Größtenteils gelungenes Zeit-Interview mit Sebastian Deisler, der immer noch mit seinen Depressionen kämpft und nun ein Buch über seine Fußballkarriere geschrieben hat. „Größtenteils“, weil ich Fragen nach seinem Fernsehkonsum oder ob der Mann Zeitung liest als eher dämlich und nicht erhellend empfinde. Aber das mag persönlicher Geschmack sein.
„ZEIT: Was ist so schlimm daran, wenn jemand nach Ihrem Parfüm fragt?
Deisler: Ich wollte Fußball spielen, über Fußball sprechen. Aber plötzlich wurde alles wie mit Scheinwerfern ausgeleuchtet, hatte der Fußball so viele Nebenwirkungen. Mein Leben wurde vereinnahmt. Ich habe manchmal im Bett gelegen und gebetet: »Lieber Gott, ich schaff das nicht.« Ich habe sogar mein Talent verflucht. Ich war zu gut, um nicht aufzufallen. Ist das ein verrückter Gedanke?
ZEIT: Ein trauriger.
Deisler: Es war ein bisschen so, als sei ich auf eine ewige Klassenfahrt geraten. Da gibt es doch auch immer die Lauten, die Bestimmer – und die, die lieber um neun im Bett wären, aber bei der Kraftmeierei mitspielen, um nicht ausgelacht zu werden. So habe ich mich gefühlt. Ich wollte auch hart sein, grob sein. Das steht auch so im Buch: Abends habe ich in meiner Wohnung gesessen, jeder da draußen kannte mich, ich war fußballerisch ganz oben, vor der Tür stand ein dickes Auto, aber nichts davon hat mich glücklich gemacht. Ich habe mich gefragt: Und das soll jetzt das Ziel sein? Ich war todtraurig. Ich habe gegen meine Natur gelebt.
Ein gesunder Mensch, der hört, wie Deisler sich heute an seine Karriere erinnert, wird manchmal Schwierigkeiten haben, Verständnis zu empfinden. Spricht da nicht ein begabter, junger Mann, der in wenigen Jahren sehr viel Geld verdient hat? Es ist einem Gesunden schwer zu vermitteln, wie ein Depressiver die Welt erlebt. Wie unsicher er sich selbst im Erfolgsfall fühlt, wie groß der selbst gemachte Leistungsdruck ist, wie viele Feinde er plötzlich sieht. Tragisch daran ist, dass auch enge Freunde diese Schwarzmalerei des Kranken, sein ständiges Um-sich-selbst-Kreisen nicht lange aushalten. Damit zerreißt das soziale Netz, das als Hilfe wichtig wäre.
Schätzungen zufolge durchlebt jeder achte Mensch in Deutschland mindestens einmal in seinem Leben eine Depression. Mediziner sind sich einig darin, dass die Krankheit durch ein komplexes Zusammenspiel von Körper, Seele und Umwelt entstehen kann, durch Anlage und äußere Einflüsse, oft durch frühkindliche Prägung, häufig durch Phasen der Überforderung, in denen der Patient sich als dauerhaft hilflos erlebt. Öffentlicher Druck kann ein Auslöser sein. Das Gefühl, die Kontrolle über sein Ich zu verlieren, ist keine Einbildung. Hormonhaushalt, Hirnstoffwechsel und Herzfunktion ändern sich tatsächlich. Diese Veränderung kann durch ein »Reiß dich zusammen!« nicht behoben werden.“