The King’s Speech
@ The Weinstein Company
The King’s Speech (UK/Australien/USA 2010, 118 min)
Darsteller: Colin Firth, Geoffrey Rush, Helena Bonham Carter, Guy Pearce, Derek Jacobi, Michael Gambon, Jennifer Ehle, Timothy Spall, Anthony Andrews, Freya Wilson, Ramona Marquez
Musik: Alexandre Desplat
Kamera: Danny Cohen
Drehbuch: David Seidler
Regie: Tom Hooper
Es gibt Filme, die sich erst zehn, zwanzig Minuten an mich ranmachen müssen, damit ich sie mag. Es gibt solche, die mich zuballern mit Eindrücken, um mich zu gewinnen. Es gibt solche, die sich erst nach dem Sehen in mein Herz schleichen. Und es gibt solche, die mich nach 30 Sekunden haben. The King’s Speech ist einer dieser Filme.
Er beginnt in einer Sprecherkabine der BBC. Wir sehen ein Mikrofon und einen Angestellten, der ein Tablett hält. Darauf stehen ein Glas Wasser, ein Krug und ein Sprühflakon. Ein Sprecher nimmt das Glas, gurgelt mit dem Wasser und spuckt es in den Krug. Dann benetzt er sich den Mund mit dem Flakon, setzt sich ans Mikrofon und macht Stimmübungen. P-p-p, t-t-t, k-k-k. Und dann kündigt er mit wohlmodulierter Stimme, in geschliffenem British English und mit minutiösem Timing eine Rede des Herzogs von York an. Ich hätte dem Mann noch stundenlang zuhören können. Durfte ich aber leider nicht, denn dann kommt eben dieser Herzog (Colin Firth) ins Bild, der die Abschlussrede der British Empire Exhibition 1925 halten soll. Muss. Man merkt ihm an, dass er das öffentliche Sprechen am liebsten völlig vermeiden will. Er muss förmlich ans Mikrofon gedrängt werden – und sobald er anfängt zu sprechen, wissen wir warum. Er stottert nicht nur, er bringt fast kein Wort heraus, und wenn er eins herausbringt, dauert es scheinbar unendlich lange, bis das nächste kommt. Gerade im Kontrast mit dem wundervollen Sprecher eine Minute vorher wird das ganze Ausmaß dieser persönlichen Qual sehr deutlich.
The King’s Speech erzählt, wie die Frau des Herzogs (Helena Bonham Carter) einen Sprachtherapeuten (Geoffrey Rush) findet, der ihm helfen soll, sein Stottern zu überwinden. Ein großer Teil des Films zeigt die Methoden von Therapeut Lionel, der sich weigert, den Herzog mit seinem Titel anzureden und ihn stattdessen „Bertie“ nennt, um eine familiäre, freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen. Gleichzeitig lässt der den Herzog singen, umherhüpfen, fluchen, und er fragt ihn persönliche Dinge – was eine Hoheit so gar nicht gewohnt ist. Gerade bei den Gesprächen zwischen den Männern nimmt sich der Film schön viel Zeit, tischt uns zwar auch ein bisschen Küchenpsychologie auf, aber man hat nie das Gefühl, dass hier ein simples Motiv gesucht wird, damit wir ein simples Ende kriegen und beim großen Finale die Taschentücher vollheulen. Stattdessen verläuft die Beziehung zwischen Bertie und Lionel in Wellen: Mal glaubt der Herzog an seine Heilung, dann wieder nicht, dann nimmt sich Lionel ein bisschen zu viel heraus, und beide müssen sich anstrengen, um die Freundschaft wieder zu kitten. Auch hier ein bisschen Drehbuch nach Plan, Hindernis, Ãœberwindung, neues Hindernis, neue Ãœberwindung, aber trotzdem schafft es der Film, immer noch eine weitere Ebene aufzumachen, ehe er in einen Zwei-Männer-und-ein-Problem-Film abgleitet.
Was The King’s Speech für mich so sehenswert gemacht hat, war seine Erdung. Die beiden Jungs bemühen sich nicht im luftleeren Raum darum, dass der eine endlich ein gutes Timing bei seinen Witzen hinkriegt. Nein, um sie herum ändert sich gerade eine ganze Welt. Berties Vater, George V, stirbt. Sein Bruder, Edward VIII, der ihm auf den Thron folgt, dankt nach wenigen Monaten als König ab, um seine Liebe, die bürgerliche und mehrfach geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten. Der englische Premierminister Baldwin erklärt seinen Rücktritt, weil er Hitler unterschätzt habe. Und der Mann, der nun unwillig König George VI wird und der das britische Volk auf die schweren Zeiten vorbereiten soll, die zweifellos kommen werden, bekommt bei öffentlichen Auftritten immer noch kaum einen Ton heraus. Wieviel an Georges Reden hängen wird, wird bei einer Wochenschauaufnahme sehr deutlich, die sich der König mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern anschaut: Hitler spricht beim Nürnberger Reichsparteitag, und eine unfassbare Masse an Menschen jubelt ihm zu. Die kleine Elizabeth fragt: “What’s he saying?”, worauf George wissend antwortet: “I don’t know. But he seems to be saying it rather well.”
Ich mochte an dem Film sein Tempo, seine Schauspieler und Schauspielerinnen und vor allem seine Ausstattung und Kameraperspektiven. Die Farbigkeit ist matt und neblig, man sieht kaum satte, kräftige Farben. Alles scheint auf etwas zu warten, was drohend über allem hängt. Unser Blickwinkel ist meist involviert: Mal sehen wir den Protagonisten oder Protagonistinnen direkt in die Augen, dann sitzen sie leicht versetzt von uns vor der Kamera, so dass wir quasi den Platz des Gegenübers einnehmen und das Bild im Film ergänzen, das eben nicht gewohnt zentriert vor uns auf der Leinwand steht. Vielleicht war es auch das Thema Sprache, das Ringen um Worte, die Suche nach dem perfekten Ausdruck für eine Situation, das mir so gefallen hat. Ich fand die Dialoge durch die Bank weg brillant, kein Wort zu viel, keins zu wenig, Humor, wenn’s passte, Drama sowieso, aber immer ausgewogen und stimmig. Gut moduliert eben.
Was mich ein bisschen gestört hat, war der sehr berechnende Einsatz von Musik: Dass gerade ein dramatischer Filmmoment stattfindet, muss ich nicht immer mit Beethoven untermalt bekommen. Aber das ist das einzige, was ich zu beklagen habe. Der Rest des Films hatte mich, wie gesagt, nach 30 Sekunden in der Tasche, und er hat mich bis zum Schluss nicht wieder hergegeben.
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Der Bechdel-Test:
1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.
Die beiden Ehefrauen von Lionel und Bertie haben zwar ein bisschen was zu sagen, aber zueinander recht wenig. Die beiden kleinen Töchter lasse ich nicht gelten.
Bechdel-Test bestanden: leider nein.