Bücher Juli 2010
Jon McGregor – So Many Ways to Begin
Der Nachfolger von meiner Juni-Entdeckung If Nobody Speaks of Remarkable Things. Leider sprachlich nicht mehr ganz so flirrend, aber dafür passiert ein Hauch mehr Handlung. In Ways wird die Geschichte von zwei Familien erzählt; dabei hangelt sich das Buch an den beiden Hauptpersonen David und Eleanor entlang, die sich treffen, heiraten und gemeinsam alt werden. Um sie herum gibt es Davids Mutter, deren Freundin ein altes Geheimnis aus den Tagen des 2. Weltkriegs mit sich herumträgt und es eines Tages ausplaudert, was die gesamte Familiendynamik ins Ungleichgewicht bringt. Auch Eleanors Mutter wirft einen langen Schatten und beeinflusst dadurch mehrere Leben. Die Story fließt recht gemächlich mit einem mit; ich persönlich mochte die Charaktere und fand es sehr angenehm, sie zu begleiten. Das heißt aber auch, dass es kaum Höhepunkte gibt, alles passiert einfach so, höchstens das Ende ist ein Höhepunkt, der alles zu einem gefühlten Abschluss bringt, ohne einer zu sein. Ways hat mir nicht ganz so gut gefallen wie Things, aber ich habe es gerne gelesen, und kaufe mir jetzt auch das dritte und neueste Buch von McGregor, Even the Dogs.
Stieg Larsson (Wibke Kuhn, Übers.) – Verblendung
So, jetzt bin ich auch endlich auf den Larsson-Zug aufgesprungen – und habe mein erstes eBook aus dem iBookstore gekauft. Bei Amazon kostet Verblendung 9,95, im iBookstore total günstige 8,99 *hust*, aber ich konnte es eben an einem Sonntag Abend, als ich gerade Lust auf Massenware hatte, kaufen und anfangen zu lesen. Was keine gute Idee war, denn ich habe das iPad erst um 2 Uhr nachts weglegen können und das auch nur, weil mein Kopf seit Mitternacht nölte, dass wir alle gemeinsam morgen um 7 Uhr rausmüssten.
In Verblendung geht es um den Journalisten Mikael „Kalle“ Blomquist, der mithilfe von Lisbeth Salander einen Mordfall aufklären soll, der knappe 40 Jahre zurückliegt. Das Buch schmeißt die beiden in eine sehr bizarre und vor allem riesengroße Familie, die aus so vielen Mitgliedern besteht, dass ich versucht war, wie bei Krieg und Frieden ein Diagramm zu zeichnen. Das ist netterweise im Buch drin, und wenn ich rausgefunden habe, wie ich bei eBooks eine Seite markiere, um immer wieder dahinzuspringen, werde ich es mir auch nochmal anschauen. So habe ich mich eben ohne Hilfe durch den Klan gekämpft, durch viele Tassen Kaffee und belegte Brote, die in Schweden anscheinend Grundnahrungsmittel sind, und durch eine Menge Schimpfworte für Frauen, die mir relativ schnell auf den Zeiger gegangen sind. Ja, ich weiß, das soll zeigen, was für Penner die Kerle sind, die diese Begriffe erwähnen, aber trotzdem muss ich das nicht auf jeder zehnten Seite lesen. Und auch wenn Salander ein Mathe-, Computer- und allesGenie ist, kommt sie trotzdem als total gestörtes Mädchen daher (wird ja auch gerne erwähnt, wie klein und mager und brustlos sie ist). Blomquist ist dagegen der Stecher vor dem Herrn, bei dem die gesamte Damenwelt Stockholms schwach wird und der dazu auch noch moralisch ist bis zum Gehtnichtmehr. Müsste also eigentlich ein Scheißbuch sein. Ist es vielleicht auch, aber ich habe es trotzdem verschlungen, weil es richtig schön spannend war. Was direkt nach der letzten Seite zum nächsten eBook-Kauf geführt hat:
Stieg Larsson (Wibke Kuhn, Übers.) – Verdammnis
Noch schrottiger, weil noch unausgegorener von der Storyline. Diesmal müssen Mikael und Lisbeth gleich drei Morde aufklären, und die Sache wird dadurch erschwert, dass Lisbeth die Hauptverdächtige ist. Es gibt noch mehr Kaffee und Butterbrot, aber immerhin nur noch auf jeder 50. Seite das Schimpfwort mit dem großen F. Das Ende ist kompletter Müll, aber auch hier: scheiße spannend, und ich mag die beiden Figuren einfach gerne, was es mir ja immer schwer macht, objektiv zu bleiben. Und deswegen musste ich gleich noch ein eBook kaufen:
Stieg Larsson (Wibke Kuhn, Übers.) – Vergebung
Näh, das ging dann nicht mehr so richtig. Vergebung nimmt die Handlung von Verdammnis auf und löst quasi nebenbei die ganzen Rätsel, die ins zweite Buch irgendwie nicht mehr reingepasst haben. Ich habe es eher mit freundlichem Interesse denn mit wirklicher Spannung gelesen und war ganz froh, als es vorbei war. Muss ich mir die Filme auch noch angucken? Nebenbei: Kann mir wer die drei Titel erklären?
Ulf Salzmann, Johannes Kretzschmar (Hrsg.) – Panik Elektro 7: Seelenstrips. Autobiografische Comicblogs
Ein sehr schönes Kompendium, das viele deutschsprachige Comicblogs vorstellt. Also keine, die sich mit dem Medium beschäftigen, sondern gezeichnete Alltagsbeobachtungen. Dabei finden sich alte Bekannte wie Flix, Lisa Neun, Beetlebum und Sven K., die sich schon länger auf meiner Blogroll befinden, oder relative Neuzugänge wie A Byootiful Day oder Blattonisch; die beiden letzten habe ich durch die großartige Berichterstattung in vielen Blogs über den Comic Salon in Erlangen gefunden. Aber was mir an Seelenstrips so gut gefallen hat: Ich habe sehr viele neue Blogs entdeckt, über die ich bisher einfach nicht gestolpert bin. Mir hat fast jedes vorgestellte Blog gefallen, mal vom Zeichenstil her, mal von den Inhalten, egal, fast alles großartiges Zeug und meiner Meinung nach um Längen besser als das letzte Shazam, das ich bis heute nicht durchgelesen habe, weil so viel Mittelmaß dabei war. Meine Lieblinge aus den Seelenstrips und damit in den Bookmarks: Groobert, Crabcards, Nielh, Doppeltim, Fahrradmod, Gestern noch, Lapinot, Parole AE, Susi Sorglos, Till Lassmann und 18 Metzger.
Junot Diaz – The Brief Wondrous Life of Oscar Wao
Ich bin einem Tipp der Kaltmamsell beim Common Reader gefolgt und kann so ziemlich alles unterschreiben, was sie zu dem Buch sagt. Es hat mir sehr gut gefallen, besonders die sehr „echte“ Sprache – da klingt trotz des Slangs nichts falsch oder pseudocool, sondern alles passt. Ich muss allerdings gestehen, dass mir meine nicht vorhandenen Spanischkenntnisse die eine oder andere Pointe versaut haben. Ich war schlicht zu faul, dauernd nachzugucken, was jetzt das eine oder andere Wort wohl bedeuten könnte und habe daher vielleicht nicht jede Nuance des Buchs mitbekommen. Da hätte ich mir bei den vielen (sehr schönen) Fußnoten auch noch ein paar Vokabelfußnoten gewünscht. Hat den allgemeinen Lesegenuss aber nicht großartig beeinträchtigt. Tolles Buch, tolle Geschichte, toller Stil. Empfehlung. Logisch.
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Will Eisner – ‘The Contract with God’-Trilogy (Life on Dropsie Avenue)
Will Eisner war der Großmeister der Comics und einer der Mitbegründer des Formats der Graphic Novel. In der Trilogie sind seine Geschichten rund um einen Appartementblock in der Bronx zusammengefasst: A Contract with God (1978) besteht aus mehreren Einzelgeschichten, die sich mit Figuren dieses Blocks befassen: einem Hausmeister, einem Mann, der seine Adoptivtochter verliert und mit Gott hadert, einer Frau, die einen reichen Mann heiraten will, einem Mann, der eine reiche Frau heiraten will … diesen Teil des Buchs mochte ich nicht ganz so: Er kam mir sehr schablonenhaft vor, und die Figuren fand ich fast alle sehr holzschnittartig, sehr grob. Aber die Zeichnungen haben viel wieder wettgemacht, sehr detailreich und liebevoll werden Menschen und Umgebung in Szene gesetzt.
Der zweite Teil des Buchs, A Life Force (1988), hat mir am besten gefallen. Wieder geht es um die Bewohner des Blocks, die aus ganz verschiedenen Familien, Religionen, Hintergründen stammen. Die Handlung spielt zur Zeit der Großen Depression und bildet die Lebensumstände sehr nachvollziehbar und faszinierend ab. Und wie Eisner bei seinem ganzen, dichten Figurengeflecht den Überblick behalten konnte, hat mir viel Respekt abgenötigt.
Im dritten Teil beschreibt Eisner die Straße Dropsie Avenue (1995) von 1870 bis heute, die wechselnden Bewohnerschichten, die verschiedenen Eigentümer, die vielen, vielen Lebensgeschichten, die sich in dieser langen Zeit an nur einem Ort versammeln. Fast so gut wie Life Force – und alle drei Geschichten zusammen haben mir klargemacht, dass Eisner seinen Ruf völlig zu Recht hatte.
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