Tagebuch, Mittwoch, 16. März 2016 – Wien, Tag 1 (okay, 0,5)
Die Albertina lud mich zur Ausstellungseröffnung von Anselm Kiefers Holzschnitten nach Wien ein und übernimmt netterweise Flug- und Hotelkosten. Man hat mich nicht um eine Gegenleistung dafür gebeten, aber ich ahne euphorische Blogeinträge und dutzende ebensolcher Tweets. Wir werden sehen. #ooohvienna #AlbertinaKiefer
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Ich so bräsig nach dem Start in München auf dem iPad lesend, kurz mal einen Blick nach draußen werfend, kennste ja alles, fliegst ja dauernd die gleiche Strecke – bis mir auffiel: nee, diese nicht. Nach Wien bist du noch nie geflogen und unter dir sind gerade die Alpen. DIE ALPEN!
Als Norddeutsche kenne ich das nur so: Man guckt bis zum Horizont und dann kommt irgendwann das Meer. (Meer ist immer super.) In Bayern musste ich mich daran gewöhnen, dass plötzlich so Klötze in der Landschaft stehen und sie machen mich bis heute irgendwie nervös. Aber von oben sind sie genau das, was man über sie sagt: majestätisch. Ich legte das iPad in den Schoß, sagte irgendwann die üblichen An-Bord-Sätze „Ich hätte gerne einen Tee, bitte … nein, ohne alles … danke“ und guckte geschätzt 30 Minuten aus dem Fenster. Irgendwann kam dann Schönbrunn – das stand eigentlich nicht auf meiner Anguckliste, weil ich nicht so viel Zeit habe, aber jetzt kann ich sagen: hab ich auch gesehen, ha! – und schon landeten wir.
Der Flughafen Wien sieht vom Rollfeld aus wie eine Festung aus Game of Thrones, ist innen aber brav beschriftet und schön übersichtlich. Ich fand es lustig, im Ausland zu sein und alles zu verstehen – oder zumindest fast alles. Ein paar Vokabeln sind anders, aber im Prinzip grinste ich die ganze Zeit, weil ich dachte, ich kann alles lesen, ich versteh alles, das ist super. Next Level: Schweiz.
Der CAT brachte mich in 16 Minuten in die Mitte Wiens, von dort aus fuhr ich zwei Stationen zum Stephansplatz, kletterte nach oben und streifte mit wenigen Blicken dieses kleine Kirchlein, das dort steht. So hübsch ich die gesäuberten Sandsteinfassaden finde – der schwarze Brocken in Köln macht doch irgendwie mehr her. Aber ich komme noch mal wieder – der Plan ist: heute nachmittag – und gucke ihn mir genauer an.
Ich rollte mein Köfferchen 300 Meter weiter und stand von meinem Hotel. Im zweiten Stock angekommen, öffnete ich die Gardinen – und guckte direkt auf eine weitere Kirche, die ungefähr acht Meter Luftlinie von meinem Balkon weg steht. Besser kann man für eine Kunsthistorikerin echt kein Zimmer buchen.
(Die Aufnahmen sind von heute morgen, gestern war es diesig.)
Kurz frischgemacht, Zeug verstaut und dann wieder los: Erstmal den Fußweg zur Albertina abgehen, damit ich heute bloß nicht zu spät komme. Ein braves Foto gemacht und weiter. Dass ich neuerdings nicht nur mein iPhone habe, sondern auch eine anständige Kamera, ist mir erst aufgefallen, als ich wieder im Hotel war. Ich übe das noch mit dem Touri-Sein. Daher kommen jetzt leider nur noch Telefonfotos.
Von der Albertina ging ich direkt zur Konkurrenz, dem Kunsthistorischen Museum. Egal ob in Wien oder Paris oder in so gut wie jeder anderen europäischen Stadt, die mit Häusern aus der Jahrhundertwende und davor vollsteht – ich denke immer: So könnte das auch bei uns aussehen. Könnte. Dann bin ich kurz traurig, dann denke ich an die spannenden Stadtgestalten, die wir dafür in der Bundesrepublik haben, dann bin ich wieder traurig und dann muss ich an was anderes denken. Gestern waren es die ganzen schlecht gelaunten italienischen Schulklassen, die mich gut abgelenkt haben, aus denen sich quasi der komplette 1. Bezirk zusammensetzt.
Für das KHM hatte ich leider nicht irrsinnig viel Zeit, denn ich war abends verabredet. Also sprintete ich nur durch die Gemäldegalerie, aber dort hingen natürlich genug Bilder, die mich anhalten ließen. So habe ich Pieter Bruegel den Älteren ganz neu zu schätzen gelernt. Klar kannte ich den Turmbau zu Babel und die Bauernhochzeit, aber ich habe beide Bilder gestern zum ersten Mal richtig gesehen. Beim Turmbau fiel mir auf, dass der Baustil romanisch ist, was ich lustig fand, denn im 16. Jahrhundert stand genug Gotik in der Gegend, die Romanik war lange vorbei und out, und man baute schicke Renaissancepaläste. Ich gehe davon aus, dass Bruegel bewusst einen älteren Stil wählte, um die biblische Szene zu zeigen, aber dass er sich so brav an romanische Details hält, ist mir noch nie aufgefallen. Auch die Vielfalt der einzelen Bildteile war mir neu, und alleine für dieses Bild würde ich gerne noch mal wiederkommen. Und für die Bauernhochzeit, die ich in Abbildungen immer als naiv und irgendwie niedlich, aber mehr auch nicht, empfunden habe. Wenn man vor dem nicht ganz kleinen Bild steht, wirkt es auf einmal sehr modern; das blaue Hemd des Suppenträgers sieht frisch gewaschen aus, die Schürze ist mit einem fast filigranen Band gebunden, das aber gleichzeitig fest wirkt. Was mich besonders gerührt hat: der glückliche Gesichtsausdruck der Braut, die still und zufrieden breit lächelnd vor ihrem grünen Stoffvorhang sitzt. Wunderschön und alles andere als naiv. Auch toll: der Bethlehemitische Kindermord, den Bruegel (der Jüngere) ins Flämische verlegt hat, was die Szene noch irrealer wirken lässt. Das hat ein bisschen gedauert, bis ich kapiert habe, worum es geht, denn den Kindermord kenne ich nur in hellen, antiken Kulissen und in bunt-italienisch. Ich gucke immer erst aufs Bild und dann auf die Beschriftung, was im KHM prima funktioniert, denn da stehen die Texte auf einer Bande vor den Bildern und nicht direkt daneben. Oder sie stehen auf einem großen ausliegenden Blatt, das man leihweise in die Hand nimmt, wenn man die vollgehängten Räume abschreitet.
Im Anthonis-van-Dyck-Saal ließ ich meinen Blick nur kurz schweifen, blieb bei einem Prinzenporträt hängen und dann bei einem Bild, bei dem ich dachte, hm, das ist doch kein van Dyck? War’s auch nicht, war ein Vermeer. Das war das Stichwort für den asiatisch aussehenden Touristen mit der Kamera, der quasi in meinem Tempo durch die Säle ging, aber nicht wie ich schnell guckte, sondern schnell knipste. Alles. Ich glaube, er hat sich kein einziges Bild richtig angeschaut, höchstens um die Kamera scharf zu stellen. Alter – wenn du nur Abbildungen der Werke sehen willst, kannst du auch Google anwerfen. Ich verstehe es einfach nicht.
Bei den deutschen Malern konnte mich Hans Holbein der Jüngere zum ersten Mal richtig begeistern, und ich blieb lange vor der jungen Venezianerin von Dürer stehen, weil sie mich immer an meine Mama erinnert. Bei den Italienern reichte ein Blick in den üppig bunten Saal, um den Raffael zu erspähen, und vor einem besonders dramatischen Caravaggio testete ich die hervorragendenden Sofas (SOFAS!) an, die überall in den Räumen standen. Können bitte alle Museen Sofas aufstellen und nicht mehr diese blöden lehnenlosen Inseln?
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Abend traf ich mich mit einem charmanten Herrn, der mir viel über Architektur erzählte (Koalagehege!) und einen schönen Zweigelt ausgab, weil ich ja Geburtstag hatte. Weil der Herr noch einen beruflichen Termin hatte, war ich sogar pünktlich zum Anpfiff des CL-Spiels zwischen Bayern und Juve im Hotel. Und weil die Bayern auch nett zu mir sein wollten, gewannen sie das Spiel. So kann der Kurzurlaub weitergehen.