Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben
Ungefähr fünf Minuten, nachdem der Kerl und icke ein Paar geworden waren, fing ich an, seine riesige Comicsammlung zu bewundern. Allerdings nur als unglaublich attraktives Accessoire für meine eigene Bücherwand, die man ja beide irgendwann mal zusammenschmeißen könnte. Im Klartext: Die Menge an Gedrucktem in meiner unserer Wohnung würde sich schlagartig vervielfachen!
Lesen wollte ich diesen Kinderkam allerdings nicht, auch wenn der Kerl jahrelang versucht hat, mich davon zu überzeugen, mir immer wieder Perlen ans Herz gelegt hat, mir erklärt hat, warum dieser Band jetzt so toll ist und was das Besondere ist und was ihn von allen anderen Batmans unterscheidet und warum dieser Franzose so einen irren Stil hat und dass dieser Japaner mal … ich hab dann immer brav drei Seiten gelesen und mir die ganze Zeit gedacht, wieso müssen da so viele hektische Bilder sein – das kann man doch auch alles hübsch mit Buchstaben ausformulieren. Und dann auf die Verfilmung warten, wo man Bilder schön passiv konsumieren kann.
Und dann kam der Watchmen–Trailer, der mir ausgerechnet im Sony-Center, also auf großer Leinwand und mit fettem Sound, um die Ohren gehauen wurde. Ich weiß bis heute nicht warum, aber bei dem Trailer dachte ich, da würde ich jetzt wirklich gerne mal die Vorlage lesen. Hab ich gemacht. Fand ich grandios. Und wie ich schon in der längeren „Fand ich grandios“-Fassung geschrieben habe: Ich habe zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass diese Geschichte eben nicht hübsch mit Buchstaben ausformuliert besser gewesen wäre. Zum ersten Mal habe ich einen Comic gelesen und mich aufgeführt, wie ich mich beim Filmegucken aufführe, wenn mich Bilder in ihren Bann ziehen: Ich sitze mit offenem Mund da, halte den Atem an und will ganz dringend wissen, wie’s weitergeht. Der Kerl macht seit Jahren einen Sport daraus, mich dabei zu erwischen, wie ich völlig abwesend und eben mit offenem Mund (DAS MUSS SO!) auf dem Sofa hocke, vor einer DVD oder mit einem Buch, um dann schlechte Witze zu reißen, die mich wieder in die Realität holen, die doofe.
Im Moment hat der Mann viel zu tun, denn ich bin dem Medium Comic inzwischen rettungslos verfallen. Was auch daran liegt, dass so viele dicke, bunte Bände direkt vor meiner Nase stehen und ich zwischen dutzenden von Batmans, Iron Mans, Spider-Mans, Supermans, Daredevils und meinem neuen Liebling Catwoman wählen kann. Und noch vielen anderen Figuren, aber ich ackere mich erstmal durch die Heldenriege.
Ich lerne allmählich die verschiedenen Zeichenstile zu würdigen, ich fange an, bestimmte Texter lieber zu mögen als andere, ich beginne, die ganzen Zusammenhänge der vielen, vielen Figuren zu verstehen, ich habe ganz langsam einen winzigen Überblick über die lange Tradition der Charaktere. Und ich komme langsam auf den Geschmack, immer wieder neue Facetten der gleichen Personen erzählt zu bekommen. Denn das war bis jetzt meist der Punkt, den ich nicht verstanden habe: Wenn man die Story von Batman kennt, wieso muss man sich davon dutzende Versionen ausdenken oder lesen? Aber schon nach dem vierten Batman stellt sich diese Frage gar nicht mehr, weil es viel zu spannend ist, eine weitere Geschichte erzählt zu bekommen – aber eben aus einer anderen Perspektive, in einem anderen Stil, einem anderen Tonfall, mit einem neuen, ungewöhnlichen Fokus und einer ganz eigenen Atmosphäre.
Aber je mehr Comics ich lese, desto weniger verstehe ich ihre Verfilmungen. Dass man ein „klassisches“ Buch, also die Dinger mit den Buchstaben ohne Bilder, verfilmt, kann ich nachvollziehen. Aber wieso nimmt man einen Comic, der ja schon Bilder liefert, und interpretiert diese nochmal neu? Ich ahne allmählich, warum so viele Comicfans Verfilmungen grottig finden: weil die Figuren noch weniger mit dem Ausgangsmaterial zu tun haben als Buchverfilmungen. Schon bei denen stören sich viele Leser daran, dass die Schauspieler nicht dem Bild entsprechen, das man sich beim Lesen im Kopf zurechtgelegt hat. Und bei einem Comic gibt es ja schon ein Bild, da ist die Übereinstimmung noch schwerer hinzukriegen.
Natürlich gilt auch hier: Jedes Medium hat eine andere Art des Erzählens, und ohne Kino wüsste ich bis heute nicht, wer Frank Miller ist und was Kryptonit anrichten kann. Manche Comicverfilmungen sind sicherlich miese Coverversionen, während andere aus den unbewegten Bildern fantastische bewegte machen können. Aber ich glaube, mir wird es in Zukunft schwerer fallen, Comicverfilmungen zu gucken, weil ich jetzt weiß, wie großartig die Vorlagen sein können. Mist.
—
Edit: Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich durchaus schon ante Kerl Comics gelesen habe: Bei mir im Regal stehen alle Tim & Struppis, ne Menge Asterix, das Gesamtwerk von Calvin & Hobbes, anspruchsvolles Zeug wie Art Spiegelman oder Chris Ware und die ersten acht Bände von Akira, von denen ich mir die letzten zwölf nicht mehr leisten konnte, damals, im Studium. Könnte ich allmählich mal vervollständigen, die Sammlung. Aber die klassischen amerikanischen Comics haben mich früher einfach nicht interessiert.