Rom, Tag 1
Sonntag, 15. Mai/Montag, 16. Mai
Sechs Tage Studienreise nach Rom mit Studiosus. Heißt: die Jüngsten in einer sehr seniorigen Gruppe sein, viel rumlaufen, noch viel mehr zuhören und lernen. Nix ist’s mit Buch, Sofa und Pause, nein, wir laufen und lernen. Genau das wollte ich – ich war schon dreimal mit Studiosus unterwegs –, und den Kerl überredete ich sanft („Kommmitkommmitkommmit!“).
Wir landeten um 17 Uhr in Rom, warteten eine knappe Stunde auf unsere Koffer und waren dann mit dem einsprachigen Shuttle-Fahrer in gefühlten 30 Sekunden im Hotel in der Nähe des Vatikans. Die italienische Fahrweise ähnelt der französischen – „die anderen haben auch ne Bremse“ –, und ich presste die gesamte Fahrt den Bremsfuß in den E-Klasse-Teppich. (Am Flughafen den einzigen Ferrari gesehen und den ersten der mindestens 8 Millionen smarts in der Stadt. Der knuffige Cinquecento scheint aber aufzuholen. Ebenfalls aus den Augenwinkeln erhascht: ein paar Maseratis und immerhin einen Lamborghini.)
Nach dem Abendessen mit der Gruppe gingen der Kerl und ich noch zum beleuchteten und fast leeren Petersplatz, circa zehn Fußminuten vom Hotel weg. Wie klug das war, merkte ich am nächsten Tag, als wir um kurz vor 9 mit der Gruppe wieder dort waren, um erst in die Kuppel zu klettern und uns dann den Dom „von unten“ anzugucken. Der Platz war schon relativ gut gefüllt, die Busse bildeten kleine Schlangen, aber wir warteten gerade knapp zehn Minuten, bis wir durch die Metalldetektoren in die Kirche durften. Als wir drei Stunden später wieder auf dem Platz standen, zog sich die Schlange einmal komplett an den schönen Kolonnaden entlang, die um den Platz herumstehen.
Die ersten 100 Meter zur Kuppel nahmen wir per Fahrstuhl und blickten danach erstmals in die Kirche. Der Petersdom ist 137 Meter hoch, was von außen zwar recht ordentlich, aber nicht übermäßig hoch aussieht. (Zum Vergleich: Die Cheops-Pyramide ist 147 Meter hoch und macht etwas mehr Eindruck, wenn man vor ihr steht.)
Bevor wir hochkletterten, gönnten wir uns noch einen Blick auf die Sixtinische Kapelle. Ja, das ist der unscheinbare graue Kasten. Den Kamin, aus dem der Rauch nach einer Papstwahl aufsteigt, gibt es übrigens nicht ständig – der wird für jede Wahl neu aufgebaut und dann wieder in die Mottenkiste geworfen, denn es wäre etwas zu gefährlich, in der Sixtinischen Kapelle mit Stimmzetteln rumzuzündeln.
Zurück zum Dom: Wenn man in ungefähr 100 Meter Höhe steht, sieht das ganze so hoch aus wie es ist. Die Menschlein unten kriechen als Ameisen über den Marmor – die Buchstaben im Bild sind knapp zwei Meter groß – und ich hielt mich leicht höhenfühlig am Gitter fest und guckte nicht allzuoft nach unten. Aus der Kuppel schaut man direkt auf das Grab von Petrus, über dem ein Baldachin aus Bronze steht. Der Baldachin wurde von Gian Lorenzo Bernini gestaltet, dem wir im Laufe des Woche noch öfter begegneten (quasi der Haussmann von Rom).
Nach dem Kuppelblick begann der Aufstieg. Ich wusste, es wird eng, aber es wird dazu auch noch schräg – irgendwann merkt man dem Gang eben an, dass er um eine Kuppel herumführt. Die letzten fünf Meter (nach 300 Stufen) klettert man über eine Wendeltreppe aus Eisen, die gefühlt 70 Zentimeter breit ist; in der Mitte hängt eine Kordel, die man als Geländer benutzt, und sobald man den Knoten fühlt, kann man den Blick wieder von den Füßen nehmen und nach oben gucken, wo man auf eine Steinbrüstung tritt und einen wundervollen Blick über Rom genießen kann. (Vor allem auf die Armen in der Schlange, die a) noch anstehen und b) noch 300 Stufen vor sich haben.)
Der Abstieg geht weitaus schneller, und dann steht man im Petersdom, der von oben noch so mächtig aussah – und jetzt auf einmal den Charme einer Bahnhofshalle hat. Einer dunklen, verwinkelten und seltsam dimensionierten Bahnhofshalle. Wie groß der Dom ist, sagen einem die Baumeister eitlerweise noch mal: Auf dem Boden sind Markierungen, an denen man ablesen kann: Hier finge St. Paul’s Cathedral an, hier der Kölner Dom, hier irgendeine andere Kirche, die logischerweise kleiner ist als das Protzmonster. Unser Reiseführer erzählt, dass Michelangelo (der die Kuppel erbaut hat – die höchste weltweit) einen symmetrischen Kreuzbau vor Augen hatte – und dann hätte das ganze auch gleichmäßig und erhaben ausgesehen. So verschwindet die Kuppel irgendwo dahinten im Halbdunkel, während man selbst in einem viel zu langen Kirchenschiff steht. Goldene Decken und Papststatuen aus Marmor hin oder her – das Ding wirkt wirklich nur von oben.
Immerhin steht ganz am Anfang Michelangelos Pietà – leider nach einem Attentat nur hinter dickem Panzerglas, was ihre Wirkung ziemlich abschwächt. Man kann nur von vorne draufgucken und steht mindestens fünf Meter weg, was ich sehr schade fand. Trotzdem ist sie wunderschön, sehr feingliedrig und hat mich mehr berührt als die Kirche, in der sie steht.
Der ganze Dom wuselt von Menschen; unzählige Touristengruppen werden durch die Gegend gescheucht. Genau wie sie tragen wir Kopfhörer bzw. Ohrstöpsel und hören unseren Reiseleiter verstärkt, was ganz praktisch ist, denn die Akustik ist ebenfalls Bahnhofshalle. Im dem ganzen Riesending gibt es immerhin eine winzige Kapelle, die noch güldener ist als der Rest, und vor der man anstehen muss, um reinzudürfen. Hier kann man sich zum Gebet zurückziehen, und genau das mache ich. Ich lasse die üblichen vordrängelnden Senior_innen vordrängeln, übe mich in christlicher Nachsicht und gehe dann in die kleine Kapelle. Die meisten Menschen knien in den Bänken, ich sehe diverse Rosenkränze, aber einige setzen sich auch, wie ich (als Protestantin). Ich bin immer etwas neidisch auf die Katholik_innen, weil sie die bunteren Kirchen haben, aber nach dem ganzen Gold da draußen und noch mehr hier drinnen sehne ich mich fast nach „meiner“ Hamburger Kirche, die aus rotem Backstein besteht und als einzigen Schmuck einen Blumentopf auf dem Altar hat. (Nebenbei: Bei unserem Spaziergang am Nachmittag durch Rom sind wir an mehreren Geschäften vorbeigekommen, in denen man prima kirchliche Gewänder und Utensilien kaufen kann. Darüber habe ich mir vorher auch noch nie Gedanken gemacht, woher die Jungs eigentlich ihre ganzen Arbeitsmittel haben. Jetzt weiß ich’s: Sie kaufen sie wie ich Druckertinte und MacBook-Hüllen.)
(Um den Baldachin und das Petrusgrab herum stehen vier Statuen, die die höchsten Insignien der katholischen Kirche anzeigen: die Speerspitze des römischen Soldaten, der Jesus den Todesstoß versetzte; Jesus’ Schweißtuch, ein Kreuzsplitter – dafür ist die obige Dame zuständig – und dann war da noch der Heilige Andreas mit dem gleichnamigen Kreuz, aber wofür der steht, habe ich vergessen.)
(Der Bronze-Baldachin mit Blick in die Kuppel.)
Vom Petersdom führt unser Weg an der Engelsburg vorbei; der Fluchtpunkt, den die Päpste über einen Geheimgang vom Petersdom aus erreichen konnten. Wobei der „Geheimgang“ eine gut fünf Meter hohe Steinmauer ist. Also total subtil, aber dafür auch stabil. Über die Engelsbrücke gehen wir in die Altstadt.
(Figur auf der Engelsbrücke.)
Dort wird erstmal Mittag gemacht, bevor wir auf die Piazza Navona spazierten. Nachdem ich den Petersdom etwas „underwhelming“ fand, stellte sich hier zum ersten Mal das Gefühl ein, jepp, genau deswegen fahre ich in den Urlaub bzw. auf Studienreise: um etwas zu sehen, das so einmalig und wunderschön ist, dass ich mich daran noch lange erinnern werde. In meinem Fall war das der Vier-Ströme-Brunnen, Fontana dei Quattro Fiumi. Von, genau, dem ollen Bernini, der von irgendeinem Papst den Auftrag bekommen hatte, einen ägyptischen Obelisken, den die Römer vor Jahrhunderten mal in dei Stadt geschleppt hatten, in ein „modernes“ Werk einzubauen. Und anstatt den Obelisk einfach in einen Brunnen zu setzen, hat Bernini den Pfeiler über den Brunnen gebaut. Unser Reiseführer meinte, wir seien vielleicht schon zu sehr mit dieser Art „schwebender Architektur“ aufgewachsen; wir bauten so viele Häuser auf Stelzen, dass uns das nicht mehr als etwas Besonderes erscheine. 1651 war das jedoch eine Sensation – und für mich persönlich ist es das noch heute. Das Ding besteht aus Travertin und wiegt weiß der Geier wie viele Tonnen, aber es sieht wunderschön und filigran aus. Die vier Kerle symbolisieren die damals vier bekannten Kontinente, wobei Europa dadurch versinnbildlicht wird, dass es das Papstwappen stützt, während zum Beispiel Asien sich verächtlich abwendet (und absolut nicht nach irgendwas Asiatischem aussieht, aber Bernini kannte höchtswahrscheinlich auch niemand aus diesem Kulturkreis). Das Papstwappen, dem man in Rom auch alle zehn Schritte begegnet, zeichnet sich durch die Mitra und die gekreuzten Schlüssel aus (Jesus sagte zu Petrus: Ich gebe dir den Schlüssel zum Himmelreich). Jeder Papst packt dann noch persönlichen Kram dazu, Benedikt XVI. zum Beispiel die Jakobsmuschel als Sinnbild für das Pilgern auf dem Jakobsweg.
Vor der gotischen Santa Maria sopra Minerva, schräg gegenüber vom Pantheon, steht ein weiteres Werk von Bernini: mal wieder ein Obelisk, diesmal auf einem Elefanten. Neben der Kirche steht ein Palazzo der Dominikaner (in dem Galileo abschwor und Giordano Bruno zum Tode verurteilt wurde; sehr sympathischer Haufen, diese Jungs), und einer der Mönche hatte Angst, dass der Elefant den Obelisk nicht würde tragen können. Daher durfte Bernini nicht die gleiche schöne Schwerelosigkeit wie beim deutlichen größeren Brunnenobelisk verwenden, weswegen dieses Denkmal auch weitaus klotziger wirkt. Seine kleine Rache: Der Arsch des Elefanten zeigt in Richtung Palazzo.
(Auf dem Weg zu Kirche, Elefant und Pantheon noch die Reste des römischen Senats – da, wo Julius Caesar erstochen wurde. Et tu, Brute?)
In der gotischen Kirche, die wie ein Fremdkörper in Rom wirkt, das eher durch Klassik, Rennaissance und Barock gekennzeichnet wird, steht eine kleine Statue von Michelangelo, der Auferstandene Christus. Hier darf man auch ganz nah ran, und hier hat mich dann auch wieder dieses seltsame Glücksgefühl erwischt, wenn man weiß, etwas Außergewöhnliches gesehen zu haben. Gerade im Petersdom sind eine Menge Statuen, die aussehen, als hätte sie ein Steinmetzprakti im ersten Jahr gehauen – und dann steht man ein paar Stunden später vor purer Perfektion. Kalter Stein, der aussieht, als würde er atmen können.
Zum Abschluss (und mit blutenden Füßen, denn wir waren bis auf die einstündige Mittagspause jetzt acht Stunden auf den Beinen) besichtigten wir das Pantheon. Sieht von außen aus wie noch nicht fertig – und von innen faszinierend gleichmäßig. Laut Reiseleiter ist die Kugel die harmonischste geometrische Form, und so wollte man im Pantheon auch gar nicht groß rumlaufen. Egal wo man stand, es fühlte sich richtig an (eat this, Petersdom). Das Ding wurde zwischen 118 und 125 n. Chr. von Kaiser Hadrian gebaut und war eine „Wohnstätte“ für so ziemlich alle römischen Götter. Der Durchmesser der Kuppel beträgt 43 Meter (ein knapper Meter mehr als der Durchmesser der Petersdom-Kuppel), und oben befindet sich eine neun Meter breite, runde Öffnung. Nur durch sie und die Eingangstür fällt Licht in den Bau – und es ist taghell, keine Ahnung warum. In jedem Detail, seien es die Kacheln in der Kuppel, der Marmor des Fußbodens oder die Fensterattrappen, verbinden sich Kreis und Rechteck. Bis auf die zwei Fenster, die die ollen Katholiken „verbessert“ und damit die Symmetrie ziemlich ruiniert haben. Die waren wahrscheinlich zu oft im Petersdom.
Statt eines Welcome-Drinks spendierte der Reiseleiter dann für jeden ein dickes Eis bei Giolitti, das es seit 1900 gibt und bei dem schon die Obama-Töchter zu Gast waren. Sounds like Touri-Falle, war aber gut.
Und das war ungefähr die Hälfte von dem, was wir heute gesehen, gehört und erlebt haben. Wir bestaunten auf dem Campo di Fiori, einem Marktplatz, verschiedene Häusertypen („Eher schmal und hoch, bevor es Mode wurde, eher breit zu wohnen“), und wir streichelten im Petersdom die Füße der Bronzestatue von Petrus, weil das Glück bringen soll – allerdings nicht für Petrus, denn weil das seit Jahrhunderten Menschen machen, hat der Gute keine Zehen mehr. An einem Rennaissance-Palast, in dem heute die französische Botschaft sitzt (ich weiß nicht mehr, ob für den Vatikan oder Italien), studierten wir die Fassade – zwischen ihre beigefarbenen Backsteine wurden mit roten Ziegeln Muster gebildet, die allerdings teilweise sehr ungleichmäßig waren. Angeblich durften die Steinmetzlehrlinge damals Figurenmauern üben, denn über die Ziegel kam noch eine Schicht Putz, so dass die verunglückten Muster eh niemand gesehen hätte. Dumm gelaufen. Wir gucken an der Marc-Aurel-Säule hinauf, die vor dem italienischen Parlamentsgebäude steht, und die unser Reiseleiter als den ersten Film der Menschheit bezeichnete: Das „Lebenswerk“ Aurels wird als fortlaufende Geschichte in Bildern erzählt, die von unten nach oben um die Säule herumlaufen.
Und wir kamen an diesem Gebäude vorbei, das direkt an den Kolonnaden steht. Reiseleiter: „Und hier wohnt der Papst.“ Was für eine irre Stadt, in der man diesen Satz sagen kann.