Gut Essen, Tag 1 (und ein halber Tag 0)
Sonntag Mittag. Ich stehe im Stau am Dammtor und hoffe, trotzdem noch rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen, um Frau Lu abzuholen, die sich ein paar Tage beim Kerl und mir einnisten wird. Nicht nur, weil’s nett ist, sondern auch, weil wir ihr Geld dafür zahlen, damit sie uns ein bisschen besseres Essen beibringt. Wir sind sehr gespannt, haben brav eine Woche Ernährungstagebuch geführt und werden das wahrscheinlich im Laufe der Woche um die Ohren gehauen bekommen.
Sonntag Nachmittag. Erst bin ich dran, dann der Kerl. Ich werde nicht nur nach Größe und Gewicht gefragt, sondern auch nach Gewohnheiten, Bewegung, Vorlieben bei Essen, was mag ich gar nicht, woran könnte ich mich ranessen usw. Lu will uns nämlich – das war unser Wunsch – nicht nur vernünftiges Essen beibringen, sondern auch vielfältiges. Wir haben beide unsere fünf Grundrezepte, die wir seit 20 Jahren kochen, weil sie uns schmecken, trauen uns aber recht selten an Neues ran. Wenn ich ein neues Kochbuch kaufe, machen wir meist ein Rezept daraus und das war’s. Mal schmeichelt sich dieses Rezept an unsere fünf Grundrezepte ran und wird ein neuer Freund (wie bei Tim Mälzers Kartoffel-Gurken-Salat mit einem Dressing aus Weißweinessig, Schalotten und körnigem Senf), meist prügeln aber unsere fünf Grundrezepte den Fremdling mit Mistgabeln vom Hof (wie beim grandiosen Experiment Jakobsmuscheln, die ich ausprobieren wollte, weil die das dauernd im Perfekten Dinner essen).
Ich fühle mich manchmal wie ein Essenspraktikant, weil ich nicht wirklich viel nutze von dem, was mir so in Supermärkten entgegenlächelt. Dem Kerl geht’s ähnlich, und daher dachten wir uns: Fragen wir doch mal wen, der sich mit sowas auskennt, damit aus den Praktis endlich Junioren werden.
Tag 1. Montag. Der Kerl eilt ins Büro, ich habe mir die Woche freigenommen. Erster Tagesordnungspunkt: Küchencheck. Lu guckt sich unsere Vorräte an und reicht einige Gewürzdosen an mich weiter, damit ich sie verklappe. Wie immer bei den kleinen Rackern tummeln sich da einige, die schon lange ihr Lebensende erreicht haben. Genau wie in unserer kleinen Speisekammer, wo ein paar Dosen ins Nirvana einziehen dürfen. Hält sich aber alles in Grenzen.
Dann geht’s ans Eingemachte: Fertigsuppen müssen nicht sein, Fertigbrühen schon gar nicht. Unsere geliebten Maggigläschen, mit denen wir gerne Kartoffeln oder Nudeln kochen, kommen weg und werden am Nachmittag durch ihre Biokumpels ersetzt, die mit weitaus weniger Chemie auskommen. Einige Sachen stehen bei uns nur noch rum, weil wir zu bräsig sind, sie wegzuschmeißen. „Seit wann hast du keinen Kakao mehr getrunken?“ — „Ein Jahr …?“ — „Nesquik kommt weg.“
Und dann kam mein persönliches Highlight des Tages. Beziehungsweise das erste: eine kleine Neuorganisation der Küche. Kennt wahrscheinlich auch jeder: Man zieht ein, organisiert das alles halbwegs durch, aber ein paar Ecken bleiben dann doch Baustellen. Bei uns ist es das Altpapier, was da lagert, wo man bequem rankommt, wo man aber auch gerne dazu neigt, es zu einem Berg werden zu lassen, weil man es prima ignorieren kann. Außerdem ist unsere Arbeitsplatte zu vollgestellt mit Zeug, bei dem ich nicht weiß, wo es besser hinpassen könnte. Durch Wegschmeißen von Dosen und Nesquik ist schon ein bisschen mehr Platz in den Regalen und Schränken geworden, und außerdem tummelt sich bei uns noch mein altes Ikea-Fernsehrolltischchen, das ich nicht wegschmeißen wollte, zu dem mir aber auch nicht Besseres eingefallen ist, als es in einer Ecke als Staubfänger und Ablageplatz für Grütz stehenzulassen. Aus ihm wird nun ein schicker Küchenrollwagen, auf dem sich Arbeitsutensilien und Gewürze stapeln, die man am Herd braucht. Denn da steht es jetzt. Und in seiner bisherigen Ecke lagert nun das Altpapier. Ich stehe fünf Minuten wie ein Idiot in der Küche und frage mich, warum ich da nicht selber draufgekommen bin. Lu tröstet mich mit dem üblichen Wald vor lauter Bäumen, aber ich habe das Gefühl, dass das Fangorn mit Mammutbäumen ist. Es kann so einfach sein.
Ohne zu sehr mit Details zu langweilen: Nach zwei Stunden ist unsere Küche besser organisiert, heller und bietet mehr Arbeitsfläche. Ich fange schon fast an zu heulen, aber es wird noch besser. Denn jetzt gehen wir einkaufen.
Wir treffen uns mit dem Kerl bei basic, das wir seit Jahren Basitsch aussprechen und das auch nicht mehr ändern werden. Geplant ist für heute abend ein Milchhühnchen. Ich habe bisher nur ein paar Weihnachtsgänse zubereitet, aber noch nie einen ganzen Vogel für alltags. basic nimmt es bei Fleisch von den Lebenden, und Lu entscheidet sich, das Huhn doch lieber von Wiesenhof und im Supermarkt zu kaufen. Wir lungern eine gute Dreiviertelstunde im Bioladen rum, lernen, dass Mangold quietschbunte Stängel hat (ich wähle den gelben und lasse die pinkfarbenen liegen) und wie gut frischer Ingwer riecht, wenn man ein Eckchen abbricht. Ich lasse mich bequatschen, doch einen Blattsalat mitzunehmen, den ich immer als toplangweilig of the langweilig empfunden habe. Lu behauptet, wenn man ein bisschen Rucola runtermischt, schmeckt das gleich ganz anders. Wir schnuppern an Broten, lassen uns Brotaufstriche erklären und den Vorteil von Biomilch: „Wenn du Muttermilch trinken würdest, dann doch auch lieber von einer Nichtraucherin, die sich gesund ernährt, oder?“ Ich möchte jetzt gar keine Milch mehr trinken, woraufhin Lu noch zwei Weine einpackt.
Nächste Station: Budni, die eine Alnatura-Ecke haben, die deutlich günstiger ist als Basitsch. Hier werden dann die Biobrühen gekauft, eine Menge Gewürze, Couscous für den Kerl, Dinkelnudeln für mich, Tomatensaucen und Frischkäse.
Schließlich unser Lieblingsspar, der nach der Umbenennung der Kette ein Edeka ist, aber für uns immer „unser Osterstraßen-Spar“ bleiben wird. Dort reiben wir an Liebstöckel und entdecken, dass es Kräuter gibt, die wie Maggi riechen, an Zitronenmelisse, die ich am liebsten sofort aufessen würde, so frisch duftet das Grünzeug, an Salbei, Majoran, Thymian und Oregano. Unser Einkaufswagen ist eine grüne Hölle. Das geplante Hühnchen wird zur Lammhaxe, als Beilage gibt es zum bereits erstandenen Mangold (den ich haben wollte, weil Herr Alphonso alle fünf Minuten seine Tarte erwähnt) Mohrrüben. Schwer bepackt treten Kerl und Lu den Rückweg an, während ich, ganz grande dame, mit Sonnenbrille lässig noch ein Körbchen Erdbeeren und einen Riesenstrauß bunter Blumen erstehe.
Der Kerl staunt über die neue Küche, wir packen aus und verstauen und können es kaum erwarten, die ganzen Schätze in eine Mahlzeit zu verwandeln. Ich schneide eine rote und eine Speisezwiebel klein, der Kerl eine gelbe Paprika, die in unserer Kammer lag, Lu wirft die Zwiebeln, frischen Knoblauch, zwei Lorbeerblätter und einen Zweig Rosmarin in einen Topf mit heißem Olivenöl. Darauf kommen die zwei Lammhaxen und die Lammschulter, ein ordentlicher Schuss Tempranillo, ein paar Kirschtomaten, köcheln lassen. Lu und ich testen den Wein; ich kann nur sagen „lecker“, während Lu mir geschmacksmäßig auf die Sprünge hilft: „Ganz dunkle, saftige Kirschen.“ Genau das habe ich natürlich gemeint und nehme noch einen Schluck.
Nach einer Stunde Pause Rumgeköchele geht es weiter. Ich wasche Mangold, Kerl schneidet Mohrrüben, Lu fischt das Lamm aus dem Topf und legt die drei Teile auf einen Teller. Das Fleisch hat sich zurückgezogen, die Beinknochen sind nun zur Hälfte sichtbar, genau wie die fünf Rippchen des Lamms. Lu schabt das Fleisch mühelos von den Knochen und rührt es wieder in den Topf, aus dem es seit einer Stunde unglaublich lecker duftet. Ich sehe zum ersten Mal bewusst die kleinen, dünnen Rippen, die mal ein Lämmchen getragen haben und habe das Bedürfnis, kurz „Danke, kleines Lamm“ sagen zu wollen. Dieses Gefühl hatte ich noch nie, denn bisher waren der Kerl und ich eher Filet- und Geflügelbrustkäufer, die kaum noch zeigen, dass sie mal Teil eines Lebewesens waren. Ich mache innerlich eine Notiz an das Lamm und gucke dann Lu zu, wie sie Mohrrüben mit einem Hauch Rosmarin in der Pfanne anbrät und mit Weißwein und Wasser ablöscht. Der Mangold wird kurz blanchiert, das Couscous ist auch innerhalb von wenigen Minuten fertig, ich decke den Tisch, und endlich gibt es was zu essen. Der Kerl trinkt Wasser, Lu und ich den Weißwein, der schon in die Möhrenpfanne gekommen ist, ein Pinot Bianco aus dem Friaul.
Während des Kochens haben der Kerl und ich dauernd probiert und wurden gefragt, ob noch was fehle und wenn ja, was. Ich finde alles lecker, Lu pfeffert beim Fleisch nochmal nach, und der Kerl stößt eine Diskussion darüber an, was eigentlich an Gewürzen wozu passt (Lu: „Reinwerfen und gucken“). Ich probiere zum ersten Mal Mangold und muss an Erde denken und Grünkohl. Die Möhren waren mir in der Pfanne einen Hauch zu rosmarinlastig – ich mag den Geschmack von Mohrrüben sehr gerne, da muss von mir aus gar nichts mehr dran –, stelle aber fest, dass sie im Zusammenspiel mit dem Lamm und der Sauce genau richtig sind. Ich spreche innerlich ein kleines Gebet für das Lamm und koste den Wein nacheinander mit den verschiedenen Komponenten auf dem Teller. Der Wein ist fruchtig, aber nicht süß. Zum Nachtisch teilen wir uns einen Bergpfirsich mit ganz weißem Fleisch, der so lecker ist, dass ich nöle, warum wir davon nur einen gekauft haben. Auf einmal schmeckt der Wein herber, aber immer noch köstlich. Anders köstlich. Lu holt ihr Weinbuch und schenkt mir ein kopiertes „Geschmacksrad“, auf dem ich blutiger Anfänger wenigstens ein paar Vokabeln stehen habe, die Wein beschreiben. Trotz des Rades kann ich nicht sagen, ob der Wein jetzt eher in Richtung Mango oder Zitrone neigt, aber inzwischen schmeckt eh alles nach Rosmarin. Ich fühle mich satt und glücklich und reich beschenkt.
Und morgen kaufen wir einen Mörser.