Bücher April 2012
Johann Wolfgang von Goethe – Dichtung und Wahrheit
Der Herr Geheimrat erzählt recht gerne über sich. Inzwischen bin ich auf Seite 350, und der Mann ist gerade erst Student! Toll: die Beschreibungen der Häuser und Straßen von Frankfurt und Leipzig, die Kaiserkrönung, wie die Franzosen sich im Haus der Goethes einquartieren, was der Mann so alles gelesen hat, seine ersten literarischen Gehversuche und so weiter und so fort. Das liest sich alles hübsch possierlich weg, aber irgendwann braucht man eine Pause. Die nehme ich mir jetzt, lese was anderes und komme dann nach Leipzig zurück. Zur Wiedervorlage.
(Volltext bei zeno.org.)
Friedrich Ani – Süden und der Luftgitarrist
Ich lese recht wenige Krimis, aber der hier hat mir sehr gut gefallen und mich dazu bewogen, gleich noch einen Süden auf den Wunschzettel zu packen. Die Story ist nicht so irre fesselnd, aber ich mochte den lakonischen, fast depressiven Schreibstil Anis sehr gerne. Hier versucht Tabor Süden, der im Vermisstendezernat arbeitet, einen Luftgitarristen wiederzufinden, der kurz vor dem Finale der Weltmeisterschaften verschwindet. Das Besondere an der Süden-Reihe ist sein lokaler Bezug: Alles spielt in München, und ich persönlich fand es ganz charmant, ein paar der Plätze aus dem Buch zu kennen.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Jon Krakauer – Into the Wild
Ja, ich hatte natürlich von dem Film gehört und dem Soundtrack und worum’s geht, aber es hat mal wieder eine persönliche Empfehlung gebraucht, bis ich das Buch auf den Wunschzettel packte. Es wurde mir netterweise geschenkt, und nachdem ich die erste Seite gelesen hatte, habe ich es nicht mehr aus der Hand gelegt – außer auf dem Weg ins und zurück vom Stadion und im Stadion selbst, wo der FC Bayern München mal eben gegen Real Madrid spielte. Aber im Flugzeug, in der S-Bahn und abends nach den standesüblichen White Russians am Gastgeberküchentisch musste ich einfach lesen. Into the Wild beschränkt sich nicht nur auf die Geschichte von Chris McCandless, der zwei Jahre kreuz und quer im Westen der USA unterwegs war, bevor er seinen Plan, für einige Monate abgeschieden in Alaska zu leben, wahrmachte – wo er alleine und abgemagert starb, nur wenige Meilen von der Zivilisation und seiner Rettung entfernt. Das Buch erzählt zusätzlich noch von den Menschen, die Chris auf seiner Reise kennenlernte; es versucht, der Sehnsucht nach Natur und überwältigender Schönheit nachzuspüren. McCandless bleibt nicht als jemand in Erinnerung, der zu blöd war, seinen Rückweg zu finden, sondern ganz im Gegenteil, als jemand, der eine Vorstellung von einem idealen Leben hatte. Auch wenn diese Vorstellung ihn genau das kostete. Große Empfehlung. (Nein, ich will den Film nicht sehen.)
(Leseprobe bei amazon.de.)
Patrick Rothfuss – The Name of the Wind: The Kingkiller Chronicle 1
UNVERSCHÄMT! 650 SEITEN UND DANN IST DIE STORY NICHT MAL ZU ENDE! ZU WENIGE FRAUENFIGUREN! HARRY-POTTER-KLON PLUS LOTR! UND DIE HAUPTPERSON NERVT! DUSSELIGER FANTASYMÜLL!
Sofort Fortsetzung gekauft.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Thomas von Steinaecker – Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen
Das Buch hatte schon nach wenigen Seiten gewonnen, weil die Allianz-Arena erwähnt wird, wenn auch nur als etwas, „das unsere Konkurrenz als Arena bezeichnet“. Der Roman spielt nämlich im Norden von München, genauer gesagt, in den Highlight-Towers, in denen sich eine fiktive Versicherung befindet. Dort hat Renate Meißner im Oktober 2009 ihren ersten Tag – nicht ganz freiwillig, denn sie ist nach einer Affäre mit ihrem Vorgesetzten in Frankfurt versetzt worden. Darüber macht sie sich den ganzen Tag Gedanken, genau wie über ihre Kleidung, die Uhren ihrer Kollegen, die Tabletten, die sie nimmt, ihren Tagesablauf, den sie per BlackBerry organisiert, ihre Freundin Lisa und – ihre Großmutter, von der sie jahrelang glaubte, dass sie tot sei, was aber auf einmal doch nicht mehr ganz so sicher ist. Jahr hat mich von seinen 400 Seiten 300 lang richtig im Griff gehabt, aber zum Schluss will es leider zu viel und scheitert. Den letzten Teil habe ich eher durchkämpft als genossen, aber das Ende versöhnt dann wieder ein bisschen. (Doofer Titel, nebenbei.)
(Leseprobe bei amazon.de.)
Christian Schüle – Das Ende unserer Tage
Nach 100 Seiten genervt weggelegt. Tage lag auf dem Bücherstapel in der Nähe von Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen und las sich beim ersten Reinblättern ähnlich. Nur dass wir uns diesmal in Hamburg befinden, wo Kirchen zu Eventagenturen umgebaut werden und die Wirtschaft nicht so recht weiß, wohin mit der Zukunft. Klang auf den ersten Seiten interessant, dann verwirrend, dann sehr bemüht, die wenigen Frauen, die auftauchten, haben mich noch mehr verschreckt (bzw. die eklige Art, mit der Schüle sie beschreibt), und außerdem liest sich alles sehr angestrengt pseudoschlau:
„Die ersten S-Bahn-Körper schoben sich über gerade gestellte Weichen in den Kreislauf des neuen Tages, die Reibung zwischen den Stahlkörpern erzeugte Realität. Ab jetzt würde sich das Leben wieder aufraffen, und wenn abends die Laternen ausgingen, würden Tausende glücklich entfesselter Fliegen ihr auf einen Tag befristetes Leben beenden, um im Licht in den Tod zu tanzen.“
Nee, lass ma.
(Leseprobe bei amazon.de.)
E. H. Gombrich – Die Geschichte der Kunst
Das Werk Gombrichs gehört meines Wissens nach zur Standardlektüre von Studierenden der Kunstwissenschaft, und nachdem ich den Wälzer durchgelesen habe, weiß ich auch warum. Es ist weit mehr als „nur“ eine chronologische Darstellung, wie sich Kunst in den letzten ca. 5.000 Jahren entwickelt hat. Gombrich schafft es, immer hervorragend und nachvollziehbar zu erläutern, was das Besondere und Neue an einem Stil ist.
Ein Beispiel: Ich habe – und ich gucke mir ägyptische Wandmalereien jetzt seit über 30 Jahren an – noch nie hinterfragt, warum die Menschen perspektivisch so seltsam dargestellt wurden wie sie eben aussehen; also Beine bzw. Füße und Kopf im Profil, der Rest des Körpers frontal. Ich weiß allerdings, dass es wichtig war, möglichst unversehrt ins Jenseits zu kommen, weswegen in den Gräbern neben den Mumien Gefäße stehen, in denen die Eingeweide liegen, die nicht mumifiziert werden konnten. Und damit Herr Pharao auch sonst alles hat, was man so braucht, gab man ihm, wie wir vor allem aus dem Grab von Tutanchamun wissen, tonnenweise Möbel, Streitwagen, Schmuck und Zeug mit. Und eine Dienerschaft, die sogenannten Uschebtis. Nochmal: körperliche „Vollständigkeit“ war wichtig. Und deshalb wurden die Menschen so gezeichnet: Man kann Füße und einen Kopf am besten im Profil erkennen, während der Rest am ehesten frontal vollständig abzubilden ist. So simpel, so einleuchtend.
Genau in diesem Stil geht das ganze Buch weiter. Die Erstausgabe erschien bereits 1950 und wurde von Gombrich bis zu seinem Tod 2001 stets aktualisiert. Die Moderne kriegt daher logischerweise nicht ganz so viel Platz, aber für einen ersten, schon sehr tiefgehenden Eindruck ist das Buch absolut empfehlenswert.
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