Nachtrag: Tagebuch Dienstag, 25. September 2018 – 1000 Liter Wasser
Dienstag hatte ich noch ein Zimmer zu streichen und wollte danach nochmal alles anständig durchputzen: den Backofen reinigen, alle Schränke auswischen, Kühlschrank abtauen, endlich mal auf der Dunstabzugshaube wischen, Fenster putzen usw. Ich klebte also zum gefühlt hundertsten Mal in den letzten zwei Wochen Fußleisten und Türkanten ab, entfernte Steckdosen und Lichtschalter und rührte in Farbtöpfen rum. Eigentlich hatte ich erwartet, total davon genervt zu sein, mich nochmal so intensiv um eine Wohnung zu kümmern, die in einem Tag nicht mehr meine sein würde. Ich war selbst davon überrascht, dass dem nicht so war. Es war eher so wie ein schönes Geschenk einzupacken, damit sich jemand anders darüber freuen kann.
Ich mochte die kleine Wohnung sehr. Ich weiß, dafür kann die Wohnung nichts, dass ich in den letzten Jahren zwei Studiengänge abgeschlossen habe, eine Beziehung beendet und eine neue begonnen habe, viele neue Menschen kennen- und eine neue Stadt liebengelernt habe. Aber sie war eben der Fels in der Brandung. Wann immer irgendwas nervte und störte, konnte ich mich in meine kleine Höhle zurückziehen. Dass sie nur eine kleine Höhle war, wurde ihr irgendwann zum Verhängnis, aber, ich glaube, ich schrieb es schon mal, wenn hier im Haus nichts anderes frei geworden wäre, würde ich dort noch wohnen. Ich zog dort nicht aus, weil es so fürchterlich war. Deswegen hoffe ich ein bisschen darauf, dass der Nachmieter auch eine gute Zeit in ihr hat – und für einen guten Start konnte ich das kleine Ding nochmal richtig rausputzen.
Als die Farbe im Zimmer trocknete, begann ich damit, das Bad zu putzen. Spiegel, Waschbecken, dann die Badewanne und die Wände. Ich feudelte lustig an den Haltestangen und Seifenschalen rum, begann den Wasserhahn zu polieren – und stieß an das Ventil, an dem bisher die Waschmaschine gehangen hatte. Es öffnete sich, genau wie Samstag, sofort und literweise Wasser sprudelte auf den Wannenrand. Als meine Versuche, den Hahn zu schließen, fehlschlugen, baute ich einen Damm aus drei Handtüchern, damit das Wasser wenigstens in die Wanne lief. Dann drehte ich besinnungslos und mit aller Kraft, die ich hatte, am Hahn. Egal in welche Richtung ich schraubte – er ließ sich nicht schließen, das Wasser schoss in jeder Position ungehindert in Richtung Handtücher. Ich rannte in den dritten Stock, wo unser Hausmeister wohnt – aber niemand öffnete. Ich rief die Verwaltung an, die ich ja schon gestern hatte anrufen wollen und die dann vermutlich auch gestern schon jemand geschickt hätten, BEVOR ICH VERDAMMT NOCHMAL an das blöde Ventil komme, aber egal. Sie rief den Klempner an, der rief mich an – „kann aber nachmittags werden“ –, ich drehte hilflos und sinnlos weiter am Hahn, als es klingelte. Ein Antennentechniker sollte eine veraltete Dose ersetzen. Er schraubte vor sich hin, fragte irgendwann: „Läuft bei Ihnen Wasser?“, ich erzählte die ganze Geschichte, er schraubte weiter, ich putzte währenddessen die Küche, wo keine lockeren Ventile gemein zu mir waren, das Wasser im Bad lief lustig weiter in die Wanne, und als der Techniker fertig war, meinte er, er könne sich das ja mal anschauen. Ging ins Bad, guckte – und drehte den Hahn einfach zu.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. In meinem Kopf tauchte eine Wasserrechnung über EINE MILLION LITER WASSER auf, und ich habe jetzt die offizielle Bestätigung, dass ich totale Puddingarme habe.
Ich bedankte mich, meinte, hey, damit hätten wir anfangen sollen, er grinste und winkte freundlich ab, als ich ihm anbot, aus der anderen Wohnung eine Runde Trinkgeld zu holen. Eine halbe Stunde später klingelte dann der Klempner, ich erzählte die Geschichte nochmal, er drehte den Hahn auf – und problemlos wieder zu. Ich weiß nicht, ob er nett zu mir sein wollte, aber er meinte, wenn der Hahn immer geöffnet war – ich hatte so einen komischen Wasserstopp an der Maschine, musste ihn also nie zudrehen –, dann setze sich da manchmal Dreck ab, dann ließe sich der auch echt schwer wieder zudrehen. Ich nickte memmig und schwor mir, ab sofort mit kleinen Hanteln auf dem Sofa zu arbeiten, während ich Serien schaue.
Dann beendete ich das Putzen, schaute mich nochmal in der ganzen Wohnung um, befand sie für gut und nahm innerlich Abschied.
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Abends hatte ich noch was vor: der FC Augschburg war in der Allianz-Arena zum Auswärtsspiel geladen. Die Sitznachbarin von F. konnte nicht, ich bekam ihre Karte und ging mit FCA-Schal in die Arena. Seit ich nur noch in der WWK-Arena sitze, sind mir Größenverhältnisse völlig abhanden gekommen. Mir war schon klar, dass die Allianz-Arena groß ist – da gehen immerhin 75.000 Leute rein –, aber erst, seitdem ich immer in einem Stadion für 30.000 Besucher*innen bin, weiß ich, WIE GROSS sie ist. Es war nett, mal wieder vor Ort zu sein, ich sah erstmals die neuen roten Sitze, die vorher neutral grau gewesen waren, weil bis letzte Saison auch die Blauen im Stadion gespielt hatten, sah die rot gestrichenen Aufgänge, die teilweise rot gestrichenen Treppenstufen in den Oberrang und fand das alles sehr schick. Trotzdem vermisste ich das kleine, linkische Augschburg mit dem Kids Club und fand die Lightshow zur Spielervorstellung doch arg überkandidelt. Ich fragte mich spontan, welche Art Agenturen dafür zuständig ist, Sportereignisse zu EVENTS hochzujazzen. Ich nehme an, Eventagenturen. (Ich brauche manchmal auch Hanteln fürs Gehirn.)
Gegen die übermächtigen Bayern wäre ich mit einem 0:2 oder sogar 0:3 zufrieden gewesen, aber irrwitzigerweise gelang Augsburg kurz vor Schluss der Ausgleichstreffer zum 1:1-Endstand, und so fuhr ich sehr gut gelaunt nach Hause. Auch wenn ich schmerzende Knie hatte. Irgendwann lerne ich das auch noch: Im Stadion IMMER lieber eine Lage zu viel an als eine zu wenig. Ich hatte die Thermotights unter der Jeans vergessen und war deshalb nach ungefähr einer Stunde etwas unentspannt gewesen. Scheißegal. Unentschieden auswärts, wo-hoo!