Pans Labyrinth
El Laberinto del Fauno (Pans Labyrinth, MEX/E/USA 2006, 119 Min.)
Darsteller: Ivana Baquero, Sergi López, Ariadna Gil, Maribel Verdú, Doug Jones, Álex Angulo
Musik: Javier Navarrete
Kamera: Guillermo Navarro
Drehbuch: Guillermo Del Toro
Regie: Guillermo Del Toro
Es gibt Filme, nach denen ich mit Adjektiven nur so um mich schmeißen will. Pans Labyrinth (auf Deutsch gesehen, daher deutscher Titel) ist so ein Film. Er hat unglaublich satte Farben, die fast fühlbar sind. Er hat wunderschöne und schaurigschöne Fabelwesen, die bis zur letzten Hautfalte perfekt aussehen und sich perfekt bewegen. Er hat einen durchdringenden Klang, der für sich alleine schon Geschichten erzählt: das knarrende Leder der Handschuhe vom Hauptmann, das Knacken einer reifen Weintraube, die gegessen wird, die langen Fingernägel eines Fabelwesens, die bedrohlich auf die hölzernde Tischplatte klackern. Kurzum: Pans Labyrinth ist ein Fest für die Augen und die Ohren. Und trotzdem wurde das ganze von einem Adjektiv überlagert: belanglos.
Regisseur Guillermo Del Toro erzählt sehr gekonnt zwei Geschichten in einer: eine scheint real zu sein, die andere Fantasie. Die reale spielt in Spanien, 1944. Die kleine Ofelia reist mit ihrer schwangeren Mutter zu ihrem neuen Vater, einem Hauptmann, der mit einer Kompanie an blau uniformierten Soldaten in einer düsteren Mühle haust und Rebellen verfolgt, die sich in die Berge um die Mühle herum zurückgezogen haben. Schnell wird deutlich, dass der Hauptmann weder Ofelia noch ihrer Mutter besonders zugetan ist; er will nur seinen Sohn haben, dessen Geburt kurz bevorsteht. Ofelia flüchtet sich in ein steinernes Labyrinth in der Nähe der Mühle, wo sie eines Nachts einen Faun trifft, der ihr erklärt, dass sie eine Prinzessin sei. Sie müsse nur drei Prüfungen bestehen, und dann würde ihr Reich wiederauferstehen und sie Herrscherin sein.
Sie macht sich also daran, die drei Prüfungen zu bestehen. Ihre Ausflüge in die Fantasiewelt, in der es verwunschene Bäume gibt und Kröten, aus denen sie goldene Schlüssel holen muss, und fürchterliche Monstren, die Kinder umbringen, werden unterbrochen von der Realität, in der die Schwangerschaft ihrer Mutter nicht ganz wunschgemäß verläuft und der Hauptmann einen der Rebellen gefangen nimmt. Schon hier könnte man darüber nachdenken, ob diese Fantasiewelt nur im Kopf von Ofelia stattfindet und sie ein ganz simpler Mechanismus ist, um mit ihrer ungeliebten Umwelt klarzukommen. Ich persönlich wollte da nicht drüber nachdenken, sondern weiter dem Farb- und Klangrausch folgen – bis zur nächsten Metzelszene, bei der ich mir zum wiederholten Male die Augen zugehalten habe. Da reichte der Klang völlig. Der Hauptmann hat nämlich durchaus Spaß daran, seiner Umwelt Schmerz zuzufügen, und daran dürfen auch die Zuschauer ab und zu teilhaben. Die Szenen hätte ich mir gerne erspart, und ich bin auch immer noch ein wenig zickig darüber, dass ich sie über mich ergehen lassen musste. Dass der Hauptmann nicht unbedingt ein netter Kerl ist, war mir schon klar. Dafür muss ich nicht noch sehen, wie jemandem das Gesicht mit einer Flasche zertrümmert wird.
Ich habe die Fantasiewelt für bare Münze genommen. Aber selbst dann wollte sich dieses Filmgefühl nicht einstellen, auf das ich die ganze Zeit gewartet hatte: dieses mit offenen Augen im Kino sitzen und nur noch glückselig staunen. Ich habe den Film eher bewundernd denn begeistert mitangesehen, denn die Mühe und Detailverliebtheit, die die Set Designer, Kostüm- und Maskenbildner in Pans Labyrinth gelegt haben, sind wirklich bemerkenswert. Aber trotzdem hat mich das alles nicht mitgerissen. Vielleicht weil ich zu sehr damit beschäftigt war, tiefere Botschaften zu entdecken: Was symbolisiert die Kröte? Was die drei Zauberbernsteine? Wieso hat das kindermordende Monster keine Augen? Oder wenigstens nicht da, wo man sie erwartet? Ist das verbotene Festmahl mal wieder eine dusselige Anspielung auf die Ursünde, und wenn ja, warum? Steht Kreide für etwas? Heimliche Türen? Alraune? Milch mit Honig, verdammt nochmal? Ich hatte oft das Gefühl, dass del Toro viele wunderschöne Bilder und Szenenideen im Kopf hatte, bevor er das Drehbuch geschrieben hat. Und zum Schluss hatte ich das Gefühl, dass er das Buch um diese Szenen herumgeschrieben hat.
Mit dem Ende hat der Film allerdings 100 Sympathiepunkte bei mir gewonnen, denn mit diesem Ausgang hatte ich nicht gerechnet. Und selbst jetzt, nach dem Film, wo ich über alles noch einmal nachdenke und immer noch abwäge – Realitätsflucht? Oder ist sie doch eine Prinzessin? – glaube ich, dass man sich für beide Richtungen entscheiden kann. Noch ein Bewunderungspunkt für den Film: sehr schlau, sehr offen, jeder kann mitnehmen, was er will.
Ich hätte nur gerne ein bisschen mehr mitgenommen als ein „Ja, kann man machen“. Ich hätte mich gerne an den Kinositz geklammert und Ofelia atemlos bei ihren Prüfungen zugesehen. Ich hätte gerne etwas weniger Realität mitgekriegt – oder wenigstens etwas weniger blutige Realität. Ich hätte gerne die Stimmung der ersten zehn Filmminuten mitgenommen, als ein kleines, unschuldiges Mädchen in einem Märchenbuch liest, die Sonne scheint und der Wald grün und freundlich aussieht. Aber das ist eine Lektion, die Ofelia im Film lernt und unsereins jeden Tag: Die Welt ist nicht immer freundlich, und nicht jede Geschichte steht in einem Märchenbuch.
Aber gerade bei einem optisch und akustisch so faszinierenden Film wie Pans Labyrinth hätte ich gerne eine Märchenbuchgeschichte gehabt. Vielleicht ist es das, was mir ganz persönlich den Film verleidet hat: mein Wunsch nach einer heilen Welt, die es selbst in einer Klein-Mädchen-Fantasie nicht mehr gibt. Und wahrscheinlich nie gab.