Tage- oder eher: Nachtbuch Freitag, 11. Januar 2019 – Inception

Unaufregender Tag. Gearbeitet, bei der Post gewesen, um ein Päckchen für F. abzuholen, danach eingekauft, dann meine erste selbstgemachte Gemüsebrühe angesetzt. Dafür hatte ich vorgestern brav Schalen und ähnliches von meinen Zutaten für die Suppenmahlzeit aufgehoben, weil ich wusste (danke, Buzzfeed Tasty), dass man derartige Reste noch zum Brühekochen verwenden kann, ganz wie man Hühnerkarkassen für Hühnerbrühe benutzt.

Ich röstete Zwiebeln in einer Pfanne an und warf währenddessen Tomaten (frisch und getrocknet), Suppengrün, getrocknete Steinpilze, diverse Kräuter und Gewürze und Reste von vorgestern (Lauch, Kohlrabi, Brokkoli, Möhren, Petersilienwurzel) in einen großen Topf, gab die Zwiebeln dazu und übergoss alles mit Wasser. Das kochte ich auf, ließ es abkühlen, siebte es zweimal durch, bis auch die fiesen Sandpartikel, die IMMER im Lauch bleiben, weg waren und füllte das karamellschimmernde Ergebnis in Gefrierboxen ab. Ich war allerdings noch nicht ganz zufrieden mit dem Geschmack, vielleicht waren meine Zwiebeln zu enthusiastisch angeröstet und zu wenig frisches Gemüse drin. Aber jetzt habe ich erstmal ein Ausgangsprodukt, mit dem ich weiterarbeiten kann.

Gelesen, Serien geguckt, viel Tee getrunken, sehr früh ins Bett gegangen, weil mir schon auf dem Sofa die Augen zufielen, genau wie dann beim Lesen im Bett. Ebenso früh aufgewacht, F. eine Guten-Morgen-DM geschickt, denn bei dem Mann ist es gerade schon drei Stunden später, ins Bad gegangen, wieder ins Bett, weil ich dachte, ach, einmal umdrehen, ist ja noch so früh. Wieder eingeschlafen.

Und dann den intensivsten Traum seit langer Zeit gehabt. Ich erspare euch Details, aber für mich selbst will ich festhalten: Ich habe meine Oma umarmen können. Wir waren nämlich auf ihrem Geburtstag, die ganze Familie, alle Verwandte, tausend weitere Leute, alles irre voll, und ich war damit beschäftigt, a) meine Schuhe zu suchen und b) F., der seine Jacke in der Küche hatte liegen lassen und sein Handy darin hatte geklingelt. Also versuchte ich, ihn zu rufen oder irgendwen, der ihn vielleicht gesehen haben könnte, aber ich war anscheinend erkältet, ich hatte nicht viel Stimme und fand alles doof, zu viele Leute, barfuß, keiner hört mich. Ich weiß noch, dass ich dachte, dass Omas Küche so nie geklungen hat (meine Großeltern sind beide schon tot, meine Oma seit fast 30 Jahren, da gab es noch keine Handys in meiner Umgebung) und dass ich mich freute, sie umarmen zu können. Wir hatten nie ein richtig gutes Verhältnis, seit ich in meiner bockigen Pubertät war und leider ist sie nicht alt genug geworden, um dieses Verhältnis wieder geradezurücken, aber ich habe mich trotzdem gefreut, sie wieder umarmen zu können. Das hat sich richtig echt angefühlt.

An den nächsten Traumteil kann ich mich nicht erinnern, aber daran, dass ich irgendwann nicht mehr alleine war, sondern zu zweit, und auch hier erspare ich euch alle Details bzw. ich will sie nicht erzählen, aber auf einmal fühlte sich alles noch echter und sehr anders und äußerst angenehm an, wenn ihr versteht, was ich meine. Ich sagte mir irgendwann selbst, hey, diese Gefühle hast du wirklich lieber, wenn du wach bist, also sagte ich mir selbst: Wach auf. Wach jetzt auf. Das tat ich anscheinend auch, ich öffnete meine Augen, sah ein Licht, das aus dem Türspalt meiner Zimmertür zu kommen schien, ich ging darauf zu, öffnete die Tür und wusste, ich schlafe immer noch. Denn diesen Raum mit der Treppe, an deren Kopf ich gerade stand, kannte ich nicht, aber der Raum war voller kleiner Skulpturen, und ein Kind stand vor mir und erzählte mir, dass es diese Kunstwerke angefertigt hatte. Ich machte Smalltalk und sagte mir gleichzeitig immer heftiger WACH JETZT AUF, und dieses Mal funktionierte es.

Das ist jetzt über eine Stunde her und ich bin im Kopf immer noch etwas wuschig. Da ich gestern kaum etwas gemacht habe, was ich vorher nicht gemacht habe, frage ich mich natürlich schon, was mein Kopf da alles wegarbeiten musste. Und: Vielleicht waren das keine Steinpilze in der Suppe Denkerstirnemoji.

Damit ihr aber etwas vom heutigen Blogeintrag habt und nicht nur schlimmes Traumgeschwafel, copypaste ich hier ein Stück aus Stefan Zweigs Die Welt von gestern hin, das ich gerade mit großem Genuss lese. Der gute Mann hat gerade seine Schule in Wien beendet und schreibt sich nun in Berlin für Philosophie ein, mit dem festen Vorsatz, nie zur Uni zu gehen, sondern endlich mal den ganzen Tag in Ruhe schreiben zu können und abends im Theater zu sitzen.

In den vergangenen Kapiteln habe ich schon viel über die Bühnenszene Wiens erfahren, das Verhältnis der Geschlechter beleuchtet bekommen, durfte mich mit Zweig über die beknackten Burschenschaften aufregen und erfuhr, dass Theodor Herzl einer der ersten war, die Zweig veröffentlichten; Zweig beschreibt die erste Begegnung sehr eindringlich.

Wie gesagt, große Buchempfehlung. Gibt’s offensichtlich für lau im Netz oder für kleines Geld als eBook; ich lese altmodisch, wie sich’s für diesen Inhalt gehört, auf Papier.

„Selbstverständlich dachte ich nicht daran, in Berlin zu »studieren«. Ich habe dort die Universität ebenso wie in Wien nur zweimal im Verlauf eines Semesters aufgesucht, einmal, um die Vorlesungen zu inskribieren, und das zweitemal, um mir ihren vorgeblichen Besuch testieren zu lassen. Was ich in Berlin suchte, waren weder Kollegien noch Professoren, sondern eine höhere und noch vollkommenere Art der Freiheit. In Wien fühlte ich mich immerhin noch an das Milieu gebunden. Die literarischen Kollegen, mit denen ich verkehrte, stammten fast alle aus der gleichen jüdisch-bürgerlichen Schicht wie ich selbst; in der engen Stadt, wo jeder von jedem wußte, blieb ich unweigerlich der Sohn aus einer ›guten‹ Familie, und ich war müde der sogenannten ›guten‹ Gesellschaft; ich wollte sogar einmal ausgesprochen ›schlechte‹ Gesellschaft, eine ungezwungene, unkontrollierte Form der Existenz. Wer in Berlin an der Universität Philosophie dozierte, hatte ich nicht einmal im Verzeichnis nachgesehen; mir genügte es zu wissen, daß die ›neue‹ Literatur sich dort aktiver, impulsiver gebärdete als bei uns, daß man dort Dehmel und anderen Dichtern der jungen Generation begegnen konnte, daß dort ununterbrochen Zeitschriften, Kabaretts, Theater gegründet wurden, kurzum, daß dort, wie man auf Wienerisch sagte, ›etwas los war‹.

In der Tat kam ich nach Berlin in einem sehr interessanten, historischen Augenblick. Seit 1870, da Berlin aus der recht nüchternen, kleinen und durchaus nicht reichen Hauptstadt des Königreichs Preußen die Residenzstadt des deutschen Kaisers geworden war, hatte der unscheinbare Ort an der Spree einen mächtigen Aufschwung genommen. Aber noch war Berlin die Führung in künstlerischen und kulturellen Angelegenheiten nicht zugefallen; München galt mit seinen Malern und Dichtern als die eigentliche Zentrale der Kunst, die Dresdner Oper dominierte in der Musik, die kleinen Residenzen zogen wertvolle Elemente an sich; vor allem aber war Wien mit seiner hundertjährigen Tradition, seiner konzentrierten Kraft, seinem natürlichen Talent Berlin bisher noch immer weit überlegen geblieben. Jedoch in den letzten Jahren begann sich mit dem rapiden wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands das Blatt zu wenden. Die großen Konzerne, die vermögenden Familien zogen nach Berlin, und neuer Reichtum, gepaart mit einem starken Wagemut, eröffnete der Architektur, dem Theater hier größere Möglichkeiten als in einer anderen großen deutschen Stadt. Die Museen vergrößerten sich unter dem Protektorat Kaiser Wilhelms, das Theater fand in Otto Brahm einen vorbildlichen Leiter, und gerade, daß keine richtige Tradition, keine jahrhundertealte Kultur vorhanden war, lockte die Jugend zum Versuche an. Denn Tradition bedeutet immer auch Hemmung. Wien, an das Alte gebunden, seine eigene Vergangenheit vergötternd, erwies sich vorsichtig und abwartend gegen junge Menschen und verwegene Experimente. In Berlin aber, das sich rasch und in persönlicher Form gestalten wollte, suchte man das Neue. So war es nur natürlich, daß die jungen Menschen aus dem ganzen Reiche und sogar aus Österreich sich nach Berlin drängten, und die Erfolge gaben den Begabten unter ihnen recht; der Wiener Max Reinhardt hätte in Wien zwei Jahrzehnte lang geduldig warten müssen, um die Position zu erlangen, die er in Berlin in zwei Jahren eroberte.

Es war just in diesem Zeitpunkt des Überganges von der bloßen Hauptstadt zur Weltstadt, daß ich in Berlin eintraf. Noch war der erste Eindruck nach der satten und von großen Ahnen vererbten Schönheit Wiens eher enttäuschend; der entscheidende Zug nach dem Westen, wo sich die neue Architektur statt der etwas protzigen Tiergartenhäuser entfalten sollte, hatte eben erst begonnen, noch bildeten die baulich öde Friedrichstraße und Leipziger Straße mit ihrem ungeschickten Prunk das Zentrum der Stadt. Vororte wie Wilmersdorf, Nikolassee, Steglitz waren nur mit den Trambahnen mühsam zu erreichen, die Seen der Mark mit ihrer herben Schönheit erforderten in jener Zeit noch eine Art Expedition. Außer den alten ›Unter den Linden‹ gab es kein richtiges Zentrum, keinen ›Korso‹ wie bei uns am Graben, und vollkommen fehlte dank der alten preußischen Sparsamkeit eine durchgängige Eleganz. Die Frauen gingen in selbstgeschneiderten, geschmacklosen Kleidern ins Theater, überall vermißte man die leichte, geschickte und verschwenderische Hand, die in Wien wie in Paris aus einem billigen Nichts eine bezaubernde Überflüssigkeit zu schaffen verstand. In jeder Einzelheit fühlte man friderizianische, knickerige Haushälterischkeit; der Kaffee war dünn und schlecht, weil an jeder Bohne gespart wurde, das Essen lieblos, ohne Saft und Kraft. Sauberkeit und eine straffe, akkurate Ordnung regierten allerorts statt unseres musikalischen Schwungs. Nichts war mir zum Beispiel charakteristischer als der Gegensatz meiner Wiener und Berliner Zimmerwirtin. Die wienerische war eine muntere, geschwätzige Frau, die nicht alles in bester Sauberkeit hielt, dies und das leichtfertig vergaß, aber begeistert einem jede Gefälligkeit erwies. Die Berlinerin war korrekt und hielt alles tadellos im Stand; aber bei ihrer ersten Monatsrechnung fand ich in sauberer, steiler Schrift jeden kleinen Dienst berechnet, den sie erwiesen: drei Pfennige für das Annähen eines Hosenknopfes, zwanzig Pfennige für das Beseitigen eines Tintenflecks auf dem Tischbrett, bis schließlich nach einem kräftigen Addierstrich für ihre sämtlichen Bemühungen sich das Sümmchen von 67 Pfennigen ergab. Ich lachte zuerst darüber; charakteristischer aber war, daß ich selbst nach wenigen Tagen schon diesem peinlichen preußischen Ordnungssinn erlag und zum ersten und letzten Male in meinem Leben ein genaues Ausgabenbuch führte.“