Links von Dienstag, 19. Dezember 2017

Ta-Nehisi Coates vs. Cornel West

West schrieb gestern im Guardian über Coates’ Arbeiten:

„The disagreement between Coates and me is clear: any analysis or vision of our world that omits the centrality of Wall Street power, US military policies, and the complex dynamics of class, gender, and sexuality in black America is too narrow and dangerously misleading. So it is with Ta-Nehisi Coates’ worldview.

Coates rightly highlights the vicious legacy of white supremacy – past and present. He sees it everywhere and ever reminds us of its plundering effects. Unfortunately, he hardly keeps track of our fightback, and never connects this ugly legacy to the predatory capitalist practices, imperial policies (of war, occupation, detention, assassination) or the black elite’s refusal to confront poverty, patriarchy or transphobia.“

Vor allem schwarze Twitter-User*innen konnten darüber nur mit den Augen rollen, hatten aber auch kaum bessere Argumente als „West ist bloß neidisch“, was mich ein bisschen irritiert.

Am späten Abend (deutscher Zeit) fand dann allerdings auch Vollhonk und Rassist vor dem Herrn Richard Spencer Wests Argumente überzeugend. Seinen Tweet verlinke ich nicht, aber dafür einen von @VloraEmily (via @tante), in deren Tweet Spencer zu lesen ist und die darauf hinwies, dass auch die NYT sich im Oktober nicht entblödet hatte, Coates quasi Rassismus zu unterstellen. Vor wenigen Stunden löschte Coates seinen Twitter-Account: „I didn’t get in it for this.“

Ich zeichne das eher für mich selbst nach als wirklich einen Punkt machen zu wollen; ich bin in schwarzer Geschichte schlicht nicht bewandert genug, um alle Argumente zu kennen, die seit der Civil-Rights-Ära gemacht wurden. Ich schätze Coates sehr und bin eigentlich erst durch ihn auf dieses Thema aufmerksam geworden bzw. auf eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Situation des schwarzen Amerika. Daher wollte ich die Links einfach mal festhalten. (Und euch mal wieder Coates’ Buch ans Herz legen.)

Productivity is dangerous

Meine Rede. Diese Entspanntheit kriege ich aber auch selten hin. Hat gerade in diesem Jahr nicht geklappt.

„Due to my own virtuous laziness, I still haven’t gotten around to de-activating my stupid LinkedIn account or unsubscribing from the “Medium Daily Digest” email blast. So every morning, I get messages asking me to click through to articles like “How I Optimized My Morning Routine To Get More Done Than ever — before 8 a.m.!” The people posting links like this have a sickness, and we need to stop it before it gets out of hand. […]

In the 2010 book, On Time, Punctuality, and Discipline in Early Modern Calvinism, Swiss Reformation scholar Max Engammare claims that the Calvinists fundamentally changed how we think about time. They replaced the Medieval Catholic conception of time, which was cyclical and based on recurring seasons and holidays, with a linear view of time, as something which was always essentially running out – and this, apparently, led to the requirement that we start arriving to things on time, which he claims did not exist previously. […]

So then, if we cannot blame Calvinists for the rise of capitalism specifically, we may attempt to blame them for a much larger malady: That religious philosophy is responsible for that feeling that we are constantly losing time, as we hurtle ever-closer to death.

I would be willing to guess that if you grew up in a rich Protestant country, you know this feeling. I do. It’s what’s behind the perverted impulse to self-flagellate and ask, “What did I accomplish this year?” and it’s why we get jealous every time we find out that some accomplished famous person is younger than us.“

(via @MrsBunz)

Die epische Lieblingspodcastliste

Da macht man selbst einen Podcast – aber hört kaum andere. Das muss sich ändern. Ich klicke jetzt einfach die Liste von Ines Häufler durch, der ich auch schon über zehn Jahre folge. Internetzeit. Immer noch irre.

„Eine Operation am offenen Herzen“

Markus Merk und Alex Feuerherdt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über den Videobeweis, der seit Beginn dieser Saison im Stadion nervt.

„Die Einführung des Videobeweises in der Bundesliga sei ein großer Schritt im Fußball, findet Markus Merk. Dass der Eingriff in den Fußball jetzt so groß ausgefallen sei, hätte er allerdings nicht vermutet. Der Einsatz technischer Hilfsmittel solle zum Besseren, zum Gerechteren führen. Daran würde gearbeitet, müsse jedoch auch noch weiter gearbeitet werden.

Die Diskussion müsse wieder versachtlicht werden, meint Alex Feuerherdt. Von 35 Videoentscheidungen seien 27 in die richtige Richtung korrigiert worden. Das bedeute natürlich auch, dass acht richtige Entscheidungen in falsche umgewandelt worden seien. Nicht mit eingerechnet seien Situationen, in denen der Videoschiedsrichter nicht eingegriffen habe.“

Mich stört der Videobeweis ungemein, weil er meiner Meinung nach ein reines Zugeständnis an die Sehgewohnheiten der Fernsehzuschauer*innen ist. Klar gab es vor dem VAR Fehlentscheidungen, aber das gehörte halt zum Spiel. Und viele dieser Entscheidungen wurden erst durch das Anschauen und Wiedergeben von acht Superzeitlupen aus fünf Perspektiven als falsche erkannt. Ich lehne mich einfach mal von Wissen unbeleckt aus dem Fenster und behaupte, dass sich diese falschen Entscheidungen halbwegs gerecht über den Ablauf einer Bundesligasaison verteilt haben. Alle Nicht-Bayern-Fans widersprechen jetzt reflexartig – „Bayern kriegt immer einen Bonus“ –, was ich auch nicht völlig von der Hand weisen will. Trotzdem meine ich, dass der VAR das Spiel nicht besser und auch nicht gerechter gemacht hat.

Er reduziert den Schiedsrichter auf dem Feld manchmal zum Befehlsempfänger, und als Stadionzuschauer*in weiß man oft schlicht nicht, was eigentlich gerade gepfiffen wurde. So zum Beispiel beim letzten Heimspiel in Augsburg, als dem FCA ein Elfmeter zugesprochen wurde. Anscheinend meldete sich der Assi aus Köln – die Geste mit der Hand am Ohr kann man inzwischen auch im Stadion deuten –, dann schaute sich der Schiedsrichter irgendwas auf dem Monitor an, zeigte anschließend die für uns völlig unverständliche Geste für Handspiel an und pfiff das Spiel in der Nähe des Mittelkreises wieder an, obwohl wir doch gerade im Strafraum waren. Hä? Ich habe erst abends in der Fernsehzusammenfassung gesehen, dass eine halbe Minute vorher anscheinend der FCA am Mittelkreis ein Handspiel begangen hatte – was ich jetzt auch nicht so irre eindeutig fand, aber gut –, und deswegen wurde ihm eben eine halbe Minute später der völlig verdiente Elfer aberkannt. What the fuck? Können wir demnächst zum Anstoß zurückgehen, weil der vielleicht nicht regelkonform ablief?

Wenn ein Schiedsrichter etwas übersieht und auch seine beiden Assistenten es nicht mitbekommen, dann war das in Herrgottsnamen halt so. Mir geht es jetzt nicht darum, dass der FCA seinen Elfer nicht bekommen hat. Im Spiel auf Schalke wurde Augsburg ein Elfmeter nach Videobeweis zugesprochen, was mich natürlich gefreut, aber gleichzeitig angefressen hat. Wieder wird das Spiel unterbrochen, wieder weiß man erst einmal nicht, was Sache ist. Wobei ich das Schalke-Spiel auch am Laptop gesehen habe, aber selbst da geht es mir inzwischen auf den Keks. Im Stadion ist der VAR ein einziger Schmerz im Arsch, weil man sich bei Toren kaum noch traut zu jubeln, sondern immer den Schiri im Blick hat, ob der nicht wieder die Hand ans Ohr legt.

Mir ist klar, dass Fußball immer mehr eine TV-Veranstaltung wird, auch weil die Stadionpreise dafür sorgen, dass gerade jüngere oder nicht ganz so begüterte Menschen sich kein Ticket leisten können; da ist ein Sky-Abo doch immer noch günstiger. Oder weil man für einen Verein schwärmt, der am anderen Ende der Republik oder sogar Europas oder der Welt liegt. Klar ist das nett, dem Club trotzdem zuschauen zu können. Aber ohne Stadionpublikum, seine Emotionen, seine Lautstärke und seine Unterstützung ist das Spiel ein anderes – dann können wir das ganze auch gleich in leere Hallen verfrachten mit 30 Schiris auf allen Positionen, und man selbst konsumiert halt bequem auf dem Sofa im wohligen Bewusstsein, keine einzige Fehlentscheidung mehr sehen zu müssen.

Je öfter ich das Aktuelle Sportstudio oder die Nachberichterstattung auf Sky schaue, weil ich selbst im Stadion bin und keine Konferenz gucken kann, desto mehr geht mir dieses nachträgliche Rumstochern in Spielszenen auf die Nerven. Es wird nicht über Taktik diskutiert oder über gelungene Spielzüge, nein, man arbeitet sich an Fouls und roten Karten ab, fragt danach irgendeinen Trainer, der gerade wackelt, wann er denn nun entlassen wird und ob Nagelsmann zu Bayern geht. Wenn man diesen Standard als Nachbetrachtung gewohnt ist, findet man den Videobeweis vermutlich auch super, weil er für noch mehr Sendezeit für Fouls und rote Karten sorgt. Mir geht er sehr auf die Nerven und ich würde gerne wieder ohne ihn Fußball sehen.