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Der Baader-Meinhof-Komplex (Deutschland 2008, 150 min)
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Nadja Uhl, Hannah Herzsprung, Nils-Bruno Schmidt, Stipe Erceg, Vinzenz Kiefer, Simon Licht, Jan Josef Liefers, Heino Ferch, Bernd Stegemann, Tom Schilling, Hassam Ghancy
Musik: Peter Hinderthür, Florian Tessloff
Kamera: Rainer Klausmann
Drehbuch: Bernd Eichinger, nach dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust
Regie: Uli Edel
Der Baader-Meinhof-Komplex (ich habe die fehlenden Bindestriche mal gewagt zu ergänzen – die hätten übrigens den Untertiteln ab und zu auch ganz gut getan) erzählt einen Ausschnitt aus der Geschichte der RAF; angefangen mit den Studentenunruhen der 60er Jahre, Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke, der Schahbesuch in Berlin, Ulrike Meinhofs Kolumnen in der konkret, der Frankfurter Kaufhausbrand, die Haft Andreas Baaders und seine Befreiung, mit der die RAF in den Untergrund ging. Der Film endet mit der Entführung der Landshut und der Ermordung Hanns Martin Schleyers. Und wer jetzt mit all diesen Schlagworten was anfangen konnte, konnte auch mit dem Film was anfangen. Ich weiß nicht, ob das ich gemeine Kinopublikum jetzt total unterschätze, aber ich glaube, wer sich mit diesem Teil der deutschen Geschichte nicht schon ein bisschen beschäftigt hat, wird sich am Ende fragen, was das alles eigentlich sollte.
Der Film beginnt wie ein Actionfilm: Es geht auf der Demo gegen den Schahbesuch gleich richtig zu Sache, Benno Ohnesorg ist kaum auf der Leinwand erschienen, da ist er auch schon tot, aber danach wird das Tempo netterweise etwas zurückgenommen. Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof bekommen immerhin ein paar Minuten Hintergrundgeschichte, während Andreas Baader einfach irgendwann da ist. Was mir im Buch von Stefan Aust, auf dem der Film beruht, immer etwas gefehlt hat, waren nachvollziehbare Begründungen, warum z.B. aus Ulrike Meinhof wurde, was sie eben wurde. Wie vollzog sich die Wandlung von einer politisch Interessierten zu einer politisch Radikalisierten bis zur bewaffneten Terroristin? Der Film bietet einige Ansätze, zitiert aus Meinhofs Schriften und lässt auch Ensslin und Baader zu Wort kommen, ohne allzu sehr in den nervigen RAF-Slang abzugleiten.
Ãœberhaupt wird der politischen Diskussion bzw. dem politischen Rahmen dieser Zeit genug Platz gegeben, um zu wirken. Die Zustände in der Bundesrepublik werden mit simplen Montagen und Nachrichtenausschnitten ins Weltgeschehen eingeordnet, die Demonstrationen der Studenten gegen den Vietnamkrieg wirken weniger verloren, wenn sie Bildern von Napalmabwürfen gegenübergestellt werden. So wird das Phänomen RAF ein wenig geerdet, man beginnt nachzuvollziehen, was vielleicht passiert sein könnte. Trotzdem besteht nie die Gefahr, den Parolen zu verfallen – dafür sorgen teilweise sehr drastische Bilder der Gewalt, mit denen die RAF die Bundesrepublik erschüttert hat. Aber auch die Staatsaktionen werden bebildert: die brutale Zwangsernährung Holger Meins’ oder der überharte Polizeieinsatz gegen Studenten.
Das Problem am Baader-Meinhof-Komplex: Er kann nichts zeigen, was nicht schon bekannt ist. Gut, das mag generell das Dumme an historischen Stoffen sein, dass man das Ende der Geschichte schon kennt. Aber hier habe ich schlicht einen gewissen Spannungsbogen vermisst, der auch nicht dadurch wettgemacht wird, dass der Film nach anfänglich gutem Tempo plötzlich nur noch hektisch ist, weil er so viel unterbringen will. Das macht sich besonders im letzten Teil des Films, nach dem Tod Ulrike Meinhofs, bemerkbar, als der Daseinszweck der RAF sich langsam verlagert vom politischen Kampf zur gefühlten Priorität Gefangenenbefreiung. Ich hatte das Gefühl, dass jetzt auf Teufel komm raus noch alles untergebracht werden musste, was man eben so kennt: Buback, Ponto und dann das große Finale in Somalia. Einerseits fand ich es bemerkenswert, dass der Film so viel Wert auf Genauigkeit legt; andererseits war genau das sein Problem. Hätte man die gleiche Detailtreue wie das Buch gezeigt, hätte Der Baader-Meinhof-Komplex acht Stunden gedauert – dann hätte er allerdings auch die Chance gehabt, so großartig zu werden wie z.B. das Fernsehspiel Todesspiel, das sich „nur“ auf die Landshut und Schleyer konzentriert hat.
Zum Ende hin wurden dann plötzlich auch die Stilmittel, die den Beginn der RAF so clever dokumentiert hatten, eher nervig. Die ewigen Zusammenschnitte aus der Tagesschau, die teilweise nur noch aus Satzfetzen bestanden, Bilder, die kurz aufflackerten, ach ja, der Pilot und dann war da ja auch noch die Botschaft in Stockholm und das Olympia-Attentat und nebenbei geht der Prozess in Stammheim weiter … auf einmal wurde aus einem ambitionierten Film über eine ganz besondere Zeit eine banale Nummernrevue, die komplett die Kraft verloren hatte. Und als ob sich der Film dessen bewusst war, flackerte nochmal Dramatik auf: allerdings sehr künstlich und meiner Meinung nach völlig überzogen. Die Ermordung der Begleiter von Hanns Martin Schleyer wird gefühlt stundenlang zelebriert, da wird geschossen, als wolle man eine halbe Stadt hinrichten. Danach bekommt Schleyer nur noch wenig Zeit auf der Leinwand, denn nun spielt der Film – gezwungenermaßen historisch korrekt – an so vielen Schauplätzen auf einmal, dass er völlig zerfasert. Die Gefangenen in Stammheim werden zur Staffage, und damit geht der Film endgültig in die Knie.
Ich hätte mir gewünscht, der Film wäre mit dem Tod Ulrike Meinhofs zu Ende gewesen. Vielleicht hätte der Titel des Films dann anders lauten müssen, vielleicht hätte man dann nicht noch 500 tolle Schauspieler mit klangvollen Namen im Abspann gehabt, die teilweise nur ein oder zwei Sätze sagen durften – vielleicht wäre der Film dann aber so gut geblieben wie er anfangs war. Und vielleicht hätten dann auch Zuschauer, die vorher keine große Ahnung von der RAF hatten, nun etwas mehr über sie gewusst. So bleibt nur die vage Vorstellung einer völlig neuen Herausforderung an den Staat – aber warum sie im Endeffekt gescheitert ist, muss man sich nach dem Film anlesen.