Cars (USA 2006, 116 Minuten)
Originalstimmen: Owen Wilson, Paul Newman, Bonnie Hunt, Cheech Marin, Tony Shalhoub, Michael Keaton, Richard Petty, Katherine Helmond, Jeremy Piven
Musik: Randy Newman
Drehbuch: Dan Fogelman, John Lasseter, Joe Ranft, Kiel Murray, Phil Lorin, Jorgen Klubien
Regie: John Lasseter
Cars erzählt eine sehr altmodische Geschichte: Ein hochnäsiger Großkotz wird aus seiner üblichen Umgebung gerissen, muss sich an einem ihm fremden und unangenehmen Ort zurechtfinden, entdeckt, dass er selber ein Blödmann ist und der unbekannte Ort gar nicht so schlecht, kehrt in seine Welt zurück, wird jemand anderes, besseres, alles wird gut, der Zuschauer hat ein wohlig-warmes Bäuchlein beim Abspann, und Anke wischt sich mal wieder ein gerührtes Tränchen von der Backe. Pixar eben. Cars hat mich in keiner Sekunde überrascht, als es um das Grundgerüst der Story ging. Aber als es um die kleinen, liebevollen Details ging, die eine unterschwellige, andere Story erzählen, hat Cars mich in jeder Sekunde im Griff gehabt.
Dieser Jemand, der aus seiner Umgebung gerissen wird, ist in Cars ein – na? Auto. Ein Rennwagen, um genau zu sein. Owen Wilson spricht den schnöselig-arroganten Lightning McQueen, der als erster Rookie den Piston Cup gewinnen will. Außerdem will er einen neuen Sponsor, noch mehr Groupies und am besten alles sofort. Natürlich kommt es anders: Auf dem Weg nach Kalifornien strandet Lightning in Radiator Springs, einem halb verlassenen Kaff an der Route 66.
Die ersten zehn Minuten des Films sind wahnwitzig rasant – man sieht das Autorennen, das nicht ganz nach Lightnings Geschmack endet, weswegen ein neues Rennen in Kalifornien anberaumt wird. Aber trotz der Geschwindigkeit und des lauten Soundtracks musste ich mich erstmal an den Gedanken gewöhnen, Autos zuzugucken, die Augen haben, deren Stoßstangen Münder formen – und die ein Rennen austragen, das von anderen Autos als Zuschauer betrachtet wird. Ich hab’s mir logisch so zurechtgelegt, dass es quasi ein Lauf ist, der da stattfindet, denn die Autos können ja keine Autos fahren. Es hat ein bisschen genervt, dass man überhaupt über sowas nachdenken musste, obwohl ich in anderen Trickfilmen anstandslos hingenommen habe, dass Insekten, Meeresbewohner oder Spielzeuge ein Eigenleben führen und sprechen können. Trotzdem war es ungewohnt, Autos zu sehen, die sich aufführen wie Menschen, inklusive Rennreporter, Fans und Mechaniker. Autos, die Autos reparieren. (Ich fang schon wieder an, darüber nachzudenken.)
Wenn man den Kopf also ignoriert und sich daran gewöhnt hat, Autos zuzusehen, kann man endlich anfangen, den Film zu genießen. Eigentlich beginnt er erst, sobald Lightning in Radiator Springs ankommt. Dann nämlich entfaltet Cars seinen eigenen Charme, dem ich völlig erlegen war, der aber Leuten, die Amerika und alles, was dafür steht, doof finden, wahrscheinlich richtig auf den Zeiger geht.
Cars ist ein Roadmovie im besten Sinne. Denn es geht nicht nur um Autos, sondern: um eine Straße. Lightning reißt aus Versehen die Main Street des kleinen Örtchens auf und wird von Doc (Paul Newman, ja, der Paul Newman) dazu verdonnert, sie wieder instand zu setzen. Im Laufe der Reparaturarbeiten lernt er die restlichen Bewohner des Dorfes kennen: den Hillbilly-Lastwagen Mater, der nur noch von Rost zusammengehalten wird und eine Seele von Mensch, nein, Blech ist; die beiden amerikanischen Straßenkreuzer Flo und Ramone, die die Tankstelle (übersetzt: die Bar) betreiben; die beiden italienischen Kleinwagen Luigi und Guido, die Reifen verkaufen und davon träumen, einmal einen Ferrari als Kunden zu haben (den bekommen sie später, und gesprochen wird er von keinem geringeren als einem gewissen siebenfachen Formel-1-Weltmeister); den blitzblanken Porsche Sally, der aus L.A. ins heartland geflüchtet ist – und eben Doc, einen brummigen, beeindruckenden Schlitten aus den 50er Jahren, hinter dessen Stoßstange ein Geheimnis schlummert, das Lightning verändern wird.
Natürlich sind die Charaktere wie aus dem Baukasten für Drehbuchschreiber: Wünsche, Konflikte, Erwartungen, alles da, und alles wird genauso eingelöst wie geplant. Macht aber nichts, denn was mir persönlich an Cars so gut gefallen hat, war der hemmungslose, naive Glaube an Amerika und an seine ganz traditionellen Werte; daran, dass in Kleinstädten alle zusammenhalten und alles irgendwie gut wird (anstatt dass sie eine Brutstätte für Rednecks sind); daran, dass jeder seinen Traum erfüllen kann, und daran, dass dieses Land – oder ein winziges Stück davon – allen Bewohnern so wichtig ist, dass sie daran festhalten anstatt es aufzugeben, um irgendwo anders nochmal von vorn anzufangen.
Cars erzählt von den Bewohnern einer Stadt, die sich dagegen wehren, dass der Fortschritt ihre Stadt sterben lässt. Und Cars bebildet diese Geschichte mit purer Tourismuswerbung – natürlich auf Pixar-Art. Die Landschaft ist angelehnt an Arizona, New Mexico, Texas und dem Grand Canyon, aber eine Hügelkette am Horizont sieht verdächtig nach der Cadillac Ranch aus und die Berge erinnern an Kühlerhauben und Vergaser. Lightning und Sally cruisen durch wogende Wälder, aufregende Serpentinen und beenden die Fahrt schließlich an einem riesigen Wasserfall. Natürlich ist das alles Pixelkram, aber allein die Erwähnung der Route 66 und der bewusst ausgewählte Soundtrack („Life is a highway“) verführen dazu, sich zu wünschen, man könne genau da einmal langfahren.
Cars macht ganz unverhohlen Werbung für Amerika, denn selbst wenn die Route 66 nicht erwähnt worden wäre – dieser Film kann nirgens anders spielen. Der Fetisch Auto hat hier eine ganz besondere Bedeutung, die endlosen Highways, die Drive-in-Restaurants, Drive-in-Banks und Drive-in-Churches sind eine amerikanische Erfindung, und auch wenn die Deutschen ihre Karren über alles lieben, sind diese doch nicht so lebenswichtig wie in den USA. Cars schafft es aber trotzdem, kein pures patriotisches Spektakel zu sein. Denn natürlich retten die vielen, vielen, vielen Gags den Film davor, ganz fürchterlich platt zu werden. Es gibt mal wieder Unmengen von kleinen und großen Einfällen – angefangen bei Käfern, die umhersummen, die natürlich auch Autos sind: beetles (oder bugs) eben. Ein Wecker ist eine kleine Garage, aus der ein hupendes Auto fährt (haben wollen! MERCHANDISE!). Ein Hummer (das Auto, nicht das Krustentier) spricht mit eindeutig österreichischem Akzent, und die Trucks haben selbstverständlich trucker caps auf. Das Schönste waren aber die Referenzen an Pixar und die bisherigen Werke (vielleicht ein kleiner Hinweis an die neue Mutterfirma Disney, dass der Laden ganz genau weiß, was er schon geleistet hat): Auf einem Telefondraht rauschen blitzschnell die birds an uns vorbei, die Reifenfirma beim Rennen heißt nicht Goodyear, sondern Lightyear, und im Abspann (unbedingt angucken) laufen im Autokino (wo sonst) Toy Car Story, Monster Trucks, Inc und natürlich A Bug’s Life – mit Spielzeugautos, Monsterautos und Insektenautos.
Cars ist sicherlich nicht so „erwachsen“ wie The Incredibles und nicht ganz so kindlich-wundervoll wie Finding Nemo. Er ist von der Animation nicht so atemberaubend, auch wenn ich beim Anblick einer nächtlichen Spazierfahrt, auf der sich das Neonlicht in den langen Linien eines Autos gespiegelt hat, Gänsehaut gekriegt habe. Er ist schon fast mehr Disney als Pixar, weil er sich nicht ganz so schräg anfühlt, und ich ahne, dass er nur in Amerika richtig gut laufen wird. Aber er lohnt sich trotzdem. Allein für das Gefühl, aus dem Kino zu kommen und an einer Ampel einen Smart neben einem alten Benz stehen zu sehen und sich zu überlegen, was die beiden sich wohl gerade erzählen. Und wie knuffig sie sich zuzwinkern.
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Cars startet am 7. September in Deutschland.