Bücher März 2012
Johann Wolfgang Goethe – Wilhelm Meisters Lehrjahre
Nachdem ich Goethes italienisches Tagebuch so mochte und musikalisch gerade auf Mozart gepolt bin, dachte ich mir, lieste doch mal wieder was aus dieser Zeit. Lehrjahre hat mir allerdings längst nicht so gut gefallen wie die persönlichen Aufzeichnungen des Geheimrats, was nichts mit der Sprache zu tun hat. Ganz im Gegenteil, genau die hat dafür gesorgt, dass ich mich durch immerhin 600 von den gut 700 Seiten kämpfte, bevor ich mir das Ende dann in der Wikipedia durchlas. Die Handlung ist fies soapig, voller dusseliger Zufälle, und die Pointe ist das Äquivalent zu Filmen, in denen Aliens für alles verantwortlich sind, aber das war mir die erwähnten 600 Seiten egal, denn ich liebe, liebe, liebe einfach die wundervollen Worte, die ich lesen durfte, auch wenn sie mir inhaltlich egal waren. Klingt wahrscheinlich etwas exzentrisch, kann ich auch nicht besser erklären, aber genau wie klassische Musik auf den Ohren ist Goethe vor der Nase ein kleiner Urlaub vom Alltag.
(Der Gesamttext beim Gutenberg-Projekt.)
V. K. Ludewig – Ashby House
Herrlich kapriziöses Ding. Alles beginnt mit einer Beschreibung eines alten, viktorianischen Hauses in Cornwall, in dem ein seltsames Geschwisterpaar lebt, das vom Haus verschlungen wird. Ja, genau. 150 Jahre später kauft eine Starfotografin das Anwesen und bezieht es mit ihrer Schwester. Die beiden sind sich spinnefeind, aber dummerweise aufeinander angewiesen, denn Fotografin Lucille sitzt im Rollstuhl, während Laura ohne ihr Geld kein Auskommen hätte. Schon in der ersten Nacht wird klar, dass dem Haus die neuen Gäste nicht ganz so recht sind, und von da an passiert auf jeder Seite irgendwas. Das Haus und seine paranormale Aktivität, ein seltsamer Hund, prima Sexszenen, Reminiszenzen an das alte Hollywood oder Lästereien über das neue, die Paparazzi, das Geheimnis der beiden Schwestern, die Dorfbewohner rund um das Haus und garantiert noch mehr, aber das habe ich wahrscheinlich im Sog überlesen oder jetzt bei der Rezension vergessen. Denn Ashby House ist, wie ich twitterte, „eins von diesen Mistdingern, die dich entspannt reinholen und dann nicht wieder gehen lassen.“ Lässt sich nur in einem Rutsch durchlesen, hätte von mir aus auch ruhig doppelt so dick sein dürfen, ist manchmal ein bisschen sehr in sich selbst verliebt, aber das war mir egal. Oder anders: Kann ich ne Fortsetzung haben? Mit Steerpike?
(Der Autor bloggt als glamourdick. Wer sein Blog kennt, ahnt, wie das Buch klingt. Und das meine ich sehr positiv.)
(Leseprobe bei dtv.)
Italo Svevo (Barbara Kleiner, Übers.)– Zenos Gewissen
Fing sehr, sehr schön an und wurde dann sehr, sehr anstrengend. Wieder mein Frauenproblem bei Büchern, die älter als fünf Minuten sind. Zeno wurde 1923 veröffentlicht, und so klingt’s dann auch, wenn die Damenwelt das Thema ist. Gleichzeitig klingt es aber auch extrem charmant, was natürlich auch an der Ãœbersetzung von Kleiner liegt, die relativ neu ist. (Mehr dazu in der Wikipedia.) Ich musste jedenfalls sehr lachen über die vielen Versuche des Ich-Erzählers, sich das Rauchen abzugewöhnen, immer begleitet von stündlichen Tagebucheinträgen „Letzte Zigarette“. Weniger lachen musste ich bei dem Kapitel, in dem sich Zeno direkt nach der Heirat eine Geliebte zulegt, und danach habe ich das Buch dann auch weggelegt.
(Leseprobe bei amazon.de)
Berni Mayer – Mandels Büro
Der Berni hat ein Buch geschrieben über den Max, der ein Detektivbüro aufgemacht hat mit dem Sigi. Beide haben keine Lust mehr, Musikjournalisten zu sein, weil das ist irgendwann langweilig. Dann kommt die Malleck ins Büro und will, dass der Sigi und der Max den Leo ausspionieren, ihren Mann, der viel zu viele Affären hat. Dann wird der Leo umgebracht, und dann sind da noch der Edelstein und der Danny und der Urbaniak und der Dieter, und alles zusammen liest sich ungefähr so wie diese wenigen Zeilen. Als ob der Sigi der Anke abends bei einem Bier diese unglaubliche Geschichte erzählt, wie da das Handy vom Leo in der Basedrumkiste und wie dann diese Nazis noch und dieser Eva-Braun-Film in Babelsberg, na servus. Das „Servus“ ist übrigens die einzige Stelle, über die ich gestolpert bin, weil der Max nie nach München wollte, aber die Leute mit „Servus“ grüßt. Geschenkt. Der Kriminalfall war mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal, aber ich mochte die Figuren und ihre Eigenarten sehr gerne. Und vor allem die Sprache, auch wenn meine kleine stilistische Referenz da oben wahrscheinlich klingt, als sei das Werk für Schwachsinnige geschrieben worden. Ist es nicht. In einem Rutsch durchgelesen, viel Krempel über die Musikbranche gelernt, Dialoge geliebt, Fortsetzung haben wollen. (Und ein Spin-off mit Dieter.)
(Der Autor bloggt unter burnster.de und ist nach den Bundesligaspieltagen meine erste Anlaufstelle. Und natürlich tippe ich in seiner Tipprunde mit.)
(Leseprobe bei amazon.de.)
Christine Eisenbeis – Im nächsten Leben werd’ ich Spielerfrau: Ein Phänomen wird abgeschminkt
Aus dem Buch hatte ich schon mal zitiert, und so ungefähr klingt es auf 170 Seiten. Es kommen verschiedene Frauen zu Wort, die mit Fußballspielern bzw. -spielerinnen verheiratet sind, und allen ist gemein, dass sie sich nicht als „Frau von irgendwem“ definieren. Kein Wunder, denn wer macht das im Jahr 2012 noch? (Außer Werbeagenturdeppen und -deppinnen, die sowas Beknacktes wie „Susi S., Zahnarztfrau“ texten.) Deswegen quengeln auch alle am Begriff der „Spielerfrau“ rum. Natürlich steht man als Ehefrau oder Partnerin hinter dem geliebten Menschen, aber man ist immer noch eine eigenständige Person. Zusätzlich räumen die Damen mit dem Vorurteil auf, sie würden den ganzen Tag shoppen und faul rumlungern. Im Prinzip mochte ich das Buch, aber manchmal tappt es in seine eigene Falle, zum Beispiel, wenn es diesen Begriff in eine Reihe von weiteren (O-Ton) „Traumberufen“ wie Model oder Schauspielerin stellt oder Sätze bringt wie „Da kommen Spielerfrauen richtig zur Geltung“, wenn es um eine beknackte Gala geht, auf der irgendwelche B-Promis C-Preise kriegen. Dann nämlich definiert das Buch selbst das Spielerfrau-Dasein als eine Art Beruf, was es eben nicht ist. Und genau das wollte mir das Buch doch die ganze Zeit sagen.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Christian Kracht – Imperium
Imperium erzählt die Geschichte von August Engelhardt (den es wirklich gab, und wenigstens das Grundgerüst der Story scheint auch historisch zu stimmen, aber das ist total egal), der sich 1902 eine kleine Kokosplantage auf den heutigen Duke-of-York-Inseln kaufte (damals Deutsch-Neuguinea). Als Nudist und Vegetarier war er zusätzlich davon überzeugt, dass die Kokosnuss das einzig wahre Lebensmittel sei und beschloss, sich ausschließlich davon zu ernähren. Engelhardt ist die Hauptfigur, aber um ihn herum toben sich noch weitere Exzentriker (und sehr wenige Damen, die einen Namen haben) aus, die ähnlich beknackt sind. Dummerweise ergibt trotzdem alles einen Sinn, wenn man von einer ähnlich wahnsinnigen Grundlage wie dem Kolonialismus ausgeht. Mich hat Imperium sehr an Conrads Heart of Darkness erinnert, wobei bei Heart wenigstens noch ein vernünftiger Mensch dabei war, nämlich der Erzähler. Hier erzählt auch irgendwer, deutet gerne an, dass noch Hitler auf uns wartet und das Schlimmste noch nicht vorbei ist, aber im Prinzip werden wir auf der Südseeinsel alleine gelassen, um mit Engelhardt durchzudrehen. Kracht hat versucht, seine Sprache alt klingen zu lassen – mit Worten wie „Kinematograph“ oder Endlossätzen à la Mann –, was mir persönlich sehr gut gefallen hat. Trotzdem geht es mir auf den Zeiger, dass manche Bücher noch in der alten Rechtschreibung gedruckt werden. Wenn das auch Zeitkolorit sein sollte, hätte ich die zweite Auflage gerne in Fraktur. Ganz oder gar nicht, Baby.
(Kritiken beim Perlentaucher, keine Leseprobe, nirgends. Doof, das.)
Gary Shteyngart – Super Sad True Love Story
Der Titel trifft’s ganz gut: Mich hat die Love Story, die sich sehr selten wie eine anfühlt, super sad gemacht. Weil in der Geschichte eine Zukunft entworfen wird, die ich mir sogar vorstellen kann. Lenny, ein 39-jähriger amerikanischer Mitarbeiter einer Firma, die ihren Kunden ewiges Leben verspricht, trifft in Rom Eunice, knapp 20 Jahre jünger, koreanisch, schlank. Das Buch besteht aus den Tagebucheinträgen Lennys und den Teeneinträgen von Eunice. „Teen“ ist das allwissende Äquivalent zum heutigen Facebook, jeder trägt seinen „äppärät“ mit sich herum, der ihm fast alles über die Mitmenschen verrät (Kreditstatus, Größe, Gewicht, Gesundheitszustand usw.) und mit dem man kommunizieren kann (eher selten) und shoppen (dauernd). Lenny ist auf der Suche nach dem ewigen Leben, und eine junge Freundin kann da nie schaden (beeindruckt auch seinen Boss, der ihm dauernd sagt, er möge doch mehr auf seine Gesundheit achten), während Eunice nicht so genau weiß, nach was sie sucht. Was sie aber weiß – und dabei ähnelt sie ihren Freundinnen, mit denen sie teent bzw. ihrer Schwester: Man kann immer noch dünner sein, als Mädchen ist sie eh doof, ihr Traumjob ist „retail“ (die Jungs arbeiten in „media“ oder „finance“), und Einkaufen ist immer gut. Ihre Kleidung bezieht sie bei AssLuxury oder JuicyPussy (es gibt auch JuicyPussy4men, wo sie irgendwann für Lenny shoppt), gerade angesagt sind „onionskin jeans“, durchsichtige Hosen, die hauteng anliegen und rasierte oder geschmückte Schamgegenden zeigen, oder der „nippleless bra“.
Und obwohl Eunice sich irgendwann für Politik und Kunst interessiert und Lenny klar wird, dass es wichtiges gibt als den richtigen Vitamincocktail, ist das, was mir bei hängengeblieben ist: Frauen werden immer mehr zu Sexobjekten und das freiwillig. Und das kommt mir nicht einmal so fürchterlich zukünftig vor, wenn ich mir heutige Facebookfotos von jungen Mädchen anschaue, die meinen, im engen Top ein Duckface machen zu müssen, um attraktiv zu sein. Bzw. dass es wichtiger ist, ein attraktives Foto zu haben als eine attraktive Timeline.
Das Buch macht aber ein noch größeres Fass auf: Russland heißt inzwischen HolyPetroRussia, Amerika ist ein Überwachungsstaat, in dem so ziemlich alles den Bach runtergeht, und der chinesische Yuan ist die globale Leitwährung. Und obwohl sich anscheinend alles geändert hat, sind manche Dinge die gleichen: die Sorge von Eltern um ihre Kinder, die Suche nach einem Partner oder einer Partnerin, die Erwartungen an eine Beziehung. Diese Kluft zwischen dem, was (so oder ähnlich) schon immer war, und dem, was wird, macht das Buch so spannend. Und deswegen habe ich nur einen Punkt, an dem ich nörgelig geknabbert habe: Dass Frauen sich in die „sex kitten“-Ecke drängen, wird sehr deutlich gemacht, aber in welche Richtung sich Männer entwickeln, wird völlig ausgespart.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Markus Werner – Zündels Abgang
Ich copypaste aus der Wikipedia: „Nach dem Verlust eines Zahns bricht der Lehrer Zündel eine Urlaubsreise ab und kehrt zu seiner Frau Magda zurück, die den Sommer lieber alleine verbracht hätte und nach einem Streit zu ihrer Schwester fährt. Für Zündel ist dies Anlass, nach Genua zu fahren, wo er gezeugt wurde, um sich dort dem Alkoholrausch und Gedanken über Gott und die Welt, Liebe und Selbstmord hinzugeben.“ Und das alles ist sehr unwiderstehlich geschrieben, sehr schlau, sehr bewegend und sehr einzigartig.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Max Scharnigg – Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe
Hier zitiere ich den Klappentext, den ich auf Perlentaucher fand (wo ihr natürlich auch Links zu ein paar Rezensionen findet): „Was ist zu tun, wenn vor der eigenen Wohnungstür ein fremdes Paar Herrenschuhe steht? Wenn man von drinnen seine Freundin und eine unbekannte Männerstimme hört? Der Journalist Nikol Nanz macht das, was er am besten kann: Er übt sich im Rückzug und richtet sich erst mal häuslich unter der Treppe ein. In seinem Versteck unter der Treppe hofft Nikol ungestört an einem Text über die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand schreiben zu können. Aber die Arbeit gerät bald ins Stocken. Das liegt nicht nur an den ungelösten Rätseln um seine Freundin, mit der ihn bis dahin eine herrlich abgeschiedene Liebe verband. Es liegt auch am alten Schmuskatz, dem ehemaligen Gletscherfotografen und Bergkristallverkäufer, der ihn in seinem Versteck aufstöbert und zum Essen einlädt. Gemeinsam versuchen sie, die Trampelpfade einer Liebe nachzugehen und Nikol zurück in den zweiten Stock zu bringen.“ Genauso einzigartig wie „Zündel“. Hat mir sehr gut gefallen.
(Leseprobe bei amazon.de.)
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