Letzter Bayreuth-Eintrag vor der Autobahn
Vor den beiden Opern haben meine Mama und ich uns traditionell den Einführungsvortrag zur jeweiligen Aufführung gegeben. Ich war das letzte Mal vor über zehn Jahren in Bayreuth; damals saß Erich Rappl in irgendeiner Schulaula und erklärte anhand der Leitmotive das jeweilige Stück (eine Art Zusammenschnitt seiner Vorträge ist als Buch erhältlich und auch sehr empfehlenswert).
Inzwischen haben andere sein Erbe angetreten, darunter Stefan Mickisch, der sich Wagner über die Tonarten nähert und nebenbei eine Ecke unterhaltsamer, aber nicht weniger fundiert vorträgt als Rappl. So habe ich zum Beispiel gelernt, dass h-Moll die Tonart ist, in der sich die Wagner’schen Dämonen wohlfühlen (Klingsor aus Parsifal oder die Walküren und Alberich aus dem Ring) oder dass E-Dur die Tonart der Liebenden ist (natürlich Tristan und Isolde, aber auch Elsa und Lohengrin, Senta und der Holländer oder Brünnhilde und Wotan, kurz bevor er sie im Flammenmeer einschließt; das Motiv des Feuerfelsen ist übrigens als einzelner, kurzer Akkord im Liebestod der Isolde zu hören). Weiterhin fand ich interessant, dass der Speer im Parsifal durch eine gerade, aufsteigende Tonfolge symbolisiert wird, der Speer von Wotan im Ring aber durch eine gerade, absteigende. Die aufsteigende Folge bedeutet Erlösung und Verzeihen, die Tonfolge nach unten bekräftigt die Bedeutung des Bundes, den Wotan eingeht. Ebenso spannend: Im Schlussakkord des Tristan fehlt als einziges Instrument das Englisch Horn. Und zwar deshalb, weil es im Laufe der Oper stets das Instrument der Sehnsucht war. Die hat sich mit dem Tod der beiden Helden erfüllt, daher ist das Horn jetzt verstummt.
Und ein paar launige Anekdoten gab’s auch noch. So erzählte Mickisch über einen Tenor in Bayreuth, der während einer Probe eine Zeile im Parsifal geändert habe, um zu sehen, ob ihm irgendwer zuhört: Statt „Im Fluge treff ich, was fliegt“ (nachdem er den Schwan erschossen hatte) sang dieser Parsifal: „Im Flugzeug fress’ ich, was’s gibt“. Die Aufmerksamkeit der Mitspielenden war ihm angeblich sicher. Außerdem war Mickisch der Meinung, Robert Schumann habe nur deshalb keine anständige Oper komponieren können, weil er zu sehr Edelmann gewesen sei, um richtige Bösewichter zu erfinden. Und die Oper brauche schließlich Kontraste. Was das im Gegenzug über Wagners Charakter sagt, lasse ich mal unausgesprochen.
Wer auch mal in den Genuss der Vorträge kommen will, muss dafür nicht nach Bayreuth fahren; auf der oben verlinkten Website können die entsprechenden CDs bestellt werden. Ich finde es immer sehr spannend, ein bisschen Hintergrundwissen mitzubekommen. Das meinte auch Mickisch (sinngemäß): Natürlich erschließt sich die Musik sofort emotional, aber es schadet nicht, sich auch intellektuell mit ihr zu befassen.
Ich fürchte, CDs können Bayreuth nicht ersetzen, Madame.
KleinesF am 22. August 2005
Bayreuth: Als wir vor Jahren dort den Parsifal besuchten, sahen wir uns nach dem zweiten Aufzug in die Augen und transferierten die Ehrenkarten an zwei draußen noch unentwegt Wartende. Sie küssten uns darob fast die Füße. Und wir verzehrten statt des Karfreitagzaubers mit Genuß im Biergarten “Fränkische Schäufele”.
Den Parsifal habe ich zigfach auf längeren Autofahrten inhaliert. Eine Musik, die kaum der Illustration bedarf.
Noch länger zurück habe ich ihn einmal in Wien in der Staatsoper gesehen. Mit Kollo, Weikl, wer war die Kundry?, Horst Stein am Pult, die Inszenierung von Everding – alles gediegen.
Ein zweites Mal in Bayreuth – die Karten wieder eine Donation – mit den Meistersingern. Wolfgang Wagner trat vor den Vorhang und entschuldigte den stimmlich indisponierten Falk Struck. Eine sehr stimmige, träumerisch verzückende Aufführung: “Wahn, Wahn, überall Wahn”.
Damals haben wir durchgehalten, obwohl uns der Schweiß literweise den Steiß hinunterfloß.
Köln: Man muß nicht in Bayreuth gewesen sein, um von Wagner besoffen zu werden – es geht auch im hillijen Cölln.
Die Bestuhlung in B., Sie haben es schon erwähnt, eine Zumutung. Das Publikum in B., für mich zu viele feiste Nacken und zu viel schlaffes Fleisch; Innungsmeister mit ihren Gattinnen. Ab und zu ein dralles, ansehnliches Hürchen dazwischen, Augenweide für einen älteren Herrn.
Orchester und Inszenierung in B.: Es gibt hier doch Vergleichbares. In Köln, Bonn und Düsseldorf sicherlich schon fünf, sechs Mal den Ring gehört, dazu einmal konzertant in der Philharmonie.
Grandios (mit drei Ausrufezeichen) die Inszenierung von Carsen und Kinmonth. ÜBERWÄLTIGEND das Dirigat von Jeffrey Tate. Für mich nicht nachvollziehbar, wieso er als Wagner-Dirigent nicht bekannter ist. Und wenn ich die Besetzungsliste betrachte, dann finde ich hier die Namen, die sommers in B. gastieren.
Nina Stemme als Sieglinde. Sie war in der Walküre stimmlich unüberbietbar und darstellerisch von vollkommener Schlüssigkeit. Der Ring hier in Köln, Frau Gröner, ist ein Erlebnis, welches ich mit keiner Bayreuther Aufführung der letzten Jahre eintauschen möchte (vielleicht den Tristan mit Heiner Müller ausgenommen).
Kommen Sie in die Kölner Oper (www.buehnenkoeln.de), Sie können bei uns übernachten (Kölner Westen, gemäßigte Parklage).
Heinrich am 22. August 2005