Nachträglich zum Weltlehrertag …
… den ich mal kurzerhand in Weltlehrer- und lehrerinnentag umtaufe.
Ich hatte in meiner 14jährigen Schulzeit ein paar Lehrkräfte (ha, geht auch ohne Geschlechtsspezifikation), die mich sehr beeinflusst haben bzw. denen ich einiges zu verdanken habe. Ihr auch?
Frau Mitschke hat mich in Deutsch und Kunst unterrichtet, 5. und 6. Klasse, wenn ich mich richtig erinnere. In Deutsch hat sie mir eine unschätzbare Eselsbrücke mit auf den Lebensweg als schreibender Mensch gegeben, die leider mit der Rechtschreibreform den Bach runtergegangen ist: „Es gibt im Deutschen kein einziges Wort, das auf -ss endet.“ Wäre ja auch zu einfach gewesen.
Außerdem hat sie uns im Kunstunterricht den gesamten Krabat vorgelesen, was ich sehr gerne gemocht habe. In meiner Erinnerung stand auf ihrem Schreibtisch ein Teelicht, aber ich glaube, das ist atmosphärisches Wunschdenken.
Und sogar nachmittags habe ich sie freiwillig gesehen, denn sie hat die Theater-AG geleitet, und ich habe ein Jahr lang versucht zu zeigen, dass ich schauspielern kann. Dass ich es nicht konnte, wurde mir leider ziemlich schnell klar, und bis heute erschauere ich beim Gedanken an unsere Aufführung am Schuljahresende: einige Szenen aus Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches. Ich war damals noch normalgewichtig, hatte aber trotzdem die Rolle der „dicken Köchin“, was mich natürlich wochenlang in Sinnkrisen gestürzt hat. Und den dramatischen Schluss habe ich so verkackt, dass einige im Publikum gelacht habe. Bei Brecht. Bei Nazikram. Von da an war mir klar, dass das Bühnenleben locker auf mich verzichten kann. Trotzdem hat mir die Theater-AG sehr viel bedeutet, weil wir sehr spannende Übungen gemacht haben, um warm zu werden, wir haben improvisiert, wir haben Bühnenbild und Kostüme erstellt, und wir waren einfach eine gute Gruppe. Auch wenn einige von ihnen das Schauspielern lieber lassen sollten *hust*. Und: Ich weiß jetzt, dass man aus weißen Hemden mit schwarzem Tee SA-Hemden machen kann. Und dass man ne Menge seltsamer Devotionalien auf dem hannöverschen Flohmarkt kriegt. (Koppelschlösser, anyone?)
Mein erster Lateinlehrer war Herr Zorn. Herr Zorn war einer von den Lehrern, die mit einer naturgegebenen Autorität ausgestattet waren. Oder kann man Autorität lernen? Er kam in den Raum, und auf einmal war Ruhe, alle saßen aufmerksam auf ihren Plätzen und los ging’s mit dem lustigen Konjugieren. (Watt hamwa jelacht.) Ich habe Herrn Zorn als jemanden in Erinnerung, der mich mit seinem Wissen unfassbar beeindruckt hat. Er hat nicht nur Latein unterrichtet, sondern auch Französisch (er war natürlich meine erste Wahl, als ich Französisch als dritte Fremdsprache gewählt hatte – nur um alles wieder zu vergessen), Erdkunde, Geschichte, Altgriechisch (auch das habe ich mir einige nullte Stunden lang angetan), und er hat nachmittags eine Italienisch-AG angeboten. Von ihm habe ich den Aussprachetipp, im Italienischen das böse R wie ein D auszusprechen, damit es von der Zunge rollt. Ich kann es bis heute bei vielen Worten überhaupt nicht – ich kann ja auch kein Italienisch –, aber wenn ich statt grazie gdazie sage, klingt das ganz okay.
In der Oberstufe habe ich mein Herz endgültig an ihn verloren, denn in der 11. Klasse haben wir Ovids Metamorphosen übersetzt – und zwar in Versform. Im Lateinunterricht macht man ja nix anderes als zu übersetzen, aber die ursprüngliche Form des Originaltexts ging so ziemlich immer verloren. Diesmal nicht – diesmal haben wir erst übersetzt und es dann schöngetextet. Ich glaube, das war einer der wenigen Augenblicke in meiner Schullaufbahn, in denen ich geahnt habe, dass Sprache etwas ist, mit dem ich mich auch zukünftig beschäftigen möchte. Und so streng Herr Zorn war, so gerne hat er auch gelobt. Insbesondere die schönen Versformen von Frau Gröner.
Eine andere Lehrerin, der ich es zu verdanken habe, Sprache zu lieben, war – meine Chemielehrerin Frau Brackhan. Chemie hat mein damaliges Hirn komplett überfordert, genau wie Physik. Heute ärgere ich mich über mich selbst und dass ich es nicht wenigstens mal versucht habe; den verdammten Zitronensäurezyklus habe ich mir fürs vierte Abiprüfungsfach Biologie schließlich auch irgendwie reinzimmern können. In der Mittelstufe war mir das aber noch egal, ich war mit der Pubertät beschäftigt, und eines meiner Weltschmerzventile war Schreiben. Kein Tagebuch, sondern „Romane“, die hoffentlich noch irgendwo in einer Kiste bei mir rumliegen, auch wenn ich sie nie wieder lesen will. Und da ich zuhause in meinem Zimmer lieber gelesen habe, blieb „natürlich“ nur die Schule, um zu schreiben. Ich habe die gesamten Chemiestunden der neunten Klasse damit verbracht, meine Romane zu schreiben. Frau Brackhan hatte ziemlich schnell mitgekriegt, dass mit mir nix anzufangen war, hat mich aber einfach machen lassen. Schließlich habe ich niemanden gestört. Zweimal pro Jahr hat sie mich zu sich gerufen, mir gesagt, was in der nächsten Stunde drankäme und dass ich darüber bitte Bescheid zu wissen habe. Dann wurde ich aufgerufen, wusste brav meine auswendig gelernte Seite aus dem Chemiebuch und habe dafür eine 4 als mündliche Leistung bestätigt bekommen. In den Klausuren hat’s auch immer für eine 4 gereicht, und damit war die Zeugnisnote gerettet. Am letzten Tag vor den Sommerferien durfte ich aus meine Oeuvre vorlesen – und ich hoffe, alle meine damaligen Mitschüler und Mitschülerinnen haben das bis heute vergessen.
Ja, ich weiß, der Lehrauftrag ist in diesen Stunden böse auf der Strecke geblieben. Ich war Frau Brackhan aber schlicht für ihren Realismus dankbar: Chemie war und ist mir egal. Und ich glaube auch nicht, dass man jeden Quatsch in einen Schüler oder in eine Schülerin reinprügeln muss. Die Grundlagen habe ich mitgekriegt, ich kenne das Zeichen für Säure und kann brav davor zurückschrecken, ich weiß, dass ich mir keine Laugen ins Auge kippen sollte, und ich kann sogar noch ein paar Kästchen aus dem Periodensystem aufsagen (NEON IST EIN EDELGAS). Reicht. Mir sind solche Lehrkräfte weitaus lieber als die Fachnazis, die Leuten eine 6 geben und damit ein Jahr wiederholen lassen, weil diese gerade nicht alle Flüsse Afrikas parat haben und auch keinen Sinn darin sehen, sie zu lernen. (Alle Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums Mellendorf wissen, von welchem Lehrer ich spreche.)
Zurück zu den Guten: Mein Liebling, wenn es um faire Lehrkräfte geht, war mein Mathelehrer Herr Oetter. Ich hatte ihn bereits in der Mittelstufe, wo es noch um nachvollziehbaren Kram wie Bruch- und Prozentrechnen ging – war mir zwar auch nie wirklich Spaß gemacht hat, was ich aber verstanden habe. Auch weil Herr Oetter jemand war, der Dinge nicht nur einmal, sondern zweimal, fünfmal und für Frau Gröner auch achtzehnmal erklärt hat. Daher habe ich ihn in der Oberstufe dankbar gewählt, denn trotz meiner guten Noten in Deutsch, Englisch, Geschichte und dem ganzen WICHTIGEN KRAM waren meine Leistungen in Bio und Mathe eher unterirdisch (Chemie und Physik waren natürlich längst abgewählt). Dieses Mal gab’s keine Bruchrechnung, sondern Kurvendiskussion und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Was mir dieser Kurvenquatsch sagen sollte, habe ich bis heute nicht verstanden, und ich habe selten so einen Widerwillen gegen einen Lehrstoff gehabt wie gegen diesen Unsinn. Trotzdem habe ich mich bemüht, wohl eher weil ich musste als weil ich wollte. Und Herr Oetter hat genau das gewürdigt. In den meisten Klausuren habe ich mit Ach und Krach und viel gutem Willen vier bis fünf Punkte geschafft, aber manchmal hat es nicht mal dafür gereicht. Daher ahnte ich eine sehr üble Zeugnisnote, die meine Versetzung hätte gefährden können – und wurde völlig überrascht. Denn da ich mich im Unterricht beteiligt hatte – wenn auch eher durch die millionste Nachfrage als durch Lösungsvorschläge („Wendepunkt? 17? a = x Quadrat? WTF?“) – und immer, ja, immer meine Hausaufgaben gemacht hatte, die Herr Oetter am Anfang jeder Stunde kontrollierte, hat der gute, edle Mann, dem ich beinahe meinen Erstgeborenen versprochen hätte, mir allen Ernstes im Zeugnis 9 Punkte gegeben. Die Versetzung war gerettet und das Abi damit auch.
Eine kleine Ehrenerwähnung kriegen natürlich sämtliche Deutsch- und Englischmenschen, bei denen ich immer eine gute Zeit hatte. Genau wie unser langhaariger Musiklehrer, der mit dem gleichen Enthusiasmus die Dead Kennedys, die West Wide Story und Zar und Zimmermann aufgelegt hat.
Über die Riege an Pappnasen breite ich den Mantel des angenervten Vergessens. Aber selbst ihnen rechne ich irgendwie an, dass sie versucht haben, mir was beizubringen. Ich möchte den Job nicht haben.