Bücher Juni 2012
Richard Friedenthal – Goethe: Sein Leben und seine Zeit
Sehr ausführliche und größtenteils gut lesbare Biografie vom Herrn Geheimrat. Mir hat gefallen, dass Friedenthal sich nicht sklavisch an eine Zeitleiste hält, sondern das Leben Goethes eher nach Themen ordnet. Weil diese immer noch halbwegs chronologisch sind, macht die Übersicht ziemlich einfach, und man bekommt ein sehr dichtes Bild der Persönlichkeit. Gleichzeitig lässt er Goethe nicht im luftleeren Raum existieren, sondern erwähnt auch Menschen wie Schiller, Napoleon, Beethoven oder diverse andere Größen, die diese Zeit bestimmten und teilweise mit Goethe interagierten. An den Stil muss man sich ein bisschen gewöhnen; das Buch stammt vom 1963 und liest sich des Öfteren auch so, vor allem, wenn Herr Friedenthal Goethes angeblich „typisch weibliche“ Charakterzüge seziert (gefühlvoll, romantisch, doof) oder wenn seine Liebe zu Dimituitiven seltsame Stilblüten treibt („Hürchen“). Nun ja.
Friedrich Ani – Die Erfindung des Abschieds: Ein Tabor-Süden-Roman
Der (angeblich, darauf komme ich beim letzten Buch der Liste noch mal zurück) erste Krimi der inzwischen ewig langen Tabor-Süden-Reihe. Hat mir sehr gut gefallen. Spannender Fall, schöne Charaktere (vielleicht ein paar zu viele für den Anfang, aber da müssen wir halt durch), angenehmer, persönlicher Stil. Ich komme allmählich auf den Krimigeschmack, glaube ich.
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Liza Marklund (Anne Bubenzer/Dagmar Lendt, Übers.)– Kalter Süden
Wie gesagt, ich komme auf den Geschmack. Ein freundlicher Mitfußballgucker hat mir am dramatischen Champions-League-Wochenende Liza Marklund empfohlen, woraufhin ich beim nächsten Buchladenbesuch spontan eins ihrer Werke mitnahm. Das Dumme: Dieser Band ist Teil einer langen Reihe um die Journalistin Annika Bengtzon und er greift natürlich Plotpoints aus vorhergegangenen Büchern auf. Das heißt, obwohl mir das Buch sehr gut gefallen hat und ich gerne mehr mit dieser Dame lesen wollen würde, sind die ganzen vorherigen Bände eigentlich für mich verschenkt, weil ich ja schon weiß, wer wen wie um die Ecke gebracht hat. Hmpf. Mal gucken, ob ich sie trotzdem nachlese, denn ich mochte sowohl Hauptfigur als auch Stil und habe mich gut unterhalten gefühlt.
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Arno Geiger – Alles über Sally
Sehr schönes, kleines, leises, feines Buch über eine Ehe und ihre Protagonisten. Sally und Alfred sind seit fast 30 Jahren verheiratet, und gerade Sally scheint langsam an den Konventionen, dem gemeinsamen Haus, den Kindern zu ersticken. Sie schafft sich Freiräume (vulgo: geht eine Affäre ein) und entdeckt darüber Dinge, die sie an ihrer Ehe schon als in Stein gemeißelt gesehen hat. Auch Alfred denkt über ihre gemeinsame Beziehung nach.
Das Buch beschreibt mit wenigen Rückblenden, schönen Dialogen und behutsamen Charakterzeichnungen nicht nur eine Beziehung, sondern das ganze Geflecht aus Job, Freunden, Hobbys und Verpflichtungen, das uns irgendwann umfängt und vielleicht definiert. Was wir an Opfern bringen, um es aufrechtzuhalten und dass diese Opfer vielleicht gar keine sind.
Ich bleibe absichtlich so schwammig, weil ich bloß nichts verraten will. Mir hat das Buch außerordentlich gut gefallen, weil es eben nicht beim „happily ever after“ aufhört, sondern quasi 20 Jahre danach noch mal nachschaut, was daraus geworden ist.
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Adam Zymorski (Ruth Keen/Erhard Stölting – Übers.) – 1812: Napoleons Feldzug in Russland
Über 1812 bin ich in einer Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse gestolpert und dachte, ach ja, über Napoleons Russlandfeldzug wolltest du ja schon immer was lesen. Hab ich natürlich nicht gedacht, aber die Zeitung hat einen verdammt guten Job dabei gemacht, mir den Mund zu wässern. Und nachdem ich noch über weitere Lobeshymnen stolperte, wurde das Ding halt gekauft. Gute Enscheidung.
Was ich bisher vom Feldzug wusste: Russland ist verdammt groß und verdammt kalt. Das wurde mir dann auch auf gut 600 Seiten noch mal bestätigt, aber das sehr lesbar, sehr spannend und sehr nachvollziehbar. Solange man den Irrsinn des Kriegsbeginns überhaupt nachvollziehbar finden kann, denn eigentlich wollten sowohl Napoleon als auch Zar Alexander nur ein bisschen mit dem Säbel rasseln, aber dann kamen sie aus der Nummer nicht mehr raus. Und mit ihnen eine Million Soldaten, Marketenderinnen und Menschen aus der Zivilbevölkerung, die bei Kampfeshandlungen starben, in brennenden Städten, bei dilettanischen Rückzugsbewegungen, in eisigen Flüssen oder die von ihren Kollegen gegessen wurden, während sie noch mit ihrem Tod durch Erfrieren bei -37° beschäftigt waren. Das Buch stützt sich zu sehr großen Teilen auf Augenzeugenberichte, Tagebucheinträge und Briefe, was einen sehr unmittelbar am Feldzug teilhaben lässt. Manchmal ein bisschen zu unmittelbar für mein kleines Puschelseelchen, das schon an einem abgebrochenen Fingernagel tagelang leiden kann, aber nun gut. 1812 ist beileibe kein Torture Porn, sondern beschreibt auch die unfassbare psychische und physische Stärke, die von den Menschen verlangt und teilweise aufgebracht wurde, erzählt begeisternd von der Logistik rund um solche Massenveranstaltungen, und das Buch setzt den Feldzug gekonnt in einen größeren historischen Kontext. Alleine die Vorgeschichte hat 100 Seiten im Buch, während die Nachwirkungen deutlich kürzer ausfallen. Große Empfehlung, wenn man sein Geschichtswissen über das heutige Europa unterhaltsam aufpolieren möchte.
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Jutta Rebmann – Angelika Kauffmann
Das ging leider gar nicht. Im Untertitel wurde mir ein „biografischer Roman“ versprochen, aber bekommen habe ich irgendwie bemüht formulierte Situationsbeschreibungen, die dauernd ihre Perspektive wechselten. Ich kann nicht beurteilen, wie viel oder wenig biografisches Material von Angelika Kauffmann vorhanden ist, und mir ist auch klar, dass man in derartigen Werken den Protagonist_innen Zeug in den Mund legen muss, damit man einen Roman hinkriegt. Aber dann sollte dieses Zeug vielleicht ein bisschen stimmiger formuliert sein – oder wenigstens so ähnlich wie die schriftlichen Zeugnisse Kaufmanns klingen. Hier stolperte ich ständig über eine recht moderne Ausdrucksweise, die so gar nicht ins 18. Jahrhundert passen wollte. Gleichzeitig schoben sich immer sachbuchartige Passagen in den angeblichen Roman, die zwar informativ waren, die aber in dieser Buchform so einfach nicht vorkommen sollten. Und den kleinen Geschichtchen aus dem 30jährigen Krieg oder den Legenden aus der Schweizer Bergwelt unterstelle ich auch, dass sie das Manuskript irgendwie auf 200 Seiten prügeln sollten, denn die Story vorangebracht haben sie nicht und als Lokalkolorit waren sie überflüssig. Nach 100 Seiten weggelegt.
(Merke: Nicht jedes Buch, das in einem Museumsshop liegt – hier war’s die Neue Pinakothek –, sollte da liegen.)
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Fjodor Dostojewskij (Hermann Röhl, Übers.) – Der Spieler: Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes
Neulich stand ich vor meinem nie kleiner werdenden Stapel ungelesener Bücher, nahm ein Buch in die Hand, dann ein anderes, dann wieder ein anderes, und nachdem ich 20 Bücher in der Hand hatte, fühlte ich mich wie die Klischeefrau vor dem überfüllten Kleiderschrank, die nichts anzuziehen kann: Ich hatte nichts zu lesen. Aber im Bücherregal finden sich ja immer noch Werke, die ich in der bildungshungrigen Hoffnung kaufte, sie irgendwann zu lesen (Dante, Joyce, Homer, I’m looking at you). Zu diesen Werken zählte auch Der Spieler, und jetzt, wo ich ihn gelesen habe, bin ich sauer, dass ich das erst jetzt tat. Denn er ist, totale Ãœberraschung, ziemlich großartig. Ja, natürlich ist alles schon 150 Jahre her und ein paar Dinge haben sich geändert, was den zwischenmenschlichen Umgang oder generell die Erwartung an das eigene Leben oder die Planung desselben angeht, aber die Personen könnten fast genauso auch heute vorkommen. Spielsucht, Liebe, Eigennutz, Prestige – alles noch da. Und, hey, das Buch ist nicht mal 200 Seiten dick. Kann man prima als Strandlektüre im Urlaub durchlesen. (Soll hier ja keiner rausgehen und sich sagen, was hab ich denn jetzt von diesem Hinweis auf einen Klassiker?)
(Volltext beim Projekt Gutenberg)
Thomas Mann – Lotte in Weimar
Die gute Charlotte ist als junge Frau das Vorbild für die gleichnamige Figur in Goethes Werther, und als alte Dame trifft sie den Schriftsteller noch einmal in Weimar. Diese Begegnung ist historisch verbürgt, und Thomas Mann hat daraus 400 Seiten gemacht. Von denen ich erstmal 70 brauchte, um in den Stil reinzukommen, denn im Gegensatz zu Frau Rebmann versucht Mann, nicht nur die Sprache von 1816 nachzuahmen, sondern schreibt gleich das ganze Buch so. Nach den Anfangsschwierigkeiten hat mich das Buch aber sehr im Griff gehabt.
Lotte steigt im Gasthaus „Zum Elephant“ ab und will eigentlich gleich los, Verwandte besuchen, aber stattdessen kommen Bewunderer_innen, Menschen, die den Werther lieben und die „echte“ Lotte sehen wollen und schließlich sogar August Goethe, von Beruf Sohn. Bei diesem Buch war ich sehr dankbar, vorher den Friedenthal gelesen zu haben, denn vieles, was Lotte und ihre Besucher_innen im Gespräch wegplaudern, kannte ich aus der Biografie. Vieles ist natürlich auch Fiktion, aber zusammen entsteht ein weiteres Bild von Goethe, seinen Beziehungen, seiner Familie und seinem Stand als großes literarisches Denkmal, das er schon zu Lebzeiten war. Leider hat das Ende mir überhaupt nicht gefallen, denn irgendwann trifft Lotte Goethe, und hier fand ich die nachgeahmte Sprache Manns auf einmal komisch. Goethe hat genügend eigene Zeugnisse hinterlassen und ich gestehe Mann zu, dass er versucht hat, sehr nah an ihnen zu bleiben, aber so ganz hat es eben doch nicht geklappt. Auf einmal war die charmante literarische Fingerübung ein bisschen zu intim. Aber das ist wie immer persönlicher Geschmack, und wer wäre ich, über Mann zu quengeln. Ich mochte auf jeden Fall Details wie die Benutzung des Worts „Bettschatz“, den Mama Goethe für Christiane Vulpius nutzte und der sich auch in Lotte wiederfindet.
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Friedrich Ani – Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Laut Wikipedia der zweite Band der Tabor-Süden-Reihe. Blöderweise springt aber jemand hier lustig-lebendig in der Gegend rum, der eigentlich im ersten Buch sein Leben verlor, weswegen ich etwas verwirrt bin, wann denn nun welches Buch … ist aber nicht so wild, denn auch hier hat mich die Geschichte überzeugt. Dieses Mal suchen Süden und seine Kollegen nach einem Mann, der nach 30 Jahren Ehe das klassische „Ich geh mal Kippen holen“-Manöver fährt und nicht mehr zu seiner Frau und Schwägerin zurückkehrt. Ich glaube, ich kann den Rest der Süden-Reihe bedenkenlos kaufen; ich mag den leicht melancholischen Stil gerne, der nie zum krampfhaft-überlasteten DRAMA, BABY wird, der mir so ziemlich jeden Tatort verleidet. Mir gefällt die Hauptfigur, mir gefallen die Nebenfiguren, mir gefallen die eingeworfenen München-Bezüge. Ich geh mal eben Bücher kaufen.
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