Was schön war, Freitag, 28. Juli 2017 – Kassel: Kunst und Futtern (Business as usual also, aber in Kassel)
F. und ich lungern gerade in Kassel rum, wo diese Kunstausstellung läuft, diese … na, Dings halt. Als ich im ersten Semester Kunstgeschichte in der Einführungsvorlesung saß, fragte uns der Dozent, wer denn auf der Documenta war (also die von 2012). Es meldeten sich recht viele, ich nicht, und alle, die sich nicht gemeldet hatten, bekamen einen sanften Rüffel, das wäre ja wohl das mindeste, sich für die Documenta zu interessieren. Fünf Jahre lang hatte ich ein schlechtes Gewissen, und jetzt, wo mein Studium vorbei ist, JETZT bin ich in Kassel.
Wir haben uns nur ein Zwei-Tages-Ticket gegönnt, weswegen wir Freitag nur Dinge anguckten, die frei zugänglich waren. Außerdem hatten wir die Anreise und abends eine nette Reservierung zum Tafeln, weswegen wir ganz zufrieden waren, kein großes Programm zu haben. Sobald wir in Kassel aus dem Zug kletterten, begannen wir, nach den Beuys-Eichen Ausschau zu halten, und ich war fast enttäuscht, dass es über eine halbe Stunde und eine Straßenbahnfahrt dauerte, bis wir die erste sahen. Ab dann tippten wir uns aber quasi dauernd an: „Da, noch eine“, und schon nach wenigen Stunden guckten wir nur noch blasiert in der Gegend rum. Nein, Quatsch. Ich mag die Eichen sehr gerne, weil die Idee so schön simpel ist: Ein Teil des Kunstwerks – der Basaltblock – bleibt stets gleich, während der andere Teil – die Eiche – sich ständig verändert, indem er wächst. (F. irgendwann: „Nein, Anke, das ist kein Basaltblock, das ist ein Papierkorb.“ „Egal. Beuys-Eiche.“)
Das ist eine der beiden ersten gepflanzten Eiche am Friedrichsplatz, direkt vor dem Fridericianum, einem Gebäude, das den Mittelpunkt der diversen Ausstellungsplätze bildet. Direkt nebenan steht der Parthenon of Books, eine Wiederauflage eines Kunstwerks von 1983, das verbotene Bücher zeigt. Das Werk kannte ich von diversen Fotos und quengelte innerlich immer von „instagrammable art“, aber als ich dann selber durch das Stahlgerüst mit den vielen Büchern ging, mochte ich es doch. Erstens kenne ich jetzt die Ausmaße des Parthenon, das ich noch nicht gesehen habe, und zweitens geht alles mit Büchern bei mir ja immer. Vor allem in Kombination mit dem Werk, mit dem das Fridericianum bespielt wird.
Ich habe keinen Katalog, daher trage ich Werktitel und Künstler*in irgendwann nach. Aus einem der Erker stieg in gewissen Abständen Rauch auf, während eine Stimme in verschiedenen Sprachen „Ignoranz ist eine Tugend“ flüsterte. Ich mag Kunst, die so offensichtlich im Raum stattfindet, deren Botschaft nicht auf einen Galerieraum oder ähnliches beschränkt ist, sondern die sich dauernd in dein Leben drängelt. Klar, wenn ich das alle fünf Minuten für den Rest meines Lebens hören würde, wäre mein Leben vermutlich nicht mehr sehr lang, weil nervig, aber für die Dauer des Aufenthalts im Parthenon und die Zeit, die wir mit den Eichen und mit de Marias vertikalem Erdkilometer, den ich dringend sehen wollte, verbrachten, fand ich es immerhin reizvoll. Vielleicht sehr auf die Zwölf, aber F. meinte, vielleicht braucht man in einer Zeit, in der einfache Parolen zu wirken scheinen, halt Kunst, die ebenso einfach funktioniert.
Über dem Eingang des Fridericianum steht normalerweise der Name des Gebäudes; derzeit steht dort „Being safe is scary“, und auch das ist auf die Zwölf, aber auch das passt halt gerade. Wenn Menschen in reichen Wohlstandländern Busse angreifen, in denen Flüchtlinge sitzen, dann stimmt das so. Auf die Flüchtlinge trifft der Satz vermutlich allerdings so gar nicht zu, was wieder Fragen öffnet nach „Für wen ist Kunst überhaupt gemacht – denkt man beim Schaffen auch an die Rezipienten?“ oder ähnlich.
Wir spazierten dann noch durch die Elisabethkirche – da steht ne Kirche, also geh ich da rein – und bestaunten die Architektur. Mir gefiel, dass sich der Neubau aus dem 20. Jahrhundert an dem zerstörten aus dem 12. Jahrhundert orientierte: die hohen Wandöffnungen für das Licht und der einschiffige Kirchenraum, der außen noch zwei Seitenschiffe andeutet, erinnerte mich sehr an die Romanik. Ich murmelte die ganze Zeit #506070kassel vor mich hin – ein Instagram-Hashtag, der sich auf Architektur der jeweiligen Jahrzehnte bezieht –, denn wir sahen erst abends in der Nähe des Restaurants mal mehr als ein Altbaugebäude. Wir hatten einen Tisch im Voit reserviert und jetzt, wo wir da waren, kann ich euch nur empfehlen, es uns gleichzutun. Vielleicht ein Jäckchen oder ein Kissen für die etwas unbequemen Stühle mitnehmen.
Der Gruß aus der Küche war Tunfisch in einer Krustentiersauce. Beim ersten Bissen dachte ich, huch, was, WTF?, beim fünften hätte ich von der Sauce einen ganzen Teller leeressen wollen. Die war etwas sperrig, wurde dann aber sehr spannend.
Erster Gang: gleich noch mal Tunfisch, dieses Mal mit hübsch arrangierten Gurke, Melone, Misomousse und Senfkörnern. Die Weine lasse ich mal alle weg, obwohl F. sie sich brav notiert hat; ich vergesse die immer sofort, sobald der Kellner die Flasche aus meinem Blickfeld nimmt. Mir fiel gestern der Unterschied zum Broeding auf: Dort ist die Küche zwar auch immer hervorragend, aber doch eher klassisch; dafür sind die Weine stets spannend. Im Voit scheint die Philosophie eine andere zu sein: Hier steht das Essen im Mittelpunkt, während der Wein wirklich nur begleitet. Der war immer stimmig und schmackhaft, aber mehr als einen würde ich davon nicht nach Hause tragen wollen, während ich im Broeding quasi von allem alles kistenweise ordern möchte.
Rindertatar mit Champignons, Avocadotupfen, winzigen Zwiebelscheibchen und knusprigem Brot. Klingt so simpel, war aber mit jeder Gabel ein großes Vergnügen.
Eine kurz gebratene Jakobsmuschel in kalter Erbsensuppe, von der ich auch deutlich mehr hätte essen wollen. Passte von der Menge aber natürlich, was wir daran merkten, dass wir keinen Käsegang haben wollten.
Maishuhn, sous vide gegart (was für eine Konsistenz!), dazu Kartoffelpüree und -chips und eine kleine Tomate. Auf den grünen Bohnen, bei denen ich zunächst nur Thymian schmeckte, lagen noch winzige Olivenstücke, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie da hingehören.
Zum Magenaufräumen gab’s eine perfekte Nocke Sanddornsorbet – mit Dillöl! Ãœber diese Kombi konnte ich mich den ganzen Abend nicht beruhigen. Ich bin nicht der Riesendillfan, und ich hätte nicht gedacht, dass er in seiner Zickigkeit mit dem ebenso zickigen Sanddorn klarkommt, der für mich so ein unentschlossenes Ding zwischen süß und herzhaft hist. Passte aber ganz hervorragend.
Adlerfisch mit Bouchot-Muscheln und Artischockenpüree. Sagt jedenfalls die Karte, für mich schmeckte das nach Fenchel. Das gelbe müsste Süßkartoffel gewesen sein, und auch hier wusste ich nicht, ob’s das gebraucht hätte. Es kann aber auch sein, dass ich durch das ganze Masterchef-Australia-Gucken in den letzten Wochen etwas verdorben bin, wo einem immer gesagt wurde, dass nur auf den Teller gehört, was da halt drauf soll. Ich war mir gestern bei mehreren Gängen unsicher, wieviele Geschmäcker ich denn noch im Mund haben soll. Das passte alles, aber manchmal quengelte ich innerlich, dass ich gerne mehr Geradeaus-Gänge haben wollte, die nicht dauernd mit noch einer Komponente um die Ecke kommen.
Kalbstafelspitz, ebenfalls sous vide gegart und daher unglaublich zart und toll. Hier quengelte ich, dass ich statt Spargelmousse und Spargel lieber eine Kombi gehabt hätte. Man konnte es mir nicht ganz recht machen, aber ehe das jetzt klingt, als wäre alles doof gewesen: Es war alles toll. Hier mochte ich besonders die rote Zwiebel, deren Sechzehntel man zerteilen und mit dem Spargel kombinieren konnte. Und hier gab’s dann auch den einzigen Wein, den ich nochmal trinken wollen würde: einen Hensel Aufwind Spätburgunder von 2015. Beim ersten Schluck dachte ich, ich hätte Butter im Mund, so weich war der Wein. Er veränderte sich dann von Minute zu Minute, die er im Glas war, bis er schön kapriziös rumduftete und -schmeckte.
Erdbeere, Vanille, Jogurt, Schokoladenerde, danach noch Espresso und für mich den üblichen Haselnussgeist, während F. sich gerne durch andere Obstbrände trinkt. Wir ließen uns mit der Tram nach Hause chauffieren und rollten glücklich ins Bett.