Filmfest München 2014, Tag 1
Mein drittes Filmfest – und das erste, das sowohl mit einer Fußballweltmeisterschaft als auch mit meiner eigentlichen Hochphase des Lernens kollidiert. In der Woche vom 7. bis 11. Juli sind nämlich meine Klausuren, und normalerweise sind mindestens die zwei Wochen davor tabu für alles, weil ich meinen Stoff gerne über einen etwas längeren Zeitraum verteile anstatt mir alles in zwei Nächten vor der Klausur reinzuzwingen; ich glaube eh nicht, dass das funktioniert, aber viele meiner KommilitonInnen schwören auf diese Methode. Daher ist mein vorläufiger Terminplan deutlich lichter als sonst, und wie immer wird die spontane Laune entscheiden, was ich wann gucke. Gestern habe ich drei von vier geplanten Filmen gesehen.
Everything We Loved (Neuseeland 2013)
Ich zitiere von der Filmfest-Website:
„Einst tourten Charlie und Angela durchs Land, er ein Magier, sie seine Assistentin. Doch nach dem Tod ihres Sohns Hugo trennten sich sowohl beruflich wie auch privat ihre Wege. Als Angela eines Tages zu Charlie zurückkehrt, hat er eine Überraschung für sie parat – einen entführten Fünfjährigen als Ersatz für Hugo.“
Irgendwie muss ich ja anfangen, über diesen Film zu reden, daher ist die Inhaltsangabe die naheliegende Idee. Trotzdem enthält sie schon einen dicken Spoiler (ganz ohne kommen Inhaltsangaben halt nicht aus), was ein bisschen schade ist, denn der Film schafft es sehr clever, die ZuschauerInnen erst glauben zu lassen, alles sei in Ordnung und der Junge halt der Junge, den wir erwarten. Erst nach und nach fühlt sich alles seltsam an, schräg, schmerzhaft. Und dann wird es noch schmerzhafter, als die Mutter des toten Jungen zu ihrem Mann zurückkehrt, eigentlich, um alles endgültig hinter sich zu lassen. Die ersten Instinkte, die man wahrscheinlich schon beim Lesen des Inhalts im Kopf hatte – ruf die Polizei, mach dem Kerl klar, dass er gerade völlig austickt –, setzen auf einmal aus. Und interessanterweise nicht nur bei der Mutter (ist man noch eine Mutter, wenn das Kind nicht mehr da ist?), sondern auch bei den ZuschauerInnen.
Jedenfalls bei mir. Der charmante Begleiter war nach dem Film felsenfest anderer Meinung: „Da gibt’s doch nichts zu diskutieren – die Handlung ist falsch und unmoralisch, warum sollte ich auch nur eine Sekunde mein Herz an die beiden Hauptfiguren verlieren?“ Aber genau das ist es, was Everything We Loved für mich so interessant gemacht hat: die innere Zerrissenheit zwischen Moral und Trauer, dem Wunsch nach „Alles wird wieder gut“, was natürlich nicht passieren wird, weil manches eben nie wieder gut werden kann. In Amores Perros gab es den wunderbaren Satz „Wir sind auch immer das, was wir verloren haben“. Den fand ich hier sehr passend. Wir tun unmoralische Dinge, weil uns andere Dinge angetan wurden. Wir versuchen festzuhalten, was schon längst weg ist. Oder wie der Ehemann zu seiner Frau sagt: „I couldn’t save him. I thought I could save you.“
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Bechdel-Test bestanden: Nicht so richtig. Die Ehefrau redet mit einer anderen Mutter, aber das passiert nur in zwei kleinen Szenen. Der Film besteht fast komplett aus einer Nahaufnahme der Familie – oder eben den drei Menschen, die so tun, als seien sie eine.
Die Trost-Bechdel: Gibt’s leider auch nicht. Drehbuch und Regie sind männlich.
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Chef (USA 2014)
Ich twitterte direkt nach dem Film: „Nearly perfect feel-good foodie movie.“ Auch nach einer Nacht darüber schlafen fühlt sich das richtig an. Chef ist eine leichte, schnuffige Sommerkomödie, in die man nie, nie, nie hungrig gehen sollte, und die wenigen Macken, die der Film meiner Meinung nach hat, sind halbwegs verzeihlich und ruinieren nicht dieses angenehme „Nee, watt schön“-Gefühl, mit dem man aus dem Film kommt.
Jon Favreau spielt einen Koch, der sich quengelnd in die Anweisung seines Chefs fügt, gefälligst das zu kochen, was seit gefühlt immer auf der Karte steht anstatt seine neuen Kreationen, die fieserweise in Großaufnahme und sattestem (haha) Technicolor präsentiert werden. Ein Restaurantkritiker, der früher mal Foodblogger war, verreißt ihn natürlich. Chefs Sohnemann, der für ihn scheinbar eher ein nerviges Anhängsel ist, um das er sich kümmern muss, weil die Scheidungsvereinbarung das nun mal vorsieht, zeigt dem Herrn Papa Twitter, was diesen natürlich dazu bringt, eine eher unfeine Äußerung in Richtung Kritiker zu zwitschern (wer von uns kennt das nicht?). Natürlich eskaliert alles, wie es eskalieren muss, mehr sage ich gar nicht, das kann man sich ja denken, überraschend ist Chef wirklich nicht, und übrig bleiben ein Koch mit Sinnkrise, ein Sohnemann mit Ferien und ein Roadmovie mit Futter.
Was ich an Chef mochte: natürlich die vielen Aufnahmen von Nahrungsmitteln, sei es ein Sternemenü oder ein Käsesandwich, die dazu auch noch alle auf 16 Kanälen überlaut brutzeln, gluckern, knuspern und knacken. Ich wiederhole die Warnung: Geht in diesen Film nicht hungrig! Der charmante Begleiter konnte nach den ersten beiden Filmen in keinen dritten mehr, weil er nur noch ESSEN! wollte. (Wobei der Mann eigentlich immer essen will. Sehr sympathisch.) Ich mochte die teilweise deutlich improvisierten Dialoge, die Besetzung, bei der Favreau anscheinend einfach mal sein Hollywoodstars-Telefonbuch durchgeklingelt hat, und ich mochte die clevere Einbindung von Twitter, Vine und Facebook, ohne die der Film nicht funktioniert und die nicht aufgesetzt wirkt, sondern als normale Mediennutzung wie Handys und Zeitungen präsentiert wird.
Was ich nicht ganz so mochte: die letzten drei Minuten, die leider in die Klischeefalle tappen. Ich fand die Situation, die ich jetzt nicht näher erwähnen will, weil ich dann nur spoilern kann, gut so, wie sie war, weil sie nicht so ganz hollywoodesk war, und das ruiniert sich der Film ein bisschen selbst. Was mich persönlich noch gestört hat: die Jungszentriertheit. Der Sohn ist eben ein Sohn, er hätte aber auch eine Tochter sein können, was den Film für mich besser gemacht hätte. Dann wären zwar ein paar Testosteronwitze rausgeflogen, aber die hätte man in einem veränderten Setting auch nicht vermisst.
Trotzdem bleibt mein Fazit sehr positiv. Leichte Filmkost (haha), aber gut abgeschmeckt (haha) serviert (haha). Okay, ich bin durch. (Haha. Nee, doch nicht.)
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Bechdel-Test bestanden: Ãœberhaupt nicht. Eine halbwegs große Frauenrolle (SofÃa Vergara als Ehefrau), die aber immerhin ein eigenes Business hat, weswegen der Chef dann auch mal die Nanny sein muss, was er etwas fassungslos feststellt. Eine zweite Frauenrolle ist Scarlett Johansson als Sommelière und Quasi-Affäre des Chefs, die sinnlich auf dem Bett rumliegt, während er Penne all’arrabbiata zubereitet, wobei ich mich die ganze Zeit gefragt habe, warum sie nicht AM TISCH SITZT, VERDAMMT.
Die Trost-Bechdel: Nö. Written and directed by Jon Favreau.
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Quai d’Orsay (Frankreich 2013)
Um den Film rum hatte ich mir den ganzen Samstag gebastelt – und er war fürchterlich. Was mich sehr geärgert hat, denn die Vorlage, eine Graphic Novel, war großartig. Ich schrieb selbst: „Wie West Wing auf Speed.“ Der Film war leider West Wing auf Valium.
Was funktioniert hat: Der Witz, dass alle Blätter hochfliegen, sobald der hektische Außenminister in einen Raum kommt, ist auch beim zehnten Mal noch lustig. Was nicht funktioniert hat: seine Geschwätzigkeit. Das klingt im Trailer schon an: Der Herr spricht gerne in Schlagworten oder salbadert sinnlos rum, er ändert dauernd seine Meinung und liest eh nichts richtig durch. Im Comic habe ich die Freiheit, den ganzen Quatsch einfach zu überlesen – ich meine mich auch daran zu erinnern, dass seine Sprechblasen gerne mal durch andere überdeckt werden –, aber im Kino bin ich dem Gequatsche hilflos ausgeliefert. Thierry Lhermitte als Außenminister ist allerdings wirklich gut, er kommt durch sein ganzes Geseier mit einer bewundernswerten Ernsthaftigkeit. Trotzdem macht er einen schlicht wahnsinnig mit seinen Worthülsen, mich jedenfalls. Ich bin sehr nölig zwei Stunden auf meinem Sitz rumgerutscht, weil ich deppigerweise in der Mitte saß und mich nicht durch die ganze Reihe drängeln wollte. Hätte ich am Rand gesessen, wäre ich nach 20 Minuten draußen gewesen.
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Bechdel-Test bestanden: Pffft. Fast nur Jungs. Die Sekretärinnen sind weiblich, die Freundin vom Redenschreiber, um den es eigentlich geht, darf auch ab und zu was sagen, aber die Rollen, die den Film voranbringen, sind quasi alle männlich. Eine Ausnahme: Es gibt im Team der Schreibenden immerhin eine Frau, aber deren Bluse ist total zufällig immer bis zum dritten Knopf offen, und in einer Szene steht sie allen Ernstes in Strapsen in ihrem Büro vor dem Ganzkörperspiegel, um ihr Oberteil zu wechseln. Ist klar, ihr Spinner.
Die Trost-Bechdel: Nö. Auch hier wieder Drehbuch und Regie von Jungs.