Für Emilia zum fünften Geburtstag

Liebe Emilia,

heute wirst du fünf Jahre alt. Ich glaube, in deinen fünf Jahren bist du schon fast so viel rumgekommen wie ich mit meinen … 29. (Diesen Witz wirst du in 24 Jahren ganz fürchterlich finden.) Im letzten Jahr wart ihr mal wieder auf Sylt und auf Mallorca, von wo du Plastikseeigel mitgebracht hast, die leuchten und Krach machen. Jedenfalls wenn ich sie in die Hände kriege, denn nichts macht mehr Spaß als Kinderspielzeug, das Krach macht. Deswegen wirft deine Mutter auch manchmal so halbböse Blicke ins Kinderzimmer, wenn ich da bin. Oder ins Wohnzimmer, wo ich dich und Lotta mit Kissen bewerfe, die nicht zum Werfen gemacht sind. Ãœberhaupt scheine ich die Wirkung eines Zuckershakes zu haben, denn ihr seid immer lauter, wenn ich da bin als wenn ich nicht da bin. Aber das kann Einbildung sein. ich werde jedenfalls demnächst immer Kissen von zuhause mitbringen, mit denen ich euch bewerfen kann. Die liegen bei mir ja eh nur gelangweilt rum und würden bestimmt gerne geworfen werden.

Wenn du mir nicht gerade dein neues Spielzeug zeigst, bastelst du sehr gerne. Eins deiner ersten Werke, das ich bewundern durfte, war ein Fernglas, das du kongenial aus einer leeren Klopapierrolle und buntem Papier gefertigt hast. Natürlich konnte ich prima weit damit gucken. Und ich wette, Lotta hatte an deinem Geburtstagsgeschenk für sie genauso viel Freude. Für sie hast du aus einem Eierkarton und einem Stück Schnur mit einer Perle daran einen Fernseher gebastelt. Schnur und Perle sind natürlich ein Stecker, denn ohne Stecker kein Strom und kein Sandmännchen. Außerdem hast du Lotta eins deiner Pixibücher geschenkt, das du doppelt hast – und du hast es sogar mit eigens bemaltem Papier selbst eingewickelt. Ich war sehr beeindruckt, denn ich bin völlig unbegabt zum Geschenkeeinwickeln. Das lasse ich dich in Zukunft machen. Wenn du Lust dazu hast.

Wozu du Lust hast, kannst du inzwischen schon prima sagen. Im Kindergarten weißt du, wo’s langgeht und was dir gefällt und was nicht. Und das kriegt deine Umgebung schon mit. Auch beim Essen: Von den Fischstäbchen magst du zum Beispiel nur den „Knusperfisch“. Richtig so, Fisch ohne Knusper ist ja auch langweilig. Bei Smarties magst du die „Gummismarties“ lieber als die mit Schokolade. Darüber könnten wir vielleicht nochmal diskutieren.

Wobei ich ahne, dass ich dir philosophisch total unterlegen wäre. Vor einigen Monaten haben dein Papa und ich Lotta und dich ins Auto gepackt und sind in einen Wildpark in Hamburg gefahren. Dein Papa saß am Steuer, und als ich auf den Beifahrersitz kletterte, hast du vom Rücksitz aus gesagt: „Da sitzt Papa.“ Heute mal nicht, heute musste Papa fahren, was er nicht oft und nicht gerne macht. Deswegen hast du auch auf der Elbchaussee, als Papa mal ein bisschen schneller als 50 gefahren ist, gefragt, ob hier eine Autobahn sei. Ich möchte ja nicht meckern, aber ich ahne, dass du, wenn du den Führerschein machst, einer von diesen nervigen Beifahrern wirst, die dauernd Kommentare zum Fahrstil machen. Da könnten wir eventuell aneinandergeraten, denn ich kann genau wie du sagen, was mir gefällt und was nicht. Aber da sprechen wir später nochmal drüber.

Netterweise waren das nicht deine einzigen Bemerkungen vom Rücksitz, denn als wir zum Wildpark einbogen, hast du in einem Atemzug zwei Fragen gestellt, die mich davon überzeugt haben, dir geistig vielleicht doch unterlegen zu sein: „Wieso biegen wir links ab? Woher kommt die Welt?“

Darauf hatten wir gerade keine Antwort, also haben wir uns darauf beschränkt, dir und Lotta lange Grashalme in die Hände zu drücken, damit ihr die Rehe und Hirsche füttern könnt. Du hast die Halme am ausgestreckten Arm durch den Zaun gesteckt und sie sofort fallengelassen, sobald ein Reh sie im Maul hatte. Auch bei Hunden wahrst du gerne einen Sicherheitsabstand und bist nicht so ganz von ihnen begeistert.

Ein Tier gibt es allerdings, das du sehr gerne magst – zum Schrecken von Mama und Papa, die gerade erst verdaut haben, dass du Rosa toll findest: Pferde. Pferde sind großartig, und du hast überhaupt keine Angst vor ihnen. Mit deiner besten Freundin Cleo, ihren Eltern und deinen Großeltern bist du sogar schon mehrmals reiten gewesen. Du durftest longieren und hattest anscheinend viel zu viel Spaß, denn deine Eltern fürchten sich seitdem jeden Tag vor deinem Wunsch, ein Pony haben zu wollen. Pssst: Ich habe ungefähr anderthalb Regalmeter Pferdebücher! Wenn du irgendwann lesen kannst, bringe ich dir die alle mit. Und da du sogar schon deinen Namen schreiben kannst, darfst du den in alle „meine“ Bücher vorne reinschreiben.

Immerhin hast du einen halbwegs anständigen Ersatz für Pferde: ein Fahrrad. Das hast du im letzten Jahr zu Weihnachten bekommen und es auch gleich nackt im Wohnzimmer ausprobiert. Außerdem teilen sich Lotta und du ein Rollbrett, auf dem die eine von euch sitzt und die andere zieht – während euch Mama mit wachem Auge beobachtet, um euch davor zu bewahren, Treppenstufen oder euren an manchen Stellen abschüssigen Garten herunterzufahren.

Du magst die Natur sehr gerne. So hast du im Kindergarten „Springbüsche“ kennengelernt, deren Bohnen aufplatzen, wenn man sie anfasst. Und direkt vor eurem Haus wachsen weiße Knallerbsen, auf die man prima drauftreten kann, wie Lotta und du mir ausdauernd gezeigt haben. Ich durfte natürlich auch ein paar kaputtmachen, denn wie gesagt: Krachmachen ist prima. Aber auch die Stille in der Natur hat es dir angetan. So wolltest du im Wildpark gerne auf einen Baum klettern, wobei dir Papa geholfen hat, während Lotta und ich es uns auf einem unteren Ast bequem gemacht haben. Du hast weiter oben gesessen, während dein Papa dich am Rücken gestützt hat, und hast dir den Wald angeguckt. Und die Blumen, den Himmel und das viele Grün. Als ein kleiner Junge mit seinem Vater kam, der lieber auf dem Ast rumschaukeln wollte, bist du wieder runtergeklettert, um anschließend vom Klettergerüst deine Welt um dich herum in Ruhe anzuschauen.

Liebe Emilia, ich wünsche dir weiterhin einen weiten Blick über Wälder und Bäume und Blumen, eine feine Beobachtungsgabe für deine Mitmenschen, die Fähigkeit, diese Beobachtungen in kluge Worte zu fassen und ein schnelles Rollbrett, das dich überall hinbringt, wohin du möchtest. Oder ein Fahrrad. Oder ein Pferd. Und ganz vielleicht ein Auto, auf dessen Beifahrersitz ich sitze und dich frage, ob du inzwischen weißt, woher die Welt kommt.

Alles Liebe von deiner Patentante
Anke