16 Flaschen Wein und keinen Kopp
Die Weinprobe mit Frau Lu. Ich habe acht Gäste eingeladen, mit Lu und mir sind es zehn durstige Menschlein, und erst als ich anfange, Stühle aus der Küche zu schleppen, um die vier Stühle aus dem Esszimmer zu ergänzen, fällt mir auf, dass nur acht Leute an Omas alten Esstisch passen. Nun gut. Dann wird’s eben etwas kuscheliger.
Auf dem Programm stehen wagemutig acht Rotweine. Lu baut 16 respektheischende Flaschen auf und verteilt riesige rote Spuckbecher, während ich vier Baguettes aufschneide. Auf dem Tisch stehen drei Sorten Salami, Camembert, Ziegenkäse, Räucherlachs, Vollmilchschokolade und Bitterschokolade mit Meersalz. Um punkt 19 Uhr klingeln die ersten Gäste, ich stelle Blumen in Vasen und freue mich über schöne Präsente. Und dann geht’s auch schon los.
Lu verteilt Geschmacksräder, damit wir Vokabeln zur Geschmacksbeschreibung haben, die über „Jo, lecker“ hinausgehen und eine Liste aller Weine, zu denen wir uns Notizen machen können. Ich muss gestehen, ich habe das Notieren im Laufe des viel zu schnell vergangenen Abends immer nachlässiger betrieben; daher werden die folgenden Zeilen auch längst nicht alles wiedergeben können, was wir so gerochen und geschmeckt haben. Aber wer immer sich mit dem Gedanken trägt, ach, so ein paar neue Weine könnte ich ja auch mal kennenlernen: machen. Weinproben besuchen oder buchen oder Probierpakete bestellen und einfach drauflosschmecken. Ich fand die ganze Sache sehr genussreich, sehr lebendig, sehr gesellig, und es hat sehr viel Spaß gemacht, sich mal wieder intensiver mit einem Produkt auseinanderzusetzen.
Der erste Wein: ein Spätburgunder von Römerkelter, 2008, Mosel/Deutschland, 13,5%.
Die Farbe: ein sehr helles Rot, kein Vergleich mit dem üblichen tiefen Rot, das man sofort mit Rotwein assoziiert. Ich finde ihn sehr kantig, eher anstrengend, Lu nennt ihn „spitz“. Nicht so meins. Der Spuckbecher kommt zum ersten Mal zum Einsatz, und ich fühle mich wie ein Profi. Felix meint: Wer am Ende des Abends den leersten Becher hat, hat verloren.
Der zweite Wein: ein Zweigelt von Meinklang, 2008, Burgenland/Österreich, 13%.
Die erste und zweite Nase zuckt vom Glas weg – Lu sagt „nasses Leder“, ich sage „will ich gar nicht im Mund haben“. Ich nehme aber doch brav einen Schluck, kaue auf dem Wein rum, atme durch die Nase aus (dabei kriegt man meist ein recht deutliches Aroma mit) und muss zugeben: schmeckt deutlich besser als er riecht. Viel Kirsche, in der Nase Himbeere, aber irgendwas wuselt im Hintergrund rum, was nervt. Florian nennt es einen Fehlton. Passt. Auch nicht unbedingt mein Liebling des Abends.
Der dritte Wein: Gentile, ein Montepulciano d’Abruzzo von Franco D’Eusanio, 2008, Abruzzen/Italien, 13,5%.
Ah, der erste Wein, der mir richtig schmeckt. Sehr viel Tannin, was ich ja eigentlich nicht so mag, aber hier stört es nicht, sondern gibt dem Wein Charakter. Viel Kirsche. Wir kosten mal ein bisschen Salami dazu, was keine gute Idee ist. Der Wein verliert komplett seine Eigennote; er wird nicht schlecht, aber er ist längst nicht mehr so markant. Mit Ziegenkäse oder Camembert hingegen ist er großartig: Er nimmt dem Camembert das Staubige der Rinde und lässt den Ziegenkäse dahinschmelzen. Den würde ich kaufen.
Der vierte Wein: Pampina, ein Nero d’Avola vom Weingut Maggio Vini, 2008, Sizilien/Italien, 13%.
Auf den hatte ich mich sehr gefreut, denn mein ständiger Weinvorrat beinhaltet einen günstigen Nero d’Avola, der sich bei Edeka in der Bioecke findet und den ich sehr gerne mag. Daher dachte ich, der Pampina müsste mir auch schmecken. Aber meine Nase nölt beim ersten und zweiten Schnuppern laut und vernehmlich: PFERDEMIST. Ernsthaft. Der Geruch, den ich sofort im Hinterkopf habe, ist der der riesigen Misthaufen, an denen ich Landkind früher immer vorbeigelaufen bin: unangenehm weil Exkremente, aber gleichzeitig süßlich-fermentierend. Ein ganz komisches Mittelding. Auch geschmacklich ist das überhaupt nicht meiner. Zur Nero-d’Avola-Traube wurden noch Merlot (mag ich), Cabernet Sauvignon (och jo) und Syrah (bäh) hinzugegeben, und einer von denen hat den Geschmack für mich persönlich total runiert. Ich habe den Rest des Abends nur noch von „Syrah, der Ratte“ gequengelt und war sehr verstimmt darüber, dass ich augenscheinlich nicht alle Nero d’Avolas unbedenklich bestellen kann.
Der fünfte Wein: ein Bordeaux vom Château Vieux Georget, 2008, Bordeaux/Frankreich, 12%.
Ich habe im Laufe des Abends immer weniger den Spuckbecher genutzt, was sich allmählich rächt. Ich kann überhaupt nicht mehr sagen, welche der vielen verfügbaren roten Früchte sich hier als Aroma rausschält. Ich kann aber noch sagen, dass ich diesen Bordeaux relativ unaufregend finde, aber genau das macht ihn ziemlich sympathisch. Vielleicht möchte er ja die Verrätertraube Nero d’Avola als meinen Immer-im-Haus-Wein ablösen. Der Wein ist sehr geradeaus, sehr schlicht, eckt nicht an, stört nicht, schmeckt halt einfach so vor sich hin. Wir haben ihn sowohl mit Salami als auch mit Camembert probiert; auch hier: passt, macht nichts kaputt, macht aber auch nichts besser. Unaufregend halt. Lu meint, dass er so richtig typisch „nach Bordeaux“ schmeckt. Dann mag ich anscheinend Bordeaux.
Der sechste Wein: ein Corbières vom Château Coulon, 2008, Languedoc-Roussillon/Frankreich, 14%.
Mein bisheriger Liebling. Leider habe ich mir keine Notizen mehr dazu gemacht, womit er gut schmeckt und womit nicht, aber auf meinem Zettel hat er ein Kreuz (das nur noch von den zwei Kreuzen des achten Weins übertroffen wurde). Selbst der Geruch der leeren Flasche ist sehr weich und stimmig, und nachdem ich das Etikett nochmal gelesen habe, auf dem etwas von Barriquefässern steht, fällt mir wieder ein: ach ja, das leichte Vanillearoma. Ich erinnere mich an eine angenehme Süße und viel Frucht. Ich weiß allerdings nicht, warum ich den Wein so gerne mag, denn von der Ratte Syrah sind hier 35% drin. Wein ist echt kompliziert. (Super Satz.)
Der siebte Wein: El Molino, ein Tempranillo vom Weingut Jesús del Perdón, 2008, Kastilien-La Mancha/Spanien, 13,5%.
Lu plaudert aus, dass der El Molino ihr Haus-und-Hof-Wein ist. Kann ich verstehen. Er schmeckt auch zu so ziemlich allem auf dem Tisch, sogar zur fiesen Vollmilchschokolade, die bei jedem anderen Wein nach Palmin und Geiz geschmeckt hat. Hier hat man das Gefühl, selbstgemachte Mon Cheris zu essen, und das schmeckt gar nicht mal schlecht. An mehr kann ich mich nicht erinnern, keine Notizen, der Abend war spät und ich sehr gut gelaunt. Spuckbecher sind Teufelswerk.
Der achte Wein: Vinya Laia vom Weingut Albet i Noya, 2007, Katalonien/Spanien, 13,5%.
Zwei Kreuze auf dem Notizzettel, aber keine Ahnung mehr, warum. War anscheinend toll. Ich erinnere mich daran, dass Lu meinte, dieser Wein sei einer von denen, die einem abends einen richtig miesen Tag noch retten können. Unterschreibe ich sofort, denn die leere Flasche riecht sehr verlockend.
Ich bin offiziell betrunken, schaffe es aber noch, den hungrigen Mäulern ein paar Gemüsesticks und einen Dipp zuzubereiten, während die Rotte sich weiter volllaufen lässt. Wenn ich mir die Pegelstände der übriggebliebenen Flaschen angucke, hat ausgerechnet der Pferdestallwein Pampina den meisten am besten geschmeckt. Zweiter Platz: der Gentile. Geteilter dritter Platz für El Molino und den Château Coulon. Vierter Platz für meinen Liebling Vinya Laia. Den fünften Platz teilen sich der Château Vieux Georget und der Zweigelt, und extrem abgeschlagen auf dem letzten Platz (fast volle Flasche) der Römerkelter.
Eigentlich dachte ich, nach der Orgie am Samstagabend will ich Sonntag bestimmt keinen Wein mehr trinken. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten: Ich freue mich jetzt schon auf den Abend, wenn ich die Reste meiner Lieblinge nochmal antesten kann. Ich persönlich habe sehr viel von der Verkostung mitgenommen: mal wieder die Würdigung eines komplexen Genussmittels und vor allem den Genuss des Ausprobierens, Schmeckens, Riechens, Nachspürens, wie jetzt was schmeckt und duftet. Ich habe selten so viel Spaß dabei gehabt, meinen Horizont zu erweitern. Und wenn ich das mal der geneigten Leserschaft auf den Weg geben darf: Das ganze ist sogar bezahlbar. Ich habe den Abend alleine bestritten (mein Geburtstagsgeschenk an mich selbst), aber wenn man sich mit ein paar Freunden zusammentut, ist das alles sehr erschwinglich und macht sehr, sehr viel Freude. (Werbung off. Noch mehr Spaß am Weintrinken als vorher on.)