Ich und ich
Nach Jahren des Körperhasses und Sich-selbst-scheiße-findens, weil man dick ist, habe ich mich gefragt, wie ich auf die Fotos von der re-publica reagieren würde. Ich habe mich jahrelang vor möglichst allen öffentlichen Auftritten gedrückt, weil ich nicht so präsent sein wollte und keine Angriffsfläche bieten wollte, von der ich ja genug habe. Dieses Mal hat mein Bauch zur Anfrage von Don, ob ich mit auf die Bühne wolle, aber spontan ja gesagt und sich darauf gefreut.
Ich bin im Moment ziemlich urlaubsreif – das Buch hat mich mehr gestresst als ich dachte, im Job zähle ich die Tage, bis endlich der Mai da ist und damit drei wundervolle Wochen Nichtstun. Ich hatte es wirklich unterschätzt, wie sehr es zehrt, sich jeden Tag mit Diäten, Dicksein, Anorexia, Anforderungen an die weibliche Optik, Zwängen, Körperhass und Fetthysterie auseinanderzusetzen – und damit nicht genug, auch gleichzeitig brav weiter als Werbetexterin zu funktionieren, obwohl mein Kopf doch gerade über andere Dinge nachdenkt. Erst als ich den ersten Manuskriptentwurf fertig hatte, habe ich gemerkt, wie anstrengend die letzten Monate waren. Und anstatt JETZT ein paar Wochen auszusetzen, quillt mein Schreibtisch gerade über (und ich bin eben bis Ende April gebucht), und das Manuskript will feingeschliffen werden, und die re-publica wartet.
Ich hatte mich seit der re-publica 10 auf die 11 gefreut, aber jetzt gerade wollte ich nur drei Tage im gemieteten Appartement rumliegen und schlafen. Das habe ich auch fast so gemacht; bis auf wenige Panels und vorher getroffene Verabredungen ist die Veranstaltung diesmal fast komplett an mir vorbeigegangen. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr.
Auf unser Panel habe ich mich trotzdem gefreut, hatte aber, wie gesagt, im Hinterkopf, dass das die erste Belastungsprobe für meine gelebte Fat Acceptance werden würde. Ich selbst glaube mir inzwischen, dass ich okay bin – aber wenn jemand anders von außen auf mich draufguckt und mich fotografiert, glaube ich mir dann immer noch? Falle ich wieder in alte Muster zurück, wo ich mich für jedes Snickers beschimpfe, das ich in meinem Leben gegessen habe? Finde ich mich auf einmal wieder eklig?
Die ersten Blogberichte sind da, die ersten Fotos stehen auf Facebook und Flickr. Ich suche nicht gezielt nach mir, aber manchmal stolpere ich über mich. Und dann gucke ich, wie ich aussehe. Und ich habe schon beim ersten Bild festgestellt, wie sehr sich meine Selbstwahrnehmung verändert hat. Bisher waren Fotos für mich fürchterlich: Da wird eben jedes Kilo, das mich ausmacht, festgehalten. Ich kann mich nicht verstecken. Und deswegen war Fotos anzuschauen eben doof: So sehe ich aus? Das ist ja eklig. Das ist ja nicht mal in der Nähe von Gisele oder Kate, das ist ein anderer Kontinent.
Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich mich diesmal anders sehe. Seit ich mein Spiegelbild nicht mehr schlimm finde, weil ich mich nicht mehr schlimm finde, scheine ich mich auch mit Fotos angefreundet zu haben. Ja, ich bin dick. Nein, Moment: Ich bin fett. Ohne zu wissen, was die Herren neben mir auf die Waage bringen, würde ich schätzen, ich bin die schwerste Person da oben auf der Bühne. Aber das war in der Stunde des Panels völlig egal, und es ist auch jetzt beim Betrachten der Fotos egal. Ich sehe nicht mehr den riesigen, disziplinlosen Körper, der da irgendwie an mir dranhängt. Ich sehe stattdessen eine souveräne Bloggerin, die gut gelaunt mit ihren Mitstreitern plaudert. Wie ich aussehe, ist völlig egal. Was ich kann, zählt viel, viel mehr.
Ich mag mich auf den re-publica-Fotos. Wieder so ein Satz, den ich mir selber vor gut einem Jahr noch nicht gelaubt hätte. Um mal ein Thema aufzugreifen, über das wir auf dem Panel leider nicht gesprochen haben: Für mich waren und sind und bleiben Blogs eine unfassbar inspirierende Quelle von Lebensentwürfen und Persönlichkeiten. Keine Reportage oder Dokumentation ist jemals so nah dran an Menschen und ihren Geschichten wie Blogs. Als ich das erste Mal ein Fat-Acceptance-Weblog gelesen habe, konnte ich kaum glauben, was da stand. Da waren dicke und fette Menschen, die sich einfach hinstellen und sagen: Du bist kein schlechter Mensch, weil du mehr wiegst als der Durchschnitt. Du bist genauso wertvoll und klasse und großartig wie alle anderen. Du musst dich für nichts entschuldigen und du hast das Recht, dich selbst zu mögen. Das klang alles so anders als das, was ich mir (und jeder dicke Mensch sich) seit Jahren anhören muss, das konnte ich anfangs kaum glauben. Ich habe jahrelang gebraucht, bis ich von der theoretischen Möglichkeit, mich zu mögen, wirklich dabei angekommen war (wir erinnern uns). Trotzdem habe ich weiterhin versucht, offiziellen Auftritten aus dem Weg zu gehen, und selbst als die Anfrage von Verlag kam, ob ich ein Buch über dieses verdammte Thema schreiben will, war meine erste Reaktion: nee. Dann muss ich womöglich Pressetermine wahrnehmen oder Lesungen, und da sehen mich Leute, so wie ich bin. So fett eben. Bis der Kopf den Bauch wieder eingeholt und ihm ein bisschen Schokolade gegeben und ihm gesagt hat: Das ist schon okay. Sag mal ja, und dann gucken wir weiter.
Jetzt ist das Buch so gut wie fertig, und ich glaube, dass ich das ganz gut hingekriegt habe. (Lasst die Amazon-Rezensent_innen von der Kette!) Ich habe das Panel hinter mir, und ich glaube, dass ich auch das gut hingekriegt habe. Und ich bin eben auf einigen Fotos drauf, die ich mir anschaue, wie ich mir alle anderen Fotos dieser Welt auch anschauen kann: interessiert, wohlwollend, nickend. Ich bin ich. Darüber muss ich nicht mehr nachdenken, ich muss meinen Körper nicht zur Diskussion stellen, und ich muss mich nicht mehr eklig finden. Ich bin ich. Und so sehe ich aus.