Slumdog Millionaire
Slumdog Millionaire ist ein Märchen. Ein modernes, das in Indien spielt, in Mumbai und seinen Slums, gleichzeitig in einem hochmodernen TV-Studio, in dem die indische Version von Wer wird Millionär? aufgezeichnet wird und außerdem noch auf einer Polizeistation, wo zwei Polizisten viele unangenehme Fragen an einen jungen Mann haben. Der Kandidat der Quizshow und der Verhörte sind ein- und derselbe: Jamal, dessen Lebensgeschichte erzählt wird, indem er sich durch die Fragen von Millionär und den Polizisten hangelt, die ihm nachweisen sollen, dass er in der Show betrogen hat. Denn wie kann ein ungebildetes Slumkind bis zur letzten, der 20-Millionen-Rupien-Frage, durchkommen?
Der Film springt nicht nur zwischen den Orten hin und her, sondern auch den Zeiten in Jamals Leben. Jeder Ort und jeder Zeitpunkt erzählen eine weitere Geschichte, von denen einige fürchterlich grausam sind und andere klassische Märchenzutaten: Zwei Menschen treffen sich und wissen bereits als Kinder, dass sie füreinander bestimmt sind. Wir sehen Jamal, seine angebetete Latika und Jamals Bruder Salim, der sich als einziger nicht recht zwischen Gut und Böse entscheiden kann. Die beiden anderen wissen, auf welcher Seite sie stehen, und das ist das Märchenhafte an Slumdog. Man weiß nach fünfzehn Minuten, wie er ausgehen wird, und das tut er dann auch.
Und das ist auch fast das Einzige, was mich ein winziges bisschen gestört hat: dass es so viele Hindernisse gibt, die nach einer ewig langen Exposition in der Kindheit dann plötzlich zackzack im Erwachsenendasein überwunden sind. Dass der Film anfangs grausige Szenen hat mit Kindern, denen das Augenlicht genommen wird und großen Schwenks über die menschenunwürdigen Slums, nur um dann irgendwie im High-Tech-Indien zu landen, wo alles gut wird. Dass alles ein bisschen zu formelhaft daherkommt, auch wenn man dieser Formel eben folgen muss, damit es ein Märchen bleibt. Und wo ich gerade beim Nörgeln bin: Die letzte Szene mit Jamal und Latika, wo er ihr per Kuss zu verstehen gibt, dass ihre Narbe nicht stört, fand ich unglaublich überheblich, und der Dialog zwischen den beiden war völlig überflüssig und sehr ärgerlich geschrieben.
Ich bin etwas hin- und hergerissen von Slumdog Millionaire. Mein Kopf hat mir die ganze Zeit gesagt, der Film ist toll, der hat 1000 Preise gekriegt und alle finden den super, aber mein Bauch hat währenddessen leise rumgegrummelt und sich gefragt, warum den jetzt alle toll finden. Ich mochte den kurzen, rasanten und bunten Einblick in eine mir fremde Kultur, ich mochte die Bilder und Klänge, aber gleichzeitig war ich mir nie so sicher, ob ich jetzt wirklich darüber lachen sollte, wie bitterarme indische Kinder reiche Touristen verarschen, um nicht zu verhungern. Vielleicht hatte ich die politisch-korrekte Schere im Kopf, vielleicht auch die frauenbewegte Nöligkeit, warum sich mal wieder das rehäugige Mädel vom Kerl retten lassen muss, keine Ahnung. Ich habe den Film entspannt bis zum Ende geguckt, aber das Besondere an ihm habe ich nicht gesehen.