The Social Network
© Columbia Pictures
The Social Network (USA 2010, 120 min)
Darsteller: Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake, Armie Hammer, Denise Grayson, John Getz, Rashida Jones, Rooney Mara, Max Minghella, Brenda Song
Musik: Trent Reznor, Atticus Ross
Kamera: Jeff Cronenweth
Drehbuch: Aaron Sorkin nach dem Buch „The Accidental Billionaires“ von Ben Mezrich
Regie: David Fincher
Wenn man sich die Story von The Social Network durchliest, könnte man meinen, dass das ein zweistündiges Schnarchfest wird: Wie entstand Facebook? Aber wenn man dann liest, dass David „Hier bitte Ihren liebsten Fincher-Film einsetzen“ Fincher Regie führt, Aaron „The West Wing/Drehbuchgott“ Sorkin das Skript schreibt und ein Menge talentiertes Jungvolk mitspielt, hört sich das schon besser an. Aber das Tolle ist: Der Film ist noch besser als ich es erwartet hatte. Weil er eben nicht nur erzählt, wie Facebook entstand. Sondern weil er viel verrät über das amerikanische Collegewesen, über die immer noch vorhandenen Standesdünkel, die sich gerade im Internetzeitalter so fies veraltet anfühlen, über Jungscliquen und Dekomädels und über das, was wahrscheinlich jede_n von uns antreibt: die Suche, nach jemandem, der oder die dich mag. Am liebsten im realen Leben und nicht per Like-Button.
Der Film beginnt mit einem Date, das sich schon nach zwei Sätzen anfühlt wie das letzte zwischen Erica und Mark. Dem Mark. Dem Zuckerberg, um den sich der Film dreht. Er quatscht in einer Tour (und in einem unerträglich arroganten Tonfall) davon, dass er gerne in einen der exklusiven Harvard-Clubs aufgenommen werden möchte, während sie sich gerade fragt, ob in Marks Schädel noch für etwas anderes Platz ist als „Ich zeig euch allen, dass ich ein Jemand bin“. Anscheinend nicht, Erica macht Schluss, und Mark macht, was man heutzutage (oder auch 2003) eben macht und machte, wenn einem was auf dem Seelchen drückt: Er bloggt darüber. Nennt Erica eine bitch, plaudert über ihre BH-Größe und vergleicht Frauen mit Tieren auf einem Bauernhof. Dann macht er sich das dritte Bier auf und programmiert mit Hilfe vom besten Kumpel Eduardo mal eben eine gar lustige Seite, auf der Kerle über die Attraktivität von Frauen urteilen können – genauer gesagt, zieht er sich dafür von diversen Harvard-Wohnheimen die Bilder der Mädels vom Server. Die Seite zieht in zwei Stunden 22.000 Besucher an und crasht die Harvard-Rechner. Woraufhin Mark Ärger kriegt und gleichzeitig das Interesse von drei weiteren Kerlen weckt, die ihm vorschlagen, eine Art soziales Netzwerk für Harvard für sie zu programmieren.
Der Rest des Film beschäftigt sich damit, dass die drei Zuckerberg (Jesse Eisenberg) verklagen, weil er ihre Idee gestohlen hat. Gleichzeitig sitzt er noch seinem inzwischen ehemals besten Kumpel Eduardo (Andrew Garfield) in einer weiteren Anwaltskanzlei gegenüber, der auch eine Menge Geld von ihm haben möchte, weil Zuckerberg ihn aus Facebook rausgemauschelt hat. Und das ist im Prinzip der ganze Film. Aber. The Social Network fühlt sich nicht an wie ein Film oder eine gute Dramatisierung einer wahren Geschichte, sondern wie eine verdammt gut gelungene Momentaufnahme. Wo Zuckerberg am Anfang in Hoodies und Badelatschen rumläuft und macht, was er will, sitzt er zum Schluss in Krawatte und weißem Hemd neben einer Horde von Anwält_innen. Und sein Hemd ist genau den Tick zu groß, um klarzumachen, dass in ihm immer noch der Student steckt und nicht der jüngste Milliardär des Planeten.
Die wilde Selbstüberschätzung der New-Economy-Blase war gerade verheilt, als 2004 die nächste Welle von Internetcowboys anrollte. Die Büroräume sind bunt, die Drinks auch, und geschlafen wird, wenn man tot ist. Auf Zuckerbergs Visitenkarte steht irgendwann „I’m CEO, bitch“, aber momentan ist er noch davon beeindruckt, dass Sean „Napster“ Parker (Justin Timberlake) ein Victoria’s-Secret-Model am Arm hat. Jesse Eisenberg hat fast den gesamten Film über einen einzigen Gesichtsausdruck: Konzentration auf das Wesentliche, nämlich coden, noch mehr coden und gucken, was noch aus dem Code rauszuholen ist – um dann irgendwann überrascht zu merken, dass um ihn herum noch andere Dinge passieren. Es ist ihm völlig egal, ob seine Projekte Geld einbringen – Hauptsache, sie sind cool, und er kann machen, was er will, weil er nämlich keine weißen Hemden tragen will und in Meetings rumsitzen. Die einzigen Male, in denen sich sein Ausdruck ändert, sind zwei, die mit sehr elementaren Gefühlen zu tun haben: der leicht verständnislose, aber verdammt glückliche Ausdruck nach einer kleinen Session mit einem weiblichen Fan. Und der Augenblick, in dem ihm klar wird, dass er zwar die coolste Site auf dem Planeten besitzt, aber keine einzige Seele, die sich mit ihm darüber freut.
Das hört sich jetzt doch wieder nach der üblichen Hollywood-Moralpredigt an, aber The Social Network schafft es, die Botschaft ziemlich zu verstecken. Man hat auch gar keine Zeit dazu, groß über Metaphern zu grübeln, weil der Film ein unglaubliches Tempo hat. Wie gesagt, ein Großteil spielt sich in Anwaltskanzleien ab, aber die Schnitte vom Verhandlungstisch nach Harvard, nach England, nach San Franciso oder New York sind so gut getimt, dass man kaum hinterherkommt. Der rasante Aufstieg einer Website im Internetzeitalter, der gnadenlos alles und alle mitnimmt, visualiert auf Zelluloid: so geht’s. So und nicht anders.
Ich sprach schon Aaron Sorkin an, den ich dafür bewundere, dass so gut wie jeder seiner Sätze in Stein gemeißelt werden könnte. Seine Worte sind so auf den Punkt und treffen so in die Knochen, dass sie dem Film eine weitere Schärfe verleihen, wo er bei einem mittelprächtigen Buch eben „nur“ eine Dramatisierung einer wahren Geschichte geworden wäre. So aber hat jeder Satz eine Bedeutung, und in jedem schwingt meistens noch etwas mit. Das wird manchmal verbalisiert – wenn Erica zu Recht darüber erbost ist, dass Zuckerberg ihr sagt, er nehme sie überall mit hin, wo sie sonst nicht hinkäme oder wenn Zuckerberg Eduardo hinterherruft, dass dessen Aufnahme in einen Club wahrscheinlich etwas mit seiner jüdischen Herkunft zu tun haben wird –, meistens bleiben die Sätze aber einfach so in der Luft stehen, wo sie so viel Kraft haben, dass sie ein Loch hinterlassen. Was den Job Eisenbergs nochmal so gut macht: seine Fähigkeit, den messerscharfen Verstand Zuckerbergs so facettenreich darzustellen. Er bekommt jedes Detail mit, kann betrunken programmieren, wirft seinen Professoren im Hinausgehen die richtige Lösung für eine Aufgabe an den Kopf, hat aber gleichzeitig überhaupt kein Gespür für zwischenmenschliche Töne. Dass etwas danebengegangen ist, merkt er erst, wenn man es ihm sagt – und dann hat er immerhin noch eine passende (und wie immer brillant formulierte) Erwiderung parat.
Noch ein Wort zur Musik, die mir meist nur auffällt, wenn sie richtig gut oder richtig doof ist: Hier ist sie richtig gut. Die perfekte Mischung aus „alten“ Instrumenten und neuen Tönen, perfekt für einen Film, in dem der „alte“ Wunsch, über das Leben seiner Freunde informiert zu sein, auf ein neues Medium trifft. Und trotz seines modernen Themas nutzt der Score eine uralte Technik, nämlich die des Leitmotivs. Der Film zeigt drei Situationen, die die Story entscheiden beeinflussen, und alle werden eingeleitet oder begleitet von immer der gleichen Tonfolge auf dem Klavier, unter der ein tiefer, unheilvoller Synthesizer brodelt. So simpel und so effektvoll beginnt der Film (die Minuten vor dem Blogeintrag und der besoffenen Programmiersession), hat einen ersten Höhepunkt (das Eingeständnis, bei der Idee vielleicht doch einen Hauch von den drei Klägern beeinflusst worden zu sein, was Zuckerberg einige Millionen Dollar kosten wird) und so endet er (Zuckerberg nachts im leeren, bunten Facebook-Büro).
Der Film fängt mit Erica an, und er hört so fantastisch passend mit ihr auf. Einer der wenigen Momente, in denen der Film mal eine Pause macht und man selbst darüber nachdenken kann, huch, was passiert hier eigentlich gerade? Aber da ist der Moment schon wieder vorbei, genau wie der Film. Und ich konnte endlich mal Luft holen.
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Bechdel-Test bestanden?
1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.
Es spielen ein paar Groupies, Freundinnen, Anwältinnen und Praktikantinnen mit, aber sämtliche Hauptrollen sind von Männern besetzt. Und die Damen sagen zueinander höchstens sowas wie „Lass uns zusammen aufs Klo gehen“ oder „Zieht ne Linie auf mir – soll ich den BH ausziehen?“ Außerdem sind sie gern gesehene Partygäste, aber beim Programmieren haben sie nichts verloren. Das kann ich zwar dem Film nicht vorwerfen, aber dafür extra fett der heutigen Gesellschaft.
Bechdel-Test bestanden? Pffft.