Die Hand im Rücken

Gestern in der Kirche. Erster Advent, viele Kinder, vorne war eine kleine Landschaft aufgebaut, und die Kinder mussten die Figuren, die in die Landschaft gestellt werden sollten, in der ganzen Kirche zusammensuchen, während der Pastor ihnen (und uns) die Geschichte von Maria und Josef und dem Engel und den Königen und den Hirten erzählte. Neben mir in der Bank saß ein Vater mit seinem Sohn, der fasziniert nach vorne guckte, wo sich fünf Kinder um die Landschaft scharten, mit den Figuren spielten und dem Pastor zuhörten. Er hörte auch zu; der Keks in seiner Hand war vergessen, die Jacke, an der er die ganze Zeit rumgenestelt hatte, lag unbeachtet neben ihm. Er sah zufrieden und gespannt aus.

Der Vater allerdings fand es nicht so schön, dass sein kleiner Liebling hinten in den Kirchenbänken saß, wo man sich doch vorne so schön produzieren konnte. Er schob ihn mehrmals in den Gang zum Altar und bedeutete ihm, loszugehen und mitzumachen. Der Kleine guckte verwirrt von Papa zum Kindergewusel und wieder zu Papa, ging ein paar Schritte nach vorne, blieb dann stehen, knabberte an seinem Keks, schien zu überlegen – und ging schließlich wieder zur Bank zurück. Dort setzte er sich ruhig hin und guckte wieder lächelnd nach vorne. Der Keks interessierte nicht mehr und Papa auch nicht.

Ich weiß, wie sich die Hand im Rücken anfühlt. Geh doch nach vorne, geh zu den anderen, geh doch mal spielen, sag doch mal hallo, warum hast du keine Freunde, warum bist du immer alleine, wieso willst du nichts mit den anderen machen? Ist das nicht langweilig, hinten zu sitzen und nur zu gucken und nicht mitzumachen?

Nein. Ganz im Gegenteil. Hampelt ihr ruhig da vorne rum. Ich sitze hier hinten und gucke und mache mir meinen eigenen Kopf. Ganz alleine, ganz in Ruhe, ganz in Frieden. Ich hätte dem Kleinen am liebsten gesagt, dass er weiter das machen soll, was er für richtig hält. Der Hand im Rücken ausweichen oder die Stirn bieten. Ich hätte ihm gerne gesagt, wie mächtig das macht, wenn man es hinkriegt. Die Hampelmänner werden weiter versuchen, ihn zu kriegen. Hoffentlich ist er mit 14, 24, 34 immer noch so stark wie mit 4.

6 Antworten:

  1. Ein sehr nachdenkenswerter und schöner Beitrag. Ich werde jedenfalls in mich gehen und überprüfen, ob ich ähnliche “Hand im Rücken” Ambitionen meinen Lieblingszwergen gegenüber zeige.

    Carpe diem,
    Frank

  2. manchmal muss man zu seinem glück aber auch gezwungen werden. wir brauchen kontakt zu anderen menschen wie die luft zum atmen – nicht auf zwang, aber wenn wir versuchen uns abzukapseln, braucht man manchmal einen kleinen Schubs.

    Und ja, ich bin Einzelkind und ich hab früher auch viel lieber zugeschaut als mitgemacht usw. … also ich bin jetzt nicht das genaue Gegenteil, so ein Mitglied einer 12köpfigen Familie, der nie allein war.

  3. Nichts ist schlimmer für Kinder, wenn sie etwas sollen, was ihrem Naturell nicht entspricht. Sie verstehen gar nicht, warum das jetzt so wichtig ist. Und viel schlimmer: Sie wissen nicht, warum sie mit ihrer Art jetzt so falsch liegen.

    Wenn Eltern sowas zu oft machen und ein Kind nicht schon stark geboren wurde, dann kann das dem Selbstbewußtsein des Kindes extreme Risse zufügen. Die Schüchternheit seines Kindes “behandelt” man nicht, indem man es ins Rampenlicht schubst!

  4. Anke, bist Du ein Einzelkind?

  5. Nö.

  6. vielen dank für diese grandiosen aussagen! ich hab das als kind auch nie verstanden: warum zur hölle sollte ich mit menschen spielen gehen, nur weil sie zufällig gleichen alters sind?