Oh Boy

Oh Boy (D 2012, 88 min.)

Darsteller: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Ulrich Noethen, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek
Kamera: Philipp Kirsamer
Musik: The Major Minors
Drehbuch: Jan Ole Gerster
Regie: Jan Ole Gerster

Trailer

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Bei der ersten Einstellung dachte ich noch, uh, böser „Lost in Translation“-Rip-Off, als ich die halbbekleidete Dame mit dem Rücken zu mir im Bett liegen sah und sofort an Scarletts Hintern denken musste. Aber dieses Mal legt sich kein Bill Murray dazu, sondern Tom Schilling tut das Gegenteil: Er versucht sich davonzuschleichen, was ihm nicht gelingt. Die Dame erwacht, bittet ihn, sich doch noch mal zu setzen, die beiden plaudern schmerzhaft oberflächlich, bis er auf die Frage nach einem abendlichen Treffen erwidert, er habe noch zu tun. Worauf ihr liebevolles Lächeln erlischt und sie schnöde fragt, was er denn bitte zu tun habe.

Das fragt man sich eigentlich die ganze Zeit, während „Oh Boy“ läuft. Schilling spielt Niko, einen jungen Mann in Berlin, der sein Jurastudium abgebrochen hat und nun den Tag damit verbringt, eine Kaffeequelle aufzutun und sich von jedem in seiner Nähe Feuer zu erbitten (zuhause tut es der Toaster). Dazwischen trifft er Menschen: Familie, alte Freunde, uralte Bekannte und neue Gesichter. Und diese Begegnungen, in denen so viele Lebensentwürfe stecken, tragen den ganzen Film und retten ihn davor, einer der üblichen „Slacker in Berlin“-Filme zu sein.

Da ist sein Nachbar, der nach dem üblichen An-der-Tür-Geplänkel mit einer Enthüllung und einem Gefühlsausbruch überrascht, der einen zurückschrecken lässt – und ihn uns gleichzeitig näher bringt. Da ist sein Kumpel Matze, der über allem zu stehen scheint und mit seiner unerschütterlichen Gradlinigkeit einen ruhigen roten Faden in den Film bringt, der sonst vielleicht eine bloße Nummernrevue geworden wäre. Und da ist Nikos alte Schulfreundin Julika, die sich äußerlich verändert hat und innerlich noch genauso verletzt, zerrissen und unfassbar traurig ist. Gerade ihre Rolle hat mir aus persönlichen Gründen sehr gut gefallen; ich habe bei vielen ihrer Sätze den Atem angehalten, weil es sonst zu sehr weh getan hätte.

Auch Niko muss einiges an Schmerzen wegpacken: die Konfrontation mit einigen Staatsbeamten und mit der Familie, die, wie wir wahrscheinlich alle wissen, noch anstrengender sein kann. Sein Vater hat nach zwei Jahren endlich herausgefunden, dass er Nikos Nichtstun finanziert. Jedenfalls kommt es ihm so vor. Niko dagegen erwidert auf die Frage, was er die ganze Zeit gemacht habe, schlicht, überzeugend und ehrlich: Er habe über sich nachgedacht. Und in diesem einen Satz verbirgt sich die ganze Naivität, die ganze Hoffnung und die überbordende Zuversicht, dass alles so richtig ist und alles irgendwann gut sein wird. Im Moment sieht es zwar nicht so toll aus, ohne Freundin, ohne Geld und ohne Führerschein und dann gibt es auch in dieser ganzen verdammten Stadt keinen Kaffee … wobei: die Stadt. Berlin ist in „Oh Boy“ mehr als nur Kulisse, aber netterweise weniger als das vielbeschworene Lebensgefühl, das sich angeblich hinter diesen Postleitzahlen verbirgt. Obwohl der Film in schwarzweiß ist, scheint die Stadt zu strahlen. Sie ist eine einzige große Möglichkeit mit ihren S-Bahnen und Trams, die nie stillstehen, den tiefen Häuserschluchten, weiten Plätzen und den Menschen, Menschen, Menschen, die sich in ihr verteilen. Wen stört da eine fehlende EC-Karte.

„Oh Boy“ irrlichtert zwischen Komödie und Tragödie hin und her und er tut das mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Konsequenz. Der letzte Mensch, den Niko nach einem langen, langen Tag trifft, fasst dann auch noch einmal alles zusammen, was die Menschheit ausmacht: Schrecken und Schönheit und es hört nie auf und es wird nie anders. Aber irgendwann kriegt Niko seinen Kaffee. Und die Stadt erwacht. Und alles wird gut.

Der Bechdel-Test:

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

Es spielen deutlich mehr Männer als Frauen eine tragende Rolle, und die wenigen Frauen, die dabei sind, reden nicht miteinander.

Test bestanden? So gar nicht.