Bücher August 2012
Anna Katharina Hahn – Kürzere Tage
Hat mir sehr gut gefallen. Die Kapitel erzählen zunächst abwechselnd von Leonie und Judith, zwei Frauen, die mal einen Plan für ihr Leben hatten, und nach und nach wird immer weniger klar, ob das so hingehauen hat mit Kindern, Männern, Karriere, Glück. Der Stil ist nüchtern, aber in jedem Satz schwingt mehr mit als er Buchstaben hat. Was ich so mochte: dass man beide Frauen verstehen kann, sie bescheuert findet, sie mag, sie bedauert, sie verurteilt, mit ihnen fühlt und sich die ganze Zeit fragt, bin ich das? Wär ich das gewesen wenn? Große Empfehlung.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Frank Büttner/Andrea Gottdang – Einführung in die Ikonographie: Wege zur Deutung von Bildinhalten
Das Buch teilt sich in christliche und profane Ikonographie und wirft einen ziemlich unvermittelt in die Welt von Symbolen, Farben, Blumen und Heiligen. Das ganze ist, soweit ich das beurteilen kann, wirklich nur eine sehr atemlose Zusammenfassung; das Buch kann nur anreißen, aber das macht es sehr gründlich. Ich kann nicht behaupten, mir viel gemerkt zu haben – dafür war es eben zu viel –, aber ich bin über durchaus lustige Dinge gestolpert wie den Pelikan (gnihihi) als Opferungssymbol, weil er sich die Brust aufreißt, um seinen Nachwuchs mit seinem Blut zu ernähren. Hinweis: Das Ding ist kein Lexikon, wo man bequem nachschlagen kann, was wohl eine Orchidee in der Pfote eines Stachelschweins bedeutet, sondern erläutert eher Entstehungen von bestimmten Symbolen wie zum Beispiel die Attribute der Apostel oder der Evangeliare, was Embleme so bedeuten, wie sehr die jeweilige Zeit (und damit die jeweilige Bibelauslegung oder gerade angesagte Literatur und Musik) Einfluss auf die Bildwerke hatten. Das Buch fragt aber auch durchaus zu Recht, ob überhaupt immer alles irgendwas sagen soll und erinnert daran, Bilder auch als Gesamtkunstwerke stehen zu lassen anstatt sie in Details zu zerlegen.
Marie Velden – Lilienrupfer
Ein tiefes Näh! aus der angewiderten Magengegend. Das Ding war eine Empfehlung, und ich habe es auch brav durchgelesen, weil ich dann doch wissen wollte, ob die arme, arme Hauptfigur ihren Traummann findet, denn das ist natürlich das einzige, was irgendwie wichtig ist. Job, Wohnung, Freunde, alles irgendwie Deko, so lange nicht der richtige Kerl am Start ist. Widerliche Botschaft, belangloser Stil, bitte nicht kaufen. Ach und das Ende! DAS ENDE! So was darf man seit Patrick Ewing einfach nicht mehr bringen. Schlimme Scheiße.
(Leseprobe auf amazon.de.)
Annette Pehnt – Mobbing
Ich mochte Pehnts Insel 34 schon sehr, und Mobbing mochte ich noch mehr. Der Inhalt ist schnell erzählt, aber er dient eher als Tapete für die wundervolle Sprache. Mann wird auf der Arbeit gemobbt und ihm wird schließlich gekündigt, während die Ehefrau mit zwei kleinen Kindern zum Zuschauen verdammt ist. Das Buch pickt sich Situationen und Dialoge heraus, springt zwischen Gegenwart und Erinnerungen hin und her und wird immer dichter, immer bedrohlicher und immer bedrückender. Die Sprache ist nicht mehr ganz so verkünstelt wie bei der Insel, sondern viel schlichter – was es noch anstrengender macht, das Buch zu lesen. Große Empfehlung.
Friedrich Ani – Süden und das Lächeln des Windes
Von der Süden-Reihe schwärmte ich ja schon mehrfach, daher hier nur die kopierteingefügte Inhaltsangabe von Amazon: „Der neunjährige Timo Berghoff wird von seiner Mutter vermisst gemeldet. Doch weder Susanne Berghoff noch ihre Schwester Carola, bei der der Junge oft zu Besuch ist, wollen sich zu näheren Umständen äußern. Für den Vater Timos, offenbar in Wolfsburg auf Arbeitssuche, scheint der Vorfall nicht einmal Grund genug zu sein, zurück nach München zu kommen. Süden findet heraus, dass Timo von einer Mitschülerin kurz vor seinem Verschwinden geohrfeigt wurde. Er sucht sie auf, kann jedoch nichts aus ihr herausbringen. Wenig später verschwindet sie ebenfalls spurlos.“
Hat mir natürlich gefallen. Gleich den nächsten Süden hinterher, dann muss ich nachordern.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Friedrich Ani – Süden und der glückliche Winkel
Dieses Mal verschwindet ein Postbeamter, der brav 28 Jahre lang jeden Morgen auf der gleichen Straßenseite zur Arbeit gegangen ist, wahrscheinlich immer das gleiche aß und trank und las und tat. Und dann eben doch nicht. Ich kann die Süden-Reihe kaum aus der Hand legen, inzwischen dauert jedes Buch nur noch drei Stunden, weil einem die Figuren so vertraut sind, die Sprache, ihre Eigenheiten. Und deswegen glaube ich auch alles, was ich lese, und deswegen nimmt mich jedes Buch so mit. Das hier auch.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Friedrich Ani – Süden und das verkehrte Kind
Ein Kind verschwindet, und es ist wie immer nicht so, wie man zuerst glaubt. Und hofft. (Ich brauche eine kurze Pause von der Süden-Melancholie.)
(Leseprobe bei amazon.de.)
Alina Bronsky – Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
Wundervoll. Sehr anstrengend, ungefähr so wie ein Familientreffen, auf dem man Menschen sieht, die einem unangenehm sind, denen man aber partout nicht ausweichen kann. So ungefähr geht auch die Geschichte: Rosalinda, Tatarin und sehr überraschend und unwillig Großmutter geworden, zieht an ihrer Tochter statt die kleine Aminat groß. Jedenfalls ist das der Plan, aber dann besinnt sich die Kindsmutter doch noch, was Rosalinda nicht einfach so hinnehmen kann, wie sie überhaupt rein gar nichts einfach so hinnehmen kann. Sie mischt sich ein, lügt, betrügt, macht und tut und das natürlich nur aus Liebe und weil sie weiß, was gut für alle anderen ist. Sie ist, glaube ich, einer der unsympathischsten Charaktere, die ich je zwischen zwei Buchdeckeln kennengelernt habe, aber blöderweise auch einer der faszinierendsten. Ich war eigentlich nur mit Kopfschütteln, Lachen, schnellstmöglich Umblättern und wieder Kopfschütteln beschäftigt. Ich habe die Geschichte geliebt, die Sprache, die Figuren, den Schrifttyp und das Cover und verzeihe dem Buch alles, was mir weh getan hat.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Christopher Clark (Norbert Juraschitz, Übers.) – Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers
Im Juli las ich den ersten, sehr dicken Band der dreiteiligen Wilhelm-II-Biografie von John Röhl und quengelte, dass das schon sehr ausführlich sei. Dann empfahl mir Ellebil den Clark – und jetzt quengele ich, dass es mir nicht ausführlich genug ist. Wobei Röhl sich mit der Zeit bis zum Amtsantritt 1888 beschäftigt und Clark eher die Zeit der Regierung interessiert; insofern hinkt der Vergleich natürlich etwas. Trotzdem. Ohne Röhl hätte ich beim Clark sehr viel mehr googeln müssen, und vieles, was Clark mir auftischt, hätte ich gerne etwas ausführlicher erläutert bekommen bzw. mit mehr Quellenmaterial angereichert. Beide haben allerdings eine sehr dezidierte Meinung vom letzten deutschen Kaiser; Röhl versteigt sich manchmal zur Theorie, Wilhelm II sei quasi der erste Schritt in den Nationalsozialismus gewesen, was Clark sehr deutlich verneint. Dafür hat er mir einen Hauch zu viele Sympathien in die andere Richtung, meint also eher, das war alles nicht so schlimm, der Mann hat da halt ein bisschen rumregiert, war aber eigentlich zu kaum was nütze. Ich hänge meinungsmäßig dazwischen – und werde jetzt doch noch mindestens einen weiteren Band Röhl lesen. Spannender Mensch, spannende Zeit.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Friedrich Ani – Süden und das grüne Haar des Todes
Die Pause war nötig – und mit diesem Band hat mich die Verzweiflung an der Welt und ihrer Bewohner wieder eingeholt, die die Süden-Reihe für mich so unwiderstehlich macht. An diesem Band knabberte ich allerdings zunächst etwas herum. Was ich an den Romanen so mag, ist ihre Dringlichkeit und dass sie sich nie auf Zufälle verlassen. Es passiert, was passieren muss, und es passiert nichts, weil dem Autor nichts Besseres eingefallen ist. Hier stolperte ich zum ersten Mal über einen vermeintlichen Bruch – eine Zeugin meldet sich, die eigentlich keinen Grund dazu hätte, und nur durch ihre Aussage gerät etwas sehr Großes ins Rollen. Erst ganz zum Schluss wird klar, warum die Dame sich zum Sprechen entschlossen hatte, und auf einmal fühlte sich dieses Buch noch bedrückender an als es das sowieso schon tat. Mein bisheriger Liebling aus der Reihe.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Friedrich Ani – Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Ich mag das, wenn Reihen plötzlich mit ihrer Stuktur brechen. Hier ist Süden auf einmal auf sich selbst gestellt anstatt wie sonst immer im Team zu ermitteln. Dabei wollte er doch nur das Grab seiner Mutter im Heimatdörfchen besuchen, wird aber in einen Fall hineingezogen, in dem es um ein Mädchen geht, das seit einem Jahr verschwunden ist. Auch hier, ich wiederhole mich dauernd, ich weiß: Empfehlung.
(Leseprobe bei amazon.de.)
John Lanchester – Capital
In Capital geht es um einige Bewohner von Pepys Road in London, eine frühere Arbeitersiedlung, in der aber inzwischen eher recht wohlhabende Menschen leben. Zum Beispiel ein Banker und seine Klischeenixtufrau (die einzige Person im Buch, die ich wirklich zu platt gestaltet fand), ein Betreuer von jungen Premier-League-Spielern, eine alte Dame, die schon so lange in der Straße wohnt, dass diese einfach an ihr vorbei wohlhabend geworden ist. Zusätzlich lernen wir die Betreiber des kleinen Kiosks am Straßenende kennen, einen polnischen Arbeiter, der die Häuser der Reichen wieder und wieder renoviert, einen Künstler, eine Verkehrspolizistin. Die Bewohner von Pepys Road erhalten eines Tages Postkarten, auf denen ihre eigenen Häuser abgebildet sind – plus eine Botschaft: We want what you have.
Das Buch entwickelt sich sehr vorsichtig, fast zögernd, ich hatte die ersten 100 Seiten eigentlich das Gefühl, das gar nichts passiert, was aber natürlich Quatsch ist, denn selbst wenn wir nur auf dem Sofa sitzen und lesen, passiert etwas, nämlich: Wir sitzen auf dem Sofa und lesen. Ganz allmählich lernt man die Bewohner und die Menschen, die sie umgeben, besser kennen, Verbindungen tun sich auf oder werden gekappt, und nach und nach wird aus der betulichen kleinen Straße ein großes Panorama, das den Blick öffnet auf Geld, Gier, Ruhm, Luxus, Macht – und Familie, Beziehungen, Schuld, Hoffnung, Abschiede, Anfänge.
Ich kann schwer beschreiben, warum mir Capital so außerordentlich gut gefallen hat. Aber ich mag diese epischen Bücher sehr gerne, ganz gleich ob es um eine Familie geht, eine historische Epoche oder wie hier eine Straße, die einen viel weiter mitnehmen als man es auf den ersten Seiten erwartet hatte.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Stevan Paul – Schlaraffenland: Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen und die Unwägbarkeiten der Liebe
Eigentlich sagt der Untertitel ja schon alles, auch wenn er zu lang für einen Untertitel ist. Aber das wäre auch so ziemlich das einzige, worüber ich was zu nölen hätte. Oder nee, eins noch: Die Geschichten sind ZU KURZ, VERDAMMT. Da trifft man so schöne Gestalten wie die Köchin Klöpke, die schon in der DDR fürs Politbüro Soljanka produziert hat und dann mit genau dem Satz entlassen wird, den Schabowski auf der Pressekonferenz zur unbeabsichtigten Maueröffnung verlas: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Oder den Oberkellner Adam, der seinen Job ganz großartig findet, wenn da nur die Gäste nicht wären, weswegen Schnöselnasen auch gerne mal unwissend die Teilrechnung von frisch Verliebten übernehmen müssen. Oder auch den Autoren selber, denn im Buch findet sich meine Lieblingsgeschichte aus Stevans Blog über seine Erfahrung mit Wodka und der russischen Küche, die im schönsten Trinkspruch aller Zeiten mündet: „Auf Eure warmherzige Gastfreundschaft, auf die reiche, russische Küche und auf den klaren Geist des Wodkas! Mögen die Weizenfelder der Russischen Föderation ewig wachsen.“ (Der Eintrag ist leider nicht mehr online. Ich prangere das allerschärfstens an!) Alle diese Figuren sind da – und schon sind sie wieder weg. Ich hätte von fast allen noch zehn Seiten mehr haben wollen, mindestens. Dafür trösten mich die schönen Adjektive und Verben im Buch, denn ich liebe Stevans Eloquenz, die Espressomaschinen und Öle wispern lässt, wenn sie arbeiten, oder die Formulierungen wie „die Klarheit der unberührten Gläser“ hervorbringt. Ein schönes Buch, nicht nur fürs Herz, sondern auch für den Magen, denn zu jeder Geschichte steht ein Rezept im Buch. Noch eine große Empfehlung für diesen Monat.
(Leseprobe und mehr beim mairisch-Verlag.)
Friedrich Ani – Süden und die Schlüsselkinder
Ha, endlich mal ein Band, bei dem ich was zu quengeln habe. Wieder wird ein Kind vermisst, und dieses Mal hat der schlaue Racker ein Handy dabei. Süden so: „Die Polizei könnte das Handy orten.“ Jugendheimtante so: „Sie sind bestimmt schneller.“ Ja, klar. Den Fall fand ich eher meh.
(Leseprobe bei amazon.de.)
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