kampf zu führen. Diese Achtung transportiert der Film, ohne uns in diese Richtung zu schubsen. Auch das ein angenehmer Kontrast zu gewissen anderen Dokumentationen.

Was bleibt, ist eigentlich nur die Frage: Wieso lässt sich ein Politiker beim Wahlkampf filmen? Es war klar, dass der Film ihm vor der Bundestagswahl keine entscheidenden Stimmen bringen würde, keine zusätzliche Medienpräsenz. Vielleicht wollte Wichmann einfach seine ganz persönliche Stellungnahme gegen die Politikverdrossenheit aufzeichnen. Ein Dokument, um sich selber davon zu überzeugen, dass es richtig ist, was er tut. Denn auch ihm muss klar gewesen sein, dass er gegen Meckel nicht den Hauch einer Chance gehabt hat.

Bei mir hat das funktioniert. Ich werde auch beim nächsten Mal nicht die CDU wählen. Ich habe auch nicht mehr Verständnis für einige der Programmpunkte bekommen, die Wichmann so eloquent aufzählt. Aber ich habe wieder ein bisschen mehr Respekt vor dem Beruf des Politikers, ganz gleich, welcher Ausrichtung. Denn wir begegnen im Film auch Vertretern des weiteren politischen Spektrums – und die sehen in ihrem Bemühen um Wählerstimmen ganz genauso aus wie Herr Wichmann von der CDU.

Donnie Darko

Donnie Darko: Ja, ich geb’s zu, ich hatte ihn noch nie gesehen. Aber so großartig, wie ich ihn mir nach den ganzen Vorschusslorbeeren vorgestellt habe, ist er dann doch nicht. Ich weiß nicht, warum Darko immer in einem Atemzug mit Requiem for a Dream genannt wird, den ich um Klassen besser fand; wahrscheinlich, weil beide Webseiten zu den Filmen so seltsam sind und ziemlich ähnlich funktionieren (hier die zu Requiem und hier die zu Darko). Den Film selber fand ich schon recht spannend, und ich mag grundsätzlich Filme, bei denen ich mich alle 20 Minuten frage, wo es denn jetzt bitte hingehen soll. Aber die Auflösung ist natürlich ein totales Drehbuchloch, wie so ziemlich alle Zeitreise- und Paralleluniversumsfilme das eben sind.

Ich fand eben diese Auflösung ein wenig zu überambitioniert, um das eigentliche Thema des Films – die üblichen Pubertätsproblematiken: Wer bin ich; keiner versteht mich; wenn man mich lassen würde, könnte ich die Welt ändern – zu beenden. Jedenfalls hab ich den Film so gesehen. Deswegen fand ich die eine kurze Szene zwischen Jake Gyllenhaal und Mary McDonnell so schön, als er halb verzweifelt, aber eher kokettierend fragt: “How does it feel to have a wacko for a son?” und die Mutter ihm jeden Wind aus den Segeln nimmt mit ihrer elternweisen Antwort: “Wonderful.”

Die Stimmung des Films fand ich sehr schön, sehr beklemmend und sehr einzigartig. Und der wunderbare Tears for Fears-Heuler Mad World in der Coverversion von Gary Jules bleibt mir sicher auch noch sehr lange im Ohr.