Bücher 2009, August
Jiro Taniguchi – Vertraute Fremde
Als ich den Comic zum ersten Mal aufschlug, habe ich gedacht, huch, das sieht ja aus wie Hergé in Japan – und habe mich dann eitlerweise ein bisschen gefreut, als ich im Vorwort las, dass sich Taniguchi sehr von der frankobelgischen Comicszene hat inspirieren lassen. Die Geschichte von Vertraute Fremde kommt einem in Grundzügen ein bisschen bekannt vor – der erwachsene Hiroshi wacht eines Tages als 14jähriger Junge in seinem Elternhaus wieder auf und erlebt seine Jugend ein zweites Mal, allerdings mit dem Wissen eines 40jährigen –, aber das Buch kann doch überraschen. Erstens weil es eine mir persönlich fremde Welt beschreibt, nämlich die des Japan in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Zweitens, weil ganz langsam eine Familie sichtbar wird, die an der Oberfläche total normal ist, aber in ihrer Tiefe natürlich ganz anders. Mir hat Vertraute Fremde sehr gut gefallen; der Comic hat sich fast meditativ angefühlt, so spärlich und doch detailreich sind die Zeichnungen (fast alle schwarzweiß), das Tempo ist gemächlich, die Sprache sehr klar und präzise (Übersetzung von Claudia Peter), und die Figuren bekommen genug Platz, um weitaus mehr zu sein als Strichmännchen auf Papier.
flix – Da war mal was
Eine Sammlung von Geschichten über die DDR, die BRD (obwohl „wir im Westen“ das ja nie sagen sollten, weil das Ostslang war) und wie wir die andere Seite gesehen bzw. kennengelernt haben. Die einzelnen Storys sind autobiografisch und werden von verschiedenen Personen erzählt, weshalb die Bandbreite von „rührend“ über *facepalm* zu „erschreckend“ geht. Wie immer bei Flix: Empfehlung.
flix – Der Swimming-Pool des kleines Mannes
Eine Sammlung seiner täglichen Tagebuchcomics. Machen auf Papier genauso viel Spaß wie in diesem Interweb. Und man muss nicht 63 Mal klicken, um zu einem seiner Lieblinge zu kommen: den Skepsis.
Audrey Niffenegger – The Time Traveller’s Wife
Beim zweiten Lesen fallen einem die Ungereimtheiten der Story noch mehr auf als beim ersten, wo man einfach nur wissen will, wie das Buch ausgeht, aber auch diesmal hat die Unlogik von Zeitreisen mich nicht davon abhalten können, die Geschichte immer noch spannend und unterhaltsam zu finden. Diesmal habe ich mich allerdings schon des Öfteren gefragt, wie Henry jemals durch die Schulzeit gekommen ist, ohne unfreiwillig zeitzureisen (der Stress vor Prüfungen!), warum niemand der Eingeweihten RTL 2 was erzählt hat und wie groß die Liebe von Clare gewesen sein muss, jahrelang auf ihren Schatz zu warten. Hat ja schon was seeeehr altmodisches. Männe macht die Welt klar, und Mäuschen sitzt zu Hause und hofft, dass er vom Zigarettenholen wiederkommt.
Alan Moore/Eddie Campbell – From Hell
Ein 600 Seiten dicker Comic, in dem Autor Alan Moore und Zeichner Eddie Campbell alle Legenden und Fakten zusammentragen, die es über Jack the Ripper je gegeben hat. Die vermischen sie dann mit eigenen Ideen und Hintergrundstorys, und daraus ergibt sich ein sehr dichtes und sehr verstörendes Bild des viktorianischen Englands. From Hell liest sich, wie der Titel vermuten lässt, eher anstrengend; man muss sich schon ein bisschen Zeit nehmen für Zeitsprünge, Freimaurertheorien, eine Menge Biografien, die zusammenlaufen, manchmal sehr detailreiche Metzeleien und leider meiner Meinung teilweise schwer entzifferbare Sprechblasen. Wenn man sich erstmal in das düstere Werk reingekämpft hat, belohnt es mit den üblichen Moore’schen Ãœberraschungen wie plötzliche Sprünge in die Gegenwart, die dem Ganzen eine spannende Zeitlosigkeit verleihen. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass ich 600 Seiten gelesen habe, ohne einmal zu denken, hach, schönes Buch, sondern die ganze Zeit nur darauf gewartet habe, dass die fiese Geschichte endlich zu Ende ist. Nicht nur weil es anstrengend zu lesen war, sondern weil man auf jeder Seite die absolut pessimistische Grundhaltung „Menschen? Alles Arschlöcher“ so richtig schön in die Fresse kriegt.
PS: Das Besondere an From Hell ist übrigens sein Anhang, in dem Moore so ziemlich zu jeder Seite erzählt, woher er diesen und jenen Fakt hat, was ausgedacht ist, warum es ausgedacht ist und wie gut das Buch ist, aus dem er den Fakt zitiert. Den Anhang zu lesen dauert ungefähr genauso lange wie das eigentliche Werk, und danach braucht man nochmal was zu trinken.
Nick Abadzis – Laika
Ein Tipp von Nerdcore, der mir schon in der Empfehlungsmail geschrieben hat, dass der Comic „heartbraking“ sei (und der selber auch mit den Tränen zu kämpfen hatte). Ihr ahnt, was kommt: Wenn schon ein Kerl einen Kloß im Hals hat, sieht das bei mir gleich doppelt so schlimm aus. Ich habe die letzten 40 Seiten des Comics nur unter Schniefen und mit erhöhtem Taschentuchverbrauch durchgehalten, so fies geht einem die Geschichte von Laika, dem ersten Lebewesen im All, ans Herz. Eigentlich doof, denn natürlich weiß man, wie die Story endet. Und genau das ist für mich ein Zeichen dafür, wie gut und intelligent dieser Comic ist: Gerade weil man weiß, was passiert, müsste man ja eigentlich auf alles vorbereitet sein. Ist man aber so gar nicht. Laika verwebt die Geschichte des leitenden Raketenentwicklers, der eine Gulag-Vergangenheit mit sich rumschleppt, mit der der Hundetrainerin und ihres Vorgesetzten und natürlich der fiktiven von Laika, einer Streunerin, die auf Moskaus Straßen eingefangen wird. Ganz vorsichtig und nie mit dem Holzhammer streut Abadzis Motive von Freiheit, Träumen, Schicksal und Loyalität, sei es dem eigenen Staat oder einer Person gegenüber, in die Geschichte. Die Zeichnungen sind relativ schlicht, was ich aber ganz angenehm fand, da ich mit dem Inhalt schon genug zu kämpfen hatte. Große Empfehlung.
Stevan Paul – Monsieur, der Hummer und ich
Den Herrn Paul kenne ich eher als den Herrn Paulsen, nämlich aus diesem Blog und seinem Foodblog Nutriculinary. Daher kenne ich auch seine Art, über Essen zu schreiben und habe mich daher sehr auf das Buch gefreut, auf die vielen Adjektive, die genauso lecker sind wie das zu beschreibende Objekt und über diese seltsame begeisterte Neugierde, die in jeder Zeile mitschwingt. Das Buch ist dann auch genau so, wie ich es mir vorgestellt habe: lauter kleine Geschichten aus der Küche, aus Sicht eines Gastes oder völlig andere Vignetten, in denen Essen eine Rolle spielt. Und Franz Josef Strauß. Und Opa Paulsen. Und Paul Bocuse. Ich habe jede einzelne geliebt und werde sofort den Kartoffelsalat nachkochen, denn netterweise gibt es zu jeder Geschichte das passende Rezept. Etwas zu nörgeln habe ich allerdings schon: Das Buch ist mit knapp 180 Seiten viel zu dünn! Herr Paulsen, ich erwarte dringend eine Fortsetzung.