Inception


© Warner Bros.

Inception (USA/UK 2010, 148 min)

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page, Ken Watanabe, Marion Cotillard, Tom Hardy, Cillian Murphy, Dileep Rao, Tom Berenger, Michael Caine, Pete Postlethwaite, Lukas Haas
Musik: Hans Zimmer
Kamera: Wally Pfister
Drehbuch: Christopher Nolan
Regie: Christopher Nolan

Trailer

Offizielle Seite

Als beim letzten Bild des Films die Leinwand dunkel wurde, stöhnte das ganze Kino gequält auf – um direkt danach zu klatschen. Was die Stimmung ganz gut zusammenfasst, mit der ich aus Inception gekommen bin: scheiße oder schön? Ich habe weder gestöhnt noch geklatscht – ich war mir zunächst einfach nicht sicher, wie ich den Film fand.

Inception macht erstmal eine riesige Wundertüte auf. Leonardo DiCaprio kann sich mithilfe eines lustigen Geräts in anderer Menschen Träume einschleichen, um ihnen dort Geheimnisse zu entlocken. Dummerweise läuft ihm in den Traumwelten dauernd seine Frau über den Weg, die selten der gleichen Meinung ist wie er. Was seinen Job nicht unbedingt einfacher macht, für Firmen an Safekombinationen oder Dokumente zu kommen, an die seine Objekte gerade denken. Der Film wirft einen sehr zielstrebig in die irrsinnige Idee, in anderer Leute Unterbewusstsein rumzumarschieren und diese Welt ständig verändern zu können, denn es ist ja nichts echt. Schon in den ersten zehn, fünfzehn Minuten – ich habe jedes Zeitgefühl im Kino verloren –, befinden wir uns in mindestens zwei gedanklichen Ebenen … oder sind es sogar drei? Ãœber diese Frage grübelt man zwei Stunden später nochmal nach, obwohl man da sowieso damit beschäftigt ist, die einzelnen Traumebenen zu ordnen, in denen wir uns jetzt gerade befinden. Falls wir uns in einem Traum befinden. Man weiß ja langsam nicht mehr so genau, wo jetzt gerade was ist.

Und genau das ist das Faszinierende an Inception: Immer wenn ich geglaubt habe zu wissen, wo’s langgeht, verschachtelt sich der Film noch ein bisschen weiter. Das ganze garniert mit hübschen Effekten wie eine Straßenszene in Paris, wo sich die Erde mal eben um 180 Grad nach oben faltet und so Dach auf Dach liegt. Ãœber einem und neben einem fahren Autos, und dazwischen spazieren Leo und Ellen Page als Ariadne (talking names, anyone?) und unterhalten sich darüber, wie viel oder wie wenig man Dinge im Traum verändern sollte, um sich selbst nicht zu verwirren. Zusätzlich schweben wir schwerelos in Hotelfluren und Fahrstuhlschächten, erleben wilde Autojagden mit und ballern in einem abgelegenen Skigebiet den Beton aus den Wänden. Die Actionsequenzen sind gut, keine Frage, aber ich fand sie ein wenig zu weltlich, um perfekt in die Fantasie zu passen, in der Inception sich eher zuhause fühlt. Die Szenen, in denen wir klar in einer Traumwelt sind, fand ich hingegen sehr gelungen: eine absolut ausgewogene Mischung aus Elementen, die man kennt und Dingen, die das ganze unwirklich gemacht haben, ohne einen völlig aus der Bahn zu werfen – zum Beispiel die Hochhäuser, die ins Meer stürzen oder die Gebäude, die eben nicht ganz zusammenpassen in Leos und Marions Fantasie. Inception entwirft keine ganz neue Welt, die man sofort als Science-Fiction abhaken könnte, sondern schafft stattdessen eine Umgebung, die einem bekannt vorkommt. Was den ganzen Zauber mit dem Weg ins Unterbewusstsein von anderen etwas leichter verdaulich macht.

Trotzdem ist das ganze schöne Augenpulver auch die Schwachstelle des Films: Eben weil nichts echt ist, fällt es manchmal schwer, echt mitzufühlen, mitzuleiden, mitzufiebern. Im Prinzip sitzen die Protagonisten ja bequem im Flugzeug anstatt gerade von Brücken zu stürzen oder von Lawinen verschüttet zu werden. Im Prinzip. Denn auch hier baut Inception einen Kniff ein: Durch die mehrfache Verschachtelung, durch die Reise ins Unterbewusstsein des Unterbewusstseins werden einige Regeln außer Kraft gesetzt, die für die „einfache Reise“ gelten. Das macht es zwar wieder spannender, aber gleichzeitig auch ein bisschen willkürlicher; es hat sich ein bisschen angefühlt wie bei Magiekarten, wo ein Zauber einen anderen schlägt, weil der Erfinder des Spiels das so will und nicht, weil Naturgesetze oder Erfahrung es vorschreiben. Deswegen war ich mittendrin etwas nölig, weil ich eben eine Stunde lang eine Idee hingenommen habe, nur um jetzt mitgeteilt zu bekommen, ach übrigens haben wir hier noch zwei Seiten Kleingedrucktes.

Irgendwann habe ich angefangen, an der Logik zu knabbern – in welcher Ebene sind wir jetzt und wer muss jetzt wen wieder wachkriegen, damit alle gesund und munter zuhause ankommen –, anstatt mich weiter von wilder Action übers Ohr hauen zu lassen. Wahrscheinlich war ich deshalb eher bei der Stöhn- als bei der Klatschfraktion, als der Film zuende war. Weil ich über das Ende eben erstmal nachdenken musste, anstatt mit einem „Ja, genau, Punkt, fertig, jetzt noch ein Bierchen“-Gefühl aus dem Kino zu rennen.

Was ich an Inception hingegen mochte: dass es nicht nur eine Geschichte war, die erzählt wurde, sondern dass es gleich zwei Ebenen gab, um die man sich geistig kümmern musste. Einmal der Auftrag von Ken Watanabe, eine „Inception“ zu implantieren, also einen Gedanken, eine Idee ins Unterbewusstsein eines Menschen zu bekommen, anstatt umgekehrt eine Information aus ihm herauszukriegen. Und zweitens die Geschichte mit Leo und seiner Frau, die sich erst nach und nach enthüllt. Der Typ neben mir im Kino war anscheinend eher an der ersten Storyline und dem Geballere interessiert, jedenfalls hat er stets rumgeseufzt, wenn wieder Cotillard im Bild war. (Nebenbei: dass der „Aufwachsong“, der Trigger, der den Träumenden das nahe Ende ihrer Reise ankündigt, ausgerechnet Édith Piafs Non, je ne regrette rien war, fand ich extrem dusselig, weil Marion Cotillard gefühlt vor zehn Minuten die Rolle der Piaf oscarprämiert gespielt hatte. Kann man als Verbeugung deuten, empfand ich aber als sehr störend.) Im Gegensatz zum Sitznachbarn fand ich gerade die Story des Ehepaars viel spannender als die Inception-Storyline, denn sie gab dem ganzen Film die Tragik und Menschlichkeit, die aus Inception mehr gemacht hat als eine großartige Kopfgeburt.

Was ich auch mochte: die Musik. Sie ist mal wieder von Hans Zimmer, dem ich ja gerne vorwerfe, am liebsten mit drei Orchestern gleichzeitig und einer Armee von Kanonen und Feuerwerk Filme zu unterlegen, aber hier war sie perfekt. Sehr unmelodiös, sondern eher eine akustische Untermalung. Sie ist mir schon im Trailer aufgefallen, wo sie eindeutig präsenter ist als im Film; daher war ich sehr positiv davon überrascht, dass Zimmer sich anscheinend auch zurückhalten und vor allem der Irrealität noch eine weitere, klingende Seite verleihen kann.

Inception wird, glaube ich, wieder einer der Filme werden, über den man sich in diversen Foren Argumente um die Ohren hauen kann: Was genau bedeutet das Ende denn nun? Ich habe inzwischen eine Meinung, aber die kann ich nur hinter einer riesigen Spoiler-Warnung verstecken, daher behalte ich sie für mich. Ich glaube aber, dass das Ende genau das richtige war. Es passt zu den vielen möglichen Welten, die der Film über zwei Stunden aufbaut und lässt trotzdem Raum für Interpretationen. Wie eine Traumdeutung. Nach ein, zwei Stunden Überlegen bin ich sogar recht dankbar dafür, dass ich eben nicht mit dem „Ja, genau, Punkt, fertig, jetzt noch ein Bierchen“-Gefühl aus dem Kino gekommen bin.

Ich halte Inception trotzdem nicht für so großartig wie Nolans Erstling Memento, denn der kam ohne das vorhin angesprochene Kleingedruckte aus, das mal eben Grundsätzliches über den Haufen wirft, damit die Story wieder passt. Aber es sind wirklich nur Kleinigkeiten, die ich an Inception zu bemängeln habe. Ich fand ihn sehr clever, er hatte eine für mich neue Grundidee, und besonders Leonardo DiCaprio gefällt mir von Film zu Film besser. Empfehlung für einen Film, den man danach dringend mit ein paar Freunden besprechen sollte. (Ich habe auf der Busfahrt nach Hause die ganze Zeit den Kerl gekniffen, um zu gucken, ob er echt ist. Und ich warte auf die iPhone-App mit einem Kreisel.)

.

.

Bechdel-Test bestanden?

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

In Inception spielen zwei Frauen und sechs bis sieben Männer auf gleicher Ebene mit – also acht bis neun Personen, die ich gleichberechtigt in ihrer Wichtigkeit für die Story ansehe. Das Verhältnis hätte ruhig ausgewogener sein können, denn wer männlich und wer weiblich ist, ist bis auf die offensichtliche Konstellation „Ehefrau – Ehemann“ völlig egal. So haben Ellen Paige und Marion Cotillard gerade eine Szene, in der sie miteinander reden, der Rest der Dialoge ist gemischtgeschlechtlich bzw. nur zwischen Männern.

Bechdel-Test bestanden? Eine Szene in zweieinhalb Stunden Film? Das reicht nur für ein: nein.

Sara hat mir ein sehr schönes YouTube-Video geschickt, in dem der Zusammenhang zwischen Je ne regrette rien und dem von mir so gelobten Zimmer-Score hergestellt wird. Ich finde den Song immer noch unpassend, aber den Score dafür jetzt noch besser.

Christian hat mir den Link zu einem Wired-Artikel geschickt, der sich mit der “Neuroscience of Inception” befasst. Ich zitiere den Einstieg: “Stop reading if you have not seen Inception, because 1) I will reveal major plot points and 2) It will make no sense.”

@mywayhome: After watching INCEPTION there is one big question left.