Was schön war, Freitag, 16. September 2016 – Der Mix macht’s

Der Sommer scheint durch zu sein (wo-hoo!), gestern begann es in München zu regnen, und für den heutigen Tag sagt das Regenradar ähnliches Wetter voraus. Wäre mir eigentlich egal, denn für so ein Wetter gibt es ja Sofas und Bücher und YouTube und heißen Tee, aber: Ich habe da gerade leihweise eine Dauerkarte für die Allianz-Arena, weswegen ich heute zum Kracherspiel gegen Ingolstadt gehen werde.

Neuerdings darf man keine Rucksäcke mehr in die Arena mitnehmen, Knirpsschirme gingen noch, aber ich renne ungern mit Schirm durch die Gegend. Außerdem radele ich ja seit einiger Zeit regelmäßig und werde seitdem auch regelmäßig nass, weil ich mich bisher weigerte, eine von diesen unglaublich hässlichen Regen- oder Funktionsjacken zu kaufen. In Kombination mit dem zu erwartenden Weg von der U-Bahn zum Stadion knickte ich gestern aber ein und radelte zum Globetrotter am Isartor, um mich mal bei den Jacken umzugucken. Bei Ulla Popken, meiner normalen Adresse für Klamotten, die ich nicht im Internet bestelle und die dicken Frauen passen, war ich online nur so halb fündig geworden; dort gibt es zwar die eben benannten Jacken, aber keine Ponchos. Und genau so einen wollte ich haben. Theoretisch würde ich gerne weiter von Plastik unbehelligt in meiner schnuffeligen Nike-Jacke rumradeln und einen Poncho im Rucksack haben, den ich, wenn’s denn unbedingt sein muss, überwerfen kann. Den gab es laut Interweb bei Globetrotter, also fuhr ich dort hin.

Ich kaufe sehr ungern Klamotten in Läden, die nicht für dicke Menschen gemacht sind, weil ich immer das Gefühl habe, zu stören und zu oft abschätzige Blicke und den Satz „Ich weiß nicht, ob wir das in Ihrer Größe da haben“ abgekriegt habe. Das war gestern netterweise nicht so, nicht mal im Ansatz. Ich wurde sehr aufmerksam bedient, auf meine belustigte Bemerkung vor dem Spiegel „Ich sehe total bescheuert in dem Ding aus“ bekam ich die ebenso belustigte Antwort „Bei Regen sehen alle so aus“, und man half mir bei der Größe, ohne mir das Gefühl zu geben, die wäre jetzt irgendwie ungewöhnlich. Sehr zufrieden mit einem knallroten Riesenponcho im Rucksack weitergeradelt.

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Nächste Station war das Haus der Kunst, in das ich, wie alle Kunstgeschichtstudis in München, umsonst rein darf (dankeschön!). Ich hatte keine Ahnung, was lief, ich wollte aber einfach mal wieder was angucken.

Der erste Weg geht immer in die große Mittelhalle, die in meinem Kopf blöderweise immer noch Ehrenhalle heißt. Dort erblickte ich eine herrliche Installation von Laure Prouvost, die die Marmorfliesen des Bodens als Stoff hat nachbilden lassen, der sich nun vor meinen Augen nach oben wölbte. Ich mag optischen Schnickschnack; das war wie ein Special Effect in meiner Realität. Schon gewonnen. Texte, die per Video einblendet wurden, sprachen über die Vergangenheit des Hauses und die Möglichkeiten von Kunst. Alles hübsch, aber alleine die simple Idee, den Raum zu verändern, ohne ihn völlig anders aussehen zu lassen, war für mich der Grund, mehrfach um das Ding rumzulaufen.

In den großen Räumen rechts der Mittelhalle wurde gerade eine Ausstellung aufgebaut, die waren daher nicht zugänglich. Also kletterte ich in den ersten Stock zu Michael Buthe, von dem gerade eine Retrospektive gezeigt wird. Ich mochte seine minimalistischen Stoffbilder, für die er verschiedenfarbige Stoffe auf Rahmen spannte und sie zerschnitt, verknotete, flocht. Bei der Installation „Taufkapelle mit Mama und Papa“ von 1984 faszinierte mich der große Wachsblock in der Mitte, der sich auf den Boden des Raumes ausdehnte. (Ich frage mich bei Installationen immer, wie die Kurator*innen das Zeug so hindengeln, dass es immer halbwegs gleich aussieht und ob sie damit die Grenze (ist es eine Grenze?) zur Künstlerin überschreiten.) Über dem Block hing eine Scheibe, die den Himmel imitieren sollte, auf ihre waren goldene Sterne gemalt, die mich in Form und Farbe an Sterne erinnerten, die ich an ägyptischen Tempeln gesehen hatte. Das war ein sehr unerwarteter Flashback und ein sehr schöner.

In einer Vitrine lagen seine Tagebücher, die aus eingeklebten oder selbstgefertigten Bildern bestanden. Einige waren aufgeblättert, andere hatte er selbst mit Klebeband umwickelt und so unzugänglich gemacht, ohne sie zu vernichten. Ein seltsamer Zwischenzustand, der mich an unerschlossene Archive und Schatzkammern erinnert hat. Im letzten Saal stand die raumfüllende Installation „Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit“, die für die documenta IX konzipiert wurde. An den Wänden hingen vierzehn Kupferplatten, in die Buthe geritzt und gefräst und sich an einem menschlichen Umriss abgearbeitet hatte. In der Mitte des Raums stand ein gefühlt zwei Meter hoher Leuchter aus vielen schwarzen Armen, in denen diverse ewige Lichter gesetzt waren. Zwei goldene Eier bekrönten das Objekt. Ich habe mich gar nicht mit Interpretationsversuchen beschäftigt, sondern schlicht die Raumatmosphäre genossen. Natürlich wecken Kerzen und Gold sofort kirchliche Assoziationen, die durch den Raum noch verstärkt wurden. Ich weiß nicht, wie die Aufstellung im Kolumba sonst ist, also ob das Werk da auch einen Raum für sich hat, aber ich ahne, dass es verliert, wenn es sich den Platz mit anderen teilen muss. Hier hatte es Platz, wurde aber gleichzeitig eingefangen, was mir sehr gefallen hat. Das lenkte meine Gedanken mal wieder zur Architektur des Hauses, und mir ist blöderweise aufgefallen, dass ich gerade, nachdem ich seit Wochen auf Ausstellungsbilder im Haus der (Deutschen) Kunst und der GDK gucke, Spuren davon im jetzigen Haus der Kunst suche. Albern, weiß ich, ich kriege es aber gerade nicht aus dem Kopf. Vielleicht hat mir deshalb die Installation von Laure Provoust so gefallen.

Mir ist mal wieder aufgefallen, wie gerne ich mich mit Materialität beschäftige. Dinge, die mir fassbar erscheinen – im Gegensatz zu Gemälden oder Zeichnungen –, kommen mir meist näher, vielleicht weil sie nahbarer sind. Vielleicht mag ich Architektur deswegen auch so gerne. Sie versteckt nichts, sie steht da und ist. Sie will in vielen Fällen etwas sagen oder verkörpern, aber sie hat längst nicht die Mittel wie Kunst dazu, sie muss mit Stein oder Holz klarmachen, was sie will. Ich kann mich ihr nähern, sie berühren, mich in ihr bewegen und selbst erfahren, was sie mir sagen will. In ein Bild kann ich schlecht hineinkriechen, auch wenn ich das durchaus gerne mal wollte (einmal durch van Goghs Arles schlendern!). Raumerfahrungen machen mir viel mehr Freude als auf eine Leinwand zu starren. (Wird weitergedacht.)

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Im anderen Teil des ersten Stocks gab es gerade wieder zwei Zeitkapseln: João Maria Gusmão und Pedro Paiva zeigten 16-mm-Filme, bei denen ich am meisten damit beschäftigt war, mich darüber zu amüsieren, dass es 16-mm-Filme waren und kein Video. Auch hier wieder: Flashback zu Filmvorführerzeiten und dem unnachahmlichen Geräusch eines Projektors. Nebenan zeigte Sara MacKillop die Installation „Schaufensterauslage“, die ich etwas fragend durchschritt, bei dir mir aber die ausgeklappten Papierbücher, die Laptops simulierten, gefallen haben.

Ich radelte durch das noch sonnige München nach Hause und freute mich darüber, durchs sonnige München zu radeln. Dann lungerte ich vor Casey Neistats Videos rum, aß Jogurt und wartete darauf, dass es abends wurde, denn ich war mit dem ehemaligen Mitbewohner auf ein Bierchen verabredet. Der Herr hatte leider erst recht spät Feierabend und dann gab’s nirgends Parkplätze, weswegen wir erst sehr spät im Fiedler & Fuchs landeten und auch nur noch ein Helles bzw. Dunkles zu uns nahmen. Aber: Heute beginnt das Oktoberfest, ich sehe in naher Zukunft deutlich mehr gemeinsames Bier.