Tagebuch 2./3. Oktober 2015 – Wurzeln
Die Erkältung ist nicht richtig da und nicht richtig weg. Ich bin grundmatschig, aber unverschnupft, fühle mich abgeschlagen, brauche aber weder Taschentücher noch Erkältungsbäder. Vielleicht ist es schlicht der Herbst, der mir auf dem Gemüt sitzt.
Am Freitag saß ich drei Stunden in der KuGi-Bibliothek, um mein Wissen über Konzeptkunst aufzufrischen, denn am morgigen Montag nehmen wir unseren neuen Fehlfarben-Podcast auf. Eigentlich sollte mich drei Stunden Rumlesen nicht anstrengen, aber danach war der Kreislauf wieder im Keller, und es reichte gerade noch zum Einkaufen, bevor ich mich wieder unter die Bettdecke verkroch. WTF.
Samstag ging es wieder etwas besser, so dass ich mit F. ins Haus der Kunst ging, um mir Hanne Darboven und Zufallsmuster anzuschauen. Danach war auch mein Appetit wieder da, ich kochte lustig vor mich hin, ging halbwegs früh alleine ins Bett und schlief gut durch.
Und heute morgen ist wieder alles grau und ich liege unter einer Glocke aus Traurigkeit und Hilflosigkeit.
Eigentlich müsste ich gerade auf der Oidn Wiesn sein, um mich in netter Runde vom diesjährigen Oktoberfest zu verabschieden. Stattdessen sitze ich alleine am Rechner und versuche mal wieder, hinter meine Traurigkeit zu gucken.
Jetzt bin ich da, wo das Gras grüner ist, und vermisse die Steppe. Abschied, schweres Schaf und so. #TIL
— ankegroener (@ankegroener) October 3, 2015
Ich weiß, dass sowohl der Kerl als auch F. mein Blog lesen, und ich will F. nicht wehtun, wenn ich darüber schreibe, dass ich mein altes Leben ein bisschen vermisse, und ich will dem Kerl nicht wehtun, wenn ich hier alles mit frisch verliebten rosa Herzchen zupflastere. Aber genau zwischen diesen beiden Polen bewege ich mich gerade. Ich weiß, dass das alles irgendwann besser wird, ruhiger, sich richtiger anfühlen wird, aber momentan fühle ich mich seltsam entwurzelt.
Mein Umzug war alles andere als lang geplant, was sonst eher mein Ding ist. Er war auch nicht mit Lust aufs Neue untermalt, sondern über ihm schwebte ständig ein „Wo soll ich denn sonst hin?“ Ich wohne nicht hier, weil ich hier wohnen will, ich wohne hier, weil es gerade nicht anders geht. Ja, ich will in München studieren, sonst hätte ich den Studienplatz in Hamburg angenommen. Aber die Wahl dieses Ortes fühlt sich nicht mehr so frei an wie die vor drei Jahren, als ich machen konnte, was ich wollte, wo auch noch Dresden und Berlin im Rennen waren. Theoretisch kann ich immer noch machen, was ich will, aber praktisch ist Hamburg für mich verbaut und deswegen bleibt nur München. (Und jetzt liest F. da wieder lauter Quatsch rein. Lass das bitte. // Edit – F. so: „Was soll ich denn da reinlesen? Den Satz kannste löschen.“)
München war für mich immer Urlaub, mein kleiner Extraort neben dem normalen Leben. Und jetzt ist München das normale Leben. Das ist einerseits toll, denn ich mag die Stadt wirklich lieber als Hamburg (ich fange jetzt nicht wieder mit den Radwegen an, versprochen) – ihre Winzigkeit, ihre Dörflichkeit, die Museen, natürlich das Zentralinstitut für Kunstgeschichte, den Fußballverein, und ja, meine eigene Wohnung. Die war in den letzten drei Jahren meine Insel. Aber jetzt ist sie das Festland, ich kann nirgends anders mehr hin. Und auch wenn ich gar nicht mehr woanders hin will, fühlt es sich auf einmal eng an, zu klein für mich. Es ist ein blöder Schalter im Kopf, der noch umgelegt werden muss, aber so ganz kriege ich das noch nicht hin.
Ich freue mich sehr darauf, dass nächste Woche die Uni endlich wieder losgeht, denn dann habe ich keine Zeit mehr, in meinem eigenen Saft rumzupaddeln, dann muss ich wieder viel zu viel lesen und noch mehr schreiben. Vielleicht fange ich dann auch endlich an, Wurzeln zu schlagen, an dem Ort, den ich mir ausgesucht habe, wenn auch nur halbfreiwillig. Vielleicht wird dann aus dem „halbfreiwillig“ ein „das war die richtige Entscheidung, das passt so“. Ich hoffe einfach mal darauf.