Bücher Juni 2011
Zsuzsa Bánk – Die hellen Tage
Das vierte Buch meines Experiments „Auf Tipps von Buchhändlerinnen hören“. Zwei Bücher waren Volltreffer, eins so halb – und das hier eins der wenigen Bücher, das ich nach dem Weglegen doch noch durchgelesen habe.
Eine zunächst namenlose Ich-Erzählerin berichtet von ihrer Freundin Aja und deren Mutter Évi, die am Rand der Kleinstadt Kirchblüt wohnen. Ajas Vater kommt nur alle paar Monate vorbei, um das schiefe Häuschen auszubessern und Zirkuskunststücke vorzuführen. Dritter im kindlichen Bund ist Karl, dessen Bruder eines Tages verschwindet, worauf sich die Beziehung der Eltern zueinander und zu Karl ändert. Und auch die Erzählerin schleppt eine Vergangenheit mit sich herum, die sich erst allmählich zeigt.
Heißt also: ne Menge weiblicher Hauptfiguren, deren Geschichte im Fokus steht und die nicht heißt „Wie finde ich den Kerl fürs Leben“. Das Buch begleitet die drei Kinder und ihre Eltern ungefähr 20 Jahre, wovon ein paar sich in – das ist wirklich purer Zufall! – Rom abspielen.
Klingt toll, hätte genau meins sein müssen – war aber unfassbar anstrengend. Der Stil ist so puppig und ethnokitschig, dass ich das Ding nach 200 Seiten weglegen musste, so sehr vermisste ich ein paar Sätze ohne Adjektive. Dauernd wird Kuchen gebacken, es duftet überall, alles ist kuscheligbunt, Hängematten, Bänder in den Bäumen, knisterndes Packpapier – ich mag sowas ja eigentlich, aber auf die Dauer wurde mir schlecht davon. Aber: Nach einer Pause ging’s wieder. Trotzdem keine Empfehlung – das war mir einfach zu „hübsch“ verfasst. (Wenn ich schlecht gelaunt wäre, würde ich sagen: kalkuliert auf die weibliche Kundschaft im mittleren Alter hingetextet. Not that there’s anything wrong with that.)
(Leseprobe bei Fischer)
Hanns-Josef Ortheil – Rom. Eine Ekstase. Oasen für die Sinne
Schon gut, schon gut, ja, ein Buch über Rom, SCHON GUT. Auch wenn ich es bei dem ekligen Titel kaum ins Bestellkörbchen klicken wollte. Gut, dass ich es trotzdem gemacht habe, denn Ekstase war quasi eine Urlaubsverlängerung. Ortheil hat viele Jahre in Rom gelebt, nimmt einen als Leser_in jetzt an die Hand und bummelt mit einem durch seine Stadt. Er zeigt mir seine Lieblingslokale, Buchhandlungen, Gemäldesammlungen und Brunnen, und tollerweise kannte ich sogar ein paar der Stellen und Straßen und Geschichten. Außerdem berichtet er von Goethe, der als Filippo Miller in Italien lustwandelte und guckt sich an, wo der Herr Geheimrat so langgeschlendert ist (und hat damit dafür gesorgt, dass ich mir Goethes „Italienische Reise“ gekauft habe). Für mich jetzt gerade perfekt. Und für später stehen im Buch noch bergeweise leckere, angeblich total echte römische Rezepte drin.
(Leseprobe bei amazon.de)
Christoph Thoenes – Raffael
Relativ schmales Buch, aber gute Druckqualität und okayes Format, was beim Abdruck von Gemälden ja nicht ganz unwichtig ist. Das Buch konzentriert sich auf das bildnerische Werk und vergisst mal Zeichnungen bzw. das architektonische Schaffen Raffaels, aber es bot mir einen guten ersten Überblick – und die Information, dass in München drei Raffaels hängen, die ich mir anschauen konnte. Was ich dann ja auch gemacht habe.
(Blick ins Buch bei Taschen)
Irving Stone – The Agony and the Ecstasy. A Biographical Novel of Michelangelo
Wurde mir empfohlen, als ich von Michelangelo auf Twitter rumgeschwärmt hatte, und ich höre ja auf alles, was mir meine Timeline ans Herz legt. Agony ist keine „richtige“ Biografie, sondern ein biografischer Roman, und das ist auch genau der Grund, warum mir das Buch nicht ganz so gut gefallen hat. Ich wusste nie so genau, was jetzt überliefert und gesichert ist und was pure Fantasie bzw. ausgeschmückte Situationen. Über die Dialoge muss man auch nicht reden – das Buch wurde in den 60er Jahren geschrieben, und sie klingen manchmal ein bisschen sehr staubig. Trotzdem habe ich was mitgenommen, nämlich dass Marmorstatuen zu schnitzen anscheinend echt richtig lang dauert. Und: Ich habe mir unbewusst ein paar Namen und Daten gemerkt, mit denen ich erst was anfangen konnte, als ich durch die Alte Pinakothek wandelte. Denn dort erzählt der Audioguide etwas über die Situation in Florenz, in der zum Beispiel Botticelli seinen Stil änderte bzw. sogar seine eigenen Bilder verbrannte, oder über den Lehrmeister Michelangelos, Domenico Ghirlandaio, von dem dort auch ein Bild hängt – das sehr, sehr anders aussieht als das, was ich von Michel kenne. Also immerhin lehrreich.
(Leseprobe bei amazon.de)
Johanna Adorján – Eine exklusive Liebe
Adorjáns Name ist einer der wenigen Namen von Journalist_innen, den ich mir gemerkt habe. Sie ist mir vor Ewigkeiten in der FAS aufgefallen, und alles, was ich an ihrem Stil dort schon gemocht habe, bekommt hier die große Bühne. Worum es in dem Buch geht, verrät gleich der erste Satz: „Am 13. Oktober 1991 brachten meine Großeltern sich um.“ Das Buch beschreibt mithilfe von Zeug_innen das Leben von Adorjáns Großeltern, wie sie sich kennenlernten, wie sie den Holocaust überstanden, wir ihr Leben in Ungarn war und dann in Dänemark, wie die Familie und Freunde sie wahrnahmen und wie der gemeinsame Gang in den Tod das einzig richtige Ende für die beiden war. Ein zärtliches, schonungsloses, wunderschönes, entsetzlich trauriges Buch. (Nie, nie, nie im Bus lesen. Vor allem nicht die letzten Seiten.)
(Leseprobe bei amazon.de)
Wolfgang Büscher – Hartland
Ich weiß nicht, was genau ich erwartet hatte bei der Grundidee „Ich gehe zu Fuß von Nord nach Süd durch die USA“, aber ich glaube: ein bisschen mehr als das, was jetzt im Buch steht. Ich mochte den Stil, ich fand es schön, einfach einem „train of thought“ zu folgen, aber ich hätte gerne etwas mehr Tiefe gehabt, mehr Historie, mehr Information. Vielleicht lag es daran, dass ich schon so ungefähr wusste, was bei Wounded Knee abgegangen ist oder wie die Besiedlung des Westens lief, vielleicht lag es daran, dass Amerika und das Gefühl, was es auslöst, mir so bekannt sind. So war es ein langes Tagebuch, das sich wirklich gut lesen lies, von dem aber keine einzige Story oder Begegnung hängengeblieben ist. (Andererseits lese ich gerade Goethes „Italienische Reise“, und die klingt sehr ähnlich. Vielleicht muss das ja so.)
(Leseprobe bei Rowohlt)
Jasper Fforde – Lost in a Good Book
Zweites Buch in der charmant-durchgedrehten Reihe um Thursday Next, die bei LiteraTec unter anderem dafür sorgt, dass die Figuren von Shakespeare nicht in ein anderes Drama ziehen, wenn ihnen ihr eigenes langweilig geworden ist. Dieses Mal muss sie sich vor allem mit der Goliath Corporation auseinandersetzen, die so ziemlich das ganze Land im Griff hat, aber seine eigenen Leute nicht unbedingt unter Kontrolle. So konnte Thursday im letzten Band sich eines Blödmanns dadurch entledigen, dass sie ihn in Poes „Raven“ einsperrte, was der Mann nicht allzu lustig fand und seine Vorgesetzten auch nicht. Außerdem passieren sehr unangenehme Dinge mit Thursdays frischgebackenem Ehemann und ihrem zeitreisenden Papa. Und dann steht sie auch noch vor Gericht und zwar ausgerechnet vor dem aus Kafkas „Prozess“. Also alles mal wieder sehr wirr – und unglaublich unterhaltsam. Und man will wieder einen Klassiker aus dem Schrank ziehen und lesen, dieses Mal nicht „Jane Eyre“, sondern „Great Expectations“. (Erstmal Goethe.)
(Leseprobe bei amazon.de)
Neil Gaiman (und 1000 Zeichner) – Sandman Vol. 3: Dream Country
Der dritte Band aus der Sandman-Reihe erzählt die Geschichte nicht weiter, sondern lässt den Herrn der Träume einfach mal in einer paar anderen Storys auftauchen. Hat mir gut gefallen.
(Leseprobe bei amazon.de)
James Sturm/Guy Davis – Fantastic Four Legends: Unstable Molucules
Schönes Ding. Wir gehen mal davon aus, dass die Fantastischen Vier auf realen Persönlichkeiten beruhen und erzählen deren Biografie bzw. einen kurzen Ausschnitt davon. So hadert Susan (Invisible Woman) damit, eine Hausfrau in den 50er Jahren zu sein; ihr kleiner Bruder Johnny (The Human Torch) würde sich gerne einer Gruppe Beatniks anschließen anstatt in einer Kleinstadt zu versauern, und Ben Grimm (The Thing) vergisst kurz seine Freundschaft zu Dr. Reed Richards (Mister Fantastic), als er sich Susan nähert. Das Buch ignoriert einfach den ganzen Superheldenkram und erzählt uns was von „normalen“ Menschen. Mag ich ja immer.
Jeph Loeb/Tim Sale – Superman for All Seasons
Noch ein schönes Ding. Jeph Loeb (von dessen Partner und ihm ich schon ei/niges gelesen habe) ersann mit dieser Story die Blaupause für die Serie Smallville, an der er auch mitgearbeitet hat. Hier bekommen wir eine klassische Coming-of-Age-Story vorgesetzt und erleben Clark Kent beim Erwachsenwerden, beim Auszug von zuhause, bei den ersten Auftritten als Superheld und bei seiner kurzen Rückkehr ins alte Leben. Melancholisch und mit vielen schönen Panels, die diesen Namen gar nicht verdient haben, weil sie stattdessen eine Doppelseite sind.
(Leseprobe bei amazon.de)