Marina Abramović: The Artist is Present (keine Filmkritik)

Marina Abramović: The Artist is Present, USA 2012, 106 min
Musik: Nathan Halpern
Kamera: Matthew Akers
Regie: Matthew Akers, Jeff Dupre

Trailer

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Keine Filmkritik, stattdessen das gerade bei mir übliche Rumsinnieren darüber, was Kunst mit mir macht, vor allem solche, mit der ich mich noch nicht intensiv auseinandergesetzt habe. Trotzdem kurz was zum Film.

The Artist is Present ist ein Dokumentarfilm, der sich hauptsächlich mit der gleichnamigen Austellung und der dazugehörigen Performance im MoMA befasst. Die Ausstellung ist eine Retrospektive auf einige der Arbeiten von Marina Abramović, die sich im Film als die „Großmutter der Performance“ ansprechen lassen muss. Vielleicht stimmt das sogar; sie ist über 60 und setzt ihren Körper schon verdammt lange für die Kunst ein. Ein paar Beispiele stehen in der Wikipedia, und auch im Film sind sie zu sehen, denn für die MoMA-Ausstellung werden sie von jungen Künstlern und Künstlerinnen nachgestellt.

Im Mittelpunkt steht aber die aktuelle Performance, die genauso lang dauert wie die Ausstellung – drei Monate, acht Stunden ohne Pause an sechs Tagen in der Woche. Abramović sitzt im Atrium des Museums, vor ihr ein Tisch, ihr gegenüber ein weiterer Stuhl. Jeder, der mag, darf sich ihr gegenübersetzen, so lange das Museum geöffnet ist. Keine Berührungen, keine Gesten, nur ihr gegenübersitzen und sie anschauen, genau wie sie dich anschaut.

Klingt beängstigend simpel. Und ist unglaublich eindrucksvoll.

Schon nach wenigen Augenblicken im Film dachte ich innerlich, was für eine Präsenz mit Ausrufezeichen diese Frau hat. Sie war ja nicht einmal da, ich saß sicher und gemütlich in einem Münchner Kino, aber sie war vor mir auf der Leinwand, und das hat schon gereicht. Selbst durch den Umweg über ein unpersönliches Medium war jeder Atemzug von ihr körperlich spürbar. Deswegen konnte ich auch jeden Menschen nachvollziehen, der vor ihr saß und plötzlich zu weinen begann, denn mir ging es nicht anders. Das mag am berechnenden Soundtrack gelegen haben, aber der alleine hätte mich nicht so mitgerissen.

Was mich so fasziniert hat und noch Tage nach dem Film nachhallt: die Ruhe, die sie einem schenkt. Die Kraft, die man dadurch spürt. Oder genau das Gegenteil, die Schwäche, die einen kurz überfällt, die Schmerzen, die man sonst zudeckt, denn man hat ja Besseres zu tun. Indem man Abramović in die Augen schaut und den Tag mal kurz anhält, schaufelt man Dinge an die Oberfläche, die dort sonst nicht hingelangen, weil der Tag sonst eben weitergeht. Ich war in den letzten Tagen noch spröder als sonst, dünnhäutiger, vorsichtiger. Vielleicht habe ich deswegen in der Uni heulen müssen, als Beethoven erklang, vielleicht habe ich deswegen mehr getrunken als mir gut tat, als ich unter Menschen war. Vielleicht war der Film aber auch nur ein weiteres Puzzlestück zu den vielen anderen, die ich mir im Studium erarbeite. Mit jedem Seminar und jedem Buch und jeder Note enstehen neue Bahnen in meinem Kopf, neue Wege, auf denen Gedanken unterwegs sind, die bisher doof im Nichts verhallten oder schlicht gar keine Chance hatten, sich zu formulieren. Auf einmal mache ich aber auf, öffne Türen, schmeiße liebgewonnene, weil sicherheitspendende Vorurteile über Bord – “why is this art?” – und lasse mich auf Dinge ein, denen ich bisher naserümpfend ausgewichen bin. Performance Art hat sich mir nie erschlossen, und ich kann auch nicht mit allen Werken, die ich im Film gesehen habe, etwas anfangen, aber die meisten fand ich großartig. (Ja, ich bin sehr spät damit dran, Abramović für mich zu entdecken, ich weiß.)

Es hat mich schier überwältigt, dieser Frau zuzusehen. Wie sie bei einer Performance den Zuschauern die Macht über sich gibt und diese sie nicht nur streicheln, sondern verletzen, einfach weil sie es können. Wie sie ihrem damaligen Mann 2.500 Kilometer auf der chinesischen Mauer entgegenläuft, nur um sich danach von ihm zu trennen. Und wie sie jetzt allen Menschen gleichermaßen Aufmerksamkeit schenkt, weil sie vor ihr sitzen. Im Film wurde es meiner Meinung nach perfekt formuliert: Vor ihr sind alle gleich. (Der religiöse Bezug ist mir durchaus klar.) Und: Sie entschleunigt für viele Besucher die Zeit, ihr Denken und vielleicht ihre Ich-Bezogenheit. Abramović nannte es: „Irgendwann verschwinde ich, und die Menschen sehen nur noch sich selbst.“ Was für viele keine leichte oder angenehme Aufgabe ist.

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der Film so lange in mir rumort. Er zwingt mich dazu, mich anzusehen. Das meiste, was ich sehe, mag ich sehr, aber es gibt durchaus Dinge an mir, die ich gerne ändern würde und von denen ich weiß, dass ich sie nicht ändern kann. Ich kann hier nur sitzen und warten. Und ich weiß, dass es nicht aufhören wird, nur weil ein Museum schließt oder die Performance beendet ist. Ich werde weiterhin hier sitzen und mich anschauen.