Was schön war, Sonntag, 9. Juli 2017 – Synagogen-Besichtigung
Als ich mit dem Studium in München begann, erstellten der ehemalige Mitbewohner und ich eine Liste von Dingen, die ich in München gesehen oder erlebt haben sollte. Auf dieser Liste stand auch die Besichtigung der Ohel-Jakob-Synagoge, die 2006 eröffnet wurde. Und was soll ich sagen, nur fünf Jahre später haben wir diesen Punkt dann auch abgehakt. Aufs Oktoberfest habe ich es peinlicherweise deutlich früher geschafft.
Für die Führungen muss man sich anmelden und wie in jüdischen Zentren in Deutschland leider immer noch üblich, muss man sich ausweisen, man darf keine großen Taschen mitbringen und man geht durch einen Metalldetektor. Der Unterschied schmerzt umso mehr, wenn man daran denkt, dass man in so ziemlich jede Kirche einfach so reingehen kann, jedenfalls tagsüber. Ich stand in den letzten Jahren nur sehr selten vor einem versperrten Portal.
Man erreicht die Synagoge durch den sogenannten Gang der Erinnerung, einen über 30 Meter langen unterirdischen Gang, an dessen einer Seite die Namen von über 4500 Münchner Juden und Jüdinnen stehen, die zwischen 1933 und 1945 ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen die Zahl „6.000.000“ sowie die Namen einiger Vernichtungslager.
In der Synagoge selbst durften wir dann in den Bänken Platz nehmen, und Marian Offman erzählte uns eine gute Stunde lang etwas über das jüdische Zentrum in München, die Synagoge, ein wenig zur jüdischen Religion und wie ein Gottesdienst abläuft. Er begann mit dem Gang, durch den wir eben geschritten waren und erwähnte kurz die Alte Hauptsynagoge in München, die bereits im Juni 1938, also vor der Pogromnacht zerstört wurde. Die jüdische Gemeinde musste die Abrisskosten selber tragen. Ich war während meiner Recherchen zur Bachelorarbeit auch auf die Synagoge gestoßen, denn auch sie gibt es als digitale Nachbildung. Heute erinnert ein Gedenkstein am ehemaligen Standort an das zerstörte Gebäude und die Gemeinde.
Auf dem Weg zum Gang der Erinnerung ist der Grundstein des Gebäudekomplexes sichtbar. Er wurde 2003 verlegt; damals bereiteten Neonazis einen Anschlag vor. Ich paraphrasiere Offman: „Die Täter wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Die haben sie inzwischen abgesessen, Sie können sie also wieder auf der Straße treffen. Zum Beispiel bei den Pegida-Demos.“
Ich will hier gar nicht die Führung wiedergeben, kann sie aber sehr weiterempfehlen. Mich persönlich hat das helle Licht im Inneren der Synagoge überrascht. Von außen sieht man zunächst den hohen Steinsockel, dessen rau gestaltete Steine an die Klagemauer bzw. den zweiten Tempel in Jerusalem erinnern. Diese Anmutung funktioniert im Inneren sogar noch besser, denn dort sind die mit Stein und Holz verkleideten Wände in deutlich größere Abschnitte eingeteilt als die Außenmauer; die Platten kommen in ihren Ausmaßen denen der Klagemauer noch näher (wenn ich mich richtig erinnere – es ist etwas länger her, dass ich vor ihr stand). Über dem steinernen Sockel sitzt der zweiteilige Aufbau; wie genau der innere, schwarze aussieht, habe ich von außen nie recht erkennen können, man sieht allerdings sehr gut die goldenen Verstrebungen auf dem äußeren Teil, aus denen man mit etwas Mühe einen Davidstern basteln kann. Offman: „Ich gucke da seit Jahren drauf, ich sehe den immer noch nicht.“ Ich hatte erwartet, dass das Licht dämmriger ist oder man viel künstliche Beleuchtung braucht. Braucht man nicht; das dunkle Gitter ist lichtdurchlässig – man kann sogar von innen den blauen Himmel draußen erkennen.
Die Gemeinde, die zur Ohel-Jakob-Synagoge gehört, ist übrigens orthodox, das heißt, es gibt im Innenraum eine kleine, nur leicht abgesetzte Galerie für Frauen. Das überraschte mich etwas, ich hatte bei der modernen Architektur unwillkürlich auf eine Reformgemeinde getippt. Die heißt in München aber Beth Shalom, und laut Offman sind beide Rabbiner gut miteinander befreundet – „aber natürlich meint jeder, er selber habe Recht und der andere nicht.“ Überhaupt sprach Offman sehr locker über seine Religion bzw. die Gemeinde. So meinte er, dass von den 10.000 Münchner Juden und Jüdinnen vielleicht 100 streng den Sabbat einhielten, also nicht arbeiteten, das Auto stehen ließen etc. Er selber bezeichnete sich nicht als fromm. Auch auf die Kompatibilität vom modernen Leben mit der Torah kam er kurz zu sprechen: „Die Ehe für alle, über die ich sehr froh bin, wird von ihr nicht unbedingt abgedeckt.“
Was ich mir noch gemerkt habe: dass zum Zentrum auch eine Mikwe gehört, sowohl für Männer als auch für Frauen (ich dachte bisher, die Mikwe wäre ausschließlich für Frauen). Dass Shalom Ben-Chorin gar nicht bewusst war, dass er jüdisch war, „bevor ihn SA-Männer halb tot prügelten“ und dass er das lesenswerte Buch Jugend an der Isar geschrieben hat. Und dass der Architekt Albert Schmidt nicht nur die Alte Hauptsynagoge errichtete, sondern auch den Löwenbräukeller am Stiglmairplatz. Der steht übrigens noch.
—
In diesem Zusammenhang: Navid Kermani sprach vor Kurzem zum 20-jährigen Bestehen des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München, was Offman auch erwähnte. Die FAZ hat die Rede fast komplett abgedruckt. Es ist ein Longread, aber sehr empfehlenswert.
„Mit einer Beobachtung möchte ich beginnen, die ich im vergangenen Sommer nach einer Reise durch Osteuropa aufgeschrieben habe. Um Auschwitz zu besuchen, musste ich mich online anmelden und für eine Sprache entscheiden, Englisch, Polnisch, Deutsch und so weiter. Die Prozedur war nicht viel anders als auf einem Flughafen: Die Besucher, die meisten mit Backpacks, kurzen Hosen oder anderen Signalen, auf der Durchreise zu sein, hielten den Barcode hin, um einzuchecken, nahmen einen Aufkleber für ihre Sprache in Empfang und passierten eine Viertelstunde vor Beginn der Führung eine Sicherheitsschleuse. In einer engen Halle verteilten sie sich auf zu wenige Sitzbänke, bis ihre Gruppe aufgerufen wurde. Nachdem ich das Ticket unter einen weiteren Scanner gehalten hatte, stand ich von einem Schritt auf den anderen im ehemaligen Konzentrationslager, vor mir die Baracken, die Wachtürme, die Zäune, die jeder von Fotos, Dokumentationen, Filmen kennt.
Die Gruppen hatten sich bereits gesammelt und warteten darauf, von ihren Führern abgeholt zu werden. Während die israelischen Jugendlichen – oder bildete ich mir das nur ein? – etwas lauter und selbstbewusster waren, drückten sich die Deutschen – nein, das bildete ich mir nicht nur ein – stumm an die Mauer des Besucherzentrums. Plötzlich wog der Aufkleber schwer, den ich in der Hand hielt, eigentlich doch nur ein kleines Stück Plastikfolie. Er wog schwer. Instinktiv holte ich Luft, bevor ich den Aufkleber an die Brust heftete, auf dem schwarz auf weiß ein einziges Wort stand: deutsch. Das war es, diese Handlung, von da an wie ein Geständnis der Schriftzug auf meiner Brust: deutsch. Ja, ich gehörte dazu, nicht durch die Herkunft, durch blonde Haare, arisches Blut oder so einen Mist, sondern schlicht durch die Sprache, damit die Kultur. Wenn es einen einzigen Moment gibt, an dem ich ohne Wenn und Aber zum Deutschen wurde, dann war es nicht meine Geburt in Deutschland, es war nicht meine Einbürgerung, es war nicht das erste Mal, als ich wählen gegangen bin. Schon gar nicht war es ein Sommermärchen. Es war letzten Sommer, als ich den Aufkleber an die Brust heftete, vor mir die Baracken, hinter mir das Besucherzentrum: deutsch.“